Wie ist der Umgang der Türkei mit Christen? Wie werden sie behandelt und, vor allem, kann man sich furchtlos als „Christ“ bezeichnen?
Die ZEIT veröffentlichte soeben einen ziemlich interessanten Artikel über die neuen Lehrpläne der Lisesi-Schule in Konstantinopel, wo Deutschland Lehrer entsendet, nach denen
Weihnachten vom Lehrplan gestrichen wurde. Generell zeige sich eine besondere Tendenz der AKP-Regierung, kirchenunabhängige Schulen in einen islamische Richtung zu treiben.
Das Kulturabkommen zwischen Deutschland und der Türkei scheint damit gebrochen zu sein.
Auch eine interessante Bemerkung, die ich in Wikipedia bei der Recherche über die Demographie gelesen habe:
Nach offiziellen Statistiken sind 99,8 % der türkischen Bevölkerung
Muslime. Die Schätzungen zu der Zahl der
Sunniten und
Aleviten schwankt stark. Demnach sind 65 bis 85 %
Sunniten, die restlichen 15 bis 35 %
Aleviten. Außerdem leben in der Türkei 0,1 %
Christen (60.000) und 0,02 %
Juden (17.000). 1918 lebten jedoch noch etwa 2.983.000 Christen auf dem Gebiet der heutigen asiatischen Türkei, davon 1.479.000
Armenier und 1,5 Millionen
Griechen. 1923 wurden noch 100.000
Juden in der Türkei gezählt.
Die offiziellen Zahlen sind falsch, weil jeder Einwohner der Türkei, wenn er
nicht explizit als einer anderen Religion zugehörig erklärt wird, automatisch als Moslem erfasst wird. Ein Pendant zum
Kirchenaustritt gibt es nicht, so dass auch
Atheisten und Agnostiker offiziell als Moslems geführt werden. Die Zahl der nicht-religiösen Einwohner der Türkei ist daher nicht bekannt.
Was ist das Bestreben der türkischen Politik? Will man eine offizielle islamische Dominanz aufzeigen, indem man Statistiken fälscht?
Das Christen-Hilfswerk Open Doors, was sich für verfolgte Christen auf der ganzen Welt einsetzt, führt die
die Türkei in seiner Liste der 50 für Christen gefährlichsten Länder:
[h=2]2. Triebkräfte von Verfolgung[/h] Die Triebkraft der Verfolgung von Christen in der Türkei ist „Islamischer Extremismus“.
Islamischer Extremismus: Der islamische Extremismus hat Auswirkungen auf alle Christen in der Türkei. Er wird zusätzlich durch ein hohes Maß an Nationalismus verstärkt. Den größten Druck erfahren Christen muslimischer Herkunft (Konvertiten). Familie, Freunde und Gesellschaft versuchen mit aller Macht, sie zum Islam zurückzubringen, dem Glauben ihrer Vorfahren. Tritt jemand gegen den Willen der Familie zum christlichen Glauben über, so gilt es als Frage der Familienehre, dies vor Verwandten, Nachbarn und Bekannten zu verheimlichen. Das hohe Maß an Nationalismus verstärkt den Druck auf Konvertiten zusätzlich. Nach allgemeiner Überzeugung kommt ein „echter“ Türke als Muslim zur Welt; jedes Ausweisdokument enthält die Religionszugehörigkeit. Deshalb ist eine Hinwendung zum christlichen Glauben nicht nur eine Verletzung der Familienehre, sondern wird ebenfalls als Beleidigung der türkischen Identität verstanden. Dies kann zu Gerichtsverhandlungen und Inhaftierungen führen. Diese Mischung aus Islam und Nationalismus hat auch Auswirkungen auf andere Christen aus ethnischen Minderheiten. Sie werden kaum als vollwertige Mitglieder der türkischen Gesellschaft angesehen und erfahren alle Arten rechtlicher und bürokratischer Behinderungen. Im August 2015 haben 15 türkische protestantische Pastoren Todesdrohungen des Islamischen Staates (IS) erhalten; im Folgemonat wurden einige in einem IS-Video angegriffen. Die Hauptaussage des Videos war: „Konvertiere oder stirb!“
Die AKP ist verantwortlich für den allmählichen Abbau des türkischen Säkularismus, der 1923 von Kemal Atatürk eingeführt wurde. Stattdessen verfolgt die AKP nun eine Agenda der Islamisierung des Landes.
Man mag nun glauben, diese Entwicklung sei nur von „Ali-Normalbürgern“ verstärkt worden, dass der Islam und der Nationalismus somit quasi „von allein“ wieder vermehrt an Aufschwung gewinnt. Aber das Portal hat auch über das
Leben im Staat ausführliche Informationen geliefert und beweist mehrmals, dass der Nationalismus verstärkt von der türkischen Regierung vorangetrieben wird.
Das lässt sich nicht nur anhand der Entwicklung in Religionsfragen erkennen, sondern auch an anderen Feldern: Gegen Griechenland wird aggressiver vorangegangen, es gibt eine Art Generalverdacht gegenüber Kurden, gegen Deutschland wurde versucht, nach der Armenien-Resolution restriktiver vorzugehen.
Das Streichen von Weihnachten aus den Lehrplänen ist somit offensichtlich ein weiterer Schritt, der sich von der so oft gerühmten laizistischen Einstellung des türkischen Staats entfernt.