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Brasilien - Soziales Ökonomie Ökologie Politik

Yassir

Gesperrt
Freitag 28. Dezember 2018 10:07
«Jetzt haben die reichen Weissen die heuchlerische Maske abgelegt»

Ab 2019 wird Brasilien vom rechtsextremen Jair Bolsonaro regiert. Wie konnte es so weit kommen? Schriftsteller Luiz Ruffato ringt nach Erklärungen.








«Tieftraurig» über die Entwicklungen in seinem Land: Luiz Ruffato in seinem Appartement in Sao Paolo. Foto: Getty



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    Ane Hebeisen

9266

Brasilien hat einen Präsidenten gewählt, der seine politischen Gegner aus dem Land verbannen will, der die Militärdiktatur verherrlicht und sich mehrfach rassistisch und homophob geäussert hat. Sind Sie überrascht?
Es war schon länger zu beobachten, dass immer mehr Brasilianer empfänglich wurden für autoritäre Predigten, wie sie an Veranstaltungen von Jair Bolsonaro zu hören waren. Überrascht bin ich also nicht. Bloss traurig. Tieftraurig.




Stefan Zweig, der vor den Nazis nach Brasilien geflohen ist, hat ein Bild des Landes gezeichnet, in dem alle Ethnien friedlich zusammenleben. Das hat sich in den Köpfen der Europäer festgesetzt. Was ist mit diesem friedliebenden Land passiert?
Es hat nie existiert! Dies ist eine romantische Vision. Wie kann man sich Frieden und Gleichberechtigung zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen in einem Land vorstellen, das mit dem Völkermord an der indigenen Bevölkerung und mit einer brutalen Sklaverei von Schwarzafrikanern geboren wurde. Brasilien war schon immer ein ungleiches, rassistisches und klassizistisches Land.

Die Arbeiterpartei PT, der die einstigen Präsidenten Lula da Silva und Dilma Rousseff angehören, wollte das Land einen. Nun hinterlässt die Partei eine fundamental gespaltene Gesellschaft. Eine Ironie der Geschichte?
Die Verantwortung für die Spaltung der brasilianischen Gesellschaft liegt nicht beim PT. Ich glaube nicht einmal, dass es die Partei so sehr darauf anlegte, die Vereinigung der brasilianischen Gesellschaft zu fördern. Diese ist und war immer in verschiedene Stände unterteilt. Es hat noch nie ein Projekt gegeben, das Land Brasilien in eine Nation Brasilien zu verwandeln. Die Reichen und Mächtigen haben die Bevölkerung immer als ein blosses Behältnis für billige Arbeitskräfte betrachtet, das dem Erreichen ihrer Ziele diente. Deshalb halten sie sogar die Armut unter Kontrolle, denn in Brasilien ist Armut eine Form der Dominanz. Was im letzten Wahlkampf geschah, war nur eine Zuspitzung des Klassenkampfs: Die Bevölkerung der reichen weissen Brasilianer zeigte ihre tiefe Verachtung gegenüber armen Weissen, Schwarzen und Indios. Das ist nichts Neues, doch erst jetzt haben sie die heuchlerische Maskerade beiseitegelegt.


Video: Rechtspopulist Jair Bolsonaro zum Präsidenten gewählt





Seine Wahl könnte einen radikalen Politikwechsel in Brasilien nach sich ziehen. Video: AFP

Die Arbeiterpartei hat versucht, einen sozialen Ausgleich zu schaffen und gleichzeitig die Wirtschaft zu stärken. Vor allem Lula war damit anfänglich erfolgreich. Warum ist der PT nun so kolossal gescheitert?
In den ersten beiden Regierungen von Lula gab es eine Wette auf die Produktion von Konsumgütern und auf Rohstoffe. Das bescherte uns ein gigantisches Wachstum. Aber diese Vorteile bewegten sich eben im Rahmen des Konsums und waren nicht auf strukturelle Verbesserungen für die allgemeine Bevölkerung wie Bildung und Gesundheit ausgerichtet. Mit anderen Worten, wir investierten in die Verbraucher, aber nicht in die Bürger. Die Regierung Dilma konnte dann die anfänglichen Wachstumsraten nicht mehr halten.

Das reichte, dass ein ganzes Wertegebilde zusammenbrach?
Es gab in der Krise nicht nur die Frustration der Bürger, die während der Lula-Administration in die Mittelschicht aufgestiegen waren. Es wuchs auch der Groll der konsolidierten Mittelschicht, die sich nie damit abfinden konnte, dass sie ihre exklusiven Räume in Flughäfen, Universitäten oder Eigentumswohnungen verlor und mit der neuen Mittelschicht teilen musste. Diese neue Mittelschicht war nämlich gemischt oder schwarz – und deshalb in ihren Augen schlecht. Klar, der PT hat seine eigene Arbeit durch Korruption getrübt. Aber gescheitert ist er nicht, weil die Bevölkerung ihn moralisch abgestraft hat, er scheiterte an den kleinlichen Eigeninteressen der Brasilianer, die ihre Privilegien in Gefahr sahen.

Sie gelten als minuziöser Beobachter der brasilianischen Gesellschaft. Ihre Betrachtungen des Landes, die sich über fünf Romane erstrecken, haben Sie unter den finsteren Titel «Die vorläufige Hölle» gestellt. Droht nun die endgültige Hölle?
Ich wage keine Prognose. Brasilien erlebte einen brutalen Wandel seiner sozialen Struktur. In nur 50 Jahren haben wir uns von einem grösstenteils ländlichen Land zu einem urbanen Land entwickelt, ohne dass diese Veränderung geplant war. Zum Veranschaulichen: 1950 lebten 65 Prozent der brasilianischen Bevölkerung auf dem Land, heute leben 81 Prozent in Städten. Das Ergebnis ist ein Land mit sehr ernsten Problemen in den Bereichen Stadtverkehr, Freizeit, Gesundheitswesen und Bildung. Ein Land auch mit sehr hohen Gewaltraten und einer unüberwindbaren Kluft zwischen Arm und Reich. Meine Romanserie zeigt dieses Chaos, das in Brasilien stattgefunden hat.

