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Türkei vs Israel - Erdogan vs Netanjahu

Erklärungsnot?

"Kritik-Verbot an Israel ist antisemitisch"

Der israelische Autor Uri Avnery nimmt Günter Grass in Schutz: Es sei antisemitisch darauf zu bestehen, dass Israel in Deutschland nicht kritisiert werden dürfe. Das Einreiseverbot für Grass in Israel empört derweil viele deutsche Politiker - dennoch will die SPD künftig auf seine Hilfe im Wahlkampf verzichten.

http://www.sueddeutsche.de/politik/...-verbot-an-israel-ist-antisemitisch-1.1328555

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POLITIK [h=2]TÜRKISCHER PRÄSIDENT[/h]
10:51


[h=1]Das Leichentuch ist zu Erdogans Symbol geworden[/h]Der türkische Präsident Erdogan demontiert die Demokratie und träumt von einem Großreich. "Wir werden eine neue, religiöse Generation schaffen", verkündet er. Warum verhandelt die EU mit ihm?

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  • [*=right]

Von Boris Kálnoky,Christoph B. Schiltz,Daniel Friedrich Sturm



Foto: REUTERS
Der türkische Präsident Erdogan posiert in seinem neu errichteten Palast

Recep Tayyip Erdogan schreitet durch Istanbul, die uralte Metropole, die der osmanische Sultan Mehmet einst dem christlichen Abendland entriss, Sitz der Kalifen, wo Erdogan als Bürgermeister einst nach der Macht im ganzen Land griff. Ein Heer von Männern folgt dem Präsidenten, keuchende Beamte, Journalisten, Kameraleute. Doch plötzlich sieht Erdogan beim Blick über die Häuser seiner Stadt etwas Unfassliches: Ein Mann sitzt im ersten Stock am Fenster eines Internetcafés und raucht eine Zigarette.
Da kann das Staatsoberhaupt nicht anders und herrscht seinen Untertanen an: "Das ist bei Strafe verboten!" Und vor allem: Jetzt sei bekanntlich Ramadan, und da rauchen fromme Muslime nicht. Dass der Raucher vielleicht kein Muslim ist oder einfach keine Lust haben könnte, fromm zu sein, kommt Erdogan gar nicht in den Sinn. Die Polizei muss gerufen werden. Er besteht darauf. Sofort.
Erdogan ist kein postmoderner Politiker. Keiner für Diskurse. Er übt Herrschaft körperlich aus wie ein uraltes Handwerk. Macht bedeutet für ihn, dass alle machen, was er sagt. Das sieht man in Szenen wie bei jenem Stadtrundgang vor ein paar Wochen in aller Deutlichkeit. Sie wirken wie eine bösartige Karikatur des Bildes, das man sich in Brüssel noch vor zehn Jahren von Erdogan machte.
Damals hielt man ihn für einen Reformer und Demokraten, der die Türkei von den Resten der Militärdiktatur befreien wollte. So machte man Erdogans Türkei zum offiziellen EU-Beitrittskandidaten. Doch seither hat Erdogan sein Land schrittweise gleichgeschaltet und sich zum Paten islamistischer Bewegungen im Nahen Osten aufgeschwungen. Die Vorstellung, dass dieser Mann bei einem EU-Gipfel mit entscheidet, löst in Europa nur noch Grauen aus.
Erdogan und seine bizarren Klonkrieger
Der türkische Präsident Erdogan hat seinen palästinensischen Amtskollegen Abbas empfangen - und zeigte sich mit historisch gekleideten Wächtern. Die Netzgemeinde amüsiert sich köstlich darüber.Quelle: Die Welt

