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Gelöschtes Mitglied 8317
Guest
Der Kriegsverbrecher arbeitete als Hilfsarbeiter in einem kleinen Dorf. Dort will ihn niemand erkannt haben. Manche wittern eine Verschwörung.
Ein Tuckern kündigt in der verschlafenen Dorfstraße den letzten Fluchthelfer des Generals an. Die ihn ins Visier nehmenden Kameramänner würdigt der bärtige Mann am Steuer des alterschwachen Traktors keines Blickes. Stoisch lenkt Branislav Mladic sein rostbraunes Gefährt durch das danach eilig verriegelte Hofgatter.
Proteste gegen Mladic-Festnahme
Foto: AFP Serbische Nationalisten haben nach der Festnahme von Ratko Mladic zu Protesten aufgerufen – obwohl die serbische Polizei alle öffentlichen Versammlungen verboten hat.
Die Behörden mussten die Sicherheitsvorkehrungen im ganzen Land verstärken.
Der Blick durch die halb herunter gelassenen Rollläden auf die Kirschbäume vor dem unscheinbaren Gehöft im nordserbischen Lazarevo dürfte für seinen prominenten Vetter die letzte Sicht auf die Freiheit gewesen sein. „Ratko Mladic gefasst“, künden die Schlagzeilen der am Dorfkiosk ausliegenden Hauptstadtzeitungen von dem verschwundenen Gast im früheren „Lazarfeld“.
Foto: REUTERS Branislav Mladic auf seinem Traktor
Einen merklich abgemagerten und gealterten, aber deutlich erkennbaren Ratko Mladic zeigen die veröffentlichten Polizei-Fotos auf den Titelblättern: Keine Verkleidung war für den Justizflüchtling offenbar die beste Tarnung.
Obwohl angeblich so schwach, dass sein erstes Verhör nach seiner Verhaftung am Donnerstag frühzeitig abgebrochen werden musste, scheute der Ex-General auch in der Illegalität keine Schwerstarbeit. Mladic habe zumindest 2010 mehrere Monate als Hilfsarbeiter auf dem Bau in dem mit EU-Subventionen angelegten Industriepark im zehn Kilometer entfernten Provinzstädtchen Zrenjanin gearbeitet, berichtete die Tageszeitung „Blic“.
Das Dorf in "Mladicevo" umbennen?
Er könne es selbst kaum glauben, dass er im letzten Sommer bei der Arbeit das Brot mit Milorad Komadic als Ratko Mladic geteilt habe, zitiert das Blatt einen 26-jährigen Studenten: „Wir waren wohl offenbar alle kollektiv mit Blindheit geschlagen. Ich fragte ihn damals sogar noch, ob er sich eigentlich bewusst sei, wie sehr er Ratko Mladic ähnelt.“
Doch von ihrem prominenten Nachbarn wollen die wortkargen Anwohner in Lazarevo auch am Tag nach dessen Verhaftung keine Ahnung gehabt haben. „Niemand hat hier von Mladic gewusst, lasst uns endlich in Ruhe“, faucht ein kugelbäuchiger Mann, der mit einer Einkaufstasche in der Hand durch die Vuk-Karadzic-Straße hastet.
„Das ist alles Inszenierung, der wurde zur Verhaftung hierher gebracht“, vermutet der Landarbeiter, der mit einer Sense die Böschung trimmt: „Wie soll sich jemand in einem Dorf verstecken können, in dem niemand unbemerkt bleibt, der ein paar Minuten hindurch schlendert?“
Am Abend zuvor hatte der Dorfpope im schwarzen Talar noch eine Solidaritätsdemonstration für den gefassten General organisiert: Das mit viel Alkohol und patriotischen Tschetnik-Gesängen geschwängerte Stelldichein geriet zum Gerangel mit Polizei und Journalisten und gipfelte in der Forderung, das Dorf in „Mladicevo“ umzubenennen.
Bewusst gestreute Halbwahrheiten
Eine gebückte alte Frau mit Kopftuch gibt sich als die Patentante der Mladic-Vettern Ratko und Branislav zu erkennen. Ratko sei immer ein guter Junge gewesen, versichert die 86-jährige Rada Guzina. Nein, sie selbst habe von dessen Verbleib im Nachbarhaus nichts geahnt: „Von dem Geheimnis hat wohl nur Branislav gewusst.“ Doch bevor die mitteilsame Alte zuviel plaudert, wird sie von herbei eilenden Angehörigen eilig weggeführt. Rada müsse noch ihre Medikamente nehmen, so eine energische Aufpasserin in Kittelschürze.
Die Suche nach Ratko Mladic
Der ehemalige Militärchef der bosnischen Serben Ratko Mladic wurde mehr als 15 Jahre gesucht.
