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[h4]ZWANGSHEIRATEN[/h4]
[h3]Zum Urlaub in die Ehehölle[/h3]
Sie fahren in den Sommerferien in die Türkei, in den Libanon, ins Kosovo - und kommen nie mehr zurück. Für viele junge Migrantinnen wird der Urlaub zur Reise in die Zwangsehe. Frauenorganisationen werden derzeit mit Hilferufen überhäuft
Berlin - Eigentlich sollte Andreas Becker* vom Berliner Hilfsverein "Hatun und Can" in den vergangenen Tagen einen wichtigen Anruf bekommen. Von einer 17-jährigen Kurdin aus Neukölln, deren Eltern für den Sommerurlaub eine Zwangsheirat in der Türkei angesetzt hatten. Bekannte waren auf das Mädchen aufmerksam geworden. Sie kontaktierten Hilfsorganisationen - doch zu spät.
Das Mädchen ist inzwischen in der Türkei. Die Vorbereitung der Zwangsheirat läuft.
Es ist Sommer in Deutschland - und "unheimlich viel los", sagt Carola Müller* von der deutsch-türkischen Frauenorganisation "Papatya". "Bei uns ist es voll, und auch die Frauenhäuser sind voll." Denn direkt vor und nach den großen Ferien brauchen besonders viele Mädchen und Frauen Rettung.
Es funktioniert immer nach dem gleichen Prinzip. Die Mädchen sind mit der Schule fertig, oder die Eltern sehen sie mit ihrem Freund - und plötzlich muss alles ganz schnell gehen. Es wird eine Zwangsehe arrangiert. Die betroffenen jungen Frauen ahnen: In diesen Sommerferien haben ihre Eltern ganz spezielle Pläne für sie. "Sie bekommen mit, dass Verlobungen geplant sind", sagt Müller. "Dann wollen sie eine Reise in die Heimat im letzten Moment verhindern. Oder sie wurden im Urlaub in der Türkei zwangsverlobt und wollen sich danach in Deutschland schützen."
Immer öfter kommen Hochzeiten unter massivem Druck, mit Drohungen und körperlicher Gewalt zustande, berichten Helfer. 40 junge Migrantinnen haben in diesem Jahr schon in "Papatya"-Unterkünften Zuflucht vor den eigenen Familien gefunden.
"Ich bin in akuter Lebensgefahr!"
Özlem* ist eine von ihnen. Gerade sei man dabei, alle ihre Spuren zu verwischen, sagt Müller. Deshalb könne sie nur so viel verraten: Özlem ist 20, kommt aus Westdeutschland. Ihre Eltern wollten sie in der Türkei mit einem Mann verheiraten, den sie nicht kennt. Özlem gelang es nicht, die Familie umzustimmen. Der Druck auf sie wurde immer größer, Angehörige bedrohten sie massiv. Schließlich gelang der jungen Frau die Flucht in eine andere Stadt. Bei "Papatya" hat sie vorübergehend eine Unterkunft gefunden. Jetzt hat sie große Angst, dass ihre Familie sie doch findet.
Auch Becker von "Hatun und Can" berichtet von einer Serie von Hilferufen in jüngster Zeit. Mehrere Anrufe hätten ihn in den vergangenen Tagen erreicht. Mädchen und junge Frauen baten ihn, sich als deutscher Arzt auszugeben - damit er "den Eltern einen Brief schreibt, dass ihre Tochter operiert werden muss, am Blinddarm oder Ähnliches". Ein vorgetäuschter Krankenhausaufenthalt statt des Flugs in die Türkei: Das ist für viele die letzte Hoffnung.
Vor einigen Wochen holte eine Mitarbeiterin von "Hatun und Can" ein Mädchen aus München ab. Sie kam nur mit einer Plastiktüte in der Hand. Zuvor war eine E-Mail bei dem Verein eingegangen: "Ich kann nicht viel sagen. Nur so viel: Ich bin in akuter Lebensgefahr!" Ihr drohte die Zwangsheirat. Der Hilfsverein lotste das Mädchen zu einem Treffpunkt bei der Polizei.
