HSBC-Chefökonom: "Der Westen hat sein Monopol auf Kapital verloren"
Stephen D. King, Chefökonom bei HSBC
Stephen D. King, Chefökonom bei HSBC, hat nicht nur den gleichen Namen wie der US-Horrorautor. Er hat auch ähnlich grausame Botschaften.von Klaus Schachinger, Euro am Sonntag
King erwartet eine Zweiklassengesellschaft – mit schlechten Aussichten für viele Industrieländer.
€uro am Sonntag: Herr King, die Schwellenländer werden künftig die Hälfte des globalen Wirtschaftswachstums liefern. Wie verändert das die globale Wirtschaft?
Stephen D. King: Das Wachstum und der Einfluss auf die Weltwirtschaft wird künftig stärker in zwei Klassen geteilt sein. Die meisten Schwellenländer sind in der ersten Klasse. Die meisten dieser Volkswirtschaften sind relativ schuldenfrei und können deshalb ohne sichtbare Einschränkungen weiter zulegen. Industrieländer, die durch hohe Schulden belastet sind, müssen sich mit der zweiten Klasse begnügen.
Deutschlands Wirtschaft hat sich nach der Krise schnell erholt. Auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos waren die Deutschen die größten Optimisten.
Das wird sich legen. Denn ob es nun die USA, Deutschland oder Großbritannien ist: Diese Volkswirtschaften haben sich zwar schneller erholt als erwartet, das erreichte Niveau ist jedoch labil. Die gründliche Auseinandersetzung mit den Folgen und der Bewältigung der hohen Verschuldung öffentlicher Haushalte, und in einigen Ländern die zusätzliche Verschuldung der Bürger, hat noch nicht richtig begonnen.
Warum wurde am Kapitalmarkt Euroland ins Visier genommen und die USA verschont?
Weil die USA mit der Gelddruckmaschine ein zusätzliches Instrument zur Problembewältigung haben. Ein hoch verschuldetes Euroland kann nur strikt sparen und Hilfe von Nachbarn anfordern. Bisher ist die Gelddruckmaschine der US-Notenbank Fed allerdings bei Weitem nicht so wirksam wie erhofft. Der Wert des Dollars ist deutlich weniger stark gefallen als erwartet. Die Debatte um die Risiken der hohen Verschuldung wird in Europa und Amerika zudem unter verschiedenen Themen geführt.
Und zwar?
Bei Staatsanleihen in Euro ist das Risiko die hohe Verschuldung einzelner Mitgliedsländer, in den USA ist es der Dollar. Amerika hat sich beim Rest der Welt in seiner eigenen Währung verschuldet. Einige Gläubiger Amerikas könnten die Politik, den Dollar stark abzuwerten, auch als Versuch deuten, die Schuldenlast durch einen provozierten Kapitalschnitt zu verringern.
Sind die Länder aus dem Euro-Raum durch ihre Verpflichtung zum Schuldenabbau jetzt auf dem richtigen Weg?
Europas wichtige politische Erkenntnis aus der Wirtschaftskrise ist, dass Wachstum und Konsum über die eigenen Verhältnisse der falsche Weg war. Wie schwierig die Umstellung aber ist, zeigt, dass auch die Spar-Politik in einigen Ländern wie Irland zum Beispiel die Situation der Banken sogar verschärft hat. Wegen der Hilfe für die Finanzinstitute steigt die Staatsverschuldung in diesen Ländern trotz Sparkurs wieder an. Während der nächsten zwei bis der Jahre muss deshalb ein für alle verbindlicher Mechanismus gefunden werden, um in den einzelnen Ländern Entwicklungen, wie jene, die in die jüngste Wirtschaftskrise geführt haben, früh zu erkennen um die Folgen für alle zu vermeiden
Warum sollte das funktionieren?
Weil für die Länder in der Eurozone klar ist: Durchmogeln ist schwierig. Die Finanzmärkte lassen es nicht zu. Und eine Auflösung der Eurozone ist wegen der erheblichen negativen Auswirkungen für alle Länder keine akzeptable Alternative.
Also werden die Kapitalmärkte die Regierungen auf den richtigen Kurs zwingen?
Nicht die Märkte, sondern permanente Unsicherheiten. Zum Beispiel die hohen Risikoaufschläge bei einigen Staatanleihen und vor allem die neue Erkenntnis, dass Sparen allein nicht die Ergebnisse liefert, die man sich erhofft hatte. Die Euroländer werden Ihre starke gegenseitige Abhängigkeit akzeptieren müssen. Vielleicht werden sie dazu auch eine gemeinsame Vereinbarung unterschreiben.