«Obwohl Lula meiner Meinung nach der beste Präsident aller Zeiten war, machte seine Partei unverzeihliche Fehler.»
Die Reihe endet 2003. Danach erlebte Brasilien einen Aufschwung und wurde 2014 aus der Armutsstatistik gestrichen.
Das Land hatte 2003 Luiz Inácio Lula da Silva zum Präsidenten der Republik gewählt, und irgendwie haben wir alle an diese Partei geglaubt. Die Wahl von Lula war, so schien es, die Konsolidierung der linken Ideale, die auf eine gerechtere, tolerantere, bessere Gesellschaft abzielten. Aber leider war das, was wir sahen, ganz anders. Obwohl Lula meiner Meinung nach der beste Präsident aller Zeiten war, machte seine Partei unverzeihliche Fehler in der Regierungsarbeit.

Was werfen Sie dem PT vor?
Er hat sich von den Volksbewegungen gelöst, die der Ursprung und die Stärke der Partei waren. Er hat sich mit den fundamentalistischen Evangelikalen verbündet und auf die alte Kumpanei- und Gefälligkeitspolitik gebaut.

Waren die Programme des PT also bloss Symbolpolitik, wie die Anhänger Bolsonaros behaupten?
Mit Symbolpolitik hätte der Hunger nicht besiegt werden können. Zwischen 2002 und 2013 ist die Zahl der an chronischer Unterernährung leidenden Menschen um 82 Prozent gesunken. Rund 30 Millionen Brasilianer haben die extreme Armut hinter sich gelassen. Dies ist eine unbestreitbare Leistung der Lula-Regierung, die vor allem durch Familienbeihilfen erreicht wurde. Dazu kamen die Rassen- und Sozialquoten, die Schwarzen, Indios und auch einkommensschwachen Weissen den Zugang zur Hochschulbildung ermöglichten, von der sie zuvor ausgeschlossen waren. Auch wurden die Rechte der LGBT-Minderheiten und der Frauen ausgeweitet, ebenso die Pressefreiheit oder die Handlungsfreiheit der Justiz. Das war keine Symbolpolitik. Es sind ganz konkrete Errungenschaften der Regierungen Lula und Dilma Rousseff.

«Wir sehen keine Schwarzen und Braune als Ärzte, Ingenieure, Offiziere, Journalisten, Schriftsteller, Zahnärzte, Politiker.»
Bolsonaro will die meisten dieser Programme streichen. Anhänger des neuen Präsidenten argumentieren, die Privilegien für Schwarze oder Indios hätten neues Unrecht geschaffen.
Dieses Argument ist das Argument unserer weissen Elite, die historische Privilegien verteidigt. In 15 Jahren stieg der Anteil der Schwarzen und gemischtrassigen Hochschulabsolventen von 2,2 auf 9,3 Prozent. Und doch bleibt Brasilien ein rassistisches Land: Wir sehen keine Schwarzen und Braune als Ärzte, Ingenieure, Offiziere, Journalisten, Schriftsteller, Zahnärzte, Politiker. Obwohl Braun und Schwarz etwa 55 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Was die Indios betrifft, so sind sie leider nach wie vor der anfälligste Teil der Bevölkerung, und die Regierung von Jair Bolsonaro wird die Situation wohl verschlimmern. Er hat erklärt, dass er die geltende indigene Politik, die zwar unzureichend war, aber einige Grundrechte für ihre Existenz garantiert hatte, vollständig ändern wird. Bolsonaro beabsichtigt, indigene Reservate – die er menschliche Zoos nennt – zu reduzieren oder zu beseitigen, um das Agrarbusiness auszubauen.

Brasilien schien bis vor kurzem keine über Massen politisierte Gesellschaft zu sein. Jahrzehntelang gab es kaum Demonstrationen. Heute stehen sich zwei unversöhnliche politische Lager gegenüber. Warum diese politische Radikalisierung?
Die gab es schon zuvor, bloss wurde sie nicht sichtbar. Die Geschichte Brasiliens ist die Geschichte diktatorischer Regime, die mit sehr wenigen Perioden Demokratie durchsetzt war. Die Epoche, in der wir jetzt leben, ist die längste in unserer gesamten Geschichte der Demokratie. Und sie dauert erst 33 Jahre. Nun haben wir eine Figur zum Präsidenten gemacht, die mit einer Rechtfertigungsrede auf die Militärdiktatur gewählt wurde. Mit anderen Worten: Wenn politische oder ideologische Differenzen früher nicht offenbar wurden, dann nur deshalb, weil es immer eine gewaltige Unterdrückung der aufbegehrenden Kräfte gegeben hat.

Sie fokussieren in Ihren Büchern vornehmlich auf die einfachen Arbeiter Brasiliens. Haben die auch Bolsonaro gewählt?
Aber natürlich. Die Vorstellung, dass die Armen notwendigerweise fortschrittlich sind, ist eine Vision einer Linken, die die Armen eindeutig nicht kennt. Die Armen sind pragmatisch, nicht ideologisch. Während die PT-Regierung das Leben der ärmsten Menschen zu verbessern schien, gelang es ihr, an der Macht zu bleiben. Als die Krise kam und sich diese Bevölkerung in ihren kleinen wirtschaftlichen Eroberungen bedroht fühlte, fiel sie auf die andere Seite.


Bilder: Brasilien wählt neuen Präsidenten




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Er wird neuer Präsident: Der ultarechte Jair Bolsonaro kommt in der Stichwahl auf 55,5 Prozent.Bild: AP




Die Stimmung in Brasilien ist angespannt. Kaum jemand traut sich mehr, über Politik zu reden. Viele der feurigen Posts in den sozialen Medien wurden gelöscht. Vor allem den Gegnern von Bolsonaro ist es mulmig zumute. Ist die Angst berechtigt?
Die Angst ist nicht übertrieben. Immerhin hat Bolsonaro ziemlich beängstigende Gedanken geäussert. Zum Beispiel, dass sich in Brasilien erst mit einem Bürgerkrieg etwas ändern werde und das getan werden müsse, was das Militärregime nicht getan habe: nämlich etwa 30'000 Kriminelle zu töten. Er sei für die Folter und die Todesstrafe, und er wolle die roten Aussenseiter aus der Heimat verbannen.