"Alle wissen, dass die Beitrittsverhandlungen aussichtslos sind", sagt Alexander Graf Lambsdorff (FDP), Vizepräsident des EU-Parlaments. "Hinter den Kulissen wird nach einer Lösung gesucht, wie man die Beitrittsgespräche beenden kann, ohne einen diplomatischen GAU auszulösen. Das ist schwierig, weil beide Seiten einander brauchen." Noch immer ist die Türkei etwa ein Nato-Mitglied und wichtiger Handelspartner. Der Westen hat viel investiert in diese Freundschaft. Wie konnte der alte Verbündete nur zur Bedrohung mutieren? Oder hat sich Europa von Anfang an getäuscht?
An der Sprache hätte man es merken können. Etwa in jener Zeit, als Brüssel die Beitrittsverhandlungen eröffnete, wurde Erdogan gefragt, ob er nicht um sein Leben fürchte. Immerhin war das Militär gegen ihn, den angeblich moderat islamischen Volkstribun. Erdogans Antwort auf die besorgte Frage lautete: "Wir sind in unseren Leichentüchern zu dieser Reise aufgebrochen." Da zeigte sich schon der Erdogan von heute. Einer, der siegen will oder den Märtyrertod sterben.
Bei säkularen Türken bricht mittlerweile fast Panik aus, manche wollen ihre Wohnungen verkaufen und raus aus dem Land. Schon wegen der Kinder. Immer mehr städtische Wohngebiete werden den Einzugsgebieten religiöser Schulen zugeschlagen. In herkömmlichen Schulen wird nicht mehr der Geburtstag von Republikgründer Atatürk gefeiert, sondern nur noch der des Propheten. "Wir werden eine neue, religiöse Generation schaffen", verkündet Erdogan.
Wer widerspricht, muss mit Ungemach rechnen. Eine bleierne Schwere legt sich über das Land. Studenten, die demonstrieren, riskieren Exmatrikulation, Lehrer und Professoren ihre Jobs. Karikaturisten werden verklagt, kritische Medien riskieren Strafgelder und Gerichtsverfahren. Oppositionelle nennt Erdogan "Atheisten und Terroristen".
[h=2]Die Polizei ist zu einer Parteimiliz verkommen[/h]Das Leichentuch ist zu Erdogans Symbol geworden. Als im Sommer 2013 im Istanbuler Gezi-Park und dann im ganzen Land Proteste losbrachen, erschienen Erdogans Anhänger in Leichentüchern auf Kundgebungen. Sie seien bereit, für ihn zu sterben. Er dankte huldvoll. Bald jagten bewaffnete AKP-Anhänger Demonstranten mit Knüppeln, Messern und gelegentlich auch mit Schusswaffen. Am Ende genügte zur Niederschlagung der Proteste die oft tödliche Gewalt der Polizei, die Erdogan stolz "meine Polizei" nennt und zu noch härterem Vorgehen aufforderte. Nach etlichen Säuberungswellen ist die Ordnungsmacht ohnehin zu einer Parteimiliz verkommen.
Und dann gibt es auch noch "meinen Geheimdienst", wie Erdogan ihn nennt. Der darf inzwischen fast alles. Vor einem Jahr transportierten Agenten heimlich Waffenzu muslimischen Extremisten in Syrien, wie Dokumente nahelegen. Experten zufolge hat Erdogan bis mindestens 2013 vor allem die islamistische Al-Nusra-Front unterstützt, den syrischen Ableger von al-Qaida. Von dort gingen viele Kämpfer später zur Terrormiliz Islamischer Staat (IS) über.
Aber auch IS-Kämpfer bezeugten mehreren Journalisten gegenüber, dass die Türkei ihnen bis 2014 indirekt geholfen habe: lasche Grenzkontrollen und vor allem auch auf türkischem Gebiet kein Eingreifen gegen die vielen Sammelstellen für IS-Freiwillige aus fremden Ländern, auch aus Europa und Deutschland. Die Türkei ist immer noch in der Nato, doch was Erdogan aus ihr gemacht hat, ist zu einer klaren Bedrohung geworden. Das klingt bizarr, aber es war vorhersehbar.
Erdogan will Anführer der Muslime werden
Die Türkei als Großmacht - das ist das Ziel von Präsident Erdogan. Lange hat man ihn dafür belächelt, aber jetzt hofieren ihn die internationalen Regierungschefs. Erdogan aber hat eigene Pläne.Quelle: Die Welt

