Tausende Tote, unzählige Verletzte und Millionen Obdachlose. Das Erdbeben hat für Leid und Elend gesorgt. In Syrien scheint der einzige Gewinner der Katastrophe Machthaber Assad zu sein.
Von Tilo Spanhel, ARD-Studio Kairo
Im Stundentakt scheinen Flugzeuge mit Hilfslieferungen in Aleppo zu landen. Dieser Eindruck vermittelt sich zumindest den Zuschauern und Zuschauerinnen des syrischen Staatsfernsehens. "Wie sie hier hinter mir sehen, ist gerade ein Flugzeug aus Algerien gelandet. An Bord sind humanitäre Hilfsgüter. Und auch ein Flieger aus Saudi-Arabien ist vor kurzem eingetroffen", sagt ein Reporter in einer Schalte auf der Landebahn. "Hier am Flughafen von Aleppo kennt die Menschlichkeit wirklich keine Grenzen!"
Mehr als ein Dutzend Nationen hat in den vergangenen Tagen Hilfe nach Aleppo, Damaskus oder Latakia geschickt - also in die vom Regime kontrollierten Gebiete. Darunter auch Staaten, die in den vergangenen Jahren - zumindest offiziell - keine Kontakte zum Assad-Regime unterhielten, so wie etwa Saudi-Arabien oder Algerien.
Kritik an der UN
Eine Woche nach dem Erdbeben empfing Bashar al-Assad dann den Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate in Damaskus. Kurz darauf auch noch den Direktor der Weltgesundheitsorganisation und den UN-Nothilfekoordinator. Ein schwieriger Besuch, findet Melani Cammett, Politikwissenschaftlerin an der Harvard University.
"Es gibt viel Kritik an den UN und UN-Organisationen, weil sie de facto die Macht des syrischen Regimes untermauern", sagt Cammett. "Natürlich sagen sie, dass sie politisch neutral sind - aber natürlich sorgt jede Hilfe, die man reinbringt, auch dafür, dass das syrische Regime bestätigt wird."
Aber auch die Hilfe, die in die von Aufständischen besetzten Gebiete im Nordwesten gebracht wird, scheint Machthaber Assad für sich instrumentalisieren zu können. Die zähe Diskussion über mehr grenzüberschreitende Hilfe zwischen Syrien und der Türkei habe ihm genützt, ist Bente Scheller, Referatsleiterin Nahost bei der Heinrich-Böll-Stiftung, überzeugt: "Da hätte man überhaupt nicht zögern dürfen", so Scheller. "Doch obwohl internationales Recht das hergegeben hätte, hat man Assad die Chance gegeben, zynischerweise bis kaum mehr Überlebende unter den Trümmern geborgen werden konnten - erst dann hat er nrünes Licht gegeben. Da hätte man gar nicht auf sein Okay warten müssen."
Bomben, Foltercamps und Chemiewaffen
Seit dem Beginn des Bürgerkriegs in Syrien - vor rund zwölf Jahren - versuchen Machthaber Assad und seine Verbündeten im Iran und Russland, die Welt von ihrer Sicht der Dinge zu überzeugen. Fassbomben in Wohngebieten, Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser - entweder waren das demnach verfeindete Milizen oder es seien notwendige Mittel, um Terroristen effektiv zu bekämpfen. Genauso wie Foltercamps und - mutmaßlich - wiederholte Angriffe mit Chemiewaffen.
Vor allem letzteres ist Beobachtern und Beobachterinnen zufolge ein zweifelhafter Wendepunkt im Syrien-Krieg gewesen. Denn 2012 drohte der damalige US-Präsident Barack Obama: Sollte Assad Chemiewaffen einsetzen, würde er eine rote Linie überschreiten, was Konsequenzen haben müsste. Ein Eingreifen des US-Militärs wäre damit unausweichlich.
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Zu dieser Einschätzung kommt die Behörde in einem neu veröffentlichten Bericht.
