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Ursprüngliches Saatgut in Gefahr

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[/FONT]Was einem dabei allerdings leicht aus dem Blick gerät: Der Besitz von Saatgut ist einer der heißumkämpften Bereiche der internationalen Handelspolitik. Der Besitz von Saatgut entscheidet, wie Landwirtschaft betrieben, was angebaut wird - und vor allem von wem. Als erstes Glied in der Nahrungskette ist das Saatgut zum Träger massiver politischer und wirtschaftlicher Interessen geworden.

Und für viele Bauern ist der Kauf von Saatgut ein entscheidender Kostenfaktor. Für die sechs größten Agrarkonzerne (Monsanto, Dow AgroSciences, DuPont, BASF, Bayer Crop Science und Syngenta), die 62 Prozent der intellektuellen Eigentumsrechte über kommerzielle Pflanzensorten besitzen, ist das Saatgut als Ware die Basis ihrer Herrschaft über die Nahrungskette.

Mit dem meisten Saatgut, das ein Gärtner oder Bauer in den Boden gibt, geht er vielfältige Verpflichtungen den Saatgutkonzernen gegenüber ein. Wir können damit keinesfalls machen, was wir wollen. Saatkörner sind "haarige Objekte" , wie es der französische Anthropologe Bruno Latour ausdrücken würde, denen der Mensch seine institutionellen Zwänge übergestülpt hat und die diese nun mit sich herumtragen - bis in unseren Garten und in das Feld des Bauern hinein.

Das Saatkorn, das ich in meinem Garten in die Erde bette, gehört mit hoher Wahrscheinlichkeit der Firma Monsanto oder Bayer Crop Science. Ich habe es gemietet und nicht gekauft. Ich kann die Frucht essen, die daraus entsteht. Aber schon, wenn ich Saatkörner aus der Frucht an meine Nachbarin weitergebe, handle ich illegal. Solche geistigen Eigentumsrechte an Saatgut betreffen auch Bauern, die hunderte Hektar anbauen. Wenn eine Firma einen Sortenschutz über eine Kulturpflanze erwirbt, kann sie damit den Vertrieb dieser Sorte kontrollieren.

Will ein größerer Bauer einen Teil der Ernte wieder aussäen, muss er in vielen Ländern Europas an die Saatgutfirma Nachbaurechte bezahlen, die zum Beispiel in Deutschland bis zu 80 Prozent des ursprünglichen Kaufpreises, oder besser gesagt Mietpreises, betragen. Auf europäischer Ebene wird bereits an einer für alle Länder bindenden Verordnung gearbeitet, welche die Regelungen in Europa vereinheitlichen wird.
[FONT=&quot]Wenn eine Firma einen Sortenschutz über eine Kulturpflanze erwirbt, kann sie damit den Vertrieb dieser Sorte kontrollieren. Will ein größerer Bauer einen Teil der Ernte wieder aussäen, muss er in vielen Ländern Europas an die Saatgutfirma Nachbaurechte bezahlen, die zum Beispiel in Deutschland bis zu 80 Prozent des ursprünglichen Kaufpreises, oder besser gesagt Mietpreises, betragen. Auf europäischer Ebene wird bereits an einer für alle Länder bindenden Verordnung gearbeitet, welche die Regelungen in Europa vereinheitlichen wird. [/FONT]

Wie ist es dazu gekommen?

Es waren doch Bauern, die über Tausende von Jahren das Saatgut der Kulturpflanzen ausgewählt haben, von dem wir uns heute ernähren. Geistige Eigentumsrechte über Saatgut hängen direkt mit der Industrialisierung der Landwirtschaft zusammen und mit der zunehmenden Arbeitsteilung zwischen Pflanzenzüchtern und Bauern.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges entwickelten Züchter zunehmend Sorten, die nicht nur eine einheitliche genetische Struktur besaßen, sondern auch besonders gut Kunstdünger in höhere Erträge umsetzen konnten. Allerdings waren die neuen Sorten anfälliger für Krankheiten, Insekten- und Pilzbefall und konnten sich schlechter gegen Unkraut durchsetzen und vertrugen Dürre oder zu viel Regen weniger gut als die traditionellen genetisch diverseren Sorten. Sie benötigten daher Pestizide, Fungizide und Herbizide und oftmals auch Bewässerung, um ihr Potenzial ausschöpfen zu können.

So, und jetzt ratet einmal, wer die Pestizide, Fungizide, Herbizide und Bewässerungssysteme liefert!
 