Erdogans Reise begann in der nationalistisch-islamistischen Milli-Görüs-Bewegung. Als er dort aktiv war, forderte der heutige Präsident der Türkei die Einführung der Scharia und verteufelte den Westen. Zwar sagte er sich später von Milli Görüs los und gründete die AKP als gemäßigte Reformpartei. Doch sobald er mithilfe der USA und der EU die Macht des Militärs gebrochen hatte, enttäuschte er die Hoffnung auf einen gemäßigten Islam. Seit Erdogan die alleinige Macht hat, "kehrt er zunehmend zu seiner früheren Haltung zurück", so der Türkeiexperte Gareth Jenkins.
Erdogan verhehlt das nicht einmal. Er nennt Israel "schlimmer als Hitler". Für ihn sind Israelis "Kindermörder", aber der sudanesische Diktator Omar al-Baschir, der wegen des Todes von mindestens 300.000 Menschen vom Internationalen Gerichtshof des Völkermords angeklagt ist, "kann nichts Böses tun, denn er ist ein Moslem", findet Erdogan. Macht bedeutet für ihn eben mehr als die Durchsetzung von Rauchverboten.
Macht darf alles, weil sie verknüpft ist mit seinem religiösen Auftrag zur Dominanz. "Große Nation, große Macht" steht auf Plakaten, die neuerdings überall in türkischen Großstädten zu sehen sind. Daneben prangt das Porträt Erdogans. Internationale Kritik wird gekontert mit dem Standardsatz, der Westen habe Angst"vor der neuen Macht der Türkei". Sie ist Erdogans ganzheitliches Ziel. Im Inneren erstickt er jeden Widerstand, denn draußen in der Welt, so sagt er, "müssen wir überall zu dem zurückkehren, was die Osmanen früher waren".
Zu jenen ehemaligen Provinzen gehören auch die Nachbarländer Syrien und Irak, wo Erdogan extremistische Milizen sponsert. Er scheint zu hoffen, dass der grenzüberschreitende Krieg zu einem Sunniten-Staat unter türkischer Protektion führt. Aber seine Einflussnahme geht über die nächste Nachbarschaft hinaus. In Ägypten unterstützte er den mittlerweile gestürzten islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi, seinen Muslimbrüdern bietet er in der Türkei Zuflucht. Erdogan tut alles, um zum islamistischen Helden der ganzen Region zu werden.

Foto: Infografik Die Welt
Zu dieser Strategie gehört auch seine Wirtschaftspolitik. Unter Erdogan haben sich die Auslandsinvestitionen der Türkei versiebenfacht. Mit Investitionen und Krediten schlägt die Türkei überall da Pflöcke ein, wo einst die Osmanen waren. Im Nahen Osten vom irakischen Kurdengebiet bis nach Somalia und Tunesien, in Zentralasien und in Südosteuropa von Albanien bis nach Ungarn. Dahinter steht eine neue islamische Wirtschaftselite im Land, die Erdogan gezielt gefördert hat. Die türkische Wirtschaft ist heute ein Geschäft unter Gesinnungsfreunden. Durch erleichterte Privatkredite fließt viel Geld auf Pump. Überall im Land entstehen neue Flughäfen, Wohnkomplexe, Einkaufszentren, Autobahnen.
Die glitzernden Fassaden sind Teil von Erdogans Erfolgsrezept. Es gibt eine imperiale Psychologie, erklärt der Politpsychologe Vamik Volkan. "Auch wenn jemand arm ist, fühlt er sich doch stolz als Teilhaber des mächtigen Ganzen." Dieser imperiale Reflex ist 100 Jahre nach dem Ende des Osmanischen Reiches tief vergraben, aber Erdogan vermag ihn zu wecken.
Sein gigantischer, neuer Präsidentenpalast setzt diesem Traum ein monströses Denkmal. Erdogan umgibt sich dort mit Kriegern in Kostümen vergangener Türkenreiche. Auf einem Hügel über Istanbul errichtet er eine Großmoschee für 30.000 Gläubige. Mit dem Bau gewaltiger Gotteshäuser folgt er dem Beispiel der osmanischen Sultane, die zugleich Kalifen waren – Nachfolger des Propheten und Oberhaupt aller Muslime weltweit.
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Gerade in der jetzigen Lage sollten wir die Gespräche über die Kapitel Rechtsstaat und Menschenrechte eröffnen​
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Rolf Mützenich (SPD)
Fraktionsvize