Bewusst gestreute Halbwahrheiten sind schon seit Jahren in Serbien fester Bestandteil der Mladic-Saga. Es sei „das erste Mal“ seit zehn Jahren, dass Ehefrau Bosiljka und Sohn Darko den gefangenen Ratko Mladic gesehen hätten, verkündet vor dem Belgrader Sondergefängnis der Familien-Anwalt Milos Saljic. Dass Darko erst vergangene Woche auf Visite in Lazarevo weilte, erklärt der Anwalt für Zufall. Der Sohn habe die Familienfeier eines „anderen Angehörigen“ besucht.
„Eine Dummheit“ sei die Unterstellung, dass Belgrad schon seit Jahren von dem Verbleib des vermeintlich spurlos verschwundenen Mladic Bescheid gewusst habe, versichert derweil in der 85 Kilometer entfernten Hauptstadt der beredte Landesvater Boris Tadic in einem Interview mit CNN.
Der Käseverkäufer vermutet politische Motive
Zumindest in Lazarevo findet diese Beteuerung nur bedingtes Gehör.
„Wie kann ein Staat, der Mladic geschaffen hat, in einem Land wie Serbien nicht wissen, wo sich seine Schöpfung befindet?“, fragt sich auf der Hauptstraße der Käseverkäufer Lazar. Vielleicht ein paar Tage, „maximal einen Monat“ könne sich Mladic in dem 3000-Seelen-Dorf versteckt haben, wittert der Mann mit der Hornbrille hinter der „Verhaftungs-Farce“ zu viele Ungereimtheiten: „Das ist wie bei Bin Laden. Warum gibt es keine Bilder von der Festnahme? Warum hat man Mladic' Vetter nicht verhaftet, wenn der ihn angeblich versteckt hat?“
Der Händler vermutet hinter der Mladic-Ergreifung angesichts der bevorstehenden Wahlen vor allem „politische Motive“: Angesichts schwindender Zustimmungsraten habe Tadic die EU-Perspektive rechtzeitig etwas aufzumöbeln versucht. „Außer dem Versprechen des EU-Beitritts hat die Regierung nichts mehr im Köcher.“
Welle der Gewalt bleibt bislang aus
Auf ihre Schutzschilder gelehnt, schwitzen derweil die Einsatzkräfte vor dem Belgrader Präsidenten-Palast in der schwülen Abendhitze. Die befürchtete Welle der Gewalt nach der Verhaftung von Serbiens einstigem Kriegsidol ist bislang ausgeblieben.
In Belgrad nahm die Polizei ein paar Dutzend potenzielle Krawallmacher vorläufig fest. Doch obwohl in allen Städten des Landes die Sicherheitskräfte in Alarm-Bereitschaft stehen, sei die Lage „weitgehend unter Kontrolle“, versichert ein Justizsprecher.
In früheren Umfragen hatte sich rund die Hälfte der Serben gegen eine Auslieferung von Ratko Mladic ausgesprochen. Doch dessen bevorstehende Abschiebung nach Den Haag scheint zumindest die Spaziergänger in den Belgrader Straßencafes weitgehend kalt zu lassen. Längst haben die behelmten Beamten in den Schildkrötenpanzern die versuchte Demonstration am Platz der Republik auseinander getrieben. Gelächter und Gläserklingen schallen aus den Schänken in den Abendhimmel.
"Als sie ihn geschnappt haben, weinte ich und wollte sterben"
Auf der Kappe der noch vor dem Polizei-Kordon ausharrenden Frau prangen die Sticker der prominentesten serbischen Schützlinge des UN-Tribunals: Neben dem Bildnis des 2006 im Scheveninger UN-Gefängnis verstorbenen Ex-Autokraten Slobodan Milosevic stecken die Porträts des 2008 gefassten Serbenführers Radovan Karadzic und des ebenfalls vor dem UN-Tribunal stehenden Nationalistenführers Vojislav Seselj.
Nun kommt ein weiterer Angeklagter hinzu. „Ratko Mladic ist mein Held, er hat sein Land, seine Nation verteidigt“, jammert die Hausfrau Jelena, die ihren Nachnamen lieber nicht preisgeben will: „Als ich hörte, dass sie ihn geschnappt haben, weinte ich – und wollte sterben.“
Serbien sterbe jeden Tag, ereifert sich eine blonde Mittfünfzigerin. Sie „hasse“ alle Nationen, die das Land 1999 bombardierten und nun zur Verhaftung von Mladic gezwungen hätten. Noch schlechter ist die aufgebrachte Kettenraucherin auf die eigene Regierung und Präsident Boris Tadic zu sprechen, der Mladic „ans Messer geliefert“ habe.
