. Die Schlacht auf dem Amselfeld 1389
Am St. Veitstag des Jahres 1389[1] kämpfte in der Schlacht auf dem „kosovo polje“ (Amselfeld, im heutigen Kosovo) der serbische Fürst Lazar mit kroatischen, bosnischen, bulgarischen, walachischen und albanischen Hilfstruppen gegen den türkischen Sultan Murad I., der wiederum von Truppen bulgarischer und serbischer Fürsten unterstützt wurde. Diese Schlacht, die von den Türken gewonnen wurde, ist bis in die jüngste Vergangenheit nationalistisch instrumentalisiert worden: Die Serben schufen den Mythos von Tapferkeit, Männerstolz und heroischem Untergang. Tatsächlich bedeutete die Schlacht auf dem Amselfeld in erster Linie das Ende der wechselnden Bündnisse für bzw. gegen die Türken. So erkannte die Mehrheit des albanischen Adels nun die Oberhoheit der Hohen Pforte[2] an. Serbien selbst fiel erst später vollständig an die Türken; die Belgrader Festung wurde im frühen 16. Jahrhundert eingenommen.
Am St. Veitstag 1914[3] wurde der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo erschossen, was die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts auslöste, den Ersten Weltkrieg.
Am St. Veitstag 1989, 600 Jahre nach der Schlacht auf dem Amselfeld, versammelte dort Slobodan Milošević eine Million Serben, um durch seine Haßtiraden den serbischen Nationalismus zum Kochen zu bringen. Der Zerfall Jugoslawiens und die Tragödie im Kosovo folgten - am Ende des 20. Jahrhunderts.
2. Widerstand unter Skanderbeg, dem „Athlet Christi“
Vor der Besetzung albanischen Siedlungsraumes durch die Türken, die ihren Einfluß im 15. Jahrhundert endgültig festigten, existierten verschiedene kleine Fürstentümer, welche, untereinander verfeindet, den Osmanen keinen Einhalt boten. Der christliche albanische Adel hatte sich jedoch soweit etabliert, daß es 1432 unter Georg Arianiti zum ersten Aufstand kam, der ein Jahr später erfolgreich gegen die türkische Übermacht entschieden wurde. Sultan Murad II. mußte Arianiti, der unter dem Schutz christlicher Herrscher stand, ein Herrschaftsgebiet abtreten.
Seine europäische Geburtsstunde erlebte Albanien durch Georg Kastriot Skanderbeg (alb. Gjergji Kastrioti Skënderbeu, 1405-1468), der ein Vierteljahrhundert erfolgreich gegen die türkischen Besatzer rebellierte und seither als „Wahrzeichen unvergänglicher Freiheit“[4] gilt. Noch heute ist er albanischer Nationalheld und findet sich neben seinem Denkmal auf dem nach ihm benannten Hauptplatz in Tirana auch auf Kitschwaren und Weinflaschen wieder. Der Schwiegersohn Arianitis erhielt nach dem erzwungenen Übertritt zum Islam den Namen Iskender (Alexander) und wurde am Hof des Sultans unterrichtet. Durch den rasch im Kriegsdienst empfangenen Rang eines Beg entstand der Name Skanderbeg. Nachdem er zwanzig Jahre lang für Murad II. gekämpft hatte, wandte er sich 1443 gegen ihn und trat zum Christentum über. Skanderbeg begann mit wenigen Mitkämpfern und von einer kleinen Burgfestung in Kruja aus, Widerstand gegen die omnipotent scheinende osmanische Großmacht zu leisten. 1450 belagerte ein Heer von 100 000 Mann Murads II. Kruja, das von den zahlenmäßig weit unterlegenen Anhängern Skanderbegs verteidigt wurde. Nach vier Monaten gaben die Truppen des Sultans auf.[5]
Skanderbeg, der „Athlet Christi“ (Papst Paul II.) bewahrte möglicherweise das restliche Europa vor dem sich immer weiter ausdehnenden Zugriff der Osmanen, deren Expansion eine klare Westrichtung aufwies. Noch heute spricht man davon, Albanien habe sich für Europa geopfert. Die so oft glorifizierten 25 Jahre des Widerstandes unter Skanderbeg standen jedoch auch im Zeichen von Verrat und Streit unter dem eigenen Volk, Hungersnot und Seuchen. Im Todesjahr Skanderbegs war dadurch etwa ein Drittel der albanischen Bevölkerung ausgerottet. Kurz vor seinem Tod hatte Skanderbeg in Lezha eine gesamtalbanische Beratung der Feudalen einberufen, um die Albanische Liga von 1444 zu erneuern. Zehn Jahre nach Skanderbegs Tod brach der Widerstand gegen die Türken zusammen.
3. Islamisierung und Auswanderung
Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts wurden die Albaner, rücksichtsloser als andere Balkanvölker, zum Islam zwangsbekehrt und teilweise in den Kosovo deportiert, wo der muslimische Glauben noch heute eine weit wichtigere Rolle als in Albanien spielt. Man findet heute in Albanien in Zeiten der Religionsfreiheit und einer offiziellen muslimischen Mehrheit kaum verschleierte Frauen, Alkoholkonsum ist gang und gäbe und der Besuch von kirchlichen Einrichtungen dient ähnlich dem Besuch der zahlreichen Bars und Restaurants oft dem Rückzug aus dem chaotischen, schmutzigen Stadtleben in eine ruhige, zivilisierte und saubere Atmosphäre.
Das heutige religiöse Desinteresse der Albaner wurzelt in ihrem zweckorientierten Opportunismus zur Türkenzeit: „Die Ursachen der Islamisierung, die in Albanien am Ende der Türkenherrschaft 70 Prozent der Gesamtbevölkerung erfaßt hatte, waren unterschiedlicher, am allerwenigsten wohl religiöser Natur. In der Hauptsache traten die Christen zum Islam über, um dadurch der Kopfsteuer, die jeder Nicht-Muslim zu zahlen hatte, und anderen Belastungen zu entgehen.“[6] Begünstigt wurde der Verfall des Christentums zudem durch den Mangel an Priestern und deren Unbildung, häufige Abwesenheit, Korruption und Konkubinate. Dennoch hielten sich christliche Traditionen lange weiter; üblich war auch ein Scheinübertritt zum Islam. Ohnehin drang die osmanische Autorität durch die vielen Berggebiete und starken Stammes- und Dorfstrukturen oft nicht in das Alltagsleben der Albaner ein. Auch unter der kommunistischen Diktatur Enver Hoxhas hielten sich Stammesbräuche erstaunlich lange.
Die türkische Herrschaft bewirkte die historische andauernde Emigration vieler Albaner, oftmals wirtschaftlich bedingt. Besonders einflußreich in Albanien und wichtig als Ort des Exils war wie heute Italien, das damals als wechselhafter Verbündeter des Adels wirkte. So hatte beispielsweise Skanderbegs Vater mehrmals zwischen Türken und Venezianern als Bündnispartnern gewechselt. Wichtige Küstenpartien gehörten zum venezianischen Reich, parallel dazu entstanden albanische Kolonien in Italien. 95 Ortschaften in Süditalien und auf Sizilien werden von Nachkommen albanischer Einwohner bewohnt oder wurden von Albanern gegründet bzw. wiederbevölkert. Die „Arbëresh“, wie sich die Italo-Albaner selbst bezeichnen, isolierten sich häufig, was einerseits ihre Sprache und Tradition bewahrte, gleichzeitig aber auch Mißtrauen von Seiten der Italiener erweckte. In einem sizilianischen Sprichwort heißt es: „Wenn du einen Wolf und einen Albaner triffst, so erschieße zuerst den Albaner!“ Italien war auch erster Druckort für albanische Literatur; das erste Buch in albanischer Sprache datiert von 1555, die erste albanische Zeitung erschien 1848.
4. Das Osmanische Reich bis zum Berliner Kongreß 1878 und der Albanischen Liga 1881
In den späten 1830ern hatte das Osmanische Reich etwa 36 Millionen Einwohner, von denen ca. 21 Mio. Moslems waren. Die Religion war wichtigstes Unterscheidungsmerkmal für die Türken; zwischen Nationen, Kulturen, Rassen und Sprachen wurde kaum differenziert. Das Osmanische Reich erstreckte sich über drei Kontinente und hatte Zugang zu sieben Meeren. Der Sultan befehligte als „Gesandter Allahs“ eine der erfolgreichsten Militärmaschinerien der Geschichte, diese hinterließ „nicht nur verbrannte Erde, sondern auch ein einzigartiges soziales und politisches System. Es war manchmal brutal, doch oftmals gerechter und vorhersehbarer für die Staatsbürger als die frühen modernen Monarchien Europas.“[7] Das Reich verpaßte aber den Anschluß an die europäische Industrialisierung und blieb ländlich strukturiert bis zu seinem Niedergang Anfang des 20. Jahrhunderts, als es zu einer Randzone Europas wurde. Auch zeigte sich, daß die Idee des Vielvölkerstaates nicht zu verwirklichen war: „Das Osmanische Reich erwies sich als unfähig, die Einheit der Albaner unter dem Dach eines Staates zu garantieren. Damit war die letzte Existenzberechtigung der türkischen Herrschaft entfallen.“[8]
Nach der türkischen Niederlage gegen Serbien, Montenegro und Rußland beschloß der Berliner Kongreß 1878 eine Verkleinerung des osmanischen Gebietsanspruchs zugunsten aller Balkanvölker – mit Ausnahme der Albaner, welche als Türken betrachtet wurden. Im gleichen Jahr, als auf dem europäischen Parkett die Existenz eines albanischen Volkes überhaupt bestritten wurde, wurde von Moslems und Katholiken die „Albanische Liga“ (auch „Liga von Prizren“) gegründet, die militärisch gegen die im Berliner Vertrag festgelegten Gebietsabtrennungen vorging. Zu dieser Zeit wurde erstmals der Widerspruch zwischen den Kosovaren und den südlicheren Albanern offensichtlich: Während letztere Autonomie anstrebten, wollten die Kosovaren im Osmanischen Reich bleiben. Obgleich die Albanische Liga sich nur gegen Montenegro erfolgreich behauptete und 1881 schließlich niedergeschlagen wurde, machte sie Europa doch die albanische Frage bewußt.
