26.02.2005
Wir sind die Brücke
Avi Farchan ist Sharons letzter Siedler-Freund in Gaza. Eine Geschichte der Heimatfindung
"Hier ist mein Zuhause," steht auf Avi Farchans T-Shirt. Der israelische Siedler ging aus Protest gegen die Räumung seines Hauses sieben Tage lang zu Fuß nach JerusalemVon Igal Avidan
Avi Farchan glaubt an Anker. Und an die israelische Flagge. Zwei robuste, rostige Anker schmücken seine Villa, der eine im Vorgarten zu Füßen des Myrtenbusches, der andere im Hausgarten zwischen den kleinen Zwergorangen-Bäumen.
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bezahlte Einschaltungen"Ich bin ein Seemann", sagt der 58-Jährige. "Aber ich mag es auch, hier verankert zu bleiben", lächelt er. Wir sitzen auf der Terrasse, blicken aufs Meer hinunter, trinken Tee. Nur die Rufe des Muezzins in der allgemeinen Stille erinnern, dass sich südlich dieser kleinen, blühenden Oase die Stadt Gaza erstreckt.
"Ich möchte nicht von diesem Ort gerissen werden", sagt der energische Mann mit den ergrauten Locken. Aber wie lange er noch in seinem zweistöckigen Domizil zwischen der Wüste und dem Mittelmeer fest verankert bleibt, bestimmt allein Premierminister Ariel Sharon. Und mit ihm hat Farchan bisher keine allzu gute Erfahrung gemacht.
Im Sechs-Tage-Krieg von 1967 kämpfte Farchan als Kompaniechef auf dem Sinai. Gleich danach bekundete er sein Interesse, auf der von Ägypten eroberten Halbinsel zu wohnen. "Hier entstand das jüdische Volk", erläutert er. "Und hier hatte ich Freunde im Krieg verloren." Deshalb verfolgte er Zeitungsanzeigen, in denen nach "Pionieren in den 70er-Jahren" gesucht wurde.
Weil er kein Bauer war, blieb für ihn nur die Kleinstadt Jamit offen, die er 1975 zu seinem Zuhause machte und wo er sechs glückliche Jahre verbrachte. Seine eindrucksvollste Erinnerung aber hat er an den letzten Tag in Jamit, das infolge des Friedensvertrags mit Ägypten evakuiert und zerstört wurde: "Als dutzende Soldaten kamen, um uns zu evakuieren, standen sie vor meinen drei kleinen Töchtern und brachten es nicht über sich, den Vorgarten zu betreten."
Die Stadt war bereits verwüstet, alle Aktivisten der Siedlerbewegung mit Gewalt geräumt, nur die letzten fünf Familien harrten noch aus. "Meine ,Kampfmittel' waren die grüne Wiese im Garten und die Bilder an den Wänden des Wohnzimmers, genau wie hier." Ob das perfekt eingerichtete Haus und der Garten diesmal, anders als 1982, den israelischen Rückzug vereiteln können?
Damals musste der Oberbefehlshaber die Soldaten erst anschreien, bevor sie unter Tränen Farchans Haushalt räumten - auch die rostigen Anker. Aus Protest beschloss er, nach Jerusalem zu marschieren, in der Hand die blau-weiße Fahne. Nach einigen Schritten fand er im Sand einen glatten Stein, den er nun hochhält. Der sieht wie ein bärtige Moses aus.
"Darauf ist aber auch die Landkarte des Erez-Israel gezeichnet", zeigt er mit dem Finger. Was bedeutete für ihn in jenem Moment dieser Stein? "Moses mit der Bibel in der Hand, Sinai, das Land Israel. Ich bin seit zwölf Jahren traditionell und sah darin ein gewisses Zeichen."
