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Mudi
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Ernüchterung in Serbien
Nach dem Besuch von Merkel erscheint die EU-Perspektive nebulöser denn je
In Serbien wächst die Kritik an der EU-Strategie von Präsident Tadic. So hat der Besuch von Angela Merkel klargemacht, dass ohne weitreichende Konzessionen in der Kosovofrage eine Zukunft in der EU illusorisch ist.
So hatte sich Serbien die Sache nicht vorgestellt. Der Besuch der deutschen Bundeskanzlerin Merkel sollte eigentlich die Fortschritte Belgrads auf dem Weg in die EU beweisen. Etwas Beihilfe durfte man sich vom Gast durchaus erhoffen. Immerhin ist Serbiens Regierung mit der Auslieferung der mutmasslichen Kriegsverbrecher Mladic und Hadzic ihren Pflichten gegenüber dem Haager Kriegsverbrechertribunal endlich nachgekommen. Und immerhin steht an der Staatsspitze mit Tadic ein proeuropäischer Präsident, der seit Jahren wichtige Anstösse zur Versöhnung früherer Kriegsgegner auf dem Westbalkan liefert.
Strittige Parallelstrukturen
Doch Merkel, die am Dienstag erstmals in Serbien weilte, wollte sich nicht ans Drehbuch einer harmonischen und von gegenseitigen Lobreden geprägten Visite halten. Direkt und unverblümt listete sie Tadic einen Katalog von Bedingungen auf, die Belgrad zuerst erfüllen müsse, ehe mit dem Status eines EU-Kandidaten und mit dem Beginn von Beitrittsverhandlungen zu rechnen sei. Damit hatte in Serbiens Staatsführung, wo man sich in der Folge ebenso überrumpelt wie desorientiert zeigte, niemand gerechnet. Vielmehr ging man noch vor kurzem davon aus, dass dank der Auslieferung von Mladic und Hadzic der Kandidatenstatus eine praktisch beschlossene Sache sei. Nun repräsentiert Merkel zwar nicht die ganze EU. Dennoch dürfte gegen den Willen Berlins kein wegweisender Entscheid zur EU-Erweiterung gefällt werden. Spiegeln die deutschen Bedingungen daher auch die Forderungen Brüssels, erscheint die europäische Perspektive, die im Sommer 2003 am Gipfel von Thessaloniki den Nachfolgestaaten Jugoslawiens in Aussicht gestellt worden war, im Falle Serbiens nebulöser denn je. Die serbische Zeitung «Politika» diagnostiziert nach dem Besuch Merkels denn auch die Gefahr einer sich verschärfenden Isolation Serbiens innerhalb von Europa.
Diese Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen. Denn Merkels Bedingungen sind teilweise kaum erfüllbar. Neben Fortschritten beim Dialog mit Pristina und bei der Bewegungsfreiheit der EU-Rechtsstaatsmission Eulex in ganz Kosovo wird nämlich auch die Beseitigung serbischer Parallelstrukturen in Nordkosovo gefordert. Gemeint sind Institutionen, die von Belgrad aufrechterhalten werden und öffentliche Bereiche wie Verwaltung, Bildung, Gesundheit oder Sicherheit regeln. Bedeutsam sind diese Strukturen vorab in den Gemeinden Nordkosovos, wo fast nur Serben leben, wo man von einer Unabhängigkeit Kosovos nichts wissen will und wo Pristinas Behörden de facto keinerlei Autorität durchzusetzen vermögen.
Kosovo oder EU?
Die im Norden Kosovos lebenden Serben orten ihre Hauptstadt nach wie vor in Belgrad, und die sogenannten Parallelstrukturen – aus Belgrads Optik trifft der Begriff eher auf Pristinas Institutionen zu – spiegeln diese Verbundenheit und den gemeinsamen Widerstand gegen Kosovos Eigenstaatlichkeit. Ein Durchschneiden der Nabelschnur würde in Serbien wohl nicht nur als Verrat gegenüber den eigenen Landsleuten in Nordkosovo, sondern auch als Anerkennung von Kosovos Unabhängigkeit interpretiert. Serbische Regierungsvertreter bezeichnen Merkels Forderung denn auch als inakzeptabel, zumal sie sich gegen Serbiens Staatswesen und gegen die Verfassung richte.
