Russlands Vietnam
Was Präsident Obama von der sowjetischen Niederlage in Afghanistan lernen kann
Der hochdekorierte General saß seinem Oberbefehlshaber gegenüber und erläuterte die Probleme, denen seine Armee beim Kampf in den Hügeln um Kabul gegenüberstand: »Es gibt keinen Quadratmeter in Afghanistan, der nicht eine Zeit lang von einem unserer Soldaten besetzt gewesen wäre«, erklärte er. »Trotzdem bleiben große Teile des Gebietes in den Händen der Terroristen. Wir kontrollieren die Provinzhauptstädte, aber es gelingt uns nicht, die politische Kontrolle über die eingenommenen Gebiete aufrechtzuerhalten.«
Der General fuhr fort: »Unseren Soldaten ist kein Vorwurf zu machen. Sie haben unglaublich tapfer gekämpft. Aber in einem derart weiten Land, wo die Aufständischen einfach in den Hügeln verschwinden können, bringt es nicht viel, Städte und Dörfer kurzzeitig zu besetzen.« Daraufhin forderte er zusätzliche Truppen. »Ohne eine große Zahl weiterer Männer wird dieser Krieg noch eine sehr, sehr lange Zeit dauern«, schloss er.
So oder ähnlich könnten die Worte von General Stanley McChrystal klingen, dem Oberbefehlshaber der amerikanischen Streitkräfte, im Gespräch mit Präsident Obama in den letzten Wochen. Tatsächlich äußerte sie jedoch Sergej Achromejew, der Befehlshaber der sowjetischen Streitkräfte, am 13. November 1986 gegenüber dem sowjetischen Politbüro.
Damals stand die sowjetische Armee im siebten Jahr ihres neunjährigen Konflikts in Afghanistan. Marschall Achromejew, ein Held der Leningrader Blockade im Zweiten Weltkrieg, versuchte zu erklären, warum es so aussah, als werde eine Armee von fast 110000 gut ausgerüsteten Soldaten von einer Bande von »Terroristen« gedemütigt.
Das Protokoll von Achromejews Besprechung mit dem Politbüro wurde jüngst von amerikanischen und russischen Historikern ausgegraben. Diese und weitere Materialien erweitern unser Wissen über die katastrophale Militärkampagne der Sowjets. Obama wäre gut beraten, bei seinen Überlegungen zu Amerikas Zukunft in Afghanistan einige dieser Aufzeichnungen zu lesen; oder auch einige der fesselnden Memoiren sowjetischer Generäle, die dort gekämpft haben. Diese Quellen zeugen von ebenso vielen Ähnlichkeiten wie Unterschieden zwischen den beiden Kriegen – und könnten der Regierung wertvolle Ratgeber sein.
Während des sowjetischen Krieges in Afghanistan fanden zahlreiche Kämpfe an uns inzwischen recht vertrauten Orten statt, so etwa in den Provinzen Kandahar und Helmand.
Die Ausgangsbasis der sowjetischen Operationen war Bagram, das heutige Hauptquartier der US-Armee. Immer wieder änderten die Sowjets im Laufe der Jahre ihre Taktik. Die meiste Zeit jedoch versuchten sie ohne großen Erfolg, den problematischen Süden und Osten des Landes zu befrieden, oft durch bewaffnete Einsätze entlang der Grenze zu Pakistan, über die sich viele der Guerillas bewegten, wie heute die Taliban.
Charakteristisch für jenen Krieg waren Kontroversen zwischen Soldaten und Politikern. Die russischen Dokumente zeigen, dass die Politiker den Einmarsch gegen den Rat der Streitkräfte angeordnet hatten. Kurz bevor die sowjetische Armee am Weihnachtstag 1979 den Marschbefehl bekam, meldete der Chef des sowjetischen Generalstabs, Marschall Nikolaj Ogarkow, Zweifel an. Gegenüber Dmitrij Ustinow, dem langjährigen Verteidigungsminister, meinte er, die Erfahrungen der britischen und zaristischen Armeen im 19. Jahrhundert geböten große Vorsicht. Ustinow erwiderte: »Machen in der Sowjetunion jetzt die Generäle die Politik? Halten Sie den Mund, und gehorchen Sie!«
Daraufhin wandte sich Orgakow an den Chef der KPdSU, Leonid Breschnew. Er warnte, ein Einmarsch »würde den gesamten islamischen Osten gegen uns aufbringen«. – »Konzentrieren Sie sich auf militärische Fragen«, schnitt ihm Breschnew das Wort ab, »und überlassen Sie uns die Politik.«
Schon bald nach dem Einmarsch erkannte die sowjetische Führung, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Ursprünglich war lediglich geplant gewesen, die kommunistische Regierung in Kabul zu unterstützen – hervorgegangen aus einem Staatsstreich, den Moskau zunächst zu verhindern versucht hatte, letztendlich jedoch unterstützen musste. Nach einigen Monaten wollte man sich wieder zurückziehen. Aber der »Heilige Krieg« der Mudschahedin gegen die gottlosen Kommunisten fand große Unterstützung sowohl im Land selbst wie auch jenseits der Grenzen. Aus Amerika und Saudi-Arabien gelangten Geld und hoch entwickelte Waffen nach Afghanistan.
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