Mein Parteibuch Zweitblog
Noch ein Parteibuch
Was macht die Türkei anders in Afghanistan?
30. Mai 2011
Die Türkei hat im Rahmen der „Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe“ ISAF seit geraumer Zeit
über 1700 Soldaten in Afghanistan stationiert. Die türkischen Soldaten befinden sich wie die deutschen Soldaten zum Teil in Kabul, zum Teil aber auch in schwerem Gebiet, wie zum Beispiel der
Provinz Wardak, wo die Türkei das Provinzielle Wiederaufbau-Team
PRT Maidan Shahr leitet.
Über die Webseite iCasualties.org, auf der die durch den Afghanistan-Krieg ums Leben gekommenen ausländischen Soldaten aufgelistet werden,
lässt sich herausfinden, dass bisher exakt zwei türkische Soldaten in Afghanistan gestorben sind, und dass
Ursache ihres Todes ein Verkehrsunfall war.
Zum Vergleich: Die USA stellen derzeit etwa 90.000 Soldaten und haben 1595 Tote zu verzeichnen, also etwa 17 Tote pro Tausend Soldaten. Das Vereingte Königreich von Großbritannien und Nordirland hat etwa 9.500 Soldaten in Afghanistan und 368 Tote zu beklagen, also rund 38 Tote pro Tausend stationierte Soldaten. Die deutsche Bundeswehr hat derzeit rund 5.000 Soldaten in Afghanistan stationiert und 52 Todesfälle zu verzeichnen, also etwa zehn Tote pro Tausend stationierte Soldaten.
Bei rund zehn Toten pro Tausend stationierten Soldaten liegt auch die Todesrate der Polen, die etwa 2500 Soldaten in Afghanistan stationiert haben. Bei Italien und Frankreich, die jeweils rund 4.000 Soldate in Afghanistan stationiert haben, liegt die Todesrate bei 14 bzw neun pro Tausend Soldaten. Das sind unter den großen Truppenstellern vergleichsweise niedrige Todesraten. Am höchsten sind die Todesraten bei Kanada und Dänemark, die 2.900 bzw 700 Soldaten in Afghanistan stationiert haben, nämlich jeweils etwa 53 Tote pro Tausend in Afghanistan stationierte Soldaten.
Bei der Türkei sind es hingegen, wie oben bereits erklärt, lediglich etwa ein Toter pro Tausend in Afghanistan stationierte Soldaten, und im krassen Unterschied zu allen anderen großen Truppenstellern ist kein einziger türkischer Soldat in Afghanistan durch eine feindliche Handlung ums Leben gekommen. Was macht die Türkei anders in Afghanistan?
Natürlich hat die Türkei es einfacher, weil sie ein muslimisches Land ist, und die meisten türkischen Soldaten trotz des in der Armee herrschenden sekulären Kemalismus Muslime sind. Die Türken werden in Afghanistan deshalb nicht einfach als Kreuzzügler wahrgenommen. In andren Armeen der NATO gibt es allerdings auch Muslime. So hat die US-Armee beispielsweise im Oktober 2001
stolz bekannt gegeben, dass es in der US-Armee 10.000 bis 20.000 Muslime gebe. In Afghanistan ist von denen jedoch praktisch nichts zu sehen, obwohl es sicher einen Unterschied in der Wahrnehmung machen würde, zumindest die Führungspositionen der ISAF in Afghanistan mit Muslimen besetzt wären, und die muslimischen Offiziere dann natürlich auch dafür sorgen, dass sich die ihnen untergebenen nicht-muslimischen Soldaten sich entsprechend der muslimischen Sitten verhalten.
Wie verhalten sich türkische Soldaten anders? Es fängt bei der Führung an: Trotz hartnäckiger Bitten der USA hat die Türkei keine Kampftruppen nach Afghanistan geschickt. Für Kämpfe hat die Türkei
keinen einzigen Soldaten bewilligt. Die Tükei geht in Afghanistan nicht auf Menschenjagd. Die dahinter stehende Verhaltensregel gibt es auch im Christentum: Du sollst nicht töten! Nur haben die christlichen Soldaten in Afghanistan und insbesondere ihr Führungspersonal diese Regel offenbar vergessen.
In Nuristan zum Beispiel haben die USA mit einem Bombardement gerade
112 Menschen umgebracht, darunter 22 afghanische Polizisten. Und im Distrikt Nawzad haben die USA gerade
zwölf Kinder und zwei Frauen umgebracht. Es braucht sich angesichts dessen niemand zu wundern, dass afghanische Widerstandskämpfer
amerikanische Soldaten umbringen.
Deutlich zu erkennen war das Muster der tödlichen Eskalation auch bei den jüngsten Ereignissen in der Provinz Takhar. Zunächst haben
Koalitionskräfte gemeinsam mit afghanischen Soldaten in der unter deutschem Oberkommando von deutschen Soldaten kontrollierten Provinz Takhar in einem nächtlichen Überfall
vier Afghanen umgebracht, darunter zwei Frauen. Dagegen haben in der Provinzhauptstadt Taloqan einige Tausend Menschen unter anderem vor dem Stützpunkt der deutschen Soldaten dort wütend und Brandsätze werfend protestiert, und deutsche und afghanische Soldaten haben es mit der Angst bekommen
rund ein Dutzend der Protestierenden erschossen und Dutzende weitere verletzt. Kurz
darauf hat ein Selbstmordattentäter im Hauptquartier des Gouverneurs von Taloqan zwei deutsche Soldaten sowie zwei ranghohe afghanische Polizeibosse getötet und den deutschen Kommandeur für Nord-Afghanistan verletzt.
Angefangen hat die Eskalation mit dem nächtlichen Überfall der Koalitionstruppen, bei dem unter anderem zwei Frauen getötet wurden. Die Türkei macht das anders. Türkische Soldaten bringen keine Afghanen um. Und siehe da: Afghanen töten auch keine türkischen Soldaten.
Was macht die Türkei in Afghanistan, wenn türkische Soldaten nicht kämpfen? Die Türkei
hilft afghanischen Bauern dabei, Safran richtig anzupflanzen, sie
bringt Afghanen Lesen und Schreiben bei und sie
eröffnet Computer-Zentren.
Natürlich, ohne zu kämpfen wird die Türkei die Taliban nicht besiegen. Aber warum sollte sie auch? Wie Ulrich Ladurner den Lesern der Zeit vor einem Jahr
eindrucksvoll geschildert hat, werden die Taliban von vielen Afghanen als die kompetentere Alternatve zur in vielerlei Hinsicht unfähigen Karzai-Regierung wahrgenommen. Und wenn die Afghanen von Mullah Omar und seinen Taliban regiert werden wollen, was geht das irgendwelche Ausländer an? Nichts. Es ist eine interne Angelegenheit der Afghanen, zu entscheiden, von wem sie regiert werden wollen und wie die Verfassung ihres Staates aussieht.
Die Beziehungen der Türkei zu den Taliban sind dank des zurückhaltenden Engagements der Türkei in Afghanistan so gut, dass
ernsthaft darüber nachgedacht wird, die Taliban in der Türkei ein offizielles Büro eröffnen zu lassen. Warum auch nicht? Wenn die Taliban ein offizielles Büro haben, wo ihre Ansprechpartner zu erreichen sind, dann fällt es leichter, Missverständnisse auszuräumen und eine Friedenslösung für Afghanistan auszuhandeln.