Mazedonien soll zusammen mit Kroatien in die EU aufgenommen werden.
10.11.2005
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Mazedonien wird befördert
Das kleine Land rückt nun nach Kroatien an die zweite Stelle der EU-Beitrittskandidaten in Südosteuropa
Unter den fünf Ländern Südosteuropas ohne Mitgliedschaft oder Beitrittstermin bei der EU ist jetzt Mazedonien an die zweite Stelle vorgelassen worden. Mit Kroatien führt Brüssel seit Oktober Verhandlungen. Nun bekommt Mazedonien den Rang eines Beitrittskandidaten. Dazu muss nur noch der EU-Gipfel Mitte Dezember der Empfehlung der Brüsseler Kommission vom Mittwoch folgen. Wenn auch zunächst ohne Termin für den Beginn von Beitrittsverhandlungen, liegt Mazedonien damit vor Albanien, Serbien-Montenegro und Bosnien.
Politische Rücksichten auf ein stabiles Mazedonien waren bei der Beförderung mit im Spiel. Der "politische Prozess" hat begonnen, der zu einer Regelung der Zukunft des Kosovo durch mehr als nur Verhandlungen führen soll. Im Hintergrund der internationalen Balkanpolitik aber stand in der Kosovo-Frage immer auch Sorge um den Bestand Mazedoniens. Von dessen zwei Millionen Einwohnern sind 500 000 Albaner. Großalbanische Vorstellungen aber sind auf dem Balkan latent vorhanden. Der neue EU-Vertreter in Skopje Erwan Fouere, ein Ire, hat vor unerwünschten Nebenwirkungen der Kosovo-Verhandlungen auf Mazedonien gewarnt. "Es könnte Probleme geben", meint er, "wenn die ethnischen Albaner in Mazedonien sehen, dass die serbische Minderheit im Kosovo mehr Rechte bekommt, als sie in Mazedonien haben". Bis zu den Kämpfen in seinen albanisch besiedelten Gebieten an den Grenzen zu Albanien und Kosovo 2001 war Mazedonien eine friedliche Ausnahme während der jugoslawischen Zerfallskriege.
Inzwischen gilt es von neuem als vorbildlich, wie die slawischen Mazedonier Zugeständnisse an ihre Albaner gemäß dem Befriedungsabkommen von Ohrid eingelöst haben. Nächsten Monat wird sogar mit der EU-Polizeimission "Proxima" das letzte internationale Hilfskontingent abgezogen.
In der Region liegt Mazedonien allerdings noch immer bei Wirtschaftswachstum und ausländischen Investitionen an letzter Stelle, und das bei 35 Prozent Arbeitslosen. Die Kommission mahnte am Mittwoch zu "weiteren Bemühungen vor allem in Wahlrecht, Polizei- und Justizreform und Korruptionsbekämpfung. Mit dem EU-Kandidatenstatus für Mazedonien kann Ministerpräsident Vlado Buckovski nun jedoch der Wahl Ende 2006 zuversichtlicher entgegensehen. Der Sozialdemokrat regiert in Koalition mit der Albaner-Partei des Ex-Freischärlers Ali Ahmeti.
Westliche Vorstellungen zielen auf eine verbriefte Selbständigkeit des Kosovo bei weiterer Nato-Präsenz und einer Aufseherrolle der EU ab. Buckovski erhebt keine Einwände - wenn nur die Grenzen Mazedoniens garantiert bleiben. Bernhard Küppers
(SZ vom 10.11.2005)
10.11.2005
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Der Balkan verlässt den Hinterhof
Die EU gibt nach Kroatien auch Mazedonien eine Perspektive, doch sie muss auch künftig kritisch sein
Von Christiane Schlötzer
Nach dem Start von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und Kroatien vor fünf Wochen hat die Brüsseler Kommission jetzt für ein weiteres Balkanland eine Einladungskarte ausgestellt. Die Republik Mazedonien, die vor vier Jahren noch am Rand eines Bürgerkriegs stand, soll den Status eines EU-Kandidaten erhalten. Beschließen können dies erst die EU-Regierungschefs im Dezember. Mit ihrer Empfehlung aber setzt die Kommission ein eindeutiges Signal. Sie zeigt, dass für Brüssel der Balkan wieder europäisches Kernland ist und nicht mehr der EU-Hinterhof.
Vor gut einer Dekade sah dies ganz anders aus. Das einstige Jugoslawien ging im blutigen Schlachtgetümmel unter, und Europa schaute verständnislos, ja angewidert weg. Die Europäer drückten so lange die Augen zu, bis Washington Bomber schickte, um die Blockade von Sarajewo zu brechen. Das im November 1995 für Bosnien im amerikanischen Dayton ausgehandelte Abkommen sicherte schließlich den Frieden. Seitdem hat die EU ihre Lektion gelernt und den Staaten des Balkans eine Zukunftsperspektive gegeben, die sie in den europäischen Stabilitätsrahmen einbindet. Wo, wenn nicht in jenen Ländern, die von ethnischen Konflikten zerrissen wurden, hat die EU die Aufgabe, ihre Funktion als Friedensstifter zu entfalten. Und sie tut dies auch bereits. Der Erfolg der EU-Polizeimission in Mazedonien spricht dafür. Dass diese Mission im Dezember nun eingestellt wird, ist ein Erfolgszeichen. Nur wenige Jahre nach der tiefen Krise, als albanische Rebellen und Regierungstruppen sich wochenlange Gefechte lieferten, ist Mazedonien heute eine stabile Demokratie. Das sagt die Kommission.
Die Aussicht auf die EU-Mitgliedschaft wirkt wie ein Demokratie-Katalysator. Das gilt auch für die Türkei, der die EU-Wächter aber noch eine lange Mängelliste ausstellen. Dies ist ein Warnschuss, den Ankara ernst nehmen muss. Vor allem die türkische Justiz blockiert den Fortschritt. Ausdrücklich erwähnt der EU-Bericht den im Dezember anstehenden Prozess gegen den Schriftsteller Orhan Pamuk, der sich wegen Schmähung des Türkentums verantworten soll. Auch im EU-Anwärterland Kroatien wurde soeben ein prominenter Dichter in einem absurden Prozess wegen Verleumdung zu einer Haftstrafe verurteilt. Pedrag Matvejevic hatte es gewagt, 20 anderen Schriftstellern vorzuwerfen, dass sie mit ethnisch gefärbter Hass-Propaganda zur Entfesslung der Kriege in Ex-Jugoslawien beigetragen hätten. Die Beispiele zeigen, dass die Vorstellung von dem, was Europa ausmacht, am Bosporus wie in Zagreb noch bruchstückhaft ist.
Die EU darf solche Lücken nicht durch Lobhudeleien überdecken. Deshalb ist es richtig, dass die Fortschrittsberichte kritisch ausfallen. Die stete Mahnung aus Brüssel, die europäischen Bürgerrechtskriterien zu erfüllen, ist der größte Gefallen, den die EU ihren Kandidaten erweisen kann. Alles andere wäre Selbstbetrug, der niemandem dient.
(SZ vom 10.11.2005)