snarf
Gonzo
Am 22. Juli wird die Meinung des Internationalen Gerichtshofs zur Rechtmässigkeit der Unabhängigkeitserklärung Kosovos veröffentlicht. Belgrad hofft auf neue Verhandlungen. Pristina möchte die Statusfrage definitiv zu den Akten legen.
Andreas Ernst, Belgrad
Die Nachricht, der Internationale Gerichtshof in Den Haag werde am 22. Juli sein Gutachten zur Unabhängigkeitserklärung Kosovos veröffentlichen, sorgt in Belgrad und Pristina für spürbare Anspannung. Der Gerichtshof war im Oktober 2008 auf Initiative Serbiens von der Uno beauftragt worden, die Vereinbarkeit der Unabhängigkeitserklärung Pristinas mit dem Völkerrecht zu prüfen. Das Gutachten ist kein bindendes Urteil. Es hat aber grosses rechtliches und politisches Gewicht.
Verschobene Entscheidungen
Dass Serbien den Rechtsweg in der Kosovo-Frage einschlug, wurde auch von manchen Befürwortern der Unabhängigkeit begrüsst. Der Streit war zur Rechtsfrage erklärt worden und kühlte politisch ab. Heikle Entscheidungen konnten verschoben werden. Tatsächlich nahmen die Konflikte zwischen Belgrad und Pristina ab und beschränkten sich meist auf Wortgefechte. Seit Sommeranfang ist die Temperatur wieder gestiegen, vor allem im serbisch besiedelten Nordkosovo. Diesen betrachtet Pristina als integralen Landesteil, faktisch wird er von Belgrad kontrolliert. Die Drohung des kosovarischen Innenministers, Spezialpolizisten in den Norden zu schicken, wurde von Belgrad als «kriegstreiberisch» bezeichnet
Jetzt geben sich beide Seiten zuversichtlich. Es sei unmöglich, sagte der kosovarische Aussenminister Skender Hyseni, dass der Gerichtshof «gegen die Freiheit einer Nation» entscheide. Präsident Fatmir Sejdiu sagte, Kosovos Argumente seien stark und seine Unabhängigkeit unumkehrbar. Dies hatten in den letzten Monaten auch die Botschafter Englands, Frankreichs, Deutschlands und der USA betont, deren Regierungen sich vor dem Gerichtshof für die Legalität der Unabhängigkeitserklärung verwendet hatten. Dagegen hatten sich unter andern Russland, China, Brasilien und Spanien ausgesprochen.
Er erwarte nach dem 22. Juli eine Welle der Anerkennungen, sagte Hyseni. Bisher haben ein gutes Drittel der Uno-Mitgliedsstaaten Kosovo anerkannt; unter den 27 Mitgliedern der Europäischen Union sind es 22. In Belgrad sagte Aussenminister Jeremic, die «Stunde der Wahrheit» sei gekommen. Pristina werde erkennen müssen, dass es das Recht nicht mit einseitigen Aktionen verändern könne.
[h4]Serbien will Kompromiss[/h4]
Das nächste Ziel soll eine Resolution der Uno-Generalversammlung sein, die zu neuen Verhandlungen über den Status Kosovos aufruft. Mächtige Länder wehrten sich dagegen, sagte Jeremic. Aber man werde kämpfen, bis eine Kompromisslösung erreicht sei. In der serbischen Öffentlichkeit wird seit längerem über die mögliche Gestalt eines Kompromisses diskutiert. Nicht über die Unabhängigkeit Kosovos, sondern über dessen Grenzen solle verhandelt werden, besagt eine häufig geäusserte Meinung. Nordkosovo solle bei Serbien bleiben, die Kirchengüter und serbische Enklaven im Süden sollten einen speziellen Status erhalten. Eine Variante dieses Vorschlags besteht darin, Pristina dafür mit albanisch besiedelten Dörfern in Südserbien zu entschädigen.
[h4]Warnende Stimmen[/h4]
Bisher haben sowohl Pristina wie Belgrad eine Teilung abgelehnt. Belgrad allerdings nicht kategorisch. Auch aus Mazedonien kommen warnende Stimmen. Eine Teilung gefährde die Existenz Mazedoniens, aber auch Bosniens. Die «Büchse der Pandora» dürfe nicht geöffnet werden. Andere meinen dagegen, diese sei mit der Sezession Kosovos bereits offen. Es gehe jetzt darum, die Kosovo-Frage mit einem Kompromiss dauerhaft zu lösen. Ob es zu neuen Verhandlungen kommt, ist – mindestens bis zur Veröffentlichung des Rechtsgutachtens – eine offene Frage.