Merkels Besuch stellt für Tadic einen Rückschlag dar. Dies umso mehr, als 2012 Parlamentswahlen anstehen und der Präsident hierzu eigentlich auf Rückenwind aus Brüssel gehofft hatte. Nun scheint vor allem die nationalistische Opposition zu profitieren, etwa der frühere Ministerpräsident Kostunica von der DSS. Er sieht sich in seiner Einschätzung bestätigt, dass das Bekenntnis der Regierung, sowohl für die EU als auch für Kosovo zu kämpfen, nur leeres Geschwätz sei. Merkel habe gezeigt, dass Kosovo jener Preis sei, den Serbien für die Aufnahme in die EU bezahlen müsse. Von nun an könne kein Politiker mehr behaupten, dass Serbien auch ohne Preisgabe seines Territoriums in der EU willkommen sein werde.
Die Kritik an Serbiens EU-Strategie wächst, auch aus Kreisen von Tadics eigener Partei. Dabei stellt das Drängen der EU auf eine «Normalisierung» der Beziehungen zu Kosovo keineswegs ein Novum dar. Nur wurde diese Forderung bisher in vergleichsweise weiche und unpräzise Worte verpackt, so dass jede Seite darunter verstehen konnte, was sie wollte. Mit der expliziten Forderung nach einer Beseitigung serbischer Parallelstrukturen in Nordkosovo hat Merkel die verlangte Normalisierung nun konkretisiert. Und sie hat klargemacht, dass die EU keinerlei Interesse daran hat, einen weiteren offenen Grenzkonflikt in die Union hineinzutragen; das Beispiel Zypern dürfte für Brüssel abschreckend genug sein.
Ernüchterung in Serbien (Politik, International, NZZ Online)
Was ist das Beste für Serbien, was ist dir persönlich lieber?
UMFRAGE - KOSOVO ODER EU!
Europäische Union,
Kosovo bleibt Serbien oder es ist dir
egal
Nach dem Besuch von Merkel erscheint die EU-Perspektive nebulöser denn je
In Serbien wächst die Kritik an der EU-Strategie von Präsident Tadic. So hat der Besuch von Angela Merkel klargemacht, dass ohne weitreichende Konzessionen in der Kosovofrage eine Zukunft in der EU illusorisch ist.
So hatte sich Serbien die Sache nicht vorgestellt. Der Besuch der deutschen Bundeskanzlerin Merkel sollte eigentlich die Fortschritte Belgrads auf dem Weg in die EU beweisen. Etwas Beihilfe durfte man sich vom Gast durchaus erhoffen. Immerhin ist Serbiens Regierung mit der Auslieferung der mutmasslichen Kriegsverbrecher Mladic und Hadzic ihren Pflichten gegenüber dem Haager Kriegsverbrechertribunal endlich nachgekommen. Und immerhin steht an der Staatsspitze mit Tadic ein proeuropäischer Präsident, der seit Jahren wichtige Anstösse zur Versöhnung früherer Kriegsgegner auf dem Westbalkan liefert.
Strittige Parallelstrukturen
Doch Merkel, die am Dienstag erstmals in Serbien weilte, wollte sich nicht ans Drehbuch einer harmonischen und von gegenseitigen Lobreden geprägten Visite halten. Direkt und unverblümt listete sie Tadic einen Katalog von Bedingungen auf, die Belgrad zuerst erfüllen müsse, ehe mit dem Status eines EU-Kandidaten und mit dem Beginn von Beitrittsverhandlungen zu rechnen sei. Damit hatte in Serbiens Staatsführung, wo man sich in der Folge ebenso überrumpelt wie desorientiert zeigte, niemand gerechnet. Vielmehr ging man noch vor kurzem davon aus, dass dank der Auslieferung von Mladic und Hadzic der Kandidatenstatus eine praktisch beschlossene Sache sei. Nun repräsentiert Merkel zwar nicht die ganze EU. Dennoch dürfte gegen den Willen Berlins kein wegweisender Entscheid zur EU-Erweiterung gefällt werden. Spiegeln die deutschen Bedingungen daher auch die Forderungen Brüssels, erscheint die europäische Perspektive, die im Sommer 2003 am Gipfel von Thessaloniki den Nachfolgestaaten Jugoslawiens in Aussicht gestellt worden war, im Falle Serbiens nebulöser denn je. Die serbische Zeitung «Politika» diagnostiziert nach dem Besuch Merkels denn auch die Gefahr einer sich verschärfenden Isolation Serbiens innerhalb von Europa.