2. Teil: Für 50.000 Euro eine Zweitfrau aus der Türkei gekauft
Zwangshochzeiten werden auch von der Türkei aus nach Deutschland arrangiert. Eine Mitarbeiterin von "Hatun und Can" schildert einen aktuellen, besonders haarsträubenden Fall: Ein Mann in Berlin, verheiratet mit einer Türkin, wollte eine zweite Frau aus der Heimat. "50.000 Euro zahlte er der Familie für die zweite Braut - der er natürlich nichts davon sagte, dass er in Deutschland schon eine Frau hatte." Das Paar habe bei einem Imam in der Türkei geheiratet, dann kam sie per Touristenvisum mit zu ihm nach Berlin. "In Deutschland sperrte er die zweite Frau in den Keller. Er schlug sie. Sie verlor ihr Baby."
Irgendwann sei ihr die Flucht in eine westdeutsche Stadt geglückt, sagt Becker. "Sie ist in den Zug gestiegen, hat sich die Fahrt über auf einer Toilette eingesperrt, weil sie keine Fahrkarte hatte." Beim Aussteigen sprach sie in ihrer Not eine türkische Familie auf dem Bahnsteig an, die sie erstmal aufnahm.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen gegen den Mann. Die Frau aber kann nicht zurück zu ihrer Familie in die Türkei, die sie verkauft hat. "Das Geld können die nicht mehr zurückzahlen. Und das bedeutet, dass sie immer noch 'verkauft' ist", sagt Becker. Die einzige Möglichkeit sei jetzt, die Frau in ein Frauenhaus in der Türkei zu schaffen. Denn in Deutschland lebt sie wegen des abgelaufenen Visums schon illegal.
Forderungen nach längerem Wiederkehrrecht
Zwangsheirat im Sommerurlaub, Braut-Import nach Deutschland - die Frauenrechtsorganisation "Terre des Femmes" kritisiert in diesem Zusammenhang auch die deutschen Ausländergesetze. Mädchen oder Frauen mit nicht-deutscher Staatsbürgerschaft dürfen nicht mehr nach Deutschland zurückkehren, wenn sie länger als sechs Monate im Ausland waren. Das heißt: "Wenn ein Mädchen von ihren Eltern in die Türkei verschleppt, verheiratet, dann misshandelt wird und erst nach einem halben Jahr das Geld für eine Flucht beisammen hat - dann bekommt sie in Deutschland keine Chance mehr für einen Aufenthalt", sagt Myria Böhmecke. "Terre des Femmes" fordert eine Verlängerung des Wiederkehrrechts auf drei Jahre.
Genaue Zahlen über Zwangsheiraten gibt es nicht, nur Schätzungen. Jedes Jahr werden wahrscheinlich weit mehr als tausend Frauen und Mädchen in Deutschland Opfer - und das Problem wird scheinbar größer. Bei "Terre des Femmes" haben sich in den vergangenen zwei Jahren fast doppelt so viele Betroffene gemeldet wie in den Jahren davor. "Und auch die Zahl derer, denen Verschleppung ins Ausland droht, ist gerade vor den Sommerferien stark angewachsen", sagt Böhmecke.
Um gegenzusteuern, sei es "sehr wichtig, dass Jugendamtsmitarbeiter besser geschult werden", fordert die Helferin. Sie erzählt von einem 13-jährigen Mädchen, das sich an das Jugendamt wandte, weil sie sich vor einer Zwangsheirat fürchtete. Erst glaubten die Mitarbeiter ihr, dann überredete die Mutter das Mädchen, zur Familie zurückzukehren. Ein paar Tage später eskalierte die Situation erneut. Die 13-Jährige bat wieder um Hilfe beim Jugendamt. Dort tat man die Anfrage als pubertär ab - und ließ das Mädchen ohne Hilfe stehen.
Zwei Tage später wurde es in die Türkei geschafft. "Und dann können wir meist nichts mehr machen", sagt Böhmecke.