Dann teilen Sie die Hoffnung vieler Brasilianer nicht, die Ära Bolsonaro könnte nur halb so schlimm werden, wie alle befürchten?
Definitiv nicht.

Besonders Kulturschaffende sehen kaum mehr eine Zukunft im Lande. Viele wollen auswandern. Werden Sie im Land bleiben?
Natürlich. Brasilien ist mein Land, und ich werde für die Ideen kämpfen, an die ich glaube, die von Chancengleichheit, Gerechtigkeit, Würde und Toleranz geprägt sind. Und das kann ich nur, wenn ich hier bin. Das ist auch mein Land, und ich werde es in keiner Weise aufgeben.

«Brasilien hat eine der schlechtesten Leseraten der Welt. 44 Prozent der Bevölkerung lesen nicht.»
Was kann die Literatur ausrichten in einem Land, in welchem kaum Bücher gekauft werden?
Es ist leider wahr. Brasilien hat eine der schlechtesten Leseraten der Welt. 44 Prozent der Bevölkerung lesen nicht. Auf meinen Streifzügen durch Brasilien bin ich trotzdem vielen Menschen begegnet, deren Leben sich durch den Kontakt mit der Literatur völlig verändert haben. Sagen wirs so: Da Brasilien aus potenziellen Lesern besteht, kann die Literatur die Gesellschaft verändern.

Während der Militärdiktatur spielte die Musik eine grosse Rolle. Aus dem Exil heraus spendeten Leute wie Tom Zé, Chico Buarque, Gilberto Gil, Gal Costa oder Caetano Veloso musikalischen Trost oder leisteten geistigen Widerstand. Heute haben viele Musiker Angst, sich zu exponieren.
Das ist traurig, aber wahr. Viele Künstler – natürlich nicht alle – waren Feiglinge, die es vorzogen, sich während des Wahlkampfs hinter einer Neutralität zu verstecken, die es nicht gibt. Sie befürchten nicht nur, Teile ihres Publikums zu verlieren, sondern auch die öffentliche Förderung. Das geschieht nicht nur im Bereich der Musik, sondern in allen Kunstsparten. Es ist ein Jammer.

Im Banner Brasiliens steht «Ordem e Progresso» – Ordnung und Fortschritt. Was würden Sie nach dieser Abstimmung in die Flagge schreiben?
Ich mag die brasilianische Flagge, so wie sie ist. Für mich bedeutet der Slogan Rechtsordnung und sozialen Fortschritt. Ich kämpfe dafür, dass diese Ordnung und dieser Fortschritt endlich Realität werden.





«Tieftraurig» über die Entwicklungen in seinem Land: Luiz Ruffato in seinem Appartement in Sao Paolo. Foto: Getty



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    Ane Hebeisen

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Brasilien hat einen Präsidenten gewählt, der seine politischen Gegner aus dem Land verbannen will, der die Militärdiktatur verherrlicht und sich mehrfach rassistisch und homophob geäussert hat. Sind Sie überrascht?
Es war schon länger zu beobachten, dass immer mehr Brasilianer empfänglich wurden für autoritäre Predigten, wie sie an Veranstaltungen von Jair Bolsonaro zu hören waren. Überrascht bin ich also nicht. Bloss traurig. Tieftraurig.




Stefan Zweig, der vor den Nazis nach Brasilien geflohen ist, hat ein Bild des Landes gezeichnet, in dem alle Ethnien friedlich zusammenleben. Das hat sich in den Köpfen der Europäer festgesetzt. Was ist mit diesem friedliebenden Land passiert?
Es hat nie existiert! Dies ist eine romantische Vision. Wie kann man sich Frieden und Gleichberechtigung zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen in einem Land vorstellen, das mit dem Völkermord an der indigenen Bevölkerung und mit einer brutalen Sklaverei von Schwarzafrikanern geboren wurde. Brasilien war schon immer ein ungleiches, rassistisches und klassizistisches Land.

Die Arbeiterpartei PT, der die einstigen Präsidenten Lula da Silva und Dilma Rousseff angehören, wollte das Land einen. Nun hinterlässt die Partei eine fundamental gespaltene Gesellschaft. Eine Ironie der Geschichte?
Die Verantwortung für die Spaltung der brasilianischen Gesellschaft liegt nicht beim PT. Ich glaube nicht einmal, dass es die Partei so sehr darauf anlegte, die Vereinigung der brasilianischen Gesellschaft zu fördern. Diese ist und war immer in verschiedene Stände unterteilt. Es hat noch nie ein Projekt gegeben, das Land Brasilien in eine Nation Brasilien zu verwandeln. Die Reichen und Mächtigen haben die Bevölkerung immer als ein blosses Behältnis für billige Arbeitskräfte betrachtet, das dem Erreichen ihrer Ziele diente. Deshalb halten sie sogar die Armut unter Kontrolle, denn in Brasilien ist Armut eine Form der Dominanz. Was im letzten Wahlkampf geschah, war nur eine Zuspitzung des Klassenkampfs: Die Bevölkerung der reichen weissen Brasilianer zeigte ihre tiefe Verachtung gegenüber armen Weissen, Schwarzen und Indios. Das ist nichts Neues, doch erst jetzt haben sie die heuchlerische Maskerade beiseitegelegt.


Video: Rechtspopulist Jair Bolsonaro zum Präsidenten gewählt



 
Freitag 28. Dezember 2018 10:07
«Jetzt haben die reichen Weissen die heuchlerische Maske abgelegt»

Ab 2019 wird Brasilien vom rechtsextremen Jair Bolsonaro regiert. Wie konnte es so weit kommen? Schriftsteller Luiz Ruffato ringt nach Erklärungen.








«Tieftraurig» über die Entwicklungen in seinem Land: Luiz Ruffato in seinem Appartement in Sao Paolo. Foto: Getty



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    Ane Hebeisen

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Brasilien hat einen Präsidenten gewählt, der seine politischen Gegner aus dem Land verbannen will, der die Militärdiktatur verherrlicht und sich mehrfach rassistisch und homophob geäussert hat. Sind Sie überrascht?
Es war schon länger zu beobachten, dass immer mehr Brasilianer empfänglich wurden für autoritäre Predigten, wie sie an Veranstaltungen von Jair Bolsonaro zu hören waren. Überrascht bin ich also nicht. Bloss traurig. Tieftraurig.