Viele Albaner nahmen hohe Stellen im Osmanischen Reich ein. Die Türken hatten stets die Intelligenz aus dem albanischen Stammgebiet gezogen, um es rückständig zu halten. Hoxha unterdrückte und ermordete intellektuelle Dissidenten, da sie die für ihn gefährlichsten Kräfte waren. Im postkommunistischen Albanien fehlt es wieder an Intelligenz, die weitgehend im selbstgewählten Exil lebt.
III - Die „nationale Wiedergeburt“ der Albaner im 19. und 20. Jahrhundert
1. Die Rilindja und die Brüder Frashëri
Seit den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts begann der Prozeß einer nationalen Renaissance, der „Rilindja“ (Wiedergeburt)[9]. Im albanischen Geschichtsverständnis ist dies die Epoche der politischen Organisation und Formung einer modernen Nation. Dabei griff man zunächst auf Skanderbeg zurück, der im 19. Jahrhundert Symbol für Albaner jedweder Konfession wurde. In Korça wurde 1887 die erste Schule mit albanischer Unterrichtssprache eröffnet, 1902 aber bereits wieder verboten. Die Ideale der Rilindja wurden hauptsächlich durch die Auslandsalbaner verkörpert – einflußreiche und selbstbewußte Politiker, Militärs und Intellektuelle[10]. Im Ausland entstanden albanische Brüderschaften und Zeitungen zur Findung einer nationalen Identität. 1908 wurde ein gemeinsames Alphabet festgelegt. Aufstände in albanischen Stammgebieten waren eher sozial als patriotisch motiviert. „Einige der führenden Köpfe der Rilindja haben sogar nie in ihrem Leben jemals albanischen Boden betreten.“[11]
Die revolutionäre Bewegung der Jungtürken, die sich den Idealen der Französischen Revolution verpflichtet fühlte, war „von Anfang an in vorderster Front von albanischen Intellektuellen – zumeist hohe türkische Verwaltungsbeamte – mitgetragen worden.“[12] Eine besonders wichtige Funktion unter ihnen nahm der muslimische Intellektuelle Sami Frashëri (1850-1904) ein, jüngster der drei bedeutenden Brüder Frashëri aus einer der wohlhabendsten Feudalfamilien des türkischen Reiches. Für seine wissenschaftlichen und aufklärerischen Ziele gab er seine einträgliche Stelle als „Siegelbewahrer“ auf Rhodos auf. Sami Frashëri verkörperte die Einheit von albanischer und türkischer Denkweise und wirkte durch seine zahlreichen Publikationen als Brücke zwischen westeuropäischer und osmanischer Kultur. Sein etymologisches „Wörterbuch der türkischen Sprache“ von 1901 war richtungsweisend in der Entwicklung der modernen türkischen Schriftsprache.
Frashëris Hauptwerk und bedeutendstes Dokument der Rilindja ist die patriotische Programmschrift „Shqipëria – ç’ka cenë, ç’ështe e ç’do të bëhetë“ (Albanien, was es gewesen ist, was es ist und was es werden wird, Bukarest 1899). Im ersten Teil gibt Frashëri eine Geschichtsdarstellung Albaniens, in der die Albaner geradezu vergöttlicht werden, wodurch ihr Nationalstolz erweckt werden soll. Sie seien das älteste Volk in Europa, hätten als erste Häuser gebaut und Äcker bestellt und den Südosten Europas, die gesamte Balkanhalbinsel, die Donauländer sowie Kleinasien bewohnt. Montenegriner seien mehr Albaner als Slawen; Aristoteles und Alexander der Große seien Albaner gewesen. Diese Apotheose der Albaner ist noch heute in ihrem Bewußtsein verankert; im Gespräch mit Albanern stößt man permanent auf diese Realitätsflucht. Im zweiten Teil schildert Frashëri die gegenwärtige Situation der Albaner, die unter ungerechter Besteuerung, Anarchie und Korruption mehr als die anderen Völker des Osmanischen Reiches zu leiden hätten.
Im dritten Teil, der den Schwerpunkt der Programmschrift bildet, wird die Zukunft der Albaner beschrieben: Albanien sei in Gefahr, zerstückelt zu werden; ein Zusammenschluß der Albaner ohne Rücksicht auf Religion und ein Ende der Blutfehden seien notwendig, um Albanien vor dem Untergang zu bewahren. Für das türkische Reich bestehe keine Zukunft auf europäischem Boden - Albanien müsse sich von den morschen Fundamenten der Türkei lösen, wenn es nicht mit ihr zusammen untergehen wolle. Doch sei Albanien noch zu schwach, um sich alleine gegen die „Raubfische“, die anderen Nationen, zu verteidigen. Als Grundkonzept für Albanien sieht Frashëri einen anti-monarchistischen, demokratischen Staat nach westlichem Vorbild. Wenn man von der pathetischen Sprache absieht, bewies Frashëri im zweiten und dritten Teil eine durchaus objektive, teilweise prophetische Sichtweise.
Die Rilindja war die Hauptquelle der Ideologie Enver Hoxhas, der sich selbst als deren Vollender sah. In Frashëri sah er die Rechtfertigung seiner Geschichtsauffassung. Weitere Ziele in Frashëris Traktat umfaßten beispielsweise Schulpflicht, Alphabetisierung und Einrichtung kultureller und schulischer Institutionen, was man als Hoxhas Hauptverdienste ansehen kann. In den 50ern wurde unter Hoxha das Analphabetentum fast gänzlich beseitigt und die erste albanische Universität geschaffen. Die in Frashëris Manifest erwähnte Schaffung einer Reservearmee von einer halben Million (praktisch alle wehrfähigen Männer) kommt Hoxhas Ziel der Volksarmee nahe. Für die Zukunft sah Frashëri Abgaben der Kaufleute anstatt Besteuerung der Bauern vor – auch dieser Punkt findet sich in der Steuerfreiheit unter Hoxha wieder (wenngleich unter Vorenthaltung des Mehrwertes der Wirtschaftsproduktion).
Ebenso wirkt der Geist in den Werken Naim Frashëris, dem älteren Bruder Sami Frashëris, bis heute in Albanien fort. Naim Frashëri, der bedeutendste Rilindja-Dichter, war beeinflußt von der Rassenlehre des Arthur Comte de Gobineau (1816-1882), welcher die weiße Rasse für überlegen hielt.[13] In einem Gedicht Frashëris heißt es:
Die Menschen unterteilen sich in einige Rassen,
Eine jede hat ihren verschiedenen Typus,
Die weiße Rasse ist die beste von ihnen
Wie von allem so auch von Gesicht.
Die anderen kommen alle farbig einher,
Gelb, schwarz, rotbraun;
So viele Menschen es auch immer von diesen Rassen gibt,
Sie sind gewissermaßen alle Barbaren [...]
Von jener Rasse, die nach Europa kam,
Und die sich dann in viele Stücke teilte,
Gehören augenscheinlich die Pelasger zu den ersten,
Und ihre Söhne, wir Albaner.[14]
Der Glaube an die natürliche Überlegenheit der Albaner gegenüber anderen Nationen war eine Stütze für den Isolationismus Enver Hoxhas und ist noch heute in den Köpfen vieler Albaner.
2. Ismail Qemali
Wie Frashëri entstammte auch Ismail Qemal Bej Vlora (1844-1919) einer bedeutenden Adelsfamilie im Osmanischen Reich. Er erlebte eine Beamtenkarriere in Istanbul und wurde enger Berater des türkischen Großwesirs Mid‘hat Pascha. Qemali gehörte wie Frashëri der ersten albanischen Kulturgesellschaft an, die 1871 in Istanbul gegründet wurde. Er publizierte in westeuropäischen Zeitungen und war befreundet mit Victor Hugo. In einer progressiv-praktischen Haltung forderte Qemali die Einführung des lateinischen Alphabets, da sich dieses im Gegensatz zum arabischen in fast allen Druckstätten Europas fand. Als Berater Mid‘hat Paschas war Qemali an der Ausarbeitung der fortschrittlichen Hyrriet-Verfassung beteiligt, die 1876 von Sultan Abdül Hamid II. in Kraft gesetzt wurde.
