Griechenland: Tsipras bringt Merkel in Bedrängnis - DIE WELT
Hat Merkel in Europa bald nichts mehr zu sagen?Der Triumph von Alexis Tsipras in Griechenland verändert die EU. Rechts- und Linkspopulisten bejubeln seinen Erfolg – und wittern ihre Chance, den von der Kanzlerin verordneten Sparkurs zu beenden.
Von Claus Christian Malzahn, Jan Dams,
Martin Greive Martin Greive
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Europas Populistenriege hat mit dem Griechen Alexis Tsipras (2. v. l.) nun einen besonders gefährlichen Gegenspieler für die Kanzlerin. Auch andere (v. l.) wollen Angela Merkels angebliche Herrschaft über Europa brechen, unter ihnen Pablo Iglesias (Spanien), Nigel Farage (Großbritannien), Marine Le Pen (Frankreich) und Beppo Grillo (Italien)Foto: pa/dpa,REUTERS,Getty
"Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet ..." Manifest der Kommunistischen Partei – Karl Marx, Friedrich Engels
Ein Gespenst geht um in Europa. Das Gespenst heißt
Alexis Tsipras. Es lächelt, trägt weiße Hemden zu engen, dunklen Anzügen. Das Gespenst sieht gut aus, der offene Hemdknopf ist Teil einer gewinnenden politischen Strategie.
Doch die alten Mächte in Brüssel und Berlin hat der alerte Grieche kräftig aufgeschreckt. Gut möglich, dass sich
Angela Merkel, Jean-Claude Juncker, Mario Draghi und Christine Lagarde bald zu einer heiligen Hetzjagd auf die Schreckensgestalt aus Athen verabreden. Denn Alexis Tsipras hat sich nichts weniger vorgenommen, als die Sparpolitik der deutschen Kanzlerin zu Fall zu bringen. Er allein könnte das natürlich nie zuwege bringen. Doch der Revoluzzer aus Athen ist kein einsamer Streiter, auch wenn ihn die Spindoktoren in Brüssel und Berlin im Moment als Geisterfahrer beschreiben.
Denn Tsipras' Anti-Merkel-Kurs genießt offene und heimliche Sympathien in ganz Südeuropa. Und so müssen die Kanzlerin und ihr Finanzminister befürchten, dass über den Regierungswechsel in Athen mithilfe anderer Regierungen ein genereller Kurswechsel in Europa eingeleitet werden könnte.
"Frech und unverschämt" findet EU-Kommissar Günther Oettinger das Auftreten des griechischen Newcomers. Das kann schon sein. Aber es ist trotzdem gut möglich, dass Tsipras am Ende dieses Jahres nicht der einzige politische Außenseiter sein wird, der sich plötzlich im Zentrum der Macht wiederfindet.
[h=2]Einen genauen Schlachtplan hat Tsipras nicht[/h]Tsipras glaubt, dass seine Landsleute genug gelitten haben – ein Lebens- und Leidensgefühl, das viele Portugiesen, Spanier oder Italiener teilen. Die Krise hat seit 2010 vor allem die Mittelschicht brutal getroffen. Die Arbeitslosigkeit stieg in
Griechenland auf 27 Prozent, die Gehälter sanken um fast ein Drittel. Selbst in der Großen Depression in den USA während der 1930er-Jahre waren die Zahlen nicht so schlimm.
Verzweifelte Zeiten erfordern manchmal verzweifelte Maßnahmen – das scheint die Devise der griechischen Wähler gewesen zu sein. Alexis Tsipras hofft allerdings, dass seine Wahl viel mehr bedeutet als nur einen demokratischen Regierungswechsel. Er will einen Systemwechsel in der Europäischen Union. Wie das genau aussehen und wie es sich finanzieren soll, weiß er wohl selbst noch nicht ganz genau. Nur eines ist gewiss: In Tsipras' Europa gibt es sehr wenig Merkelismus und sehr viel Sozialismus – auf Kosten der Deutschen.
Der 40-jährige unverheiratete Familienvater will für seine gebeutelten Landsleute deutliche Verbesserungen herausholen. Die Staatsquote in Griechenland soll wieder rauf, ein 50-prozentiger Schuldenschnitt durchgesetzt werden. In der Wahl seiner Mittel ist er dabei nicht zimperlich. Als Koalitionspartner suchte sich Tsipras ausgerechnet die rechte Kleinpartei Anel aus. Ungläubig schauen selbst hartgesottene Politprofis auf das Populisten-Kabinett.