Stefan Zweig, der vor den Nazis nach Brasilien geflohen ist, hat ein Bild des Landes gezeichnet, in dem alle Ethnien friedlich zusammenleben. Das hat sich in den Köpfen der Europäer festgesetzt. Was ist mit diesem friedliebenden Land passiert?
Es hat nie existiert! Dies ist eine romantische Vision. Wie kann man sich Frieden und Gleichberechtigung zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen in einem Land vorstellen, das mit dem Völkermord an der indigenen Bevölkerung und mit einer brutalen Sklaverei von Schwarzafrikanern geboren wurde. Brasilien war schon immer ein ungleiches, rassistisches und klassizistisches Land.

Die Arbeiterpartei PT, der die einstigen Präsidenten Lula da Silva und Dilma Rousseff angehören, wollte das Land einen. Nun hinterlässt die Partei eine fundamental gespaltene Gesellschaft. Eine Ironie der Geschichte?
Die Verantwortung für die Spaltung der brasilianischen Gesellschaft liegt nicht beim PT. Ich glaube nicht einmal, dass es die Partei so sehr darauf anlegte, die Vereinigung der brasilianischen Gesellschaft zu fördern. Diese ist und war immer in verschiedene Stände unterteilt. Es hat noch nie ein Projekt gegeben, das Land Brasilien in eine Nation Brasilien zu verwandeln. Die Reichen und Mächtigen haben die Bevölkerung immer als ein blosses Behältnis für billige Arbeitskräfte betrachtet, das dem Erreichen ihrer Ziele diente. Deshalb halten sie sogar die Armut unter Kontrolle, denn in Brasilien ist Armut eine Form der Dominanz. Was im letzten Wahlkampf geschah, war nur eine Zuspitzung des Klassenkampfs: Die Bevölkerung der reichen weissen Brasilianer zeigte ihre tiefe Verachtung gegenüber armen Weissen, Schwarzen und Indios. Das ist nichts Neues, doch erst jetzt haben sie die heuchlerische Maskerade beiseitegelegt.


Video: Rechtspopulist Jair Bolsonaro zum Präsidenten gewählt





Seine Wahl könnte einen radikalen Politikwechsel in Brasilien nach sich ziehen. Video: AFP

Die Arbeiterpartei hat versucht, einen sozialen Ausgleich zu schaffen und gleichzeitig die Wirtschaft zu stärken. Vor allem Lula war damit anfänglich erfolgreich. Warum ist der PT nun so kolossal gescheitert?
In den ersten beiden Regierungen von Lula gab es eine Wette auf die Produktion von Konsumgütern und auf Rohstoffe. Das bescherte uns ein gigantisches Wachstum. Aber diese Vorteile bewegten sich eben im Rahmen des Konsums und waren nicht auf strukturelle Verbesserungen für die allgemeine Bevölkerung wie Bildung und Gesundheit ausgerichtet. Mit anderen Worten, wir investierten in die Verbraucher, aber nicht in die Bürger. Die Regierung Dilma konnte dann die anfänglichen Wachstumsraten nicht mehr halten.

Das reichte, dass ein ganzes Wertegebilde zusammenbrach?
Es gab in der Krise nicht nur die Frustration der Bürger, die während der Lula-Administration in die Mittelschicht aufgestiegen waren. Es wuchs auch der Groll der konsolidierten Mittelschicht, die sich nie damit abfinden konnte, dass sie ihre exklusiven Räume in Flughäfen, Universitäten oder Eigentumswohnungen verlor und mit der neuen Mittelschicht teilen musste. Diese neue Mittelschicht war nämlich gemischt oder schwarz – und deshalb in ihren Augen schlecht. Klar, der PT hat seine eigene Arbeit durch Korruption getrübt. Aber gescheitert ist er nicht, weil die Bevölkerung ihn moralisch abgestraft hat, er scheiterte an den kleinlichen Eigeninteressen der Brasilianer, die ihre Privilegien in Gefahr sahen.

Sie gelten als minuziöser Beobachter der brasilianischen Gesellschaft. Ihre Betrachtungen des Landes, die sich über fünf Romane erstrecken, haben Sie unter den finsteren Titel «Die vorläufige Hölle» gestellt. Droht nun die endgültige Hölle?
Ich wage keine Prognose. Brasilien erlebte einen brutalen Wandel seiner sozialen Struktur. In nur 50 Jahren haben wir uns von einem grösstenteils ländlichen Land zu einem urbanen Land entwickelt, ohne dass diese Veränderung geplant war. Zum Veranschaulichen: 1950 lebten 65 Prozent der brasilianischen Bevölkerung auf dem Land, heute leben 81 Prozent in Städten. Das Ergebnis ist ein Land mit sehr ernsten Problemen in den Bereichen Stadtverkehr, Freizeit, Gesundheitswesen und Bildung. Ein Land auch mit sehr hohen Gewaltraten und einer unüberwindbaren Kluft zwischen Arm und Reich. Meine Romanserie zeigt dieses Chaos, das in Brasilien stattgefunden hat.

«Obwohl Lula meiner Meinung nach der beste Präsident aller Zeiten war, machte seine Partei unverzeihliche Fehler.»
Die Reihe endet 2003. Danach erlebte Brasilien einen Aufschwung und wurde 2014 aus der Armutsstatistik gestrichen.
Das Land hatte 2003 Luiz Inácio Lula da Silva zum Präsidenten der Republik gewählt, und irgendwie haben wir alle an diese Partei geglaubt. Die Wahl von Lula war, so schien es, die Konsolidierung der linken Ideale, die auf eine gerechtere, tolerantere, bessere Gesellschaft abzielten. Aber leider war das, was wir sahen, ganz anders. Obwohl Lula meiner Meinung nach der beste Präsident aller Zeiten war, machte seine Partei unverzeihliche Fehler in der Regierungsarbeit.

Was werfen Sie dem PT vor?
Er hat sich von den Volksbewegungen gelöst, die der Ursprung und die Stärke der Partei waren. Er hat sich mit den fundamentalistischen Evangelikalen verbündet und auf die alte Kumpanei- und Gefälligkeitspolitik gebaut.