Schrittweise Normalisierung des Assad-Regimes
Doch obwohl die Organisation Human Rights Watch mehr als 86 Angriffe mit Chemiewaffen zwischen 2013 und 2018 zählte und fast alle auf Einheiten des Regimes zurückführte, ließen die USA keine Taten auf ihre Ankündigung folgen. "Wenn selbst ein solch massiver Bruch internationaler Normen wie der Einsatz von Chemiewaffen ohne irgendeine Ahndung bleibt, dann ist natürlich klar: Er hat im Prinzip freie Bahn - er kann alles machen, was er will", sagte Scheller. Genauso habe Assad sich dann ausgelebt, ohne es zu verbergen. Für viele Beobachter und Beobachterinnen war dies der erste Schritt in Richtung einer Normalisierung.
Auch wenn der Westen im syrischen Bürgerkrieg nicht direkt intervenierte, brachten unter anderem USA und EU in den Jahren 2011 und 2012 weitreichende Sanktionen in Position. Sie sollten den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Assad und seine Einheiten an weiteren Menschenrechtsverletzungen hindern und richteten sich unter anderem gegen den Waffenhandel mit Syrien, den Finanz- und Energiesektor im Land und gegen spezifische Personen im syrischen Machtapparat.
Ein vom syrischen Präsidialamt zur Verfügung gestelltes Foto zeigt den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad (C) beim Besuch des vom Erdbeben betroffenen Ortes in Aleppo, Syrien, 10. Februar 2023 Bild: EPA
Drogengeld getarnt als Spenden?
Das Erdbeben vor gut einer Woche gab dem Regime dann die Chance, erneut die Aufhebung aller Sanktionen zu fordern. In Washington und Brüssel wies man zwar eine Aufhebung der Sanktionen zurück, erleichterte aber zumindest den Geldfluss für humanitäre Zwecke. "Das ist gut für syrische und internationale unabhängige NGOs, die vorher immer damit zu kämpfen hatten, dass - wenn auf den Überweisungen 'Syrien' stand - dass diese eventuell nicht durchgehen", sagt Scheller. "Aber es ist für Assad wirklich ein richtiges Geschenk! Er hat sein Drogengeschäft ja immer weiter ausgebaut - jetzt könnten solche Gelder getarnt als Spenden nach Syrien fließen."
Laut Schätzungen der UN sind rund 5,3 Millionen Menschen in Syrien obdachlos geworden. Doch anders als in der Türkei dürfte direkte Hilfe beim Wiederaufbau gar nicht so einfach sein. Denn bei vielen Gebäuden sind die Eigentumsverhältnisse ungeklärt - viel von dem, was Opposition und Gegnern gehört, wurde vom Regime enteignet. Außerdem gebe es Berichte über konfessionellen Vertreibungen, so Scheller. "Hier ist man natürlich in der Gefahr, wenn man jetzt einfach so Wiederaufbau betreibt, Menschenrechtsverletzungen zu unterstützen und sie im wahrsten Sinne des Wortes zu zementieren." Man dürfe jetzt nicht, um schnell zu helfen, viele Hürden fallen lassen. "Es ist ganz wichtig, dass diese umso strikter eingehalten werden."
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In Syrien kommt mancherorts kaum Hilfe an - auch weil Assad die Katastrophe für seine Zwecke nutzt.
Italien war jetzt der erste westliche Staat, der Hilfsgüter an den Roten Halbmond geschickt hat. Eine Hilfsorganisation, die unter direkter Kontrolle des Assad-Regimes steht. Für Cammett ist die Normalisierung Assads bereits im vollen Gange. "Globale und regionale Regierungen beginnen, wieder Beziehungen mit Assad aufzubauen. Vielleicht nicht offiziell, aber ihr Austausch mit dem syrischen Regime wird Assad als De-facto-Machthaber festigen", sagt die Politikwissenschaftlerin der Harvard University.
Es ist ein Drahtseilakt, den derzeit viele westliche Regierungen zu meistern versuchen: den Menschen vor Ort zu helfen, ohne dem mutmaßlichen Kriegsverbrecher Assad die Hand zu reichen.
Tausende Tote, unzählige Verletzte und Millionen Obdachlose. Das Erdbeben hat für Leid und Elend gesorgt. In Syrien scheint der einzige Gewinner der Katastrophe Machthaber Assad zu sein. Von Tilo Spanhel.
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