Mit dem Stein und der Fahne pilgerten Farchan, seine Frau und die zwölfjährige Tochter Michal zu Fuß nach Jerusalem - sieben Tage lang. Auf dem Weg drohte er in Interviews, für die "jüdischen Vertriebenen" vor dem Grenzübergang Erez ein Flüchtlingslager zu gründen. Plötzlich erschien ein Gesandter von Verteidigungsminister Sharon mit einem Angebot: Der letzte Siedler im Sinai solle der erste im Gazastreifen werden. Noch in derselben Woche war er dort. "Auf den ersten Blick wusste ich: Hier wird gebaut, weil die Topografie an Jamit erinnerte."
An Sinai erinnert auch der Dorfname "Elei Sinai", auf Hebräisch "In Richtung Sinai". Drei Mal lehnte ihn die Namenskommission als "zu politisch" ab, bis Farchan sie überzeugte, dass an dieser Stelle die antike Straße über den Sinai nach Ägypten führte. Die Geschichte siegte über die Politik. Seit der Räumung führt Farchan mit der Fahne eine jährliche Pilgerfahrt bis zur Grenze mit Ägypten, um auf die Reste Jamits zu blicken.
8200 Siedler leben im Gazastreifen unter 1,3 Millionen Palästinensern und beanspruchen 40 Prozent des Gebietes und massiven Militärschutz. Um ihre Sicherheit zu gewährleisten, fällte die Armee tausende Bäume, sprengte viele Häuser von Palästinensern, deren Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkt wurde.
Aber die 90 bürgerlichen Familien in der Siedlung Elei Sinai fühlen sich nicht als Besatzer und betonen, dass sie direkt an der israelischen Grenze wohnen, auf ehemaligem Niemandsland. Die Bewohner bestimmen über die Aufnahme neuer Familien. Die meisten hier sind säkular, manche sogar Linke, die an den Frieden glauben - aber nicht auf ihre Kosten, versteht sich. Sie suchten lediglich Lebensqualität mit Meeresblick zu günstigen Preisen, mit netten Nachbarn und zehn Autominuten entfernt von der Stadt Ashkelon, wo viele arbeiten.
Bis vor drei Jahren, als palästinensische Terroristen in die Siedlung eindrangen und zwei Bewohner erschossen, stand kein Zaun auf dem Weg nach Gaza. Palästinenser kamen oft zu Besuch und begegneten zahlreichen Israelis, die das berühmte Fischlokal besuchten. Die Siedler gingen in Gaza einkaufen. "Hier herrschte Frieden", sagt Farchan. Trotz seiner rechtsgerichteten Ansichten gründete der in Libyen Geborene und Arabisch Sprechende ein Fischfangunternehmen gemeinsam mit einem Partner aus Gaza.
In seinem florierenden Restaurant, "Die Perle des Meeres" trafen sich oft israelische und palästinensische Unterhändler. "Ich glaubte nicht an die Oslo-Verträge, hoffte aber, dass ich mich irre, und plante sogar zusammen mit einem Palästinenser ein Touristendorf." So sehr fühlten sich die Siedler als ein Teil Israels, dass sie gegen die Errichtung eines Zauns entlang der Grenze von 1967 protestierten - vergeblich.
Die friedliche Ruhe täuschte, als die Intifada im September 2000 ausbrach. Farchan führt zu einem Denkmal für das Pärchen, das vor drei Jahren in der Siedlung erschossen wurde. Nach dem Anschlag wurden die drei nördlichen Siedlungen auch zu den palästinensischen Gebieten im Süden eingezäunt, sodass die Bewohner nun in einer Enklave leben.
"Unser Ort steht nicht zum Verkauf", verkündet ein Plakat am elektrischen Tor, das man nur durch Eingabe einer Geheimzahl öffnen kann. Das kleine Dorf wirkt menschenleer an diesem Freitagmittag. Wir fahren an gepflegten Privathäusern mit Vorgärten vorbei. Trotz verstärkter Sicherheit wurden vor drei Monaten auf der Zufahrtsstraße zwei weitere Israelis ermordet.