Waren die Programme des PT also bloss Symbolpolitik, wie die Anhänger Bolsonaros behaupten?
Mit Symbolpolitik hätte der Hunger nicht besiegt werden können. Zwischen 2002 und 2013 ist die Zahl der an chronischer Unterernährung leidenden Menschen um 82 Prozent gesunken. Rund 30 Millionen Brasilianer haben die extreme Armut hinter sich gelassen. Dies ist eine unbestreitbare Leistung der Lula-Regierung, die vor allem durch Familienbeihilfen erreicht wurde. Dazu kamen die Rassen- und Sozialquoten, die Schwarzen, Indios und auch einkommensschwachen Weissen den Zugang zur Hochschulbildung ermöglichten, von der sie zuvor ausgeschlossen waren. Auch wurden die Rechte der LGBT-Minderheiten und der Frauen ausgeweitet, ebenso die Pressefreiheit oder die Handlungsfreiheit der Justiz. Das war keine Symbolpolitik. Es sind ganz konkrete Errungenschaften der Regierungen Lula und Dilma Rousseff.

«Wir sehen keine Schwarzen und Braune als Ärzte, Ingenieure, Offiziere, Journalisten, Schriftsteller, Zahnärzte, Politiker.»
Bolsonaro will die meisten dieser Programme streichen. Anhänger des neuen Präsidenten argumentieren, die Privilegien für Schwarze oder Indios hätten neues Unrecht geschaffen.
Dieses Argument ist das Argument unserer weissen Elite, die historische Privilegien verteidigt. In 15 Jahren stieg der Anteil der Schwarzen und gemischtrassigen Hochschulabsolventen von 2,2 auf 9,3 Prozent. Und doch bleibt Brasilien ein rassistisches Land: Wir sehen keine Schwarzen und Braune als Ärzte, Ingenieure, Offiziere, Journalisten, Schriftsteller, Zahnärzte, Politiker. Obwohl Braun und Schwarz etwa 55 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Was die Indios betrifft, so sind sie leider nach wie vor der anfälligste Teil der Bevölkerung, und die Regierung von Jair Bolsonaro wird die Situation wohl verschlimmern. Er hat erklärt, dass er die geltende indigene Politik, die zwar unzureichend war, aber einige Grundrechte für ihre Existenz garantiert hatte, vollständig ändern wird. Bolsonaro beabsichtigt, indigene Reservate – die er menschliche Zoos nennt – zu reduzieren oder zu beseitigen, um das Agrarbusiness auszubauen.

Brasilien schien bis vor kurzem keine über Massen politisierte Gesellschaft zu sein. Jahrzehntelang gab es kaum Demonstrationen. Heute stehen sich zwei unversöhnliche politische Lager gegenüber. Warum diese politische Radikalisierung?
Die gab es schon zuvor, bloss wurde sie nicht sichtbar. Die Geschichte Brasiliens ist die Geschichte diktatorischer Regime, die mit sehr wenigen Perioden Demokratie durchsetzt war. Die Epoche, in der wir jetzt leben, ist die längste in unserer gesamten Geschichte der Demokratie. Und sie dauert erst 33 Jahre. Nun haben wir eine Figur zum Präsidenten gemacht, die mit einer Rechtfertigungsrede auf die Militärdiktatur gewählt wurde. Mit anderen Worten: Wenn politische oder ideologische Differenzen früher nicht offenbar wurden, dann nur deshalb, weil es immer eine gewaltige Unterdrückung der aufbegehrenden Kräfte gegeben hat.

Sie fokussieren in Ihren Büchern vornehmlich auf die einfachen Arbeiter Brasiliens. Haben die auch Bolsonaro gewählt?
Aber natürlich. Die Vorstellung, dass die Armen notwendigerweise fortschrittlich sind, ist eine Vision einer Linken, die die Armen eindeutig nicht kennt. Die Armen sind pragmatisch, nicht ideologisch. Während die PT-Regierung das Leben der ärmsten Menschen zu verbessern schien, gelang es ihr, an der Macht zu bleiben. Als die Krise kam und sich diese Bevölkerung in ihren kleinen wirtschaftlichen Eroberungen bedroht fühlte, fiel sie auf die andere Seite.


Bilder: Brasilien wählt neuen Präsidenten




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Er wird neuer Präsident: Der ultarechte Jair Bolsonaro kommt in der Stichwahl auf 55,5 Prozent.Bild: AP




Die Stimmung in Brasilien ist angespannt. Kaum jemand traut sich mehr, über Politik zu reden. Viele der feurigen Posts in den sozialen Medien wurden gelöscht. Vor allem den Gegnern von Bolsonaro ist es mulmig zumute. Ist die Angst berechtigt?
Die Angst ist nicht übertrieben. Immerhin hat Bolsonaro ziemlich beängstigende Gedanken geäussert. Zum Beispiel, dass sich in Brasilien erst mit einem Bürgerkrieg etwas ändern werde und das getan werden müsse, was das Militärregime nicht getan habe: nämlich etwa 30'000 Kriminelle zu töten. Er sei für die Folter und die Todesstrafe, und er wolle die roten Aussenseiter aus der Heimat verbannen.

Dann teilen Sie die Hoffnung vieler Brasilianer nicht, die Ära Bolsonaro könnte nur halb so schlimm werden, wie alle befürchten?
Definitiv nicht.

Besonders Kulturschaffende sehen kaum mehr eine Zukunft im Lande. Viele wollen auswandern. Werden Sie im Land bleiben?
Natürlich. Brasilien ist mein Land, und ich werde für die Ideen kämpfen, an die ich glaube, die von Chancengleichheit, Gerechtigkeit, Würde und Toleranz geprägt sind. Und das kann ich nur, wenn ich hier bin. Das ist auch mein Land, und ich werde es in keiner Weise aufgeben.

