Krieg der Tribünen
ESKALATION Die Stimmung in den Stadien Jugoslawiens war ab den 1980er Jahren stark nationalistisch geprägt. Endgültig außer Kontrolle geriet die Lage 1990 bei einem Spiel von Dinamo Zagreb gegen Roter Stern Belgrad, das aufgrund von Ausschreitungen erst gar nicht angepfiffen werden konnte.
Zarko Radulovic | 01.08.2007
Allen Fans von Dinamo, für die der Krieg am 13.V.1990 im Maksimir-Stadion begonnen hat und mit der Hingabe ihres Lebens am Altar der Heimat Kroatien endete BBB, Zagreb, 13.V.1994.« Dieser Text steht heute auf einem Denkmal neben dem Maksimir-Stadion in Zagreb, das den Bad Blue Boys, den fanatischen Fans von Dinamo Zagreb, gewidmet ist. Für viele kroatische und serbische Fans hat der Krieg in Jugoslawien an diesem 13. Mai 1990 begonnen - und nicht mit den militärischen Auseinandersetzungen nach der Unabhängigkeitserklärung Kroatiens und Sloweniens am 25. Juni 1991.
Am 13. Mai sollte im Maksimir-Stadion der Meisterschafts-Hit Dinamo gegen Crvena Zvezda (Roter Stern) stattfinden. Doch dazu kam es nie. Bereits im Vorfeld lieferten einander die BBB und der Zvezda-Fanklub Delije (Helden) wüste Schlägereien. Die zahlenmäßig weit unterlegene und nicht im Geringsten vorbereitete Polizei griff zwar ein, konnte (nach serbischer Version) oder wollte (nach kroatischer Deutung) die Fans aber zunächst nicht trennen und wurde selbst direkt in die Auseinandersetzungen hineingezogen. Da die Polizisten mehrheitlich serbischer Nationalität waren, wurden die Vorfälle rund um das Match von kroatischen Politikern später als Anlass zu Säuberungen innerhalb der Polizei genutzt.
Boban wird zum »Helden«
Etwa 40 Minuten vor dem Spiel, als sich die Spieler gerade am Feld aufwärmten, eskalierte die Situation. Tausende rechts angehauchte BBB-Fans stürmten das Feld und rannten in Richtung der mit zig serbischen Symbolen geschmückten Auswärtskurve auf der Südtribüne, die die Delije bereits zerlegt hatten.
Die Spieler von Roter Stern, angeführt von Kapitän Dragan »Piksi« Stojkovic, flüchteten in die Kabine. Einige Dinamo-Kicker blieben am Feld. Und Zvonimir Boban wurde zum »Helden«, als er in Kung-Fu-Manier einen Polizisten ansprang und sich dann schnell aus dem Staub machte. »Boban-e, Boban-e«, hallte es von den Tribünen. Für kroatische Nationalisten wurde der Fußtritt eine Art Sinnbild für den »Aufstand« gegen das verhasste Belgrader Regime. Eine kleine Ironie der Geschichte: Der von Boban angegriffene Polizeibeamte war Kroate.
Boban kam später in die Kabine von Roter Stern. »Er begrüßte uns und sagte: ´Jungs, alles wird gut werden´. Jemand hat ihm dann geantwortet: `Wovon sprichst du? Siehst du nicht, was da abgeht?«, erzählt Stojkovic in der Dokumentation »Fudbal, nogomet i jos po nesto« (»Fußball, Fußball und noch Einiges«), die einen ausgezeichneten Überblick Über die Geschichte des jugoslawischen Fußballs gibt.
Für viele damals aktive Fußballer war dieser 13. Mai »richtungsweisend«. So auch für Zlatko »Cico« Kranjcar, der den Delije die Schuld für die Eskalation gibt. »Der historische Angriff von Zvonimir Boban auf den Polizisten hat den Weg gezeigt, den Jugoslawien gehen wird«, meint der spätere kroatische Teamchef in der Doku. Für den mazedonischen Goalgetter im Dienste von Roter Stern, Darko Pancev, war alles »politisch montiert«: »Bei diesem Spiel hat praktisch der Zerfall des Systems begonnen, der Zerfall Jugoslawiens.« Der ehemalige Weltklasse- Kicker und Zvezda-Präsident Dragan Dzajic: »Bis zu diesem Spiel habe ich nicht geglaubt, dass es zum Zerfall kommt, aber danach wurde klar, welchen Weg das alles nehmen wird.«
Vorbote des »wahrhaft echten Kriegs«
Die Ausschreitungen forderten Dutzende Verletzte und einige Schwerverletzte. Tote gab es wie durch ein kleines Wunder nicht. Die Ereignisse im Maksimir-Stadion waren tagelang das Top-Thema in Politik, Gesellschaft und Medien" Differenzierungen gab es kaum: Während in Kroatien die Schuld einzig bei den serbischen Fans gesehen wurde, machte Belgrad die Bad Blue Boys verantwortlich.