Ihn scheint die osmanische Überzeugung zu treiben, Gott habe die Türken erwählt, den Islam in die Welt zu tragen. Ein namhafter Professor einer türkischen Universität meint zu wissen, wie sich Erdogan das Ende seiner Reise vorstellt. Sein Palast sei deswegen so groß, weil er hoffe, dass die Führer der islamischen Welt ihm dort huldigen werden. "Und am Ende wird er sich in der neuen Riesenmoschee in Istanbul begraben lassen. Sein Grab soll eine Pilgerstätte werden."
Europa kommt in solchen Visionen sicher nicht als gleichberechtigter Partner vor. Eigentlich ist es ein Wunder, dass die Beitrittsgespräche offiziell überhaupt noch andauern. So sehr sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gegen eine Vollmitgliedschaft Ankaras in der EU positioniert, so wenig werde sie sich jemals gegen die Verhandlungen aussprechen, ist in Berliner Regierungskreisen zu hören. Jene Gespräche seien schließlich ein Mittel, um Reformen in der Türkei überhaupt noch zu ermöglichen und sich für die Menschenrechte zu engagieren. Bei aller negativen Entwicklung dürfe man die Türkei nicht verprellen, heißt es in der Bundesregierung: "Wir brauchen die Türkei – überall."
SPD-Fraktionsvize Rolf Mützenich geht noch einen Schritt weiter und plädiert dafür, die Beitrittsverhandlungen zu beschleunigen. Zwar sei "eine Beitrittsperspektive in weite Ferne gerückt". Doch Verhandlungen seien jetzt erst recht wichtig. "Gerade in der jetzigen Lage sollten wir die Gespräche über die Kapitel Rechtsstaat und Menschenrechte eröffnen. Mithilfe von Gesprächen über diese Themen lässt sich transparent machen, was Ankara will und was nicht. Das schafft Klarheit."




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POLITIK [h=2]TÜRKISCHER PRÄSIDENT[/h]
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[h=1]Das Leichentuch ist zu Erdogans Symbol geworden[/h]Der türkische Präsident Erdogan demontiert die Demokratie und träumt von einem Großreich. "Wir werden eine neue, religiöse Generation schaffen", verkündet er. Warum verhandelt die EU mit ihm?

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Von Boris Kálnoky,Christoph B. Schiltz,Daniel Friedrich Sturm



Foto: REUTERS
Der türkische Präsident Erdogan posiert in seinem neu errichteten Palast

Recep Tayyip Erdogan schreitet durch Istanbul, die uralte Metropole, die der osmanische Sultan Mehmet einst dem christlichen Abendland entriss, Sitz der Kalifen, wo Erdogan als Bürgermeister einst nach der Macht im ganzen Land griff. Ein Heer von Männern folgt dem Präsidenten, keuchende Beamte, Journalisten, Kameraleute. Doch plötzlich sieht Erdogan beim Blick über die Häuser seiner Stadt etwas Unfassliches: Ein Mann sitzt im ersten Stock am Fenster eines Internetcafés und raucht eine Zigarette.
Da kann das Staatsoberhaupt nicht anders und herrscht seinen Untertanen an: "Das ist bei Strafe verboten!" Und vor allem: Jetzt sei bekanntlich Ramadan, und da rauchen fromme Muslime nicht. Dass der Raucher vielleicht kein Muslim ist oder einfach keine Lust haben könnte, fromm zu sein, kommt Erdogan gar nicht in den Sinn. Die Polizei muss gerufen werden. Er besteht darauf. Sofort.
Erdogan ist kein postmoderner Politiker. Keiner für Diskurse. Er übt Herrschaft körperlich aus wie ein uraltes Handwerk. Macht bedeutet für ihn, dass alle machen, was er sagt. Das sieht man in Szenen wie bei jenem Stadtrundgang vor ein paar Wochen in aller Deutlichkeit. Sie wirken wie eine bösartige Karikatur des Bildes, das man sich in Brüssel noch vor zehn Jahren von Erdogan machte.
Damals hielt man ihn für einen Reformer und Demokraten, der die Türkei von den Resten der Militärdiktatur befreien wollte. So machte man Erdogans Türkei zum offiziellen EU-Beitrittskandidaten. Doch seither hat Erdogan sein Land schrittweise gleichgeschaltet und sich zum Paten islamistischer Bewegungen im Nahen Osten aufgeschwungen. Die Vorstellung, dass dieser Mann bei einem EU-Gipfel mit entscheidet, löst in Europa nur noch Grauen aus.
Erdogan und seine bizarren Klonkrieger
Der türkische Präsident Erdogan hat seinen palästinensischen Amtskollegen Abbas empfangen - und zeigte sich mit historisch gekleideten Wächtern. Die Netzgemeinde amüsiert sich köstlich darüber.Quelle: Die Welt