Sehr interessanter Artikel, lang, aber gut, und zum passend Thema:

12. Juli 2014 18:03

Wawilow-Institut in St. Petersburg

Die Acht-Billionen-Dollar Bank


In St. Petersburg wacht ein kleiner Kreis alter Forscher über die Nahrungsmittelsicherheit der Welt. Doch nur die Sturheit der Wissenschaftler hält das Wawilow-Institut am Leben. Nicht nur ihr Gehalt ist ein Witz.
Von der "natur"-Autorin Diana Laarz

Hinter einer Glastür klemmt das Bild des Mannes, dem das Institut seinen Namen verdankt: Nikolai Wawilow. Er zog in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts über den Erdball und sammelte Pflanzensamen ein, wo immer er vorbeikam. Knapp 90 Jahre später beherbergt das Wawilow-Institut im Herzen St. Petersburgs die älteste Genbank für Pflanzen weltweit. Eine der größten ist sie auch. Das Institut mag staubig sein, unmodern, und unter dem hinteren Bein von Elena Blinowas Schreibtisch klemmt ein zusammengeknautschtes Stück Pappe, damit er nicht wackelt. Aber es ist so, wie sie gesagt hat: Hier wird sichergestellt, dass die Menschen auch in Zukunft volle Mägen haben.

Hilfe für den Klassenfeind

Heutzutage verlassen sich die meisten Landwirte nur noch auf wenige Sorten Nutzpflanzen. Aber was passiert, wenn eine Weizensorte durch einen neuen Krankheitserreger vernichtet wird? Was ist, wenn die Apfelbäume in Deutschland nicht mehr wachsen wollen, weil der Klimawandel ihnen zu schaffen macht? Nikolai Wawilow hat diese Fragen vorausgesehen und begann zu sammeln und zu bewahren. Zu seiner Zeit war das Wort Biodiversität noch nicht in aller Munde, aber Wawilow war seiner Zeit voraus. Er und seine Nachfolger schufen eine Genbank, aus der Züchter schöpfen können, auf der Suche nach Sorten, die Hitze besser verkraften oder resistent sind gegen bestimmte Krankheiten. Das Wawilow-Institut beherbergt Samen von mehr als 320.000 Pflanzen, darunter allein 1000 Erdbeer- und 600 Apfelsorten. 90 Prozent des Bestandes finden sich in keiner anderen Sammlung auf der Welt.