„Nachdem der immer mehr zum Despotismus neigende Sultan unter Berufung auf die äußeren und inneren Gefahren für das Reich den Einfluß Mid‘hats und der Anhänger der Verfassung zurückgedrängt hatte, war die Forderung nach Wiedereinsetzung der Verfassung die Triebkraft der innertürkischen Opposition.“[15] Mit dem Wiederinkrafttreten der Verfassung nach der Revolution der Jungtürken im Jahre 1908 war die Türkei eine konstitutionelle Monarchie. Wie die Anhänger der jungen Osmanen forderte auch Qemali liberale Reformen und eine Dezentralisierung des Reiches zugunsten der nicht-türkischen Völker. Nachdem er seinen Wohnsitz im Ausland aufgenommen hatte, konnte ihn die Hohe Pforte auch durch Versprechungen nicht davon abbringen, sich von dort aus für die Autonomie der Albaner einzusetzen, die er durch Aufklärung und Erziehung zivilisieren wollte.
3. Fan Noli
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzte ein Streit der Großmächte um die Zukunft Albaniens ein. In dieser Zeit kam es immer wieder zu Terroraktionen krimineller Banden und religiöser Fanatiker. Tiefe Empörung löste besonders bei den Exilalbanern die Ermordung des patriotischen Schriftstellers und Popen Papa Kristo Negovani (1875-1905) aus, der als erster die orthodoxe Liturgie auf albanisch gefeiert hatte. Als Modell für die gesamte albanische Orthodoxie suchte 1906 die in Buffalo, USA, gegründete Gemeinde „Malli i mëmëdheut“ (Sehnsucht nach dem Mutterland) nach einem Popen, welcher dem Beispiel Negovanis folgen sollte.
Hier tritt eine ganz eigene Gestalt der albanischen Geschichte in Erscheinung: Fan Stylian Noli, 1882 in Qyteza bei Edirne geboren. Der Sohn eines wohlhabenden Dorfkantors besuchte nach dem Abitur die Athener Universität, brach jedoch bald das Studium ab und schloß sich einer griechischen Wanderbühne an, mit der er bis nach Ägypten reiste, wo er Lehrer wurde. Obgleich sein Leben lang Atheist, bewarb sich Fan Noli um die Stelle des Popen in Buffalo und bekam eine Zusage. Nach der Übersiedlung in die USA, die von der albanischen Gemeinde finanziert worden war, mußte sich Fan Noli aufgrund derer ansonst beschränkten Finanzmittel als Hilfsarbeiter verdingen. Keiner der griechischen Bischöfe war gewillt, ihn zum Popen zu weihen; Fan Noli erhielt die Weihe schließlich 1908 vom Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche der USA, Erzbischof Platon. Als Pope von New York City las er die orthodoxe Messe das erste Mal in albanischer Sprache. 1919 wurde Fan Noli Bischof der albanischen orthodoxen Kirche in den USA, die damit ins Leben gerufen wurde.[16] Wie sich zeigen wird, kümmerte sich Fan Noli aber mehr um Politik als um sein religiöses Amt.
IV - Albanien wird unabhängig (1912): Zwischen Stammestraditionen und liberalen Tendenzen
1. Vor- und Nachkriegsordnung: Albanien erlangt die Unabhängigkeit
„Wir tanzen auf der Zunge des Wolfes.“ (Mehmet Shehu, 1961)[17]
1912, nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches und während des ersten Balkankrieges (1912-1913), besetzten Serben Tirana, Montenegriner standen vor Shkodra und Griechen vor Vlora. Anfang November fand sich in Bukarest die wichtigste albanische Kolonie der Intellektuellen unter Ismail Qemali und Luigj Gurakuqis ein und forderte die Unabhängigkeit Albaniens, die am 28. November (heutiger albanischer Nationalfeiertag) von Qemali verkündet wurde, was als größter Erfolg der Rilindja angesehen wird. Die Großmächte erkannten Albanien 1913 an, setzten jedoch an Stelle der Regierung eine internationale Kommission. Auch wenn Serben und Griechen so das Land nicht unter sich aufteilen konnten, so blieben doch die Besatzer in Albanien. Der schwerwiegendste Aspekt der neuen Ordnung aber war, daß die festgelegten Grenzen (weitgehend übereinstimmend mit den heutigen) fast die Hälfte des albanischen Volkes aus dem Staatsgebiet ausschlossen. 1914 übernahm der deutsche Prinz Wilhelm zu Wied durch einen Beschluß der Großmächte die albanische Regierung. Nachdem der Erste Weltkrieg ausgebrochen war und das Fürstentum im August nur noch die Gebiete von Durrës und Vlora umfaßte, floh Wied außer Landes. Bis zur österreichischen Besetzung 1916 folgte die Regierung unter Esat Pascha Toptani, bis dahin Innen-, bzw. Kriegsminister Wieds. Der Erste Weltkrieg, während dem Albanien zeitweise in völlige Anarchie versank, forderte durch Kämpfe, Hungersnöte und Seuchen fast zehn Prozent der albanischen Bevölkerung.
Auf der Pariser Friedenskonferenz, die am 18. Januar 1919 eröffnet wurde, forderten Italien und Griechenland Teile Albaniens, die provisorische albanische Regierung Turhan Paschas verlangte dagegen die Unabhängigkeit Albaniens in seinen ethnischen Grenzen.[18] Durch die Gefahr der Teilung des Landes gewann die Unabhängigkeitsbewegung starken Auftrieb und vereinte in bis dahin einmaliger Weise die verschiedenen Kräfte Albaniens. Wie oft in der Geschichte Albaniens wurden die inneren Streitigkeiten und Spaltungen erst durch eine äußere Bedrohung gelöst. Im Januar 1920 fand in Lushnja ein Kongreß der nationalen Kräfte statt und nach einem Befreiungskampf wurde das albanische Kerngebiet schließlich offiziell anerkannt. Als letzter Besatzer zog Italien den größten Teil seiner Truppen zurück. Auf dem Kongreß von Lushnja wurde unter Sulejman Delvina eine neue provisorische Regierung gebildet, in der Ahmet Zogu als Innenminister erstmals ein politisches Amt ausübte.
2. Ahmet Zogu betritt die politische Bühne
Ahmet Muhtar Bej Zogolli-Mati (geb. 1895), der seinen Namen in den frühen 20ern in Zogu („Vogel“) umbenannte, um moderner zu wirken, sollte das Albanien der 20er und 30er Jahre bestimmen. Die Familie seines Vaters, Xhemal Pascha Zogolli, war seit jeher Anführer eines Stammes in der nördlichen Bergregion Mati, der durch die Unzugänglichkeit dieser Region eine gewisse Selbständigkeit gegenüber der Hohen Pforte bewahrt hatte. Zogus Mutter Sadie stammte aus der Familie Toptani. Zogu erhielt eine Schul- und Militärausbildung in der Türkei und übernahm 1912 die Stammesführung in Mati. Im Ersten Weltkrieg war er Kommandant auf österreichisch-ungarischer Seite.
Parallel zur Regierung von Delvina, deren Einflußbereich zunächst nur einen kleinen Teil Mittelalbaniens umfaßte, bestand in der Hauptstadt Durrës die Regierung Libohova unter italienischer Protektion. Als die Regierung Delvina im Januar 1920 Tirana zur provisorischen Hauptstadt erklärte, war diese mit 15 000 Einwohnern noch „ein unbedeutendes Provinznest.“[19] Im Dezember trat Albanien in den Völkerbund ein. Dieser wichtige Schritt war teilweise Fan Noli zu verdanken, dem Leiter der albanischen Delegation in Genf.
Nach knapp zehn Monaten trat die Regierung Delvina zurück, deren Niedergang durch Zogu begonnen hatte, welcher sich kontinuierlich über andere Abgeordnete hinweggesetzt hatte. Zu einem klaren Rechtsruck kam es nun unter der Regierung Vrioni, die sich überwiegend aus dem Adel zusammensetzte. Die Zentralgewalt wurde erheblich gestärkt und das repressive Wahlsystem erlaubte bei einer Analphabetenrate von etwa 90 % massive Fälschungen.
Die „Volkspartei“, der sowohl gemäßigte Vertreter des Bürgertums wie Fan Noli als auch konservative Adlige wie Zogu angehörten, forderte Reformen bei gleichzeitiger Wahrung der Traditionen. Ausländer waren als Experten willkommen, sollten jedoch keinen Grundbesitz erwerben dürfen. Ähnlich strukturiert, aber noch konservativer war die „Fortschrittspartei“. Beide Parteien spalteten sich 1922. Parallel existierten in größeren Städten patriotische Verbindungen mit zunächst hauptsächlich kulturellen Zielen, die auf eine nationale Einheit und die Schaffung eines ethnischen Albaniens hofften.
3. Historische Parallelen: Der Kanun und Albaniens Außenseiterrolle
Es fällt schwer, vom Albanien dieser Zeit als von einem wirklichen Staat zu sprechen. Das Land war von Armut und einer tiefen inneren Zerrissenheit geprägt, sowohl sozial als auch religiös, und wurde von wenigen Clans und Großgrundbesitzern dominiert. Ein besonderer Aspekt waren die Stammesfehden und die Blutrache als Teil des albanischen Gewohnheitsrechts, des „Kanun“ (primäre Bedeutung: „Recht“).[20] Dieser fungierte stets als Ergänzungs- und Konkurrenzrecht zum staatlichen Recht: dem der Türken, des eigenen Staates, der Besatzer in den beiden Weltkriegen und im Kosovo dem der Serben. Zum Konflikt kam es durch dieses historische Nebeneinander der beiden Rechtssysteme nur, wenn die Staatsmacht neben Pflichten wie Loyalität, Abgaben und Kriegsdienst ihr Recht auch in allen anderen Bereichen durchsetzen wollte. Inwiefern sie dazu in der Lage war, hing sehr von der Infrastruktur ab. Die Türken konnten ihr Recht nur in urbanen Gegenden durchsetzen; In entlegenen Bergregionen blieb es nominell, wie das Beispiel von Zogus Vater zeigt. Selbst in der totalitären Diktatur Enver Hoxhas als selbsternanntem „ersten atheistischen Staat“ hielten sich in abgelegenen Bergdörfern die religiösen Praktiken der mehrheitlich muslimischen Bevölkerung ebenso wie der Kanun als Zusatz zu diesen.