"Alle wissen, dass die Beitrittsverhandlungen aussichtslos sind", sagt Alexander Graf Lambsdorff (FDP), Vizepräsident des EU-Parlaments. "Hinter den Kulissen wird nach einer Lösung gesucht, wie man die Beitrittsgespräche beenden kann, ohne einen diplomatischen GAU auszulösen. Das ist schwierig, weil beide Seiten einander brauchen." Noch immer ist die Türkei etwa ein Nato-Mitglied und wichtiger Handelspartner. Der Westen hat viel investiert in diese Freundschaft. Wie konnte der alte Verbündete nur zur Bedrohung mutieren? Oder hat sich Europa von Anfang an getäuscht?
An der Sprache hätte man es merken können. Etwa in jener Zeit, als Brüssel die Beitrittsverhandlungen eröffnete, wurde Erdogan gefragt, ob er nicht um sein Leben fürchte. Immerhin war das Militär gegen ihn, den angeblich moderat islamischen Volkstribun. Erdogans Antwort auf die besorgte Frage lautete: "Wir sind in unseren Leichentüchern zu dieser Reise aufgebrochen." Da zeigte sich schon der Erdogan von heute. Einer, der siegen will oder den Märtyrertod sterben.
Bei säkularen Türken bricht mittlerweile fast Panik aus, manche wollen ihre Wohnungen verkaufen und raus aus dem Land. Schon wegen der Kinder. Immer mehr städtische Wohngebiete werden den Einzugsgebieten religiöser Schulen zugeschlagen. In herkömmlichen Schulen wird nicht mehr der Geburtstag von Republikgründer Atatürk gefeiert, sondern nur noch der des Propheten. "Wir werden eine neue, religiöse Generation schaffen", verkündet Erdogan.
Wer widerspricht, muss mit Ungemach rechnen. Eine bleierne Schwere legt sich über das Land. Studenten, die demonstrieren, riskieren Exmatrikulation, Lehrer und Professoren ihre Jobs. Karikaturisten werden verklagt, kritische Medien riskieren Strafgelder und Gerichtsverfahren. Oppositionelle nennt Erdogan "Atheisten und Terroristen".
[h=2]Die Polizei ist zu einer Parteimiliz verkommen[/h]Das Leichentuch ist zu Erdogans Symbol geworden. Als im Sommer 2013 im Istanbuler Gezi-Park und dann im ganzen Land Proteste losbrachen, erschienen Erdogans Anhänger in Leichentüchern auf Kundgebungen. Sie seien bereit, für ihn zu sterben. Er dankte huldvoll. Bald jagten bewaffnete AKP-Anhänger Demonstranten mit Knüppeln, Messern und gelegentlich auch mit Schusswaffen. Am Ende genügte zur Niederschlagung der Proteste die oft tödliche Gewalt der Polizei, die Erdogan stolz "meine Polizei" nennt und zu noch härterem Vorgehen aufforderte. Nach etlichen Säuberungswellen ist die Ordnungsmacht ohnehin zu einer Parteimiliz verkommen.
Und dann gibt es auch noch "meinen Geheimdienst", wie Erdogan ihn nennt. Der darf inzwischen fast alles. Vor einem Jahr transportierten Agenten heimlich Waffenzu muslimischen Extremisten in Syrien, wie Dokumente nahelegen. Experten zufolge hat Erdogan bis mindestens 2013 vor allem die islamistische Al-Nusra-Front unterstützt, den syrischen Ableger von al-Qaida. Von dort gingen viele Kämpfer später zur Terrormiliz Islamischer Staat (IS) über.
Aber auch IS-Kämpfer bezeugten mehreren Journalisten gegenüber, dass die Türkei ihnen bis 2014 indirekt geholfen habe: lasche Grenzkontrollen und vor allem auch auf türkischem Gebiet kein Eingreifen gegen die vielen Sammelstellen für IS-Freiwillige aus fremden Ländern, auch aus Europa und Deutschland. Die Türkei ist immer noch in der Nato, doch was Erdogan aus ihr gemacht hat, ist zu einer klaren Bedrohung geworden. Das klingt bizarr, aber es war vorhersehbar.
Erdogan will Anführer der Muslime werden
Die Türkei als Großmacht - das ist das Ziel von Präsident Erdogan. Lange hat man ihn dafür belächelt, aber jetzt hofieren ihn die internationalen Regierungschefs. Erdogan aber hat eigene Pläne.Quelle: Die Welt