Griechenland
Varoufakis erteilt EU-Hilfskonzept eine Absage
Kaum im Amt, sorgte der neue Finanzminister Janis Varoufakis nach einem Treffen mit Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem am Freitag in Athen für einen Eklat, als er die
Zusammenarbeit mit der Troika aufkündigte. Der neue Verteidigungsminister, Anel-Chef Panos Kammenos, verbreitete vor Kurzem die Verschwörungstheorie, Juden müssten in Griechenland keine Steuern bezahlen. Und der neue, linke Außenminister Nikos Kotzias rühmt sich bester Kontakte zu russischen Rechtsradikalen. Rechts, links – egal. Wenn es gegen Merkel geht, verschwimmen in Europa inzwischen die Grenzen – und es scheinen fast alle Bündnisse und Methoden erlaubt.
[h=2]Auf Merkel könnten harte Zeiten zukommen[/h]Im politischen Guerillakampf kennt sich Tsipras bestens aus. Seit seiner Schulzeit gehört er linksradikalen Organisationen an. Die Syriza-Bewegung verwandelte er in den Zeiten der griechischen Wirtschafts- und Finanzkrise aus einer Splittergruppe in eine Volkspartei. Die Pasok, jahrzehntelang Griechenlands mächtige sozialdemokratische Partei und vor wenigen Jahren noch über 40 Prozent stark, liegt nach Korruptionsskandalen atomisiert im Staub der Geschichte. Tsipras hat sie weggefegt. Und er will noch mehr.
"Wir befinden uns in einem weltweiten Finanzkrieg. Und in Griechenland liegt die Front!", erklärte der Regierungschef im arabischen TV-Sender al-Dschasira. Der Revolutionär hat eine Heilsbotschaft im Gepäck: "Wenn es in Griechenland gelingt, die barbarischen Attacken des Neoliberalismus abwehren zu können, dann profitiert ganz Europa davon." Solche selbstbewussten sozialistischen Töne hat man in der Welt seit
Fidel Castro und Che Guevara nicht mehr gehört. In den Hauptstädten Europas, vor allem in Brüssel und Berlin, fragt man sich nun: Meint der Kerl das womöglich auch noch ernst?
Um diese Frage zu klären, flog der Präsident des EU-Parlaments Martin Schulz am vergangenen Donnerstag zu Tsipras nach Athen. Es war nicht die erste Begegnung zwischen dem erfahrenen Europapolitiker und dem jungen Wilden aus Griechenland. Während andere europäische Politgrößen Tsipras in den vergangenen Jahren gemieden hatten, suchte Schulz nach einem "Draht". Es sei
"kein einfaches Gespräch gewesen", das Bündnis zwischen Syriza und den Rechtspopulisten hat selbst Schulz überrascht. Eine "bemerkenswerte ideologische Flexibilität" sei das. Europa müsse Tsipras zwar nicht fürchten – aber man solle sich auf "harte Verhandlungen" einstellen.
Foto: Getty ImagesEU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD, l.) und Tsipras am 29. Januar in Athen
Harte Verhandlungen sind das Mindeste, was man erwarten kann. Es könnten schnell auch harte Zeiten für die deutsche Kanzlerin werden.
[h=2]Ein spanischer Tsipras ruft zum Kampf[/h]Mag sein, dass Ministerpräsident Tsipras selbst noch nicht entschieden hat, ob er künftig nur als harter Sachwalter griechischer Interessen oder als Anführer einer antideutschen, pseudorevolutionären Bewegung auftreten will. Bei aller Kampfesrhetorik sind seinem Handeln enge Grenzen gesetzt: Im März ist Griechenland pleite, wenn es seine Schulden nicht bedient. Und dennoch repräsentiert Tsipras mehr als nur das leidige griechische Problem. Für viele europäische Politiker, nicht zuletzt die immer stärker werdenden Rechts- und Linkspopulisten, ist der Grieche die heiß ersehnte, fleischgewordene Antwort auf die ungeliebte Domina Europas, die Teutonin Angela Merkel.