Tadic werde „so wie Zoran Djindjic enden“, prophezeit die kurzhaarige Nationalistin dem Staatschef. Djindjic wurde am 12.März 2003 in Belgrad erschossen. Er war der erste wahre Demokrat, den Serbien nach dem Krieg
Ein Tuckern kündigt in der verschlafenen Dorfstraße den letzten Fluchthelfer des Generals an. Die ihn ins Visier nehmenden Kameramänner würdigt der bärtige Mann am Steuer des alterschwachen Traktors keines Blickes. Stoisch lenkt Branislav Mladic sein rostbraunes Gefährt durch das danach eilig verriegelte Hofgatter.
Proteste gegen Mladic-Festnahme
Foto: AFP Serbische Nationalisten haben nach der Festnahme von Ratko Mladic zu Protesten aufgerufen – obwohl die serbische Polizei alle öffentlichen Versammlungen verboten hat.
Die Behörden mussten die Sicherheitsvorkehrungen im ganzen Land verstärken.
Der Blick durch die halb herunter gelassenen Rollläden auf die Kirschbäume vor dem unscheinbaren Gehöft im nordserbischen Lazarevo dürfte für seinen prominenten Vetter die letzte Sicht auf die Freiheit gewesen sein. „Ratko Mladic gefasst“, künden die Schlagzeilen der am Dorfkiosk ausliegenden Hauptstadtzeitungen von dem verschwundenen Gast im früheren „Lazarfeld“.
Foto: REUTERS Branislav Mladic auf seinem Traktor
Einen merklich abgemagerten und gealterten, aber deutlich erkennbaren Ratko Mladic zeigen die veröffentlichten Polizei-Fotos auf den Titelblättern: Keine Verkleidung war für den Justizflüchtling offenbar die beste Tarnung.
Obwohl angeblich so schwach, dass sein erstes Verhör nach seiner Verhaftung am Donnerstag frühzeitig abgebrochen werden musste, scheute der Ex-General auch in der Illegalität keine Schwerstarbeit. Mladic habe zumindest 2010 mehrere Monate als Hilfsarbeiter auf dem Bau in dem mit EU-Subventionen angelegten Industriepark im zehn Kilometer entfernten Provinzstädtchen Zrenjanin gearbeitet, berichtete die Tageszeitung „Blic“.
Das Dorf in "Mladicevo" umbennen?
Er könne es selbst kaum glauben, dass er im letzten Sommer bei der Arbeit das Brot mit Milorad Komadic als Ratko Mladic geteilt habe, zitiert das Blatt einen 26-jährigen Studenten: „Wir waren wohl offenbar alle kollektiv mit Blindheit geschlagen. Ich fragte ihn damals sogar noch, ob er sich eigentlich bewusst sei, wie sehr er Ratko Mladic ähnelt.“
Doch von ihrem prominenten Nachbarn wollen die wortkargen Anwohner in Lazarevo auch am Tag nach dessen Verhaftung keine Ahnung gehabt haben. „Niemand hat hier von Mladic gewusst, lasst uns endlich in Ruhe“, faucht ein kugelbäuchiger Mann, der mit einer Einkaufstasche in der Hand durch die Vuk-Karadzic-Straße hastet.
„Das ist alles Inszenierung, der wurde zur Verhaftung hierher gebracht“, vermutet der Landarbeiter, der mit einer Sense die Böschung trimmt: „Wie soll sich jemand in einem Dorf verstecken können, in dem niemand unbemerkt bleibt, der ein paar Minuten hindurch schlendert?“
Am Abend zuvor hatte der Dorfpope im schwarzen Talar noch eine Solidaritätsdemonstration für den gefassten General organisiert: Das mit viel Alkohol und patriotischen Tschetnik-Gesängen geschwängerte Stelldichein geriet zum Gerangel mit Polizei und Journalisten und gipfelte in der Forderung, das Dorf in „Mladicevo“ umzubenennen.
Bewusst gestreute Halbwahrheiten
Eine gebückte alte Frau mit Kopftuch gibt sich als die Patentante der Mladic-Vettern Ratko und Branislav zu erkennen. Ratko sei immer ein guter Junge gewesen, versichert die 86-jährige Rada Guzina. Nein, sie selbst habe von dessen Verbleib im Nachbarhaus nichts geahnt: „Von dem Geheimnis hat wohl nur Branislav gewusst.“ Doch bevor die mitteilsame Alte zuviel plaudert, wird sie von herbei eilenden Angehörigen eilig weggeführt. Rada müsse noch ihre Medikamente nehmen, so eine energische Aufpasserin in Kittelschürze.
Die Suche nach Ratko Mladic
Der ehemalige Militärchef der bosnischen Serben Ratko Mladic wurde mehr als 15 Jahre gesucht.