Diese Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen. Denn Merkels Bedingungen sind teilweise kaum erfüllbar. Neben Fortschritten beim Dialog mit Pristina und bei der Bewegungsfreiheit der EU-Rechtsstaatsmission Eulex in ganz Kosovo wird nämlich auch die Beseitigung serbischer Parallelstrukturen in Nordkosovo gefordert. Gemeint sind Institutionen, die von Belgrad aufrechterhalten werden und öffentliche Bereiche wie Verwaltung, Bildung, Gesundheit oder Sicherheit regeln. Bedeutsam sind diese Strukturen vorab in den Gemeinden Nordkosovos, wo fast nur Serben leben, wo man von einer Unabhängigkeit Kosovos nichts wissen will und wo Pristinas Behörden de facto keinerlei Autorität durchzusetzen vermögen.
Kosovo oder EU?
Die im Norden Kosovos lebenden Serben orten ihre Hauptstadt nach wie vor in Belgrad, und die sogenannten Parallelstrukturen – aus Belgrads Optik trifft der Begriff eher auf Pristinas Institutionen zu – spiegeln diese Verbundenheit und den gemeinsamen Widerstand gegen Kosovos Eigenstaatlichkeit. Ein Durchschneiden der Nabelschnur würde in Serbien wohl nicht nur als Verrat gegenüber den eigenen Landsleuten in Nordkosovo, sondern auch als Anerkennung von Kosovos Unabhängigkeit interpretiert. Serbische Regierungsvertreter bezeichnen Merkels Forderung denn auch als inakzeptabel, zumal sie sich gegen Serbiens Staatswesen und gegen die Verfassung richte.
Merkels Besuch stellt für Tadic einen Rückschlag dar. Dies umso mehr, als 2012 Parlamentswahlen anstehen und der Präsident hierzu eigentlich auf Rückenwind aus Brüssel gehofft hatte. Nun scheint vor allem die nationalistische Opposition zu profitieren, etwa der frühere Ministerpräsident Kostunica von der DSS. Er sieht sich in seiner Einschätzung bestätigt, dass das Bekenntnis der Regierung, sowohl für die EU als auch für Kosovo zu kämpfen, nur leeres Geschwätz sei. Merkel habe gezeigt, dass Kosovo jener Preis sei, den Serbien für die Aufnahme in die EU bezahlen müsse. Von nun an könne kein Politiker mehr behaupten, dass Serbien auch ohne Preisgabe seines Territoriums in der EU willkommen sein werde.
Die Kritik an Serbiens EU-Strategie wächst, auch aus Kreisen von Tadics eigener Partei. Dabei stellt das Drängen der EU auf eine «Normalisierung» der Beziehungen zu Kosovo keineswegs ein Novum dar. Nur wurde diese Forderung bisher in vergleichsweise weiche und unpräzise Worte verpackt, so dass jede Seite darunter verstehen konnte, was sie wollte. Mit der expliziten Forderung nach einer Beseitigung serbischer Parallelstrukturen in Nordkosovo hat Merkel die verlangte Normalisierung nun konkretisiert. Und sie hat klargemacht, dass die EU keinerlei Interesse daran hat, einen weiteren offenen Grenzkonflikt in die Union hineinzutragen; das Beispiel Zypern dürfte für Brüssel abschreckend genug sein.
Ernüchterung in Serbien (Politik, International, NZZ Online)
Was ist das Beste für Serbien, was ist dir persönlich lieber?
UMFRAGE - KOSOVO ODER EU!
Europäische Union,
Kosovo bleibt Serbien oder es ist dir
egal
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