Geschäfte vor Journalismus: Kosovos Medien unter Konzernkontrolle
Die Bosse von Klan Kosova, einem der größten Medienunternehmen des Landes, haben eine einfache Strategie, wenn es um Berichterstattung über ihre wohlhabenden Eigentümer geht: Sie lassen sie weg.
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„Wir durften über nichts berichten, was die Interessen oder das Image der Unternehmen der Eigentümer beeinträchtigen könnte“, erklärt ein langjähriger Journalist von Klan Kosova.
Diese Strategie geriet 2024 ins Rampenlicht, nachdem die USA ein Embargo gegen Comodita Home, die Matratzenfirma der Gebrüder Devolli, verhängten – wegen Vorwürfen unlauterer Preisgestaltung.
„Wir haben den Grund für das Embargo nicht berichtet“, so der Journalist, der – wie die meisten seiner Kollegen, die mit Euractiv sprachen – anonym bleiben möchte aus Angst vor Konsequenzen.
„Später wurde nur noch darüber berichtet, warum die Regierung Unternehmen nicht schützt“, fügte der Journalist hinzu.
In Südosteuropa steht die Pressefreiheit zunehmend unter Druck – besonders in Kosovo, dem kleinen, albanischsprachigen Staat, der sich 2008 von Serbien lossagte.
Der demokratische Rückschritt kommt überraschend, gerade weil Kosovo lange als Versuchslabor für den Staatsaufbau in Europa galt. Die USA und die EU haben seit dem Ende des Unabhängigkeitskriegs vor über 25 Jahren Milliarden investiert – und nehmen bis heute maßgeblich Einfluss auf Politik und Zivilgesellschaft.
Doch die Zeiten, in denen Kosovo als Hoffnungsträger für die Demokratie auf dem Balkan galt, sind weitgehend vorbei – besonders offensichtlich im Mediensektor. Im "
World Press Freedom Index 2025" stürzte das Land auf Platz 99 ab – einen der schlechtesten Werte in Europa. "Reporter ohne Grenzen" nannten die wachsende Einflussnahme politisch vernetzter Wirtschaftskreise und deren schädliche Wirkung auf die redaktionelle Unabhängigkeit als Hauptgründe.
Zwar erscheint Kosovos Medienlandschaft auf dem Papier pluralistisch, doch hinter den Kulissen zeichnen Journalisten ein anderes Bild: Zensur im Dienste wirtschaftlicher Interessen gilt längst als „Normalfall“.
Die Devollis
Kaum jemand verkörpert dieses System so anschaulich wie die Devolli Group – ein weit verzweigtes Wirtschaftsimperium, geführt von den Brüdern Blerim und Shkelqim Devolli, mit Beteiligungen an Kaffee, Matratzen, Medien und Telekommunikation.
Der Konzern betreibt den TV-Sender
Klan Kosova, einen Radiosender und einen Kabelnetzbetreiber – allesamt mediale Schlüsselplattformen. Doch aktuelle und ehemalige Mitarbeiter berichten, dass die redaktionellen Leitlinien klar von Unternehmensinteressen bestimmt werden – nicht von journalistischen Standards.
„Die Struktur ist darauf ausgelegt, die Geschäftsinteressen des Konzerns zu schützen“, so ein weiterer Redakteur von Klan Kosova.
Ein ehemaliger Mitarbeiter wird noch deutlicher: „Wir konnten unseren Beruf nicht professionell ausüben, ohne mit den geschäftlichen Interessen in Konflikt zu geraten. Die Eigentümer wollten eine politische Agenda durchdrücken.“
Der Druck eskalierte 2023, als das Industrieministerium Kosovos die Geschäftslizenz von Klan Kosova aussetzte – wegen einer Eintragung in Serbien, die als verfassungswidrig gewertet wurde.
Während dies öffentlich als Angriff auf die Pressefreiheit diskutiert wurde, zeigten interne Reaktionen tiefere Probleme: Laut einem früheren Angestellten habe Shkelqim Devolli daraufhin alle Programme des Senders auf Kurs gegen Premierminister Albin Kurti gebracht.
„Es war eine Art Mobilisierung aller Fernsehprogramme gegen die Regierung, angetrieben von der Überzeugung, dass die Existenz des Fernsehens bedroht war“, sagte der Insider.
Die Devolli Group sowie die Chefredaktion von Klan Kosova reagierten trotz mehrfacher Anfragen nicht auf Interviewbitten.
Eine Krise der gesamten Region
Die beschriebenen Zustände sind kein Einzelfall. Eine sechsmonatige Recherche mit über 30 Quellen aus ganz Südosteuropa zeigt ein klares Muster: Die Konzentration von Medieneigentum in den Händen mächtiger Wirtschaftsoligarchen, die ihre Medien nutzen, um politische und wirtschaftliche Eigeninteressen abzusichern.
Auch der
EU-Rechtsstaatlichkeitsbericht von 2025 greift diese Problematik auf und fordert mehr Transparenz beim Medieneigentum sowie stärkere Garantien für redaktionelle Unabhängigkeit. Ohne entsprechende Reformen, warnen Beobachter, sei Kosovos EU-Beitritt gefährdet – ebenso wie seine demokratischen Institutionen.