Durch das alte Gemäuer schwirren zahlreiche Geschichten von grünen Rettungsaktionen. Wie sie damals, 1987, als sich Fadenwürmer über große Teile der Sojafelder in den USA hermachten, in St. Petersburg die einzige Sorte mit Resistenzgen fanden und eine Probe über den Atlantik sandten - mitten im Kalten Krieg. Als in Äthiopien in den postkolonialen Wirren die Getreidevorräte vernichtet wurden, schickten sie mehrere Kartons mit nordafrikanischen Getreidesamen. Und als sich 2006 Bauern von der Schwäbischen Alb aufmachten, die verschollene Alblinse wiederzufinden, stießen sie in Russland auf die verlorene Sorte. Wawilow war auch durch Deutschland gestreift.
Die Weltbank hat den Wert der Genbank des Wawilow-Instituts vor einigen Jahren auf acht Billionen Dollar geschätzt. Manche Biologen halten sie für unschätzbar wertvoll. Der russische Staat aber kann mit diesem Reichtum nicht umgehen. Wawilows alte Sammlung wird nur noch durch den guten Willen und die Sturheit einiger alter Wissenschaftler zusammengehalten. Vor Kurzem erst konnten sie den Ausverkauf ihrer wichtigsten Grundstücke im letzten Moment verhindern.
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Kurz nach Weihnachten 2009 übergab das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung ohne Vorwarnung ein Fünftel der Institutsfläche an eine Petersburger Immobiliengesellschaft. Es sah schlecht aus für die Forscher. Innerhalb von drei Monaten sollten sie mit all ihren Erdbeeren, Johannisbeeren und Apfelbäumen umziehen. Dass auf der Wawilow-Versuchsstation auch in diesem Jahr wieder ausgesät wird, ist vor allem einer internationalen Kampagne zu verdanken. Wissenschaftler aus der ganzen Welt schickten Hunderte Protestschreiben an den Kreml, selbst die Vereinten Nationen meldeten sich zu Wort. Das zeigte Wirkung. Im Frühjahr 2012 unterzeichnete Wladimir Putin eine Verordnung, die dem Institut die vollen Rechte an den Grundstücken übertrug.
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Das Wawilow-Institut mit seinen elf Außenstationen und Aussaatfeldern in ganz Russland bekam 2012 über die russische Akademie der Wissenschaften ein Jahresbudget von etwa 4,7 Millionen Euro zugeteilt. Davon müssen auch die900 Mitarbeiter bezahlt werden. Zwischen 170 und 250 Euro beträgt das Monatsgehalt eines Wissenschaftlers, private Unternehmen bieten das Fünffache. Welch Glück, dass es das Versuchsfeld in Pawlowsk gibt. 40 Hektar sind dort für die Mitarbeiter reserviert. Sie pflanzen Kartoffeln, anderes Gemüse und Obst an. Auf neue Expeditionen gehen sie eigentlich nur noch, wenn ausländische Forschergruppen sie dazu einladen oder internationale Projektstipendien greifbar sind. Um neue Einnahmequellen zu erschließen, vermietet das Institut Räume, neben dem Haupteingang hat sich ein Weinhandel niedergelassen. Das Geld reicht trotzdem nicht einmal dafür, einen Zaun um das Testgelände in Pawlowsk zu bauen. Jeden Herbst kommen die Bürger des Stadtteils, buddeln wertvolle Kartoffeln aus und tragen sie nach Hause.
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1916 ging Nikolai Iwanowitsch Wawilow zum ersten Mal auf Expedition. 20Jahre später hatte er es auf 180 Forschungsreisen in 64 Ländern gebracht. Sie führten ihn durch fünf Kontinente. Das ehemalige Arbeitszimmer Wawilows im Institut ist heute ein kleines Museum. Dort liegen sein Fotoapparat, sein Alpenstock und ein paar Büschel Baumwolle, die er aus Südamerika mitbrachte. In einer Vitrine klebt die letzte Nachricht, die von ihm überliefert ist, notiert während einer Expedition in die Ukraine. Ein kurzer Brief vom 6. August1940, 23:15 Uhr: "Ein Chauffeur kam ins Basislager und sagte, er solle mich nach Moskau bringen." Wawilow kehrte nie wieder zurück.
Der Botaniker war bei Stalin in Ungnade gefallen. 1929 forderte der Diktator die Erzeugung unverwüstlicher Nutzpflanzen für den neuen sozialistischen Menschen. Während Wawilow darauf beharrte, dass sich die Genetik nicht austricksen lasse, versprach sein Widersacher Trofim Lyssenko, er könne den Weizen in Sibirien durch Erziehung und veränderte Umweltbedingungen zu mehreren Jahresernten treiben. Stalin war begeistert. Wenn es in der Gesellschaft keine angeborenen Klassenunterschiede geben durfte, dann auch nicht in der Biologie. Die Anklagepunkte gegen Wawilow lauteten: Spionage, Sabotage, Volksfeindschaft, Konterrevolution. Mit 55 Jahren starb Wawilow 1943 im Gefängnis an Hunger.

Seine Mitarbeiter gaben unterdessen ihr Leben, um die Sammlung über den Zweiten Weltkrieg zu retten. Unter deutschem Artilleriebeschuss gruben sie die Kartoffeln aus dem Versuchsfeld von Pawlowsk und retteten so über 6000 Sorten. Wenig später kesselte die Wehrmacht St. Petersburg, das damals noch Leningrad hieß, ein, um die Bevölkerung auszuhungern. Im bitterkalten Winter 1941/42 war das Institut bald das einzige Haus, das mit Essbarem gefüllt war, mit Bohnen, Nüssen, Kartoffeln und Getreide. Damit sich kein hungernder Mitarbeiter bediente, wachten die Forscher stets zu zweit.
Als die Temperatur auf minus 40 Grad fiel, starb zunächst der Leiter der Erdnussabteilung an Auszehrung. Der Kurator der Abteilung für Reis wurde später tot an seinem Schreibtisch gefunden - 1000 Päckchen Reis lagerten im selben Raum. Weitere Mitarbeiter fanden den Tod, doch die Sammlung blieb bis zum Schluss unangetastet, das Institut nahm nach Kriegsende wieder seine Arbeit auf. Der Gründer selbst, der vermeintliche Staatsfeind, wurde in den 50er Jahren posthum rehabilitiert. Jetzt ist das Lebenswerk von Nikolai Wawilow wieder in Gefahr. Kein Krieg bedroht es und kein blindwütiger Diktator. Es sind einfach Vernachlässigung und Ignoranz.

Wawilow-Institut in St. Petersburg - Forschen für 200 Euro Monatsgehalt - Wissen - Süddeutsche.de

Da könnte die Regierung Gutes tun und noch viel Geld verdienen...

 
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