Die vergessenen Europäer
Das RomArchive macht sichtbar, was in der Kulturgeschichte oft vergessen wird: die kulturellen Einflüsse von Sinti und Roma
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Jahrhundertelange Verfolgung und Unterdrückung hinterlassen Spuren. Oder verwischen sie. Den Beitrag von Sinti und Roma zur europäischen Kultur- und Kunstgeschichte sparen viele Bibliotheken, Museen und Archive jedenfalls aus. Das RomArchive möchte sie sichtbar machen. Dafür sammeln die Macher:innen, viele selbst Angehörige der Minderheiten, Zeitzeugenberichte, gehen Lücken in der Kulturforschung nach, arbeiten Akten und Sammlungen auf und archivieren sie auf Deutsch, Englisch und Romanes. Bislang sind aus 600 Jahren Kulturgeschichte gut 5.000 digitale Exponate dokumentiert – von denen wir fünf ausgewählt haben, die den Einfluss der Sinti und Roma auf die europäische Kultur deutlich machen.
Musik
Eine typische Sinti- und Roma-Musik gibt es natürlich nicht. So wie sich die Angehörigen der Minderheiten von Land zu Land, von Gruppe zu Gruppe, ja von Familie zu Familie unterscheiden, gibt es auch unterschiedliche Musikgenres. Was sich aber sagen lässt: Sinti und Roma haben einen wesentlichen Anteil daran, die Volksmusik in den unterschiedlichsten Ländern zu erhalten. Vielerorts waren sie die Einzigen, die alte lokale Volkslieder überhaupt noch kannten. Im Schlager, der durch lokale Volksmusiken geprägt ist, sind Sinti und Roma bis heute durch Größen wie Marianne Rosenberg vertreten. Und: Sinti und Roma haben die klassische Musik geprägt. Der ungarische Rom János Bihari beispielsweise konnte zwar weder schreiben noch Noten lesen, war aber im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert ein gefragter Komponist und Violinist. Bihari prägte die in Ungarn populären Tanz- und Musikstile Csárdás und Verbunkos, wurde der erste Rom-Kapellmeister, spielte vor dem Wiener Kongress
und beeindruckte Kollegen wie Liszt, Beethoven und Mozart: Elemente aus Biharis Kompositionen finden sich in ihren Werken wieder.
Kunst
Dass
Damian Le Bas (links im Titelbild) aus einer Familie von Travellern (wie die Roma in Großbritannien genannt werden) stammte, hat er in seiner Kunst nie verheimlicht. Mit Collagen, die Roma-Symbole wie das Spinnrad, Lagerfeuer oder Wohnwagen teils bis ins Absurde überzeichnen, wurde Le Bas einer der großen zeitgenössischen Künstler aus den Roma-Communitys. „I’m putting Gypsies on the map“, beschrieb er seine Arbeit. Sein bekanntestes Werk nimmt das wortwörtlich: Für „Back To The Future! Safe European Home 1938“ bemalte Le Bas eine Europakarte von 1938. Die Jahreszahl 1938 verweist auf den drohenden Weltkrieg und den Völkermord an den europäischen Sinti und Roma. Das Gemälde ist aber nicht nur Warnung, sondern auch ein Hinweis: Le Bas zeigt Europa nicht mehr als Ansammlung klar abgegrenzter Staaten, sondern als Fläche lachender Gesichter – Sinti und Roma, überall. Nachdem Le Bas 2007 gemeinsam mit seiner Frau Delaine, die auch als Künstlerin arbeitet, den ersten Roma-Pavillon auf der Biennale in Venedig kuratiert hatte, träumte er von einer eigenen Roma-Biennale, die Roma-Kunst jenseits von Stereotypen Raum gibt. Dieser Wunsch wurde Jahre später wahr: 2018 zeigte das Gorki-Theater in Berlin die erste Roma-Biennale. Die Damian Le Bas nicht mehr erlebte: Er verstarb überraschend im Dezember 2017. Seitdem führt Delaine Le Bas das Projekt weiter.
Das RomArchive macht sichtbar, was in der Kulturgeschichte oft vergessen wird: die kulturellen Einflüsse von Sinti und Roma
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