Martin Beglinger
Er braucht etwas «Unverdorbenes», also eine aus der Heimat importierte Braut.
Image by: Benjamin Güdel
Sie soll froh sein, dass für sie der «Richtige» gefunden wurde.
Image by: Benjamin Güdel
Tausende von Bräuten aus dem Balkan, der Türkei und Sri Lanka werden jährlich in die
Schweiz geholt. Da gibt es nichts zu feiern.
Bald ist wieder Saison. Sommer für Sommer fahren und fliegen Tausende von
Migrantenfamilien aus der Schweiz für zwei oder drei Wochen in ihre Heimatländer, um dort
Ferien zu machen. Und um Hochzeiten einzufädeln. Von der Heiratssaison 2002 in Bosnien
kann zum Beispiel Lejla berichten, die in Wirklichkeit anders heisst, aber nie mit richtigem
Namen an die Öffentlichkeit träte. Zu schwer wiegt für sie die Schmach.
Lejla, heute 23, sitzt in einem Hinterzimmer in der Nähe von Aarau und erzählt, wie sie im
Juli 2002 Besuch aus der Schweiz erhielt. Ein bosnischer Vater, eine Mutter und deren Sohn
standen an ihrer Haustür in Srebrenica. Fremde Leute, die Lejla noch nie zuvor gesehen hatte.
Die junge Frau wusste einzig von ihrem eigenen Vater, dass sie diesen bosnischen Eltern aus
der Schweiz bei einem früheren Besuch in Srebrenica auf der Strasse aufgefallen und offenbar
als valable Ehefrau für ihren Sohn Mersad* taxiert worden war. Lejla war zwar etwas
überrascht von diesem Interesse, denn sie war damals erst 18 und hatte eben Arbeit als
Coiffeuse gefunden. Handkehrum war diese Art des Kennenlernens nichts
Aussergewöhnliches im ländlichen Bosnien.
So unternahm Lejla mit Mersad, der ebenfalls erst 18 und im dritten Lehrjahr war, ein paar
Spaziergänge. Ihr Vater hatte zwar erklärt, sie dürfe auch Nein zu einer eventuellen Heirat
sagen, doch Mersad war ihr sympathisch und wurde es beim Telefonieren und Simsen in den
nächsten sechs Monaten immer mehr. Lejla kannte viele junge Leute, die in den letzten Jahren
Srebrenica verlassen hatten, jene Kleinstadt, die 1995 schreckliche Bekanntheit durch ein
Massaker an mehr als 7000 Bosniaken erlangt hatte. Doch sie selber, Tochter eines Polizisten,
hatte nie ans Auswandern gedacht, bis sie Mersad kennenlernte. Im Dezember 2002 wurde
geheiratet, im Februar 2003 zog Lejla offiziell und ohne grössere Formalitäten in die Schweiz
nach, denn ihr Mann hat die Niederlassungsbewilligung C und damit Rechtsanspruch auf
Ehegattennachzug. Mersad wohnte bei seinen Eltern, die auch für alle Kosten des Nachzugs
aufkamen, und es war nur selbstverständlich, dass seine Frau ebenfalls in die
Viereinhalbzimmerwohnung der Schwiegereltern einzog.
Dort lernte Lejla aber bald Mersads andere Seite kennen. Nach ein paar Wochen war es
vorbei mit der ersten Romantik. Er blieb nächtelang von zu Hause weg. Ihr Mann, so
realisierte Lejla bald, hatte hier eine Freundin, eine Schweizer Freundin, und zwar seit
Langem. Das wussten auch seine Eltern, denn dies war der Grund, warum sie in Bosnien auf
die Suche nach einer Schwiegertochter gegangen waren. Die Braut aus der Heimat sollte ein
Disziplinierungsmittel sein, um ihren Sohn wieder auf den Pfad der Tugend zu bringen. Eine
Schweizer Schwiegertochter hingegen war undenkbar für diese Eltern, obwohl sie seit 25
Jahren in der Schweiz leben. Sie wollten eine «unverdorbene» Frau für ihren Sohn, eine, die
spurt, nicht aufbegehrt, kurz: eine «anständige» Muslimin, und deshalb war für sie nur eine
«uvozena nevjesta», eine importierte Braut aus der Heimat infrage gekommen.
Mersad wiederum hatte nur deshalb in die Heirat eingewilligt, um endlich Ruhe vor seinen
drängenden Eltern zu haben – und um sich dann wieder seiner Schweizer Freundin widmen
zu
können. Alles Einreden auf ihn nützte nichts, er gab seine Schweizer Freundin nicht auf. So
begannen die Eltern bald, die Schwiegertochter zu beschuldigen, dass sie ihren Sohn nicht
genug liebe. Doch Lejla war bereits schwanger, und es war Mersad, der sie zur Abtreibung
aufforderte, was wiederum die Schwiegereltern nicht wollten.
Als der Sohn geboren war, sagte Mersad zu seiner Frau: «Dieses Kind zerstört mein Leben.»
Lejla wusch, kochte, putzte weiterhin für die ganze Familie, ansonsten war sie in der
Wohnung der Schwiegereltern vollkommen isoliert. Kontakte nach aussen waren ihr
verboten. «Am liebsten hätten sie mich per Post nach Bosnien zurückgeschickt», sagt Lejla –
aber ohne Sohn. Die Ehe wurde schliesslich geschieden. Heute ist die Mutter arbeitslos,
spricht trotz RAV-Sprachkurs kaum ein Wort Deutsch und lebt mit ihrem vierjährigen Sohn
mehrheitlich von der Sozialhilfe.
Das arrangieren sie schon
Lejla hat vergleichsweise Glück. Dank der Hilfe eines Anwalts ist sie nicht ins Herkunftsland
abgeschoben worden wie viele andere Geschiedene. «Aufenthaltszweck erfüllt», heisst es
dann
jeweils im Amtsdeutsch, denn der Zweck war der «Verbleib beim Ehemann». Die
zurückspedierten Frauen fallen erst recht zwischen alle Stühle. Ex-Mann und Schwiegereltern
wollen nichts mehr mit ihnen zu tun haben, bei den Migrationsämtern hält man sie für
Scheinbräute und im Herkunftsland für Huren.
Relatives Glück hat Lejla auch deshalb, weil andere sogenannte Importbräute oder -
bräutigame von ihren Eltern zur Hochzeit gezwungen werden, was im schlimmsten Fall mit
einem «Ehrenmord» endet wie 2005 im Tessin.