Erwarten Sie, dass einige hoch verschuldete Länder wie Griechenland, die Eurozone verlassen müssen?
Nein. Das wäre aus meiner Sicht nicht möglich. Wenn die politische Union, die für den Euro steht, funktionieren soll, dann nur mit allen an Bord. Sicher verlangt das auch von den stärkeren große Opfer. Aber sobald das erste Land die gemeinsame Währung aufgeben muss, werden die Märkte auf den nächsten Kandidaten spekulieren. Lange bevor diese Folge von Spekulationen schließlich den Euro sprengen wird.
Aus Ihrer Sicht übersehen die Zentralbanken in Ihrer Geldpolitik wesentliche Wertwicklungen, weil sie sich zu sehr auf die Wahrung der Preisstabilität fokussieren. Was fehlt diesem Ansatz?
Die Politik der Zentralbanken hat bei den Menschen das Bewusstsein geschaffen, dass es für die Vermeidung von Wirtschaftskrisen ausreichend sei die Inflation zu kontrollieren. Das ist kurzsichtig. Die jüngste und schwerste Rezession seit den 30er Jahren, ist ein Beweis dafür, dass diese These nicht stimmt. Die EZB sollte also nicht nur auf die Inflation, sondern auch auf die Kapitalströme achten. Sie zeigen an, wie Volkswirtschaften von außen verändert werden.
In den USA wurden die Steuersenkungen nach den Kongresswahlen in einem größerem Umfang verlängert als erwartet. Folgt jetzt starkes Wirtschaftswachstum?
Vermutlich nicht. Um die hohe Arbeitslosenquote nachhaltig zu senken, braucht die US-Wirtschaft während der kommenden zwei bis drei Jahre ein sehr robustes Wachstum.
Volkswirte gehen davon aus, dass die Wirtschaftsleistung der USA 2011 um drei bis vier Prozent zulegen wird.
Das ist im historischen Vergleich mit Erholungsphasen nach starken Rezessionen viel zu wenig. Notwendig wären jetzt fünf bis sieben Prozent jährliches Wachstum. Und das über einen längeren Zeitraum. Die Erholung der US-Wirtschaft hat noch lange nicht die Kraft erreicht, die sich die Politiker dort wünschen.
Die Anleihenkäufe der Fed sollen die Wachstumsbremse lösen. Im Januar hielt die US-Notenbank Anleihen im Wert von über einer Billion Dollar in ihren Büchern. Vor der Finanzkrise waren es 700 Millionen Dollar.
Sicher. Aber statt des gewünschten Effekts, eine kontrolliert höhere Inflation, um die Verschuldung zu reduzieren, erhöht diese Strategie das Risiko einer Dollarkrise auf absehbare Zeit erheblich.
In Ihrem Buch „Losing Control“ werfen Sie der US Notenbank vor, den Einfluss ihrer Politik auf die Schwellenländer zu unterschätzen. Was sind die Folgen davon?
Die Geldpolitik des „Quantitative Easing“, die den Dollar abwerten soll, verteuert die Rohstoffe zusätzlich. Davon profitieren die Schwellenländer. Sie verdanken einen erheblichen Teil ihres Wachstums und Wohlstands den teuren Rohstoffen. Für die Mehrheit der Bevölkerung in den Industrieländern bedeuten hohe Rohstoffpreise aber weniger Wohlstand.
Die Entwicklung gab es auch in den 70er-Jahren.
Im Unterschied zu damals können die Menschen die Einbußen ihrer Kaufkraft jetzt nicht durch höhere Löhne ausgleichen. Durch die Globalisierung des Arbeitsmarkts haben sie ihre Verhandlungsmacht weitgehend eingebüßt. Die hohe Verschuldung der Bürger in einigen Industrieländern wird diese Länder länger bremsen als erwartet.
Wird das im Westen erkannt?
Bisher kaum. Der Westen geht weiter davon aus, dass ein erheblicher Teil der Verteuerung bei Rohstoffen zyklisch ist. Man hofft, dass die Preise in absehbarer Zeit wieder deutlich sinken. Die langfristigen Trends, bereinigt um die zyklischen Schwankungen, signalisieren jedoch nachhaltig höhere Rohstoffpreise.