Erdogans Reise begann in der nationalistisch-islamistischen Milli-Görüs-Bewegung. Als er dort aktiv war, forderte der heutige Präsident der Türkei die Einführung der Scharia und verteufelte den Westen. Zwar sagte er sich später von Milli Görüs los und gründete die AKP als gemäßigte Reformpartei. Doch sobald er mithilfe der USA und der EU die Macht des Militärs gebrochen hatte, enttäuschte er die Hoffnung auf einen gemäßigten Islam. Seit Erdogan die alleinige Macht hat, "kehrt er zunehmend zu seiner früheren Haltung zurück", so der Türkeiexperte Gareth Jenkins.
Erdogan verhehlt das nicht einmal. Er nennt Israel "schlimmer als Hitler". Für ihn sind Israelis "Kindermörder", aber der sudanesische Diktator Omar al-Baschir, der wegen des Todes von mindestens 300.000 Menschen vom Internationalen Gerichtshof des Völkermords angeklagt ist, "kann nichts Böses tun, denn er ist ein Moslem", findet Erdogan. Macht bedeutet für ihn eben mehr als die Durchsetzung von Rauchverboten.
Macht darf alles, weil sie verknüpft ist mit seinem religiösen Auftrag zur Dominanz. "Große Nation, große Macht" steht auf Plakaten, die neuerdings überall in türkischen Großstädten zu sehen sind. Daneben prangt das Porträt Erdogans. Internationale Kritik wird gekontert mit dem Standardsatz, der Westen habe Angst"vor der neuen Macht der Türkei". Sie ist Erdogans ganzheitliches Ziel. Im Inneren erstickt er jeden Widerstand, denn draußen in der Welt, so sagt er, "müssen wir überall zu dem zurückkehren, was die Osmanen früher waren".
Zu jenen ehemaligen Provinzen gehören auch die Nachbarländer Syrien und Irak, wo Erdogan extremistische Milizen sponsert. Er scheint zu hoffen, dass der grenzüberschreitende Krieg zu einem Sunniten-Staat unter türkischer Protektion führt. Aber seine Einflussnahme geht über die nächste Nachbarschaft hinaus. In Ägypten unterstützte er den mittlerweile gestürzten islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi, seinen Muslimbrüdern bietet er in der Türkei Zuflucht. Erdogan tut alles, um zum islamistischen Helden der ganzen Region zu werden.