«Brasilien hat eine der schlechtesten Leseraten der Welt. 44 Prozent der Bevölkerung lesen nicht.»
Was kann die Literatur ausrichten in einem Land, in welchem kaum Bücher gekauft werden?
Es ist leider wahr. Brasilien hat eine der schlechtesten Leseraten der Welt. 44 Prozent der Bevölkerung lesen nicht. Auf meinen Streifzügen durch Brasilien bin ich trotzdem vielen Menschen begegnet, deren Leben sich durch den Kontakt mit der Literatur völlig verändert haben. Sagen wirs so: Da Brasilien aus potenziellen Lesern besteht, kann die Literatur die Gesellschaft verändern.

Während der Militärdiktatur spielte die Musik eine grosse Rolle. Aus dem Exil heraus spendeten Leute wie Tom Zé, Chico Buarque, Gilberto Gil, Gal Costa oder Caetano Veloso musikalischen Trost oder leisteten geistigen Widerstand. Heute haben viele Musiker Angst, sich zu exponieren.
Das ist traurig, aber wahr. Viele Künstler – natürlich nicht alle – waren Feiglinge, die es vorzogen, sich während des Wahlkampfs hinter einer Neutralität zu verstecken, die es nicht gibt. Sie befürchten nicht nur, Teile ihres Publikums zu verlieren, sondern auch die öffentliche Förderung. Das geschieht nicht nur im Bereich der Musik, sondern in allen Kunstsparten. Es ist ein Jammer.

Im Banner Brasiliens steht «Ordem e Progresso» – Ordnung und Fortschritt. Was würden Sie nach dieser Abstimmung in die Flagge schreiben?
Ich mag die brasilianische Flagge, so wie sie ist. Für mich bedeutet der Slogan Rechtsordnung und sozialen Fortschritt. Ich kämpfe dafür, dass diese Ordnung und dieser Fortschritt endlich Realität werden.





«Tieftraurig» über die Entwicklungen in seinem Land: Luiz Ruffato in seinem Appartement in Sao Paolo. Foto: Getty



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9266

Brasilien hat einen Präsidenten gewählt, der seine politischen Gegner aus dem Land verbannen will, der die Militärdiktatur verherrlicht und sich mehrfach rassistisch und homophob geäussert hat. Sind Sie überrascht?
Es war schon länger zu beobachten, dass immer mehr Brasilianer empfänglich wurden für autoritäre Predigten, wie sie an Veranstaltungen von Jair Bolsonaro zu hören waren. Überrascht bin ich also nicht. Bloss traurig. Tieftraurig.




Stefan Zweig, der vor den Nazis nach Brasilien geflohen ist, hat ein Bild des Landes gezeichnet, in dem alle Ethnien friedlich zusammenleben. Das hat sich in den Köpfen der Europäer festgesetzt. Was ist mit diesem friedliebenden Land passiert?
Es hat nie existiert! Dies ist eine romantische Vision. Wie kann man sich Frieden und Gleichberechtigung zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen in einem Land vorstellen, das mit dem Völkermord an der indigenen Bevölkerung und mit einer brutalen Sklaverei von Schwarzafrikanern geboren wurde. Brasilien war schon immer ein ungleiches, rassistisches und klassizistisches Land.

Die Arbeiterpartei PT, der die einstigen Präsidenten Lula da Silva und Dilma Rousseff angehören, wollte das Land einen. Nun hinterlässt die Partei eine fundamental gespaltene Gesellschaft. Eine Ironie der Geschichte?
Die Verantwortung für die Spaltung der brasilianischen Gesellschaft liegt nicht beim PT. Ich glaube nicht einmal, dass es die Partei so sehr darauf anlegte, die Vereinigung der brasilianischen Gesellschaft zu fördern. Diese ist und war immer in verschiedene Stände unterteilt. Es hat noch nie ein Projekt gegeben, das Land Brasilien in eine Nation Brasilien zu verwandeln. Die Reichen und Mächtigen haben die Bevölkerung immer als ein blosses Behältnis für billige Arbeitskräfte betrachtet, das dem Erreichen ihrer Ziele diente. Deshalb halten sie sogar die Armut unter Kontrolle, denn in Brasilien ist Armut eine Form der Dominanz. Was im letzten Wahlkampf geschah, war nur eine Zuspitzung des Klassenkampfs: Die Bevölkerung der reichen weissen Brasilianer zeigte ihre tiefe Verachtung gegenüber armen Weissen, Schwarzen und Indios. Das ist nichts Neues, doch erst jetzt haben sie die heuchlerische Maskerade beiseitegelegt.


Video: Rechtspopulist Jair Bolsonaro zum Präsidenten gewählt




njet!
 

Brasiliens neuer Präsident ist ein Nazi

Jair Bolsonaro Seine Worte lassen erkennen, was für ein Mensch Bolsonaro ist: ein gewaltverherrlichender, homophober, rassistischer, frauenfeindlicher Faschist. Ein Nazi durch und durch
Jakob Reimann | Community






Am vergangenen Sonntag wurde Jair Bolsonaro zum Präsidenten Brasiliens gewählt, der viertgrößten Demokratie der Welt. In der Stichwahl gegen den Kandidaten der Arbeiterpartei (PT) konnte Bolsonaro – ein ehemaliger Offizier der Ära der brasilianischen Militärdiktatur – 55 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Der Wahlverlierer Fernando Haddad war der Ersatzkandidat für den populären Luiz Inácio Lula da Silva, bekannt als Lula, der das Land zwischen 2003 und 2011 regierte, aufgrund fragwürdiger Korruptionsvorwürfe im Gefängnis sitzt und aus der Zeller heraus erneut für die Präsidentschaft kandidieren wollte – die er klar gewonnen hätte.Lula wurde 2011 von seiner Parteikollegin Dilma Rousseff als Präsidentin abgelöst, die wiederum 2016 in einem Staatsreich von Rechtsaußen hinweggeputscht wurde (siehe dazu der in Rio lebende Glenn Greenwald auf JusticeNow!). Seitdem regierte der historisch unbeliebte, hochkorrupte Michel Temer, der einzig und allein die Interessen der neoliberalen Oligarchenkaste des Landes vertritt. Mit der Machtübernahme von Bolsonaro ist Brasilien nun innerhalb weniger Jahre von einer Mitte-Links-Regierung, die Millionen Menschen aus der Armut hieven konnte, über einen korrupten Oligarchen, zu einem offenen Faschisten hin abgestürzt.Bolsonaro wird gerne mit Donald Trump verglichen, „der brasilianische Trump“ oder „Trump of the Tropics“ sind die griffigen Labels der Medien, mit deren Hilfe sie Bolsonaro verständlich machen wollen – ein Mediendilettantismus, der in die Irre führt, da dieser Vergleich viel zu kurz greift: Bolsonaro potenziert die Abscheulichkeiten seines US-Kollegen, ist noch giftiger und hasserfüllter als der giftige und hasserfüllte Despot im Weißen Haus. Politikwissenschaftler Martin Dudenhöffer fand auf JusticeNow! eine passendere Einordnung, als er Bolsonaro als eine Verschmelzung aus dem „demagogischen US-Präsidenten Donald Trump, dem militaristischen ägyptischen Diktator al-Sisi und dem philippinischen Tyrannen, Präsident Rodrigo Duterte“ bezeichnete.
Wikimedia: Jair Bolsonaro pela EC 77 - Médico Militar no SUS (2) von Antonio Cruz/Agência Brasil (CC BY 3.0 br)