Farchan, der ein T-Shirt mit der Aufschrift "Hier ist mein Zuhause" trägt, blickt von seiner Terrasse auf das vier Kilometer entfernte, größte Kraftwerk Israels, wo er arbeitet. Er warnt davor, dass, "wenn wir gehen, von hier Kassam-Raketen abgeschossen werden. Die Katastrophe ist vorprogrammiert." Dass die Palästinenser im Gaza dadurch auch im Dunklen säßen, ist für ihn kein Argument.
Farchan versucht nun, seinen Vertrauten Sharon umzustimmen, "nicht anzugreifen wäre falsch." Bei ihren Begegnungen beobachtet er, dass Sharon Empathie für ihn empfindet und ihn nicht wieder vertreiben will. "Er hat bereits seinen Fehler bereut, die Siedlungen im Sinai zu räumen, jetzt hat er keine Zeit für neue Fehler."
Unermüdlich lädt er auch linksgerichtete Politiker zu sich ein, diese Woche sprach er mit dem Staatspräsidenten und warnte zwei Likud-Abgeordnete, dass die Räumung nach dem Sinai-Modell zu einem Rückzug zu den Grenzen von 1967 führen würde.
In seiner Verzweiflung versucht Farchan nun öffentlich die Europäer und die Amerikaner für seinen Plan zu gewinnen. Er ist bereit, einen palästinensischen Personalausweis zu akzeptieren, wenn er an den Wahlen in Israel teilnehmen kann und der Terror endgültig besiegt ist. "Ich bin bereit, nach dem Rückzug der israelischen Armee zu bleiben, genau wie Juden in Amerika oder in Frankreich leben." Gleichzeitig sollten die 1,2 Millionen israelischen Araber Bürger Palästinas werden. "Wenn das nicht möglich sein kann", wird er laut, "dann sind sie alle Terroristen!"
Um das israelische Parlament umzustimmen, setzte Farchan noch einmal seine Wunderwaffe ein: die Fahne. Diesmal schaffte er den Fußmarsch nach Jerusalem in nur drei Tagen. Aber die Politiker honorierten seine sportliche Leistung nicht und stimmten für Sharons Rückzugsplan. Alle Bestimmungen des israelischen Parlaments und der Regierung beeindrucken Farchan nicht.
EEr will in seinem Haus bleiben und als Jude unter palästinensischer Hoheit leben. In einer Sitzung des Rechtsausschusses des Parlaments im Februar sagte er: "Ich werde für meine Sicherheit selbst sorgen und befreie den Staat von jeglicher Verantwortung." Elei Sinai ist durch einen elektronischen Zaun getrennt vom Autonomiegebiet: "Außerdem können wir die Brücke zum Frieden mit den Palästinenser werden, mit denen wir friedlich zusammenleben." Auch in einem Brief an den britischen Premier Tony Blair vor der Londoner Konferenz am 1. März wiederholte Farchan seine Forderung. Im israelischen Parlament begegnete er auch Premier Sharon, der ihm die Hand gab und sagte: "Ich befürchte, du wirst noch palästinensischer Parlamentsabgeordneter." 20 Familien seiner Siedlung sind inzwischen bereit, ins israelische Dorf Bat Hadar umzuziehen.
Nach Angriffen gegen Juden musste Farchan als Dreijähriger mit seiner Familie Hals über Kopf Libyen verlassen. Dass er wieder seine Heimat verlassen müsste und von seinem Mentor Sharon wieder betrogen würde, will er noch nicht wahrhaben. "Wir versuchen zu leben, als sei alles normal", sagt er. "Es ist aber nicht normal." Der sechsjährige Sohn der Nachbarn äußerte jetzt den Wunsch, dass, im Fall einer Evakuierung, die Palästinenser das Haus bekommen, die es damals gebaut hatten. "Sie haben es eher verdient als deren korrupte Politiker." (DER STANDARD, ALBUM, 26./27.2.2005)