Gigantische Schuldenberge
US-Bundesstaaten stehen vor der Pleite
Von
Marc Pitzke, New York
Fotostrecke: 9 Bilder
AFP
Das Debakel ist noch schlimmer als in der Euro-Zone: Viele US-Bundesstaaten können ihre gigantischen Haushaltslöcher nicht mehr stopfen, insgesamt fehlen 125 Milliarden Dollar. Jetzt droht der historische Ernstfall - der Bankrott. Ein Überblick über die Pleitekandidaten.
Abertausende Häftlinge werden vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen und in die Straßen geschickt. Einwanderer werden nach Mexiko deportiert, Polizisten in den Vorruhestand befördert, Kindergärten geschlossen, Lehrer gefeuert. Und Senioren bekommen keine Medikamente mehr - von Zahnprothesen ganz zu schweigen.
Horrorszenen aus einem Science-Fiction-Film? George Orwell, 2011? Mitnichten: Dies ist nur eine kleine Auswahl der kruden Methoden, mit denen die hochverschuldeten US-Bundesstaaten zurzeit versuchen, Geld zu sparen. "Traurige Zeiten", resümiert die "Detroit Free Press", "erfordern traurige Maßnahmen." In der Tat: Für Amerikas Bundesstaaten sind traurige Zeiten angebrochen. Einst die Vorzeigestars des modernen Föderalismus, stehen sie nun vor den Trümmern ihrer stolzen Unabhängigkeit von Washington. Lange haben sie das aufziehende Desaster geleugnet, jetzt ist die Stunde der Wahrheit gekommen: Ihre Haushaltslöcher sind so groß geworden, ihre Schulden so hoch und ihre Einnahmen so mickrig, dass viele in die Pleite rasseln werden. Die Summen, die fehlen, sind gewaltiger als in den europäischen Krisenstaaten - siehe Karte:
US-Pleitewelle
Und so muss nun doch das ungeliebte Washington eingreifen. Der Kongress will demnächst mit Anhörungen klären, ob und wie Bundesstaaten - erstmals in der Geschichte der USA - Insolvenz anmelden können.
Die Idee ist gewagt und umstritten, doch sie müsse "angesprochen werden", sagte der Republikaner Patrick McHenry, der neue Vorsitzende des Kontrollausschusses im US-Repräsentantenhaus, der Website Politico. Wie konnte es so weit kommen? "Budgetkrise" nennen die Amerikaner das Problem, aber der Ausdruck ist viel zu schwach, zu passiv. In einer Nation, deren Haushaltsdefizit allein auf der Bundesebene
die astronomische Rekordsumme von 1,48 Billionen Dollar erreicht hat, sind die zusätzlichen Finanzsorgen der einzelnen Bundesstaaten eine Katastrophe. Doch das Desaster haben sie selbst verschuldet.
Sparen, sparen, sparen
Fürs Etatjahr 2012, das in den meisten US-Staaten am 1. Juli 2011 beginnt, prognostiziert das unabhängige Center on Budget and Policy Priorities (CBPP) Haushaltslücken von insgesamt fast 125 Milliarden Dollar. Mehr als ein Fünftel davon bestreitet der notorische Pleitestaat Kalifornien (25,4 Milliarden Dollar). Illinois (15 Milliarden Dollar) und Texas (13,4 Milliarden Dollar) stehen nicht weit nach.
Doch die Summen allein sagen wenig. Das CBPP hat die Zahlen umgerechnet - in ihren prozentualen Anteil am laufenden Haushalt. Daraus ergibt sich eine viel aussagekräftigere Hitparade der US-Pleitestaaten. Spitzenreiter: Nevada, das 45,2 Prozent seines Budgets nächstes Jahr nicht finanzieren kann. Es folgen Illinois (44,9 Prozent), Texas (31,5 Prozent), Kalifornien (29,3 Prozent), Oregon (25 Prozent), Minnesota (24,5 Prozent), Louisiana (22 Prozent) und, für viele überraschend, das als Milliardärsrefugium bekannte Connecticut, dessen Haushaltsloch von 3,7 Milliarden Dollar 20,8 Prozent des Etats 2011 entspricht (siehe Fotostrecke).
Die Bürger haben von der Schuldenorgie die Nase voll - sie wählen die politisch Verantwortlichen gleich scharenweise ab. Von den 37 US-Gouverneursposten, die im November zur Disposition standen, vergaben sie 26 an Newcomer. Die fanden eine schwere Erblast vor: "Harte Entscheidungen müssen getroffen werden", warnte sie ihre Kollegin Chris Gregoire aus dem Staat Washington, die Vorsitzende der National Governors Association (NGA), bei ihrem traditionellen Begrüßungstreffen in Colorado. Ihre Antrittsreden standen denn auch alle unter dem gleichen Motto, egal ob Demokrat oder Republikaner: Sparen, sparen, sparen.