Jair Bolsonaro war Offizier in der Ära der brasilianischen Militärdiktatur. Der rechtsextreme Hardliner wird am treffendsten als Mischung aus Amerikas Donald Trump, Ägyptens General Fattah el-Sisi und Rodrigo Duterte von den Philipinen charakterisiert.
Bolsonaro ist durch und durch ein strammer Nazi. Ein Bilderbuch-Faschist. Ein homophober Frauenfeind, ein Rassist. 29 seiner eigenen Statements geben einen Einblick in Bolsonaros menschenfeindliches Weltbild:


Faschismus/Diktatur1. „Ich bin für eine Diktatur, ein Regime der Ausnahme.“ – 1993.2. „Pinochet hätte mehr Menschen töten sollen.“ – Bolsonaro im Dezember 1998 über den faschistischen General Pinochet, der 1973 mit Hilfe der CIA in Chile an die Macht geputscht wurde.


3. „Ich bin für Folter, das wisst ihr. Und die Leute sind auch dafür. “ – Bolsonaro in einer Fernsehsendung, 23. Mai 19994. „Die Situation des Landes wäre heute besser, wenn die Diktatur mehr Menschen getötet hätte.“ – Bolsonaro im Juni 1999.5. TV-Interviewer: Wenn Sie heute der Präsident der Republik wären, würden Sie den Nationalkongress schließen?


Bolsonaro: „Es gibt nicht den geringsten Zweifel! Ich würde am selben Tag einen Putsch organisieren. Am selben Tag! … dann lasst uns schnell einen Putsch machen und direkt die Diktatur einführen“ – 23. Mai 1999.6. „Durch Wahlen werden Sie in diesem Land nichts ändern, oder? Nichts! Absolut gar nichts! Sie werden erst an dem Tag etwas ändern, an dem wir hier einen Bürgerkrieg beginnen. Und die Arbeit erledigen, die das Militärregime nicht getan hat: dreißigtausend Tote! Beginnend mit FHC! [Damaliger Präsident Fernando Henrique Cardoso] Nicht rauswerfen, töten!“ – 23. Mai 1999.7. „Der große Fehler war zu foltern und nicht zu töten. Fickt sie! Fickt sie!“ – Bolsonaro im August 2008 über die mögliche Änderung eines Amnestiegesetzes, wonach die Folterer der Militärdiktatur-Ära bestraft werden könnten.8. Interviewer: Mögen sie ihn [Hitler]?Bolsonaro: „Nein. Was Sie verstehen müssen, ist folgendes: Krieg ist Krieg. Er war ein großartiger Stratege.“ – CQC, TV Bandeirantes, 26. März 2012.9. „Ich gebe der Polizei einen Freibrief zu töten.“ – Veranstaltung in Deerfield Beach, FL, 8. Oktober 2017.



Der brasilianische Nationalkongress, links zum Putsch der Militärdiktatur 1964, die sich Bolsonaro zurückwünscht, rechts eine Demonstration 2016.



Umweltvernichtung10. Bereits im Wahlkampf beklagte Bolsonaro, „dass mehr als 50 Prozent [von Brasiliens] Territorium als indigenes Land, Umweltschutzgebiete oder Nationalparks ausgewiesen sind.“ Es sind in Wahrheit 30 Prozent. Doch Bolsonaro kündigt einen regelrechten Kampf gegen die Umwelt an: „Wenn ich Präsident werde, gibt es keinen einzigen Quadratzentimeter mehr.“Eine Kampfansage an den Amazonas, die grüne Lunge der Erde: Als würden grönländische Politiker versprechen, das gesamte Grönlandeis im Atlantik zu versenken.11. Bolsonaros höchster Berater will sich mit dem Weltklimavertrag „den Hintern abwischen“. Welche Ironie: Auf dem Klimagipfel 2015 in Paris war Brasilien eines jener Länder, die sich vehement für einen ehrgeizigeren Klimavertrag starkmachten.„Wir laufen auf eine dunkle Zeit in Brasiliens Geschichte zu“, meint Paulo Artaxo, Klimaexperte der Universität São Paulo, „Bolsonaro ist das Schlimmste, das der Umwelt passieren konnte.“Gewalt12. „Gewalt wird mit Gewalt bekämpft.“ – The Noite mit Danilo Gentili, SBT, 20. März 2017.13. „Wenn ich Präsident werde … hat jeder Bürger eine Waffe bei sich zu Hause. Es wird keinen Zentimeter für indigene Reservate oder Quilombolas geben [geschützte Siedlungen für Nachkommen entflohener und befreiter Sklaven].“ – Rede in Rio de Janeiro, 3. April 2017.14. Während eines Wahltreffens der Arbeiterpartei (PT) am 1. September 2018 in Acre im Westen Brasiliens: „Wir werden die PT-Anhänger in Acre erschießen!“Religion/Säkularismus15. „Gott über alle! Diese Geschichte eines säkularen Staates existiert nicht, nein. Es ist ein christlicher Staat. Und wenn eine Minderheit dagegen ist, dann haut ab! Lasst uns ein Brasilien für die Mehrheit sein. Minderheiten müssen sich der Mehrheit unterwerfen!“ – Bolsonaro auf einer Veranstaltung in Paraiba, im Februar 2017.Steuerhinterziehung16. „Mein Rat und ich mache es selbst: Bei meinen Steuern betrüge ich so viel wie möglich.“ Programa Câmera Aberta, Band RJ, 23. Mai 1999.Hass auf LGBTQs17. „Wenn dein Sohn anfängt, sich so zu benehmen, irgendwie schwul, schlag ihm mit dem Leder und er wird sein Verhalten ändern.“ – am 17. Oktober 2010, TV Câmara.18. „Ich wäre nicht in der Lage, einen schwulen Sohn zu lieben. Ich werde hier kein Heuchler sein: Ich würde es vorziehen, dass mein Sohn bei einem Unfall stirbt, anstatt mit einem Schnurrbart aufzutauchen. Für mich wäre er tot. “ Bolsonaro gegenüber dem Playboy, 2011.19. „Wenn ein homosexuelles Paar neben mir einzieht, wird es mein Zuhause entwerten! Wenn sie händchenhaltend herumlaufen und sich küssen, entwertet das mein Haus.“ – Playboy Magazine, 7. Juni 2011.20. „Ich habe die Immunität, um zu sagen, dass ich homophob bin, ja, und ich bin sehr stolz darauf. Es geht darum, Schulkinder zu verteidigen.“ – TWTV 5. Juni 2013.