[h3]Zum Urlaub in die Ehehölle[/h3]
Sie fahren in den Sommerferien in die Türkei, in den Libanon, ins Kosovo - und kommen nie mehr zurück. Für viele junge Migrantinnen wird der Urlaub zur Reise in die Zwangsehe. Frauenorganisationen werden derzeit mit Hilferufen überhäuft
![0,1020,700715,00.jpg](http://www.spiegel.de/img/0,1020,700715,00.jpg)
Berlin - Eigentlich sollte Andreas Becker* vom Berliner Hilfsverein "Hatun und Can" in den vergangenen Tagen einen wichtigen Anruf bekommen. Von einer 17-jährigen Kurdin aus Neukölln, deren Eltern für den Sommerurlaub eine Zwangsheirat in der Türkei angesetzt hatten. Bekannte waren auf das Mädchen aufmerksam geworden. Sie kontaktierten Hilfsorganisationen - doch zu spät.
Das Mädchen ist inzwischen in der Türkei. Die Vorbereitung der Zwangsheirat läuft.
Es ist Sommer in Deutschland - und "unheimlich viel los", sagt Carola Müller* von der deutsch-türkischen Frauenorganisation "Papatya". "Bei uns ist es voll, und auch die Frauenhäuser sind voll." Denn direkt vor und nach den großen Ferien brauchen besonders viele Mädchen und Frauen Rettung.
Es funktioniert immer nach dem gleichen Prinzip. Die Mädchen sind mit der Schule fertig, oder die Eltern sehen sie mit ihrem Freund - und plötzlich muss alles ganz schnell gehen. Es wird eine Zwangsehe arrangiert. Die betroffenen jungen Frauen ahnen: In diesen Sommerferien haben ihre Eltern ganz spezielle Pläne für sie. "Sie bekommen mit, dass Verlobungen geplant sind", sagt Müller. "Dann wollen sie eine Reise in die Heimat im letzten Moment verhindern. Oder sie wurden im Urlaub in der Türkei zwangsverlobt und wollen sich danach in Deutschland schützen."
Immer öfter kommen Hochzeiten unter massivem Druck, mit Drohungen und körperlicher Gewalt zustande, berichten Helfer. 40 junge Migrantinnen haben in diesem Jahr schon in "Papatya"-Unterkünften Zuflucht vor den eigenen Familien gefunden.
"Ich bin in akuter Lebensgefahr!"
Özlem* ist eine von ihnen. Gerade sei man dabei, alle ihre Spuren zu verwischen, sagt Müller. Deshalb könne sie nur so viel verraten: Özlem ist 20, kommt aus Westdeutschland. Ihre Eltern wollten sie in der Türkei mit einem Mann verheiraten, den sie nicht kennt. Özlem gelang es nicht, die Familie umzustimmen. Der Druck auf sie wurde immer größer, Angehörige bedrohten sie massiv. Schließlich gelang der jungen Frau die Flucht in eine andere Stadt. Bei "Papatya" hat sie vorübergehend eine Unterkunft gefunden. Jetzt hat sie große Angst, dass ihre Familie sie doch findet.
Auch Becker von "Hatun und Can" berichtet von einer Serie von Hilferufen in jüngster Zeit. Mehrere Anrufe hätten ihn in den vergangenen Tagen erreicht. Mädchen und junge Frauen baten ihn, sich als deutscher Arzt auszugeben - damit er "den Eltern einen Brief schreibt, dass ihre Tochter operiert werden muss, am Blinddarm oder Ähnliches". Ein vorgetäuschter Krankenhausaufenthalt statt des Flugs in die Türkei: Das ist für viele die letzte Hoffnung.
Vor einigen Wochen holte eine Mitarbeiterin von "Hatun und Can" ein Mädchen aus München ab. Sie kam nur mit einer Plastiktüte in der Hand. Zuvor war eine E-Mail bei dem Verein eingegangen: "Ich kann nicht viel sagen. Nur so viel: Ich bin in akuter Lebensgefahr!" Ihr drohte die Zwangsheirat. Der Hilfsverein lotste das Mädchen zu einem Treffpunkt bei der Polizei.