Sie warnen in Ihrem Buch auch davor, dass der Westen insgesamt die Schwellenländer unterschätzt. Obwohl das Wachstum dieser Länder das Wachstum der Weltwirtschaft schon länger prägt.
Sie unterschätzen nicht das Wachstum, sondern den Einfluss des wirtschaftlichen Erfolgs der Schwellenländer. Wir leben in einer Welt knapper Ressourcen, die Arbeitsmärkte sind globalisiert. Mit zunehmender Globalisierung werden sich Preisgefüge in vielen Bereichen der Weltwirtschaft zum Nachteil der Industrieländer verschieben.
Warum?
Ein wichtiger Faktor für den Erfolg der Schwellenländer ist die Mobilität von Kapital sowie die Fähigkeit der Konzerne weltweit auszulagern und ihre Ressourcen global zu organisieren. Beim Zugriff auf Kapital hatte der Westen und seine Arbeitnehmer lange Zeit ein Monopol. Heute ist es bestenfalls noch ein bevorzugter Zugriff.
Was wäre der größte Nachteil durch diese Unterschätzung?
Globaler Protektionismus. Denn es sind weniger die direkten Effekte, sondern die Art, wie der Westen bisher auf diese Veränderungen reagiert. Die Tatsache, dass Amerika auf einer schnellen und starken Aufwertung der chinesischen Währung besteht, wird den Protektionismus stärken. Die kompromisslose Haltung der USA in der Währungsfrage könnte die Globalisierung in ihr Gegenteil verdrehen.
Selbst wenn China seine Währung deutlich aufwerten würde, schreiben Sie in Ihrem Buch, würde das an der Situation der US-Wirtschaft wenig ändern. Warum?
Die Rolle der Währungen in Zusammenhang mit den globalen wirtschaftlichen Ungleichgewichten wird stark überschätzt. Der Westen, und vor allem Amerika, sollte einen Weg finden, mit diesen Ungleichgewichten zu leben. Amerika sollte seine Wunschvorstellung aufgeben, dass seine Währungspolitik ein Zauberstab ist, mit dem der Lauf der Dinge zu eigenen Gunsten beeinflusst werden kann.
Warum funktioniert der amerikanische Zauberstab Währungspolitik nicht?
Weil sich die globalen Ungleichgewichte nicht auflösen werden. In Chinas Fall gibt es gesellschaftsstrukturelle Gründe, warum so viel mehr gespart, als konsumiert wird. Das hat wenig mit Wechselkursen und viel mit dem Fehlen der verschiedenen Formen sozialer Absicherung in Chinas Gesellschaft zu tun. Diese Formen sind in vielen Industrieländern längst selbstverständlich.
Was macht Amerika bei China so nervös?
Dass Schwellenländer wie China auf der Weltbühne erfolgreicher werden. Die Länder sind damit Rivalen um den Status Supermacht. Im Vergleich zu Auseinandersetzung mit Konkurrenten im zwanzigsten Jahrhundert, wird es für die USA diesmal jedoch viel schwieriger. Indien und China haben große Bevölkerungen. Ihr Bestreben nach einem entsprechenden Zugang zu globalen Ressourcen ist legitim.
Und zeigt sich....
Im wachsenden Einfluss dieser Länder in Afrikas Sub-Sahara Region, im Mittleren Osten und in den aufstrebenden Regionen Asiens. Überall hier ist der Einfluss Amerikas bisher noch stark.
Erwarten Sie, dass die Vorstöße Chinas und Indiens nachhaltig erfolgreich sein werden?
Ja. Wir sehen das bereits in Afrika. China schließt dort Rohstoffvereinbarungen ab, die in dieser Form früher nicht denkbar waren. Auch in Südamerika ist das inzwischen offensichtlich.
Wird Amerika seinen schrumpfenden wirtschaftlichen Einfluss akzeptieren?
Die USA befindet sich in einer ähnlichen Situation wie Großbritannien am Anfang des 20 Jahrhunderts. Mit den wirtschaftlich immer stärkeren Ländern China und Indien werden Handelspartner ihre Beziehungen zu diesen großen Schwellenländern mittelfristig als Alternative zu starken Verbindungen mit Amerika sehen.
In Ihrem Buch vergleichen Sie die hohe Verschuldung der USA mit dem Ablasshandel der katholischen Kirche. Was wäre das wirtschaftliche Gegenstück zur Reformation?