Vor allem die BBB sehen in den Vorfällen vom 13. Mai 1990 nicht nur einen »Vorboten « künftiger Ereignisse, sondern den eigentlichen Kriegs-Auftakt. Der kroatische Autor Hrvoje Prnjak, selbst aktives BBB-Mitglied, schrieb dazu: »Der 13. Mai 1990 bleibt in Erinnerung als Kulmination der mehrjährigen Spannungen, die nur ein Jahr später in den wahrhaft echten Krieg ausarteten«. Und auch in diesem Krieg waren die Fans in den vordersten Reihen zu finden. Sie waren unter den ersten Freiwilligen, die sich für die »Verteidigung« ihres Landes und Volkes meldeten" und sie zogen oftmals mit den Wappen und anderen Symbolen ihrer Vereine »bewaffnet« an die Front.
Neben den BBB und der Torcida von Hajduk Split auf der kroatischen waren dies insbesondere die Delije auf der serbischen Seite. Anführer der Delije war der spätere Freischärler und berüchtigte Mafia-Boss Zeljko Raznatovic, genannt »Arkan«, der die verschiedenen Sub-Fangruppen von Roter Stern zu einer Einheit formierte. Viele Delije schlossen sich mit Beginn des Krieges den »Arkan-Tigern« (»Serbische Freiwillige Garde«) an, die im jugoslawischen Bürgerkrieg (1991-1995) wüteten. »Arkan«, der gelernte Zuckerbäcker mit reichhaltiger krimineller Erfahrung, wurde im Jänner 2000 in einem Belgrader Hotel erschossen. Seine Mörder wurden zwar zu insgesamt 120 Jahren Haft verurteilt, die Hintergründe der Tat sind bis heute nicht gänzlich aufgedeckt.
Ustasa, Sinti und Roma und Freund Tito
Eine große Überraschung stellten die Ereignisse des 13. Mai 1990 freilich nicht dar. Schon viel früher hatte sich in Jugoslawien abgezeichnet, dass Fans nicht nur des Sports wegen in die Stadien strömen. Spätestens in den 80er Jahren, als die politischen und ethnischen Animositäten immer mehr zunahmen, war das Verhalten vieler eingefleischter Fans national orientiert. Die Fangruppen mutierten zu nationalistischen Bewegungen. Die Stadien dienten als politische Bühnen und wurden zu Objekten für die Durchsetzung politischer und nationaler Forderungen.
All das, was in anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens nicht erlaubt war, wie das Singen nationaler Lieder oder das Tragen nationaler Symbole, förderten die Fans in den Arenen zu Tage, die Kommunikation war von einem intensiven Hass gekennzeichnet. Der sportliche Rivale wurde dabei nicht als solcher, sondern als Mitglied einer feindlichen politischen, nationalen und religiösen Gruppe betrachtet. In Belgrad wurden kroatische Sportler mit derben Flächen als »Ustasa« beschimpft, in Zagreb und Split hagelte es »Cigani«-(Sinti und Roma) und »Ubi Srbina«-Chöre (Töte den Serben) von den Rängen. Daran hat sich Übrigens bis heute nicht viel verändert.
Dabei hatte nur zehn Jahre vor dem »Kriegsauftakt« im Maksimir in den Stadien noch eine völlig andere, gänzlich dem Prinzip »Brüderlichkeit und Einheit« angepasste, aber wohl trügerische Atmosphäre geherrscht: Als am 4. Mai 1980 der Tod von »Marschall« Josip Broz Tito verkündet wurde, standen in Split gerade die Mannschaften von Hajduk und Zvezda auf dem Rasen. Das Spiel wurde unterbrochen, die Spieler und Zigtausende Menschen auf der Tribüne umarmten sich und sangen, ihren Tränen schamlos freien Lauf lassend: »Genosse Tito, wir schwören Dir, wir werden von Deinem Weg nicht abweichen.«