2. Teil: Für 50.000 Euro eine Zweitfrau aus der Türkei gekauft
Zwangshochzeiten werden auch von der Türkei aus nach Deutschland arrangiert. Eine Mitarbeiterin von "Hatun und Can" schildert einen aktuellen, besonders haarsträubenden Fall: Ein Mann in Berlin, verheiratet mit einer Türkin, wollte eine zweite Frau aus der Heimat. "50.000 Euro zahlte er der Familie für die zweite Braut - der er natürlich nichts davon sagte, dass er in Deutschland schon eine Frau hatte." Das Paar habe bei einem Imam in der Türkei geheiratet, dann kam sie per Touristenvisum mit zu ihm nach Berlin. "In Deutschland sperrte er die zweite Frau in den Keller. Er schlug sie. Sie verlor ihr Baby."
Irgendwann sei ihr die Flucht in eine westdeutsche Stadt geglückt, sagt Becker. "Sie ist in den Zug gestiegen, hat sich die Fahrt über auf einer Toilette eingesperrt, weil sie keine Fahrkarte hatte." Beim Aussteigen sprach sie in ihrer Not eine türkische Familie auf dem Bahnsteig an, die sie erstmal aufnahm.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen gegen den Mann. Die Frau aber kann nicht zurück zu ihrer Familie in die Türkei, die sie verkauft hat. "Das Geld können die nicht mehr zurückzahlen. Und das bedeutet, dass sie immer noch 'verkauft' ist", sagt Becker. Die einzige Möglichkeit sei jetzt, die Frau in ein Frauenhaus in der Türkei zu schaffen. Denn in Deutschland lebt sie wegen des abgelaufenen Visums schon illegal.
Forderungen nach längerem Wiederkehrrecht
Zwangsheirat im Sommerurlaub, Braut-Import nach Deutschland - die Frauenrechtsorganisation "Terre des Femmes" kritisiert in diesem Zusammenhang auch die deutschen Ausländergesetze. Mädchen oder Frauen mit nicht-deutscher Staatsbürgerschaft dürfen nicht mehr nach Deutschland zurückkehren, wenn sie länger als sechs Monate im Ausland waren. Das heißt: "Wenn ein Mädchen von ihren Eltern in die Türkei verschleppt, verheiratet, dann misshandelt wird und erst nach einem halben Jahr das Geld für eine Flucht beisammen hat - dann bekommt sie in Deutschland keine Chance mehr für einen Aufenthalt", sagt Myria Böhmecke. "Terre des Femmes" fordert eine Verlängerung des Wiederkehrrechts auf drei Jahre.
Genaue Zahlen über Zwangsheiraten gibt es nicht, nur Schätzungen. Jedes Jahr werden wahrscheinlich weit mehr als tausend Frauen und Mädchen in Deutschland Opfer - und das Problem wird scheinbar größer. Bei "Terre des Femmes" haben sich in den vergangenen zwei Jahren fast doppelt so viele Betroffene gemeldet wie in den Jahren davor. "Und auch die Zahl derer, denen Verschleppung ins Ausland droht, ist gerade vor den Sommerferien stark angewachsen", sagt Böhmecke.
Um gegenzusteuern, sei es "sehr wichtig, dass Jugendamtsmitarbeiter besser geschult werden", fordert die Helferin. Sie erzählt von einem 13-jährigen Mädchen, das sich an das Jugendamt wandte, weil sie sich vor einer Zwangsheirat fürchtete. Erst glaubten die Mitarbeiter ihr, dann überredete die Mutter das Mädchen, zur Familie zurückzukehren. Ein paar Tage später eskalierte die Situation erneut. Die 13-Jährige bat wieder um Hilfe beim Jugendamt. Dort tat man die Anfrage als pubertär ab - und ließ das Mädchen ohne Hilfe stehen.
Zwei Tage später wurde es in die Türkei geschafft. "Und dann können wir meist nichts mehr machen", sagt Böhmecke.