Rassismus21. Im März 2011 fragt Schauspielerin und Sängerin Preta Gil auf TV Bandeirantes: Was würden Sie tun, wenn sich Ihr Sohn in eine schwarze Frau verlieben würde? Bolsonaro darauf: „Oh Preta, ich werde hier nicht über Promiskuität reden. Ich würde dieses Risiko nicht eingehen. Und meine Kinder sind sehr gut erzogen. Sie lebten nie in einer derartigen Umgebung, in der Sie leider leben.“22. Bolsonaro über eine Siedlung, die überwiegend von Menschen afrikanischer Abstammung bewohnt wird, Rede in Rio de Janeiro, 3. April 2017: „Sehen Sie, der leichteste afrikanische Nachkomme wog 100 kg. Sie machen nichts. Sie dienen noch nicht einmal der Fortpflanzung.“23. „Habt ihr jemals einen Japaner gesehen, der um Almosen bettelt? Weil es eine Rasse mit Schamgefühl ist.“ – Rede in Rio de Janeiro, 3. April 2017.24. „Welche historische Schuld haben wir gegenüber den Schwarzen? Ich habe sie nie versklavt. Die Portugiesen haben nie Afrika betreten. Die Schwarzen wurden von Schwarzen hierher geliefert.“ – Im Programm Roda Viva, 30. Juli 2018.Frauenhass25. „Ich habe meine Exfrau nie geschlagen. Aber ich habe mehrere Male daran gedacht, sie zu erschießen.“ – Im Februar 2000.26. Bolsonaro im November 2003 bei einem Streit mit der Kongressabgeordneten Maria do Rosário von der Arbeiterpartei, spätere Ministerin für Menschenrechte: „Ich bin jetzt ein Vergewaltiger. Ich würde dich nie vergewaltigen, du hast es nicht verdient … Schlampe!“ Im Dezember 2014 wird Bolsonaro in der Sendung Zero Hora auf den Vorfall angesprochen und erklärt: „Sie hat es nicht verdient, vergewaltigt zu werden, weil sie sehr hässlich ist. Sie ist nicht mein Typ, ich würde sie nie vergewaltigen.“27. „Es macht mich traurig, die Unternehmerwelt in Brasilien zu sehen. Es ist ein Unglück, in unserem Land ein Chef zu sein, mit all diesen Arbeitsgesetzen. Der Unternehmer sieht einen Mann und eine junge Frau – was wird er denken? ‘Verdammt, die Frau hier hat einen Ring am Finger, sie wird bald schwanger sein‘ Wer wird die Rechnung bezahlen? Der Arbeitgeber. … Und wenn sie zurückkommt, macht sie erstmal einen Monat Urlaub.“ Bolsonaro im Interview mit der Zeitung Zero Hora, im Dezember 2014.28. „Ich würde [eine Frau] nicht mit dem gleichen Gehalt [eines Mannes] beschäftigen.“ – SuperPop, RedeTV!, 15. Februar 2016.29. Bolsonaro über seine fünf Kinder in einer Rede in Rio de Janeiro, April 2017: „Ich habe fünf Kinder. Vier waren Jungen, beim fünften hatte ich einen Moment der Schwäche und eine Tochter kam heraus.“...Dieser Mann wird nun Brasilien regieren. Dieses wunderschöne Land, Lateinamerika und die Welt haben etwas Besseres verdient.


https://www.freitag.de/autoren/jakob-reimann-justicenow/brasiliens-neuer-praesident-ist-ein-naziBolsonaro (Mitte) and Friends fotografieren zwei Frauen, die sich küssen.
 
Latin American governments by political leaning (Red=Left, Blue=Right)

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Brasilien: Genozidverdacht nach Tod von Indigenen
In Brasilien hat die Polizei nach dem Tod von etwa hundert Kindern im Indigenenschutzgebiet der Yanomami Ermittlungen wegen des Verdachts auf Völkermord eingeleitet.

„Wir glauben, dass es sehr klare Hinweise darauf gibt, dass dieser indigenen Bevölkerung Nahrungs- und Sanitärhilfe verweigert wurde“, sagte Justizminister Flavio Dino gestern (Ortszeit) im Fernsehen. Die Ermittlungen richteten sich unter anderem gegen für das Gebiet zuständige Beamte.

Weitere schwere Vorwürfe
Dabei geht es auch um Vorwürfe, Umweltverbrechen begangen und öffentliche Mittel veruntreut zu haben. Die Regierung des neuen Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva entließ zudem 43 Militärangehörige aus der für Ureinwohner zuständigen Behörde FUNAI. Sie waren unter der Regierung des früheren ultrarechten Präsidenten Jair Bolsonaro ernannt worden und werden beschuldigt, die Rechte der Indigenen nicht geschützt zu haben.

 
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