Bewusst gestreute Halbwahrheiten sind schon seit Jahren in Serbien fester Bestandteil der Mladic-Saga. Es sei „das erste Mal“ seit zehn Jahren, dass Ehefrau Bosiljka und Sohn Darko den gefangenen Ratko Mladic gesehen hätten, verkündet vor dem Belgrader Sondergefängnis der Familien-Anwalt Milos Saljic. Dass Darko erst vergangene Woche auf Visite in Lazarevo weilte, erklärt der Anwalt für Zufall. Der Sohn habe die Familienfeier eines „anderen Angehörigen“ besucht.
„Eine Dummheit“ sei die Unterstellung, dass Belgrad schon seit Jahren von dem Verbleib des vermeintlich spurlos verschwundenen Mladic Bescheid gewusst habe, versichert derweil in der 85 Kilometer entfernten Hauptstadt der beredte Landesvater Boris Tadic in einem Interview mit CNN.
Der Käseverkäufer vermutet politische Motive
Zumindest in Lazarevo findet diese Beteuerung nur bedingtes Gehör.
„Wie kann ein Staat, der Mladic geschaffen hat, in einem Land wie Serbien nicht wissen, wo sich seine Schöpfung befindet?“, fragt sich auf der Hauptstraße der Käseverkäufer Lazar. Vielleicht ein paar Tage, „maximal einen Monat“ könne sich Mladic in dem 3000-Seelen-Dorf versteckt haben, wittert der Mann mit der Hornbrille hinter der „Verhaftungs-Farce“ zu viele Ungereimtheiten: „Das ist wie bei Bin Laden. Warum gibt es keine Bilder von der Festnahme? Warum hat man Mladic' Vetter nicht verhaftet, wenn der ihn angeblich versteckt hat?“
Der Händler vermutet hinter der Mladic-Ergreifung angesichts der bevorstehenden Wahlen vor allem „politische Motive“: Angesichts schwindender Zustimmungsraten habe Tadic die EU-Perspektive rechtzeitig etwas aufzumöbeln versucht. „Außer dem Versprechen des EU-Beitritts hat die Regierung nichts mehr im Köcher.“
Welle der Gewalt bleibt bislang aus
Auf ihre Schutzschilder gelehnt, schwitzen derweil die Einsatzkräfte vor dem Belgrader Präsidenten-Palast in der schwülen Abendhitze. Die befürchtete Welle der Gewalt nach der Verhaftung von Serbiens einstigem Kriegsidol ist bislang ausgeblieben.
In Belgrad nahm die Polizei ein paar Dutzend potenzielle Krawallmacher vorläufig fest. Doch obwohl in allen Städten des Landes die Sicherheitskräfte in Alarm-Bereitschaft stehen, sei die Lage „weitgehend unter Kontrolle“, versichert ein Justizsprecher.
In früheren Umfragen hatte sich rund die Hälfte der Serben gegen eine Auslieferung von Ratko Mladic ausgesprochen. Doch dessen bevorstehende Abschiebung nach Den Haag scheint zumindest die Spaziergänger in den Belgrader Straßencafes weitgehend kalt zu lassen. Längst haben die behelmten Beamten in den Schildkrötenpanzern die versuchte Demonstration am Platz der Republik auseinander getrieben. Gelächter und Gläserklingen schallen aus den Schänken in den Abendhimmel.
"Als sie ihn geschnappt haben, weinte ich und wollte sterben"
Auf der Kappe der noch vor dem Polizei-Kordon ausharrenden Frau prangen die Sticker der prominentesten serbischen Schützlinge des UN-Tribunals: Neben dem Bildnis des 2006 im Scheveninger UN-Gefängnis verstorbenen Ex-Autokraten Slobodan Milosevic stecken die Porträts des 2008 gefassten Serbenführers Radovan Karadzic und des ebenfalls vor dem UN-Tribunal stehenden Nationalistenführers Vojislav Seselj.
Nun kommt ein weiterer Angeklagter hinzu. „Ratko Mladic ist mein Held, er hat sein Land, seine Nation verteidigt“, jammert die Hausfrau Jelena, die ihren Nachnamen lieber nicht preisgeben will: „Als ich hörte, dass sie ihn geschnappt haben, weinte ich – und wollte sterben.“
Serbien sterbe jeden Tag, ereifert sich eine blonde Mittfünfzigerin. Sie „hasse“ alle Nationen, die das Land 1999 bombardierten und nun zur Verhaftung von Mladic gezwungen hätten. Noch schlechter ist die aufgebrachte Kettenraucherin auf die eigene Regierung und Präsident Boris Tadic zu sprechen, der Mladic „ans Messer geliefert“ habe.
Tadic werde „so wie Zoran Djindjic enden“, prophezeit die kurzhaarige Nationalistin dem Staatschef. Djindjic wurde am 12.März 2003 in Belgrad erschossen. Er war der erste wahre Demokrat, den Serbien nach dem Krieg