[h=3]Abwendung von der EU[/h]
Zweite Ursache dafür, daß sich für die südosteuropäischen EU-Aspiranten Alternativen auftun: Die Türkei hat unter Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan einen außenpolitischen Kurswechsel vollzogen und unter diesen Vorzeichen damit begonnen, ihre Einflußarbeit in in diesem Gebiet auszuweiten. Grundlage dafür ist das Konzept der »strategischen Tiefe«, das der bisherige Außenminister und künftige Erdogan-Nachfolger Ahmet Davutoglu entwickelt hat. Es sieht vor, daß die Türkei in den Ländern, die einst zum Osmanischen Reich gehörten, ihre Positionen stärkt, also eben auch in Bosnien und Herzegowina oder im Kosovo. Der Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts Riinvest in der kosovarischen Hauptstadt Priština etwa berichtete im Oktober 2013 im Deutschlandfunk über die starke Position Ankaras im Kosovo: »Der Ausbau des Flughafens wurde an eine türkische Firma vergeben, Straßenbauprojekte wurden an türkische Firmen vergeben, der Energiesektor und höchstwahrscheinlich sehr bald auch das Telefonnetz im Kosovo werden von türkischen Firmen dominiert. Nimmt man noch den Nahrungsmittelbereich dazu, der von türkischen Firmen dominiert wird, hat man ein Bild davon, wie stark dieses Land unter dem Einfluß der türkischen Wirtschaft steht.«
Eine besondere Rolle spielt für Ankara das von Brüssel völlig vernachlässigte EU-Protektorat Bosnien und Herzegowina. Die Türkei ist dort, wie man bei dem Thinktank »Populari« aus Sarajevo nachlesen kann, zwar nicht so sehr wirtschaftlich, dafür aber umso mehr kulturell präsent. Sie habe unter der islamistischen AKP-Regierung »massiv in die Renovierung des osmanischen Kulturerbes und in Erziehung« investiert, über die Religionsbehörde Diyanet Moscheen gebaut, Universitäten gegründet und Kulturzentren errichtet. Gegenwärtig erlernten 4500 Kinder in mehr als 90 bosnischen Grundschulen die türkische Sprache. »Die Türkei hat es geschafft, einer der einflußreichsten internationalen Akteure in Bosnien und Herzegowina zu werden«, berichtet »Populari«. Dabei konzentriert sich Ankara freilich auf die bosnischen Muslime, die dieses Bemühen goutieren. Bakir Izetbegovic, deren Vertreter im Staatspräsidium, nannte Erdogan öffentlich »unseren Führer«. Bei den bosnischen Serben ruft diese Einflußnahme gelegentlich Unmut hervor. Die Ziele der türkischen Südosteuropapolitik hat Ahmet Davutoglu in seinem Buch »Strategische Tiefe« ausdrücklich benannt: Es gehe darum, erläuterte er, »einen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Vorposten der Türkei« aufzubauen, dessen Einfluß »bis nach Zentraleuropa hineinreicht«.