Foto: Infografik Die Welt
Zu dieser Strategie gehört auch seine Wirtschaftspolitik. Unter Erdogan haben sich die Auslandsinvestitionen der Türkei versiebenfacht. Mit Investitionen und Krediten schlägt die Türkei überall da Pflöcke ein, wo einst die Osmanen waren. Im Nahen Osten vom irakischen Kurdengebiet bis nach Somalia und Tunesien, in Zentralasien und in Südosteuropa von Albanien bis nach Ungarn. Dahinter steht eine neue islamische Wirtschaftselite im Land, die Erdogan gezielt gefördert hat. Die türkische Wirtschaft ist heute ein Geschäft unter Gesinnungsfreunden. Durch erleichterte Privatkredite fließt viel Geld auf Pump. Überall im Land entstehen neue Flughäfen, Wohnkomplexe, Einkaufszentren, Autobahnen.
Die glitzernden Fassaden sind Teil von Erdogans Erfolgsrezept. Es gibt eine imperiale Psychologie, erklärt der Politpsychologe Vamik Volkan. "Auch wenn jemand arm ist, fühlt er sich doch stolz als Teilhaber des mächtigen Ganzen." Dieser imperiale Reflex ist 100 Jahre nach dem Ende des Osmanischen Reiches tief vergraben, aber Erdogan vermag ihn zu wecken.
Sein gigantischer, neuer Präsidentenpalast setzt diesem Traum ein monströses Denkmal. Erdogan umgibt sich dort mit Kriegern in Kostümen vergangener Türkenreiche. Auf einem Hügel über Istanbul errichtet er eine Großmoschee für 30.000 Gläubige. Mit dem Bau gewaltiger Gotteshäuser folgt er dem Beispiel der osmanischen Sultane, die zugleich Kalifen waren – Nachfolger des Propheten und Oberhaupt aller Muslime weltweit.
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Gerade in der jetzigen Lage sollten wir die Gespräche über die Kapitel Rechtsstaat und Menschenrechte eröffnen​
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Rolf Mützenich (SPD)
Fraktionsvize





Ihn scheint die osmanische Überzeugung zu treiben, Gott habe die Türken erwählt, den Islam in die Welt zu tragen. Ein namhafter Professor einer türkischen Universität meint zu wissen, wie sich Erdogan das Ende seiner Reise vorstellt. Sein Palast sei deswegen so groß, weil er hoffe, dass die Führer der islamischen Welt ihm dort huldigen werden. "Und am Ende wird er sich in der neuen Riesenmoschee in Istanbul begraben lassen. Sein Grab soll eine Pilgerstätte werden."
Europa kommt in solchen Visionen sicher nicht als gleichberechtigter Partner vor. Eigentlich ist es ein Wunder, dass die Beitrittsgespräche offiziell überhaupt noch andauern. So sehr sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gegen eine Vollmitgliedschaft Ankaras in der EU positioniert, so wenig werde sie sich jemals gegen die Verhandlungen aussprechen, ist in Berliner Regierungskreisen zu hören. Jene Gespräche seien schließlich ein Mittel, um Reformen in der Türkei überhaupt noch zu ermöglichen und sich für die Menschenrechte zu engagieren. Bei aller negativen Entwicklung dürfe man die Türkei nicht verprellen, heißt es in der Bundesregierung: "Wir brauchen die Türkei – überall."
SPD-Fraktionsvize Rolf Mützenich geht noch einen Schritt weiter und plädiert dafür, die Beitrittsverhandlungen zu beschleunigen. Zwar sei "eine Beitrittsperspektive in weite Ferne gerückt". Doch Verhandlungen seien jetzt erst recht wichtig. "Gerade in der jetzigen Lage sollten wir die Gespräche über die Kapitel Rechtsstaat und Menschenrechte eröffnen. Mithilfe von Gesprächen über diese Themen lässt sich transparent machen, was Ankara will und was nicht. Das schafft Klarheit."



 
10000000000000000000000000 Mal ist mir Erdogan lieber als Netanjahu, dieser Terrorist.
 
Kann sein. Als Mensch allgemein sollte es aber auch.
Nö, ist nicht so den dann hättes du Erdogan nicht gewählt
Er nennt Israel "schlimmer als Hitler". Für ihn sind Israelis "Kindermörder", aber der sudanesische Diktator Omar al-Baschir, der wegen des Todes von mindestens 300.000 Menschen vom Internationalen Gerichtshof des Völkermords angeklagt ist, "kann nichts Böses tun, denn er ist ein Moslem", findet Erdogan.
 
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