Von den verschiedenen Fassungen des albanischen Gewohnheitsrechts ist der „Kanun i Lekë Dukagjinit“ (Recht des Lek Dukagjini) am bekanntesten, der in 1263 Paragraphen alle Einzelheiten des Lebens einer Familie regelt, die als gesellschaftliche Elementareinheit angesehen wird. Auch heute ist es meist die Familie, die den ersten sozialen Rang einnimmt. Der Kanun sieht einen Hausherr vor, in der Regel der Hausälteste, dem die wirtschaftliche Verantwortung für das Haus, seine Repräsentation nach außen und die Disziplinargewalt obliegt. Heutige patriarchalische Strukturen in Albanien sind also eher sozial als religiös bedingt.
Neben Regeln für die Hausgemeinschaft beinhaltet der Kanun auch Verwaltungs-, Straf- und Gastrecht. Die Ehre, bzw. ihr Verlust nimmt einen eigenen Teil im Kanun ein. Als Entehrung gilt, jemanden öffentlich der Lüge zu bezichtigen, jemanden anzuspucken, zu bedrohen, zu stoßen oder zu schlagen, jemandes Frau Gewalt anzutun, jemandem die Waffe wegzunehmen, jemandes Gast zu beleidigen, bei jemandem einzubrechen, Schulden oder Verpflichtungen nicht einzuhalten, bei jemand anderem den Deckel vom Topf auf dem Herd abzunehmen, das Vorrecht des Gastes beim Eintunken des ersten Bissens zu mißachten. Schlimmste Entehrung des Mannes aber ist die Entehrung seiner Frau. Dies erklärt, warum in Nordalbanien die deutschen Besatzungssoldaten höheres Ansehen als die italienischen genossen: Von Seiten der Italiener soll es zu häufigen sexuellen Übergriffen gekommen sein; Geiselerschießungen, wie bei den Deutschen üblich, stellen dagegen keine Ehrverletzung dar. Auch lassen sich durch diese alten Wertmuster die Massenvergewaltigungen im ehemaligen Jugoslawien erklären.
Der Kanun regelt auch die Blutrache („gjakmarrje“), die oft als Aufreißerthema in den westlichen Medien herhalten muß, wenn von den „wilden Skipetaren“ die Rede ist. Die Blutrache wird von der Familie eines Opfers vollstreckt und richtete sich anfangs nur gegen den tatsächlichen Mörder, später gegen jeden männlichen Verwandten. So bedeutet Blutrache häufig das gegenseitige Töten über viele Generationen hinweg. Nur die autoritären Systeme konnten die Blutrache unterdrücken; nach dem Ende des Kommunismus sind viele, teilweise uralte Blutfehden in Albanien wieder ausgebrochen. Mühsame Vermittlungen führen manchmal zu einer Aussöhnung der verfeindeten Familien.
Das ganze Land ist wie ein abgeschlossener Hof, von natürlichen Gefängnismauern eingefasst, die Freiheit ist ein relativer Begriff, man fühlt deutlich, daß es keine Eisenbahnen gibt, uns in das Jahrhundert zu führen, das unsere Heimat ist, man fühlt, daß Schiffe, zwei Stunden, vier Stunden, zwölf Stunden von hier entfernt, nur einmal in der Woche vor einem albanischen Hafen halten, und die Exotik lastet doppelt grausam als selbstgewählte Pein.
Joseph Roth in der „Frankfurter Zeitung“ vom 30. 7. 1927 über seine Eindrücke nach einer Albanienreise[21]
Das Albanien der 20er war isoliert; wirtschaftliche Auswege wurden im Ausland gesucht. Parallelen zur heutigen Lage drängen sich auf. So sieht Misha Glenny zwei Verhaltensweisen zu jener Zeit. Auf der einen Seite steht die Verleugnung der eigenen Identität: „Albaner zu sein hieß arm bleiben. Griechisch zu werden bot einen möglichen Ausweg.“[22] Im heutigen Albanien des entfesselten Kapitalismus sehen viele keinen anderen Ausweg, als in Griechenland illegal und unter schlechtesten Bedingungen als Tagelöhner zu arbeiten. In „Lamerica“, einem italienischen Film, der die Situation Albaniens nach der Wende Anfang der 90er zeigt, heißt es von einem Albaner, der nach Italien flüchten will, er wolle mit seinem Kind nur Italienisch sprechen, damit es vergesse, daß sie Albaner seien.
Auf der anderen Seite steht Mißtrauen, Abkapselung und Selbstüberschätzung: „Albaniens Isolation in der Welt hatte einen stolzen Fremdenhaß erzeugt.“[23] Noch heute, Anfang des 21. Jahrhunderts betrachten sich viele Albaner trotz der rückständigen sozialen und wirtschaftlichen Strukturen als überlegen gegenüber ihren Nachbarn. Otto Rudolf Ließ schreibt dazu: „Anpassungsfähigkeit vereint sich im Shqipetarentum mit einem starken Widerstandsgeist, ottomanisch bedingte Rückständigkeit mit einem verblüffenden Neuerungsstreben; gutnachbarliche Gesinnung schlägt im Leben des einzelnen und der gesamten Nation schnell zur abwehrbereiten Igelstellung um“[24].
4. Zogu konsolidiert seinen Einfluß
Ende 1921 hatte Albanien seit dem Kongreß von Lushnja, also innerhalb von weniger als zwei Jahren, acht Regierungen erlebt. Zogu wurde von dem umstrittenen Machthaber, dem Kosovaren Hasan Bej Prishtina, als Truppenkommandant entlassen, welcher Zogus Gegner Bajram Curri einsetzen wollte. Einige der von Prishtina aufgestellten Minister, so Fan Noli und Gurakuqi, traten ihr Amt nicht an. Von der Opposition zu Hilfe gerufen und die Regierungskrise ausnützend, marschierte Zogu mit seinen Anhängern von Mati nach Tirana. Nach seinem Einzug wurde er Innenminister und die dominante Figur der neuen Regierung unter Xhafer Bej Ypi. Albanien machte wichtige Fortschritte: Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den meisten europäischen Staaten, Abzug der Italiener aus Shkodra, Ausbau des Verkehrsnetzes und Einführung des Leke als albanische Währung (noch heute offizielles Zahlungsmittel).
Als Innenminister versuchte Zogu, die Bevölkerung zu entwaffnen, was aber nur in Mittel- und Südalbanien gelang. In Nordalbanien mit seinem Kanun war ein Mann ohne Waffe nicht vorstellbar. Zehntausende Waffen in Privatbesitz konnten dennoch eingezogen werden. Ein Dreivierteljahrhundert später ist dies wieder eine wichtige Aufgabe der albanischen Regierung: Als das Land 1997 in Anarchie versank, plünderte die Bevölkerung unter anderem auch die Militärdepots. Unzählige Waffen gelangten in Privatbesitz. Die Einziehung der Kalaschnikows vollzog sich mühsam und dauert bis heute an.
Die Opposition, darunter Fan Noli und Gurakuqi, warnte vor einer Alleinherrschaft Zogus. Im März 1922 leiteten Bajram Curri und Hasan Prishtina einen Aufstand - sie befürchteten einen projugoslawischen Kurs Zogus, um seine Macht zu stärken. Das Ergebnis der „Märzbewegung“ waren etwa 70 Tote und über 400 Verhaftungen. Hunderte von Häusern wurden verbrannt und die Bewohner der aufständischen Gebiete zum Arbeitsdienst gezwungen. Das Ziel der Bewegung war ins Gegenteil verkehrt: Zogu war stärker als zuvor, führte Säuberungen im Offizierskorps durch und schränkte die Pressefreiheit ein. Im Dezember löste er Ypi als Ministerpräsident ab, ohne sein Amt als Innenminister aufzugeben. Noch im selben Jahr wurde eine neue Verfassung verabschiedet, die sich stark an denen westlicher Staaten orientierte: Gewaltenteilung, Unabhängigkeit der Gerichte sowie die bürgerlichen Grundrechte wurden garantiert. Die Neuwahlen Ende 1923 brachten einen Sieg für Zogu, der jedoch nur eine Minderheitsregierung bilden konnte. Mittlerweile waren die Grenzen Albaniens international endgültig festgelegt worden und seine Anerkennung als souveräner Staat fortgeschritten.