Ein im Februar veröffentlichter
Entwurf des Europäischen Parlaments fordert ebenfalls „größere Transparenz bei Medienbesitz und -finanzierung mit dem Ziel, die Unabhängigkeit und Pluralität der Medien zu stärken.“
Zensur durch Auslassung
Auch andere Medienhäuser folgen ähnlichen Mustern. 2020 strahlte die investigative Sendung
Jeta në Kosovë des Recherchezentrums BIRN einen Beitrag über Briefkastenfirmen mit Verbindungen zu Blerim Devolli aus. Kurz darauf wurde die Sendung – nach 15 Jahren Laufzeit – vom öffentlich-rechtlichen Sender
RTK abgesetzt.
Autorin Jeta Xharra berichtet, der damalige Direktor von
RTK, Ngadhnjim Kastrati, habe ihr gegenüber zugegeben: „Mit dieser Geschichte haben Sie uns Probleme gemacht.“ Später wechselte Kastrati zu
ABC News – einem Sender, der laut Recherchen Verbindungen zum Devolli-Umfeld haben soll.
Kastrati wollte sich auf Anfrage nicht äußern. Auch die Devolli Group ließ mehrfach gestellte Fragen unbeantwortet.
Obwohl die Medienaufsicht BIRN zunächst Verstöße gegen ethische Standards vorwarf, hob ein Gericht in Pristina dieses Urteil auf. Die Sendung wird nun auf
TV Dukagjini ausgestrahlt – einem Sender mit Beteiligung des Unternehmers Ekrem Lluka. Doch auch dort, sagen Mitarbeitende, herrscht redaktioneller Druck.
„Es kam oft vor, dass ich bestimmte Gäste – Politiker oder öffentliche Personen – nicht einladen durfte“, sagt die frühere Redakteurin Besiana Krasniqi, heute beim
ZDF.
Ein weiterer Ex-Journalist erinnert sich an eine unterdrückte Geschichte über Shaban Gogaj, Sohn eines Großinserenten: „Die Redaktion rief sie zurück und untersagte die Veröffentlichung.“ Ähnliche Eingriffe habe es gegeben, als über einen Arzt berichtet werden sollte, der mit einem von Llukas Unternehmen verbundenen Krankenhaus zu tun hatte.
Der Direktor von TV Dukagjini, Ermal Panduri, wies alle Vorwürfe der Einflussnahme zurück.
Unternehmensmacht, öffentliches Schweigen
Das Muster zieht sich durch weitere Sender. Beim Privatsender
ATV, im Besitz der Brüder Tafa – die auch eine Bank, eine Versicherung und eine Privatuni betreiben – sei die Berichterstattung über den Hochschulbereich und Finanzaufsicht zwischen 2022 und 2024 stark eingeschränkt gewesen.
„Wir durften weder über Privatunis noch kritisch über das Bildungsministerium, die Akkreditierungsagentur oder die Zentralbank berichten“, sagt ein ehemaliger Reporter.
Senderchef Ilir Tafa verwies auf die Redaktion. Chefredakteur Leart Hoxha wies jegliche Zensurvorwürfe zurück.
Auch bei
TV1, im Besitz von
ISP Telkos, berichten Journalisten von Anweisungen, kritische Berichte über das Innenministerium zu vermeiden – das 2023 einen VPN-Vertrag über 600.000 Euro mit dem Unternehmen unterzeichnete. Eine andere Quelle berichtete, dass während des Lizenzverfahrens für den Kabelanbieter von Telkos keine kritischen Beiträge über die Medienaufsicht IMC ausgestrahlt wurden – obwohl deren ehemaliger Leiter später wegen Bestechlichkeit angeklagt wurde.
TV1-Inhaber Hebib Dernjani bestreitet jegliche Einflussnahme: „Sie werden keinen unabhängigeren Sender finden als diesen“, sagte er.
Doch viele Journalisten sehen das anders. „Selbst wenn Reporter alle Fakten zu Korruption oder Machtmissbrauch auf dem Tisch haben“, sagt der ehemalige
TV1-Redakteur Agron Halitaj, „wird oft nicht berichtet – wenn politische und wirtschaftliche Interessen zu nah beieinanderliegen. Selbstzensur ist zur Überlebensstrategie geworden.“
Eine gefährliche neue Normalität
Der Europäische Journalistenverband warnt vor einer wachsenden „Kultur der Angst“ in der Region.
„Redaktionen müssen redaktionelle Autonomie haben – auch gegenüber ihren Eigentümern“, betont Generalsekretär Ricardo Gutiérrez. „Leider ist das nicht überall der Fall. Ich fürchte, es ist zur Norm geworden.“
Auch der in Norwegen tätige Medienforscher Abit Hoxha, gebürtiger Kosovare, sieht alarmierende Entwicklungen: „Medienbesitzer haben kein Interesse daran, unabhängige, professionelle Institutionen aufzubauen – sie wollen über die Medien politische Ergebnisse beeinflussen“, sagt er. „Darunter leiden die professionellen Journalist:innen am meisten.“
Kosovo steht vor einer Bewährungsprobe: Die Erosion der Pressefreiheit bedroht nicht nur die Unabhängigkeit der Medien, sondern die demokratische Legitimität der Institutionen insgesamt. Ohne wirksame Reformen, die die Verflechtung von Medien und Geschäftsinteressen durchbrechen, bleibt die Wahrheit auf der Strecke – zugunsten des Profits, und auf Kosten des EU-Beitrittsprozesses.
(cs, mk,jl)
Die Bosse von Klan Kosova, einem der größten Medienunternehmen des Landes, haben eine einfache Strategie, wenn es um Berichterstattung über ihre wohlhabenden Eigentümer geht: Sie lassen sie weg.
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