Während des Fastenmonates Ramadan provozierte die chinesische Polizei Unruhen in der mehrheitlich von muslimischen Uiguren bewohnten Stadt Yining (Uigurisch: Gulja, Region Ili). Als sich am Abend des 5. Februar 1997 zahlreiche Frauen und Jugendliche in Privathäusern trafen, um das Fest des 27. Tages des Ramadan zu begehen, drangen mit Schlagstöcken bewaffnete Polizisten in ihre Wohnungen ein und verhafteten alle Gläubigen. Die Behörden hatten 1996 jegliche Versammlung in Privatwohnungen verboten, um die Muslime an einer Ausübung ihres Glaubens zu hindern und die Verbreitung des muslimischen Glaubens einzuschränken. Als sich am folgenden Tag Angehörige vor den Behörden versammelten, um die Freilassung der Verhafteten zu fordern, habe die Polizei zuerst mit Wasserwerfern versucht, die Menge auseinanderzutreiben, berichteten Augenzeugen. Da eisige Kälte mit Temperaturen von 20 bis 30 Grad unter dem Gefrierpunkt geherrscht habe, seien 146 Personen unter den Strahlen der Wasserwerfer erfroren. Nur wer sich rechtzeitig seine Kleider vom Leib reißen konnte, habe überlebt, berichteten Flüchtlinge im angrenzenden Kasachstan.
Als die Proteste nicht abklangen, seien die Ordnungskräfte mit Schlagstöcken und Tränengas gegen die Demonstranten vorgegangen und hätten 90 Personen erschlagen. Die achtjährige Fatima, die von den Sicherheitsbehörden die Freilassung ihres Vaters verlangt habe, sei niedergeschossen worden. Ähnlich soll es der schwangeren Gulzira ergangen sein, als sie um die Freilassung ihres Mannes bat. Als sich immer mehr Menschen den Protesten anschlossen, habe die Polizei wahllos in die Menge geschossen. 200 Menschen seien dabei getötet worden. Angesichts der Brutalität der Sicherheitskräfte hätten daraufhin aufgebrachte Uiguren Han-Chinesen angegriffen, die in den letzten Jahren in die Provinz eingewandert seien. Rund 100 Zuwanderer seien dabei zu Tode gekommen. Mindestens 2.000 Uiguren seien während der Unruhen verhaftet worden. Bereits kurz nach Ausbruch der Unruhen seien 30.000 chinesische Soldaten aus Gansu nach Yining verlegt worden und hätten die Stadt weitgehend von der Außenwelt abgeriegelt. Obwohl die Sicherheitsmaßnahmen inzwischen gelockert wurden, berichten Augenzeugen über eine starke Militärpräsenz im öffentlichen Leben in der Region Ili.
Keine Glaubensfreiheit für Muslime
Schon im Mai 1996 hatte die Führung der Kommunistischen Partei in Xinjiang angeordnet, die Behörden müßten den Druck und die Verbreitung aller "nationalistischen" oder religiösen Veröffentlichungen unterbinden und den Einfluß muslimischer Kreise an den Schulen zurückdrängen. Der lokale Fernsehsender Xianjiang TV zitierte führende Vertreter der Provinzregierung und der Kommunistischen Partei nach einem Treffen am 30. April 1996 mit der Forderung, "die Kampagne muß sich besonders auf Gewalttäter und Terroristen konzentrieren, die von nationalistischen separatistischen Kräften aus dem Ausland geführt und manipuliert werden". Noch deutlicher wurde Peking auf einer Tagung der Kommunistischen Partei in der Provinzhauptstadt Urumtschi vom 3. bis 6. Mai 1996, als es in einer Anweisung feststellte, daß "nationalistischer Separatismus und illegale religiöse Aktivitäten die Hauptgefahren für die Stabilität in Xinjiang sind". In den folgenden Wochen wurde die Welle der Repression auf Schulen und Universitäten ausgedehnt. Auch wurde der Bau neuer Moscheen verboten, und an den Grenzen wurden alle Reisenden verstärkt nach religiösen Schriften und Veröffentlichungen uigurischer Exilorganisationen durchsucht.
Bereits seit 1990 müssen religiöse Führer "die Führung der Kommunistischen Partei unterstützen...und nationalen Separatismus bekämpfen". Wer die Order aus Peking mißachtet, riskiert den Widerruf seiner Anerkennung, da sich alle führenden Persönlichkeiten der Kirche jedes Jahr einer Prüfung durch pro-chinesische Organisationen unterziehen müssen.
Nach den Unruhen in Yining wurde die Freiheit der Religionsausübung erneut eingeschränkt. So wurden 133 Moscheen geschlossen und 105 unerlaubt eingerichtete Koranschulen aufgelöst. (AP, 26.6.1997 / FR, 28.6.1997) Lehrer, die verdächtigt wurden, "muslimischen Separatismus" zu unterstützen, wurden entlassen. 500 Schüler wurden von den Schulen verwiesen. (AP, 26.6.1997) Die chinesischen Behörden sehen die muslimische Religion als besonderes Hemmnis bei der Assimilierung der Uiguren an und messen daher der Einschränkung der Glaubensfreiheit große Bedeutung bei.
Uigurische Kultur wird zerstört
Die Uiguren klagen China auch der Unterdrückung ihrer Kultur an. Kulturelle Eigenheiten werden nur gefördert, wenn sie sich, wie die Folkloretänze, für Touristen vermarkten lassen und China Devisen verschaffen. Nur 16 Prozent aller Veröffentlichungen in Ostturkestan erscheinen in Turksprachen. Wer über uigurische Geschichte und Kultur schreibt und die offizielle chinesische Position mißachtet, wird als Propagandist für "Nationalismus" und "Separatismus" vor Gericht gestellt, die Bücher werden verboten und der Verlag geschlossen. In den Schulen wird das Erlernen der uigurischen Sprache behindert.
Der Überlebenskampf der Völker Ostturkestans wird immer verzweifelter und somit auch unberechenbarer. Auf ausländische Unterstützung können die Bewohner Xinjiangs kaum hoffen. Zwar verurteilte das Europäische Parlament in einer Resolution am 10. April 1997 die Verletzung des Rechts auf Religionsausübung, die willkürlichen Verhaftungen und Hinrichtungen sowie die Zerstörung der uigurischen Kultur. Auch forderten die Parlamentarier die Freilassung der inhaftierten Demonstranten in Yining sowie einen freien Zugang von Menschenrechtsorganisationen und Journalisten in die Region. Doch vergeblich warteten die Völker Ostturkestans bislang darauf, daß sich die europäischen Regierungen nicht nur zu den schweren Menschenrechtsverletzungen in Tibet öffentlich äußern, sondern sich auch Xinjiang zuwenden. Selbst in den neugegründeten zentralasiatischen Nachbarstaaten sind die Regierungen entgegen den Beschuldigungen Pekings peinlichst bemüht, die chinesische Führung nicht zu verärgern. Am 26. April 1996 unterzeichnete China ein Abkommen mit Rußland, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, in dem sich diese Staaten zum gemeinsamen Kampf gegen "Separatisten" verpflichteten.
Massenverhaftungen und Hinrichtungen in Xinjiang endlich stoppen