5. Widerstand gegen Zogu: Avni Rustemi
Enttäuscht waren nun vor allem die patriotischen Intellektuellen, die ja ein Staats- und Nationalbewußtsein überhaupt erst erzeugt hatten und nun zusehen mußten, wie die besitzende Schicht diesen Verdienst ausnützte. Die jüngere Generation, auf die sich diese Verbitterung übertragen hatte, reagierte erheblich radikaler. Ein Beispiel ist Avni Rustemi, der später unter Hoxha als Held der albanischen Jugend galt. Er wurde 1893 in Libohova geboren, studierte Pädagogik im In- und Ausland; unter anderem auch in Rom, wo er Studentenvereinigungen gründete. Rustemi, der sich als Mann der Tat fühlte, wurde lange Zeit unterschätzt, bis er am 13. Juni 1920 Toptani vor seinem Pariser Luxushotel erschoß. Nach einer bewegenden Rede vor Gericht, in der er die Untaten des Paschas anprangerte, wurde er nach Albanien ausgewiesen, wo er durch Fan Noli und Gurakuqi (seinem ehemaligen Schuldirektor) zum Volkshelden avancierte. Rustemi schloß die patriotischen Verbindungen des Landes zu einer Brüderschaft zusammen, zuerst „Atdheu“ (Das Vaterland, 1921-22) und nach deren Verbot „Bashkimi“ (Die Vereinigung). Diese nutzte er als Plattform für den Sturz Zogus.
Vom 26. April 1915 datiert ein Geheimvertrag der Großmächte der Entente, der die Aufteilung Albaniens unter Italien, Montenegro, Serbien und Griechenland vorsah. Als Lenin gleich nach der bolschewistischen Machtergreifung die zaristischen Archive öffnete, deckte er auch diesen Londoner Geheimvertrag auf. In der Meinung der albanischen Politiker zwang dies den amerikanischen Präsidenten Wilson zu seiner Stellungnahme vom 6. März 1920 zugunsten der Unabhängigkeit Albaniens, der sich die anderen Großmächte anschlossen. Obgleich dies schon zeitbedingt fragwürdig ist, war man nach Auffassung der albanischen Politiker Lenin Dank schuldig. So beantragte Avni Rustemi in der ersten Sitzung des neugewählten Parlaments unter Zogu im Februar 1924 fünf Gedenkminuten für den am 21. Januar verstorbenen Lenin, dem die Abgeordneten einschließlich der Anhänger Zogus schließlich nachkamen. Wenige Tage später gedachte man auf Antrag Fan Nolis des ebenfalls kurz zuvor verstorbenen Wilson.
Am 23. Februar 1924 wurde auf der Treppe zum Parlament ein Attentat auf Zogu verübt. Obgleich Rustemi angelastet, geschah es aus rein persönlichen Motiven. Der Täter, Beqir Valteri, wollte den Mord an seinem Onkel rächen. Nach den Regeln der Blutrache mußte er seinem Opfer eine Erklärung geben, da er jedoch stotterte, hatte Zogu Zeit für eine Gegenbewegung, so daß ihn der Schuß nur an der Schulter verletzte. Dennoch konnte Zogu nicht an der Regierungsbildung teilnehmen. Wiederum aufgrund einer Blutrache wurde am 20. April Rustemi angeschossen und starb zwei Tage später. Seine Beisetzung am 1. Mai in Vlora neben dem Grab Ismail Qemalis wurde zu einer „demokratischen“ Demonstration der Intellektuellen um Fan Noli, an der rund 10 000 Menschen teilnahmen. Vlora selbst wurde Stützpunkt der Opposition, die ihren Einfluß bald auch auf die Truppen ausweitete. Zogu, der im Volk als „neuer Pascha Toptani“ verschrien wurde, trat zurück; sein Nachfolger Vrioni scheiterte, mit den Rebellen zu verhandeln. Am 10. Juni zogen die Aufständischen in Tirana ein. Die Regierung war nach Italien, Zogu nach Jugoslawien geflohen.
6. Die Junirevolution unter Fan Noli
Die neue Regierung der „Demokraten“ unter Fan Noli und Bajram Curri, der auch Delvina und Gurakuqi angehörten, beschlagnahmte den Besitz von geflohenen Anhängern Zogus und säuberte den Beamtenapparat von Zogu-Sympathisanten. Hauptziel des Regierungsprogramms war die gewaltsame Entwaffnung des albanischen Volkes. Außerdem sollte die Lage der Bauern verbessert, sollten die Bürger steuerlich entlastet und Verwaltung, Justiz, Gesundheits- und Bildungswesen reformiert werden. Die Landreform dagegen, vor der Revolution Hauptargument Fan Nolis, wurde nun nicht mehr erwähnt. Sie könne erst nach der Enteignung der Großgrundbesitzer beginnen; danach sollten Neuwahlen ausgeschrieben werden. International anerkannt wurde die Regierung nicht, der größte außenpolitische Erfolg, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Sowjetunion, wurde dem „roten Bischof“ Noli als bolschewistisches Missionieren zur Last gelegt.
Während Fan Noli mit Curri und Gurakuqi beim Völkerbund in Genf weilte, spaltete sich die Regierung in zwei Gruppen; ein Teil drängte auf die Ausschreibung von Neuwahlen. Derweil bereitete Zogu von Belgrad aus den Umsturz vor. Er wurde unterstützt von Seiten der Belgrader Regierung und von russischen Weißgardisten, die in Zogus Vorhaben eine Generalprobe für den Umsturz Sowjetrußlands sahen. Am 24. Dezember zog Zogu kampflos in Tirana ein. Die hilflose gewordene Regierung Nolis floh nach Italien.
Fan Noli, dessen Regierung nur sechs Monate gewährt hatte, setzte vom Ausland aus seinen Kampf gegen Zogu fort. Er besuchte die Sowjetunion und nahm an internationalen prokommunistischen Kongressen teil. 1932 wurde er wieder Bischof der albanischen orthodoxen Kirche in Amerika und bemühte sich nach 1945 als „graue Eminenz im New Yorker UNO-Palast“[25] erfolglos um die Anerkennung der Volksrepublik Albanien durch die USA. „So wie der Atheist Noli sein Amt als Bischof und Metropolit nur übernommen hatte, um die orthodoxen Christen albanischer Muttersprache in den Dienst der Nation stellen zu können, ebenso ging er auch mit dem Marxismus-Leninismus ein taktisches Bündnis ein.“[26]
Eine Bewertung Fan Nolis fällt schwer, mit Sicherheit zählt er zu den widersprüchlichsten und interessantesten Figuren der albanischen Geschichte. Albanien konnte unter seiner Regierung keine nennenswerten Fortschritte erzielen, auch er regierte autokratisch und unterdrückte die Opposition bis hin zu Todesstrafen. Neben seiner politischen und religiösen Tätigkeit gilt er jedoch auch als hervorragender Übersetzer und Literaturkritiker. Er schrieb Dramen, Gedichte und historische Arbeiten und versuchte sich sogar als Komponist. Fan Noli starb 1965 in Florida.
V - Autokratische Herrschaft unter Ahmet Zogu und faschistische Besatzung (1925-1944)
1. Ausbau der Zogu-Diktatur und wachsender Einfluß Italiens: Die republikanische Phase
„Von der Revolution Fan Nolis und vom Gegenschlag Ahmet Zogus hat sich die albanische Demokratie nie wieder erholt – von nun an führte der Weg mit Riesenschritten in die Diktatur.“[27]
Unter dem Vorwand, die „Legalität“ in Albanien wiederherzustellen, rief Zogu nach einem kurzen Zwischenspiel, in dem er abermals die Regierung Vrioni einsetzte, den Notstand aus. Erste Maßnahmen waren die Abschaffung der Pressefreiheit und die Auflösung des Unterrichtsministeriums. An Stelle der Armee setzte Zogu eine Miliz. Als er am 6. Januar 1925 eine eigene Regierung bildete, begann endgültig die „Zogistische“ Periode. Aufgrund der starken anti-kommunistischen Gefühle in Europa hatte Zogu freie Hand beim Aufbau seines zentralistischen, autoritären Staates. So stellte sich auch nicht die Frage einer Landreform, denn obwohl sie überall auf dem Balkan notwendig war, wurde jeder, der sie lösen wollte, als Bolschewik verschrien. Die Furcht vor einer angeblichen bolschewistischen Machtübernahme auf dem Balkan erleichterte Zogu auch den Kampf gegen Fan Noli.
Zogus Kabinett bestand neben ihm selbst als Staatspräsident nur noch aus zwei weiteren Männern. Am 21. Januar wurde Albanien, seit dem Fürst von Wied formal eine Monarchie, zur Republik. Zogu hatte praktisch unbeschränkte Vollmachten, seine Amtszeit betrug sieben Jahre. Neben der Verfassung, die nach dem Vorbild der USA gestaltet worden war, sicherte Zogu seine Macht, indem er politische Gegner beseitigte, durch Agenten auch im Ausland. So wurde Gurakuqi 1925 in Bari und Prishtina 1933 in Saloniki ermordet. Curri beging 1925 Selbstmord, um der Verhaftung zu entgehen.
Ahmet Zogu war mit jugoslawischer Hilfe an die Macht gekommen, suchte nun aber vor allem den Kontakt zum wirtschaftlich stärkeren Italien. Schon vor der genauen Grenzziehung 1923 war Albanien für Italien ein „koloniales Sprungbrett in den Balkan“[28] gewesen. Aufgrund seiner Nähe, durch die desolate Wirtschaftslage bedingte Hilflosigkeit und die Erfahrung der italienischen Armee sah Mussolini in Albanien einen optimalen Einstieg für seine Balkanpläne. Wie später Hitler hatte das politische und soziale Chaos im eigenen Land Mussolini zur Macht verholfen. Hitler, dessen Herrschaft durch Verschwörungstheorien und einer rassistisch-sozialdarwinistischen Ideologie gestützt wurde, sah seine Hauptaufgabe in der Gewinnung neuen Lebensraumes für die „arische Rasse“. Auch Mussolini entwickelte schon früh imperialistische Ambitionen, um die „italienische Ehre“ wiederherzustellen („1920 hatten einige Tausend zerrüttete, doch unbändig patriotische Albaner Italien aus Vlora vertrieben.“[29]) In den 30er Jahren kam der wachsende Einfluß Hitlers hinzu, für den Mussolini eine Mischung aus Bewunderung und Furcht empfand.