Tatsächlich läuft die Zeit davon: Der Geldfluss, mit dem Washington den Bundesstaaten 2009 durch die Rezession half, versiegt. Bisher gingen 261 Milliarden Dollar aus der US-Steuerkasse an die Staaten und Kommunen, mit der Summe wurden die ärgsten Haushaltslöcher geflickt. Doch nun wird der Geldhahn spätestens mit dem Haushaltsjahr 2012 zugedreht. "Die Staaten stehen am Rande des Abgrunds", schreibt die Zeitung "Toledo Blade" in Ohio (erwartetes Minus 2012: drei Milliarden Dollar).
"Es ist Zeit für das Unvorstellbare"
Hinzu kommt, dass die Republikaner-Mehrheit im Repräsentantenhaus auch sonst überall den Rotstift ansetzt und viele staatliche Programme kürzt, von denen die Bundesstaaten betroffen sind. Die könnten so mindestens weitere 32 Milliarden Dollar verlieren und zu scharfen Sozialschnitten gezwungen sein. Gleichzeitig besteht Washington auf Rückzahlung von bis zu 80 Milliarden Dollar, die es den Staaten geliehen hat, um Arbeitslosenhilfen zu zahlen.
Zugleich bessert sich die Einnahmesituation der Staaten nur schleppend - wie nach jeder Wirtschaftskrise hinkt sie auch diesmal dem Aufschwung hinterher. Hinzu kommen obligatorische Kostensteigerungen, etwa im Gesundheitswesen, zähe Arbeitslosenquoten - Nevada führt landesweit mit 14,5 Prozent - sowie strukturelle Probleme (insolvente Pensionsfonds, bankrotte Kommunen).
Doch bis auf Vermont sind alle US-Staaten gesetzlich verpflichtet, ihren Haushalt jedes Jahr neu auszugleichen. Die Folge: schmerzliche Sparprogramme, Steuererhöhungen und, wenn es so weitergeht, das Undenkbare - Bankrott.
"Es ist Zeit für das einst Unvorstellbare", sagte Lori Grange, Vizechefin der Forschungsgruppe Pew Center on the States, der "New York Times". "Ob die Steuern steigen oder die Bildung und andere lebensnotwendige Programme gekürzt werden - die Krise ist dramatisch."
Die Insolvenz-Option kam erst kürzlich auf. Einer ihrer Propagandisten ist der Republikaner Newt Gingrich, der frühere Sprecher des US-Repräsentantenhauses. Noch gibt es keine gesetzliche Grundlage dafür: Staaten dürfen keine Insolvenz erklären. Es müsste also erst der Kongress tätig werden - ein Vorhaben mit hohen Verfassungshürden, da es der Souveränität der Staaten direkt entgegensteht.
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Weshalb die Abgeordneten sich bisher allenfalls vorsichtig vortasten. Als Senator John Cornyn, ein Republikaner aus Texas, Notenbankchef Ben Bernanke neulich nach der Möglichkeit von Insolvenzverfahren für Bundesstaaten fragte, wich der aus: "Wir haben keine Erwartung oder Absicht, uns in die Schulden der Staaten und Kommunen einzumischen." Und Eric Cantor, der Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, schloss die Idee eines Rettungspakets für die Staaten - analog zu dem für die Wall Street - kategorisch aus: "Das wird es nicht geben." Ein Rettungsschirm wie in Europa, der potentielle Pleitestaaten unterstützt, widerstrebt ebenfalls dem amerikanisch-republikanischen Ideal: Wer sich in den Schlamassel geritten hat, muss selbst sehen, wie er wieder herauskommt.
So bleiben vorerst nur zwei Lösungen - sparen und Steuern erhöhen. Letzteres war lange tabu. Aber viele Staaten können nicht mehr anders. So hat Illinois die pauschalen Steuersätze erhöht - für die Einkommenssteuer von drei auf fünf Prozent, für die Körperschaftssteuer von 7,3 auf 9,5 Prozent. Es war das erste Mal in 21 Jahren, dass Illinois es wagte, die Steuern heraufzusetzen.
Wie ist die Situation in den anderen großen US-Pleitestaaten? Und was wollen die Regierungen tun? Lesen Sie es im Überblick:
http://www.google.de/url?sa=t&sourc...WmHYJ03ZQ&sig2=aGMSdUkuCeyaNsZ4n0TKyA&cad=rja
hinzu kommt das die usa die unbeliebteste nation weltweit,und kriegshetzer sind.
hochmut kommt vor dem fall.