Ein Währungssystem, das im globalen Waren- und Rohstoffhandel und bei den Kapitalströmen vom Dollar weniger beeinflusst wird. Denn während der nächsten 20 bis 30 Jahre wird der größte Teil des Wachstums im Welthandel nicht mehr von Norden nach Süden, also zwischen Nordamerika und Europa, sondern zwischen den Schwellenländern, auf einer Route im Süden, stattfinden. Die Analogie zur kirchlichen Reformation wäre der globale Aufstieg einer Schwellenwährung wie der chinesischen als Reservewährung.
Mit welchen Folgen für den Rest der Welt?
Vermutlich werden Europäer und Amerikaner diese Währung nicht als Reservewährung nutzen. Der Einfluss des Westens wird global jedoch spürbar abnehmen. Die neue Währung wird vor allem in den Schwellenländern genutzt werden.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass selbst wenn China seine Währung deutlich aufwerten würde, dies der US-Wirtschaft wenig helfen würde. Warum?
Die Rolle der Währungen in Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Ungleichgewichten wird stark überschätzt. Der Westen sollte einen Weg finden, mit den Ungleichgewichten zu leben. Amerika sollte seine Wunschvorstellung aufgeben, die Währungspolitik sei ein Zauberstab, um den Lauf der Dinge zum eigenen Vorteil zu beeinflussen.
Warum funktioniert der Zauberstab nicht?
Weil sich die globalen Ungleichgewichte nicht auflösen. In Chinas Fall gibt es gesellschaftsstrukturelle Gründe, warum so viel mehr gespart als konsumiert wird. Das hat wenig mit Wechselkursen und viel mit den verschiedenen Formen sozialer Absicherung zu tun, die in China fehlen und im Westen selbstverständlich sind.
Sie raten dem Westen sich an die hohen Währungsreserven der Schwellenländer zu gewöhnen. Wie werden die Länder diese Ressourcen einsetzen?
China wird entschlossener als bisher versuchen, westliche Unternehmen zu kaufen. Wenn der Westen es weiter vorzieht, über seine Verhältnisse zu leben, werden zunehmend mehr Anteile seiner Unternehmen in den Portfolios von Sparern in Schwellenländern landen.
Chinas direkter Versuch, zum Beispiel amerikanische Ölfirmen zu kaufen, ist gescheitert.
Ich sage nicht, dass es über Nacht passieren wird. Stellen Sie sich aber vor, was passieren könnte, wenn die Industrieländer während der nächsten zwei bis drei Jahre erneut eine Wirtschaftskrise schlittern. Dann werden Investoren aus den Schwellenländern Firmen statt überwiegend Staatsanleihen kaufen.
Die Schwellenländer würden den Westen also dazu drängen, seine Unternehmen zu veräußern?
Wenn ich in ihrer Position wäre, würde ich es tun.
In Brasilien und jetzt auch in China häufen sich die Anzeichen für eine Überhitzung der Wirtschaft. Die Zentralbanken verstärken ihre Kontrolle über die Kapitalströme. Erwarten Sie ein deutlich schwächeres globales Wirtschaftswachstum?
Nein. Die Regierungen in den Schwellenländern ziehen dieses Mal die geldpolitischen Zügel früher an. Sie wollen die Fehler vermeiden, die Anfang der Neunziger Jahre zunächst die Mexiko-Krise und anschließend die Asienkrise ausgelöst haben. Auch damals war der Leitzins in den USA übrigens sehr niedrig.
Kann die steigende Verunsicherung über den anhaltenden Erfolg der Schwellenländer, allen voran in den USA, einen Währungskrieg auslösen?
Das Risiko ist groß. Durch die Globalisierung ist das Ungleichgewicht in der Einkommensverteilung, auch im Westen, erheblich größer geworden. In Amerika hatte der Boom im Immobilienmarkt diese Entwicklung lange verdeckt. Leute, die nicht sehr viel verdienten, kauften sich Immobilien und lebten über ihre Verhältnisse. Bis der Kreditmarkt dann überraschend austrocknete. Das Platzen der Immobilienblase hat die großen Unterschiede aufgedeckt. Die hohe Arbeitslosigkeit verstärkt sie. Wenn die Arbeitslosquote 2011 nicht deutlich sinkt, könnte das einen Währungskrieg mit China auslösen. Amerikanische Politiker werden andere Länder für die wirtschaftlichen Probleme ihres Landes verantwortlich machen.
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im westen nix neues