Nach Vergabe verschiedener Erdölkonzessionen an Italien und Großbritannien folgte als weiterer Schritt in die wirtschaftliche Abhängigkeit Albaniens von Italien die Gründung einer albanischen Nationalbank (Banka Kombëtare e Shqipërisë). Nur 49 Prozent der Anteile sollten von Albanern erworben werden können, da diese aber lediglich für 25 % der Aktien aufkommen konnten, war die Bank zu drei Vierteln in italienischem, daneben auch in schweizerischem, belgischem und jugoslawischem Besitz. Weitere Kontrolle über Albaniens Finanzpolitik gewann Italien mit der Gründung der „Gesellschaft für die wirtschaftliche Entwicklung Albaniens“ (Società per lo Sviluppo Economico dell’Albania, SVEA) in Rom, welche die albanische Währung ausstellte. Da Albanien nicht genug Anfangskapital besaß, sprang Italien ein und bekam dadurch 53 % der SVEA, die von drei Italienern und zwei Albanern geleitet wurde. Die SVEA führte Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur Albaniens durch, diese waren jedoch weniger den albanischen Bedürfnissen als den italienischen Militärabsichten angepaßt. Nachdem auch Konzessionen für die Nutzung von Bodenschätzen an ausländische Firmen vergeben wurden, befand sich ein beträchtlicher Teil des albanischen Territoriums in ausländischer, vorwiegend italienischer Hand. 1926 und in den folgenden Jahren flossen Millionen Dollar von Italien nach Albanien; zwei Drittel des albanischen Außenhandels liefen über Italien.
Im 1. Tirana-Pakt, einem „Freundschafts- und Sicherheitspakt“ von 1926, garantierte Italien den innenpolitischen und juristischen Status quo in Albanien, bzw. den Fortbestand des Zogu-Regimes, sicherte sich aber gleichzeitig ein uneingeschränktes Vetorecht in Albaniens Außenpolitik. Außerdem sollte Italien mehr Einfluß auf Albaniens Militär und Finanzwesen erhalten. International hatte Mussolini dabei freie Hand: Konservative Politiker wie Churchill oder Chamberlain[30] sahen im faschistischen Italien ein Bollwerk gegen den Bolschewismus in Südosteuropa.
Vergeblich hatte Jugoslawien gegen den Tirana-Pakt protestiert, durch den es sich bedroht fühlte. Nachdem er im November 1926 in Kraft getreten war, wurde er im Februar 1927 vom Völkerbund anerkannt. Zu einer weiteren massiven Verschlechterung der Beziehungen zwischen Albanien und Jugoslawien kam es durch die brutale Niederschlagung eines katholischen Aufstandes in Nordalbanien, wo Bergstämme noch immer Zogu Widerstand leisteten. Infolge der „Đurašković-Affäre“, in der ein jugoslawischer Dolmetscher aus Spionagegründen verhaftet worden war, brachen im Juni 1927 alle diplomatischen Beziehungen zwischen Belgrad und Tirana ab. Durch Vermittlung der Großmächte konnte dieser Schritt rückgängig gemacht werden, Jugoslawien schloß aber als Ausgleich zum 1. Tirana-Pakt am 11. November 1927 ein Bündnis mit Frankreich. Bereits am 22. November folgte der 2. Tirana-Pakt „Verteidigungsbündnis“, der inhaltlich dem ersten folgte, die Zeitfrist aber von fünf auf zwanzig Jahre ausdehnte. De facto war ein italienisches Protektorat über Albanien errichtet worden.
2. Die monarchistische Phase
Am 1. September 1928 erklärte Zogu Albanien zum Königreich und ernannte sich selbst zum „König der Albaner“[31]. Die Neuwahlen im Monat zuvor waren traditionsgemäß manipuliert worden. Noch im September wurde das Königreich von Italien, Griechenland, Ungarn, den USA, dem Vatikan und sogar Jugoslawien anerkannt.
„Zog I.“, wie er sich nun nannte, schlief höchstens vier Stunden am Tag, betrieb keinen Sport und war Kettenraucher. Mit 34 Jahren brach er aufgrund einer Kreislaufstörung zusammen. Er mußte besondere Vorsichtsmaßnahmen treffen, da er stark durch Attentate gefährdet war. Rund 600 Blutfehden hafteten an ihm; die Liste seiner Opfer umfaßte zahlreiche Stammesoberhäupte, Priester und prominente Politiker. Um Attentaten zu entgehen, hielt sich Zogu fast ständig in seinem Palast oder seiner Residenz auf, die durch einen Tunnel miteinander verbunden waren. Zu Lebzeiten seiner Mutter begleitete diese ihn meist in der Öffentlichkeit, da ein Mann nach den Regeln des Kanuns nicht getötet werden darf, wenn er von einer Frau begleitet wird. Zogus Mutter war auch die einzige Person, deren Mahlzeiten er einnahm. Insgesamt überlebte Zogu schätzungsweise 55 Attentate.
Nach den unangenehmen Erfahrungen, die Zogu mit Avni Rustemis „Bashkimi“ gemacht hatte, waren als erste Regierungsmaßnahme alle Clubs verboten worden. Um seine Macht im Volk zu festigen, entstand nun unter Zogus Schirmherrschaft eine Organisation aller Jugendlichen, der „Nationale Verband Albanische Jugend“ (Enti Kombëtar Djelmënija Shqiptare) nach dem Vorbild der faschistischen „Balilla“. Dieser Verband sollte für die körperliche, moralische und patriotische Erziehung sorgen. Zogu wollte Albanien westlicher wirken lassen und versuchte beispielsweise, den Schleier der muslimischen Frauen durch modernere Kleidung zu ersetzen.
„Trotz aller westeuropäischer Tünche blieb Zogu aber ein orientalischer Potentat, der alle Macht in seiner Hand zu konzentrieren versuchte.“[32] Albanien war bestimmt von Korruption und dem Personenkult um Zogu. Während das Land unter ärmlichen Verhältnissen litt (1927 war das Durchschnittseinkommen in Albanien halb so hoch wie das aller anderen Balkanländer, 1935 kam es zu einer Hungersnot), verbrauchte das königliche Haus jährlich fast 10 %, Polizei und Armee über 50 % der Staatseinnahmen. 85 % der albanischen Bevölkerung lebte auf dem Land, doch mußten mehr als die Hälfte der Bauern ihr Land von einigen wenigen Großgrundbesitzern pachten. Eine Agrarreform, 1928 angekündigt und 1930 verabschiedet, blieb weitgehend ohne Folgen. Erfolgreicher war die Bekämpfung der Blutrache, der Bandenkriminalität und die Verbesserung des Bildungssystems, wie etwa durch Schulgründungen. Zogu machte Gebrauch von Bestechung, Erpressung, Mord, und Folter in einem für Albanien bis dahin einmaligen Ausmaß, sorgte aber auch für einen geregelteren staatlichen Ablauf.
Da Zogu als Moslem nicht mit seiner Anerkennung als König durch den europäischen Hofadel rechnen konnte, hatte er seine Verlobung mit der Tochter des Großgrundbesitzers Shefqet Beg Vërlaci gelöst, was die beiden Männer zu Todfeinden machte. Im April 1938 heiratete Zogu Geraldine Apponyi, die Tochter eines ungarischen Grafen. Obgleich nicht reich und nur zur Hälfte adelig, entsprach sie Zogus Vorstellung einer Frau, die vor allem schön sein mußte.
3. Albanien wird endgültig Teil des „Impero Fascista“
Bis zuletzt erhielt Albanien umfangreiche italienische Kredite und lieferte sich dafür an Mussolini aus.[33] Wiederholt versuchte Zogu, Albaniens finanzielle Abhängigkeit von Italien zu verringern, während Italien die militärische Bindung noch stärken wollte. Nach dem Anschluß Österreichs an Deutschland im März 1938 hatte Italien beschlossen, Albanien zu annektieren. Im März 1939 forderte Italien von Albanien die Annahme eines noch expansiveren Beistandspaktes bis zum 6. April. Am Morgen des 7. April landeten italienische Truppen in Durrës und begannen mit Hilfe der bereits in Albanien stationierten italienischen Soldaten, das Land ohne nennenswerten Widerstand zu besetzen. Zogu floh mit seiner Frau und dem zwei Tage alten Sohn nach Istanbul. Die Kriegsjahre verbrachte Zogu in London, 1946-55 lebte er in Ägypten (bis zu dessen Sturz 1952 unter dem Schutz des albanischstämmigen Königs Faruk). Er starb am 9. April 1961 in Frankreich, ohne je wieder nach Albanien zurückgekehrt zu sein. Zogus Sohn Leka erhebt noch heute Ansprüche auf den albanischen Thron, was jedoch in einem Volksentscheid 1997 von 70 % der Albaner abgelehnt wurde.