Steigende Nervositt in Belgrad und Pristina (International, NZZ Online)
Andreas Ernst, Belgrad
Die Nachricht, der Internationale Gerichtshof in Den Haag werde am 22. Juli sein Gutachten zur Unabhängigkeitserklärung Kosovos veröffentlichen, sorgt in Belgrad und Pristina für spürbare Anspannung. Der Gerichtshof war im Oktober 2008 auf Initiative Serbiens von der Uno beauftragt worden, die Vereinbarkeit der Unabhängigkeitserklärung Pristinas mit dem Völkerrecht zu prüfen. Das Gutachten ist kein bindendes Urteil. Es hat aber grosses rechtliches und politisches Gewicht.
Verschobene Entscheidungen
Dass Serbien den Rechtsweg in der Kosovo-Frage einschlug, wurde auch von manchen Befürwortern der Unabhängigkeit begrüsst. Der Streit war zur Rechtsfrage erklärt worden und kühlte politisch ab. Heikle Entscheidungen konnten verschoben werden. Tatsächlich nahmen die Konflikte zwischen Belgrad und Pristina ab und beschränkten sich meist auf Wortgefechte. Seit Sommeranfang ist die Temperatur wieder gestiegen, vor allem im serbisch besiedelten Nordkosovo. Diesen betrachtet Pristina als integralen Landesteil, faktisch wird er von Belgrad kontrolliert. Die Drohung des kosovarischen Innenministers, Spezialpolizisten in den Norden zu schicken, wurde von Belgrad als «kriegstreiberisch» bezeichnet
Jetzt geben sich beide Seiten zuversichtlich. Es sei unmöglich, sagte der kosovarische Aussenminister Skender Hyseni, dass der Gerichtshof «gegen die Freiheit einer Nation» entscheide. Präsident Fatmir Sejdiu sagte, Kosovos Argumente seien stark und seine Unabhängigkeit unumkehrbar. Dies hatten in den letzten Monaten auch die Botschafter Englands, Frankreichs, Deutschlands und der USA betont, deren Regierungen sich vor dem Gerichtshof für die Legalität der Unabhängigkeitserklärung verwendet hatten. Dagegen hatten sich unter andern Russland, China, Brasilien und Spanien ausgesprochen.
Er erwarte nach dem 22. Juli eine Welle der Anerkennungen, sagte Hyseni. Bisher haben ein gutes Drittel der Uno-Mitgliedsstaaten Kosovo anerkannt; unter den 27 Mitgliedern der Europäischen Union sind es 22. In Belgrad sagte Aussenminister Jeremic, die «Stunde der Wahrheit» sei gekommen. Pristina werde erkennen müssen, dass es das Recht nicht mit einseitigen Aktionen verändern könne.
[h4]Serbien will Kompromiss[/h4]
Das nächste Ziel soll eine Resolution der Uno-Generalversammlung sein, die zu neuen Verhandlungen über den Status Kosovos aufruft. Mächtige Länder wehrten sich dagegen, sagte Jeremic. Aber man werde kämpfen, bis eine Kompromisslösung erreicht sei. In der serbischen Öffentlichkeit wird seit längerem über die mögliche Gestalt eines Kompromisses diskutiert. Nicht über die Unabhängigkeit Kosovos, sondern über dessen Grenzen solle verhandelt werden, besagt eine häufig geäusserte Meinung. Nordkosovo solle bei Serbien bleiben, die Kirchengüter und serbische Enklaven im Süden sollten einen speziellen Status erhalten. Eine Variante dieses Vorschlags besteht darin, Pristina dafür mit albanisch besiedelten Dörfern in Südserbien zu entschädigen.
[h4]Warnende Stimmen[/h4]
Bisher haben sowohl Pristina wie Belgrad eine Teilung abgelehnt. Belgrad allerdings nicht kategorisch. Auch aus Mazedonien kommen warnende Stimmen. Eine Teilung gefährde die Existenz Mazedoniens, aber auch Bosniens. Die «Büchse der Pandora» dürfe nicht geöffnet werden. Andere meinen dagegen, diese sei mit der Sezession Kosovos bereits offen. Es gehe jetzt darum, die Kosovo-Frage mit einem Kompromiss dauerhaft zu lösen. Ob es zu neuen Verhandlungen kommt, ist – mindestens bis zur Veröffentlichung des Rechtsgutachtens – eine offene Frage.
Steigende Nervositt in Belgrad und Pristina (International, NZZ Online)