Am 12. April trat eine neue Verfassunggebende Nationalversammlung zusammen, die die bisherige Regierung für ungültig erklärte und die Verfassung aufhob. Ministerpräsident der neuen Regierung wurde Shefqet Vërlaci, König Viktor Emanuel III. wurde „König von Albanien“.[34] Am 23. April wurde die „Albanische Faschistische Partei“ (Partia Fashista Shqiptare) als einzig legale Partei gegründet, im Juni folgte die Eingliederung der albanischen in die italienische Armee, die Auflösung des albanischen Außenministeriums und das Inkrafttreten einer neuen Verfassung nach italienischem Vorbild. Wie in Italien war die Macht an den König und die faschistische Partei gebunden, die wiederum unter dem Befehl Mussolinis stand. Lediglich die USA protestierten gegen die Unterwerfung Albaniens.
Als Italien am 10. Juni 1940 auf Seiten Deutschlands in den Zweiten Weltkrieg eintrat, befand sich damit auch Albanien im Kriegszustand. Folgen brachte dies mit Italiens Angriff auf Griechenland von Albanien aus. Mussolini wollte seinen Einfluß auf dem Balkan vor dem Deutschlands und Großbritanniens schützen. Die Albaner wurden durch eine angeblich angestrebte Befreiung des albanischen Siedlungsraumes in Griechenland für den Krieg motiviert. Nach anfänglichen Erfolgen mußten jedoch die schlecht vorbereiteten Angreifer Rückschläge einnehmen. Sie hatten mit schlechten Wetterverhältnissen zu kämpfen, durch die sie keine Flugzeuge einsetzen konnten, was ihnen eine Überlegenheit verschafft hätte. Am zweiten Tag des Angriffs war zudem das Meer zu stürmisch, um von dort aus anzugreifen. Dies und ein logistisches Chaos von Albanien aus führte zum genauen Gegenteil dessen, was Mussolinis Kommandant Visconti diesem als „colpo di mano in grande“ versprochen hatte. Mitte November begann Griechenland mit einem Rückschlag und eroberte bis Jahresende etwa ein Viertel Albaniens. Obgleich Hitler erst spät über den italienischen Angriff informiert wurde und ihn kritisierte, plante er einen Entlastungsangriff, da auch er das mögliche Eingreifen Großbritanniens fürchtete. Anfang März marschierten deutsche Truppen in Bulgarien ein, im April begann der Angriff auf Jugoslawien und Griechenland, die beide im selben Monat kapitulierten.
4. Neuordnung und deutsche Besatzung: Albanien als „Getreidekorn zwischen den Mühlsteinen“[35]
Seit dem 20. April 1941 verhandelten in Wien die Außenminister Italiens und Deutschlands über die Neuordnung auf dem Balkan. Zur italienischen Besatzungszone kamen der größte Teil Kosovos, Westmazedonien sowie die von Albanern bewohnten Gebiete Montenegros. Somit war ein Großalbanien entstanden, das sich die albanischen Patrioten immer erhofft hatten, wenn auch mit stark eingeschränkter eigener Staatlichkeit. Albanien war von 28 748 auf 42 469 qkm und von 1 122 000 auf 1 756 000 Einwohner angewachsen. In den „befreiten Gebieten“ begann die Einrichtung albanischer Verwaltung, Polizei und Schulen; von Jugoslawien zuvor dort angesiedelte Serben und Montenegriner mußten das Land wieder verlassen. Die Italiener hatten mittlerweile eine angeschlagene Stellung auf dem Balkan und versuchten, sich durch Zugeständnisse an albanische Eigenstaatlichkeit zu retten. Nach dem Sturz Mussolinis am 8. September 1943 kapitulierte Italien.
Am 11. September begann die deutsche Wehrmacht, Albanien rasch und ohne größeren Widerstand zu besetzen. Aufgrund der geringen Truppenstärke der Deutschen versuchten diese, stabile politische Verhältnisse zu schaffen, nachdem es zuvor einen dauernden Wechsel der Ministerpräsidenten gegeben hatte. Das Großalbanien sollte weiterhin bestehen bleiben und mehr Selbstständigkeit erhalten. Für Hitler war der Balkan nicht Teil des den Deutschen zustehenden Lebensraumes, sondern vielmehr Rohstoffquelle und strategisch von Bedeutung. Durch wirtschaftlichen und diplomatischen Druck sollten die Balkanstaaten Hitlers neue Weltordnung akzeptieren.
Am 14. September 1943 wurde die albanische Unabhängigkeit ausgerufen und eine Provisorische Regierung gewählt. Erste Maßnahmen waren eine Amnestie für alle politischen Gefangenen sowie die Verstaatlichung von italienischem Besitz. Die Besatzer wollten eine deutschfreundliche, antikommunistische Regierung bilden, doch die albanischen Politiker waren durch die Hoffnung auf eine baldige englische Intervention sehr reserviert. Kooperativer zeigte man sich in den neu dazugekommenen Gebieten aus Angst vor einem Wiederanschluß an Jugoslawien im Falle einer deutschen Niederlage. So waren auch Polizei und Armee mit Ausnahme der 1944 aufgebauten SS-Division „Skanderbeg“, die vor allem aus Kosovaren bestand, meist unzuverlässig.
Es trat eine teilweise Stabilisierung des Landes ein; Verwaltung, Justiz und Schulbetrieb funktionierten wieder. Außer Deutschland erkannte aber kein anderes Land Albaniens Unabhängigkeit an. Angesichts der drohenden deutschen Niederlage war es für Albanien wichtig, nicht als Verbündeter des Dritten Reiches zu erscheinen. Der Verweis auf die Neutralität Albaniens ließ die Alliierten jedoch unbeeindruckt, die weiterhin die anti-deutschen Kräfte unterstützten. Die letzte Regierung vor der kommunistischen Machtübernahme übte praktische keine Gewalt mehr aus. Im Oktober 1944 verließen deutsche Diplomaten wie albanische Politiker das Land, es begann der unerwartet langwierige und verlustreiche Rückzug der Deutschen. Am 29. November verließen die letzten Verbände der Wehrmacht Albanien. Ließ schreibt, es habe sich „erwiesen, daß auswärtige Mächte Albanien weder durch Wirtschaftshilfe und soziale Reformen noch durch militärische Gewalt auf die Dauer annektieren konnten.“[36] Dennoch bleibt anzumerken, daß es nur unter der faschistischen Besatzung zu einem ethnischen Albanien gekommen ist, was möglicherweise heutige Sympathien erklärt.
VI - Vom Kommunismus bis ins 21. Jahrhundert
1. Widerstand: Kommunisten und Ballisten
Bereits kurz nach der italienischen Besatzung war es zu spontanen Widerstandsaktionen gekommen, so z. B. zu antiitalienischen Demonstrationen am albanischen Nationalfeiertag 1939 in verschiedenen Städten. Schon passiver Widerstand führte zu Verhaftungen und Deportationen. Wie so oft in der Geschichte Albaniens waren die verschiedenen politischen Gruppen nicht zur Verständigung untereinander bereit.
Der Widerstand gegen die Besatzer war zunächst nicht von den Kommunisten ausgegangen, wie später behauptet wurde. Es waren zu Beginn nur einige wenige Auslandsalbaner, die sich der kommunistischen Bewegung anschlossen. Die Mehrheit der jungen Zwischenkriegsintelligenz war in Rom, Wien und Paris ausgebildet worden. Einige Anhänger Fan Nolis hatten 1925 in Wien ein Nationales Revolutionskomitee gegründet, das Unterstützung von Seiten der UdSSR, vor allem aber von linksgerichteten Gruppen in Frankreich bekam. Von den wenigen Albanern, die sich in Moskau fortgebildet hatten, war kaum einer bereit, sich in der Heimat kommunistischen Gruppen anzuschließen. Der bekannteste Albaner, der in der Sowjetunion von der Komintern geschult wurde, war Ali Kelmendi (1900-1939), einer der wenigen Nichtbürgerlichen der albanischen Kommunisten. In Jugoslawien als Sohn eines Landarbeiters geboren, floh er nach dem Verbot der jugoslawischen KP nach Albanien, wo er als Arbeiter seinen Lebensunterhalt verdiente. Von 1925-1930 besuchte er die UdSSR; nach seiner Rückkehr nach Albanien soll er illegale kommunistische Gruppen gegründet haben. 1934 reorganisierte er die Ende der 20er gegründete kommunistische Verbindung in Korça, die „eigentliche ,preußische’ Bildungszelle der albanischen KP“[37] und nach der Parteigeschichtsschreibung erste kommunistische Gruppe in Albanien. Zwischen 1934 und 1940 wurden weitere revolutionäre Gruppen in Tirana und Shkodra gebildet. Die Mitgliederzahl dieser Gruppen ging vermutlich nicht über 200 hinaus, zudem waren sie untereinander zerstritten. So schlossen sich die Zellen von Korça und Shkodra 1939 zusammen, brachen jedoch 1940 bereits wieder auseinander. Die Gruppen verfügten auch kaum über Grundlagen, da es keine Übersetzung wichtiger marxistisch-leninistischer Werke gab. Zudem war Albanien ein reines Agrarland ohne Proletariat, so daß es nach Marx und Engels wie in Russland zu keiner Revolution kommen konnte.
Mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion waren die kommunistischen Parteien aller Länder von der Komintern zum antifaschistischen Befreiungskampf aufgerufen worden – die albanischen Kommunisten mußten nun endlich eine Partei gründen, um dem nachzukommen. Dies geschah am 8. November 1941 in Tirana; 1. Provisorischer Sekretär wurde der junge Enver Hoxha, der rasch ein Gespür für Macht entwickelt hatte. Die KP Albaniens orientierte sich stark an der Jugoslawiens und trat mit Rücksicht auf diese nicht für den bedingungslosen Erhalt des populären Großalbaniens ein. Die Kommunisten, die sich im Sommer 1942 mit anderen Widerstandsgruppen zu einer „Nationalen Befreiungsfront“ (Fronti Nacional-Çlirimtar, FNÇ) zusammengeschlossen hatten, unterschieden sich damit von einer anderen Widerstandsgruppe, der „Nationalen Front“ (Balli Kombëtar), die im November 1942 von Midhat Frashëri gegründet wurde.
Wie die FNÇ verstanden sich die Ballisten als Sammelbecken aller patriotischer Kräfte, forderten jedoch den Fortbestand des ethnischen Albaniens. Mehr noch als die Kommunisten verlangten die Ballisten radikale soziale Verbesserungen: Es sollte keine Ausbeuter und keine Ausgebeuteten mehr geben; jeder Bauer sollte seinen eigenen Boden, jeder Arbeiter einen gesicherten Lebensunterhalt haben. Kleinere marxistische Gruppen schlossen sich den Ballisten an, die rasch zum Hauptgegner der Kommunisten wurden. Erst im August 1943 verständigten sich beide Gruppen auf die Bildung eines gemeinsamen „Komitees zur Rettung Albaniens“, das als provisorische Regierung wirken, den Fortbestand des ethnischen Albaniens sichern und nach der Befreiung freie Wahlen durchführen sollte. Die FNÇ machte ihre Teilnahme jedoch bereits im September wieder rückgängig. So wurde Ende 1943 aus dem Kampf gegen die Besatzer ein Bürgerkrieg. Da sich die beiden zerstrittenen antikommunistischen Gruppierungen, „Balli“ und die zogutreue „Legaliteti“, auf Seiten der Deutschen geschlagen hatten, konnte sich die FNÇ nun als alleiniger Kämpfer gegen die faschistischen Besatzer die Hilfe der Alliierten sichern und dadurch auch Verluste durch deutsche „Säuberungsaktionen“ im Winter 1943/44 ausgleichen.
Im Mai 1944 wurde auf einem Kongreß der FNÇ ein provisorisches Parlament gewählt. Hoxha, bereits Generalsekretär des Zentralkomitees der KPA, stand nun an der Spitze der provisorischen Regierung und war Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Im Oktober wurde er zusätzlich Ministerpräsident und besaß somit eine umfassende Machtfülle. Am 17. November eroberten die Partisanen Tirana. Hoxha zog allerdings erst am 28. November in der Hauptstadt ein, um eine bewusste Parallele zur albanischen Unabhängigkeitserklärung genau 32 Jahre zuvor zu schaffen.
2. Albanien nach dem Zweiten Weltkrieg und seine heutige Lage
Hoxha war mit Titos Hilfe an die Macht gekommen, doch es war Stalin, nach dem er Albanien ausrichtete. Dies geschah rigoroser als in anderen Ostblockstaaten und sollte länger andauern als in der Sowjetunion selbst. Schnellverfahren und Schauprozeße bestimmten das Land. Bald schon wandte sich Hoxha von Tito ab, und Albanien war „zwischen 1948 und 1961 der isolierteste Satellit des sowjetischen Machtbereiches“.[38] Als es durch die Entstalinisierung in der UdSSR zum Bruch mit Chruschtschow kam, wandte sich Albanien China zu. Auch mit Mao brach Hoxha 1977 und ließ nur noch Stalin gelten – selbst als sich alle anderen kommunistischen Länder längst von diesem differenziert hatten. Unter dem Banner des Sozialismus und der über 40jährigen Herrschaft von „Onkel Enver“, wie Hoxha im Volksmund gütig genannt wurde, führte Albaniens Weg konsequent in eine extreme Isolation. Jedes andere Land galt schließlich als imperialistischer oder revisionistischer Feind, und die kommunistische Führung gab die Parole „Me forcat tona“ („Mit unserer eigenen Kraft“) als Staatsdevise aus. Jeder zehnte der damals ca. 2,5 Millionen Albanern wurde unter Hoxha umgebracht, was deutlich die Verluste im Zweiten Weltkrieg übertrifft. Anstelle von dringend benötigten Wohnungen wurden Hunderttausende Bunker in Albanien errichtet – auf einer Fläche etwa so groß wie Belgien. Noch heute stechen diese Betonpilze dem Besucher ins Auge.
Die „Partei der Arbeit“ brachte jedoch auch beachtliche Fortschritte in Industrie, Landwirtschaft sowie in Kultur- und Bildungswesen. Aber auch diese können nicht über die permanent marode Wirtschaftslage und die erschreckenden Menschenrechtsverletzungen hinwegtäuschen, die noch immer traumatisch für die Albaner wirken. Nach Hoxhas Tod 1985 wurde Ramiz Alia sein Nachfolger und unternahm einige zaghafte Reformen – „Kontinuität“ blieb aber oberstes politisches Prinzip.
Als sich Albanien nach massiven Protesten und Unruhen, vor allem von Seiten der Studenten, 1990-91 endlich dem Westen öffnete, traf die Einführung des Pluralismus und der Marktwirtschaft das Land völlig unvorbereitet. Chaos im Landesinneren und Massenfluchten ins Ausland waren die Folgen. Nach der Öffnung erhielt Albanien mehr Wirtschaftshilfe im Einwohnerverhältnis als die Staaten des ehemaligen Ostblocks, doch die massive Unterstützung verschwand häufig durch Korruption und Machtmissbrauch. Dennoch konnte sich Albanien allmählich stabilisieren, bis 1997 sogenannte Pyramidensysteme, die Anlegern bis zu 30% Zinsen versprochen hatten, zusammenbrachen. Viele Albaner, die auf schnellen Reichtum gehofft und ihr gesamtes Eigentum verloren hatten, plünderten die Militärdepots. Wieder herrschte Anarchie. Seit 1998 hat sich die Lage wieder normalisiert, und selbst die immensen Flüchtlingsströme während des Kosovo-Konflikts überstand Albanien erstaunlich gut. Dennoch ist Albaniens Weg nach Europa weit; noch immer ist das Land in der Übergangszeit.
Wo früher Arbeitszwang herrschte, bestimmt heute Arbeitslosigkeit das Bild. Wo früher Strom exportiert wurde und ein Haushalt mit einer einzigen Glühbirne und ohne Kühlschrank, Waschmaschine oder Fernseher auskommen musste, bricht heute das überlastete Stromsystem über lange Tagesstrecken zusammen. Wo früher der Privatbesitz von Autos verboten war und Transport oft per Fahrrad oder Eselsfuhrwerk abgewickelt wurde, fahren heute vor den Augen der Polizei gestohlene Luxusautos oder alte Fahrzeuge, die unablässig Dreck in die Luft schleudern. Nach dem Staatssozialismus, der Isolation und Rückständigkeit gebracht hatte, sehen sich viele Menschen in Albanien von den Parteien des Pluralismus ebenso betrogen wie vom Kapitalismus, den sie zu Beginn der 90er noch als Patentrezept für wirtschaftliche und politische Integration betrachtet hatten.
Und eines Tages, wenn sich inwendig alles gründlich gesetzt hat, geht es vielleicht aus den Händen oder aus dem Mund wieder hervor. Und eine Menge wird falsch sein, aber gerade genug davon wird richtig herauskommen. Heute ziehen wir einfach weiter, um zu sehen, wie die Welt aussieht, wie sie geht und steht. Alles will ich jetzt sehen. Wenn es in mich hineingeht, gehört zwar noch nichts davon zu mir selbst, aber nach einiger Zeit schließt sich inwendig alles zusammen, und dann gehört es zu mir selbst.
Ray Bradbury, Fahrenheit 451
Quellen:
1) Bernhard Tönnes, Sonderfall Albanien: Enver Hoxhas „eigener Weg“ und die historischen Ursprünge seiner Ideologie, München 1980, R. Oldenbourg Verlag
2) Peter Bartl, Albanien: vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Regensburg 1995, Verlag Friedrich Pustet
3) Michael Schmidt-Neke, Entstehung und Ausbau der Königsdiktatur in Albanien (1912-1939), München 1987, R. Oldenbourg Verlag
4) Otto Rudolf Ließ, Albanien zwischen Ost und West, Hannover 1968, Niedersächsische Landeszentrale für Politische Bildung
5) Paul Lendvai, Das einsame Albanien: Reportage aus dem Land der Skipetaren, Zürich 1986, Edition Interfrom
6) Skënder Gashi (Hrsg.), Dardania - Zeitschrift für Geschichte, Kultur, Literatur und Politik, Wien 1996; daraus: Michael Schmidt-Neke, Der Kanun der albanischen Berge: Hintergrund der nordalbanischen Lebensweise
7) Misha Glenny, The Balkans 1804-1999: Nationalism, War and the Great Powers, London 1999, Granta Books
8) Werner Daum (Hrsg.), Albanien zwischen Kreuz und Halbmond, München 1998, Pinguin Verlag; daraus: Peter Bartl, Albanien u