dzouzef
West- und Südslawe
Ort der Stille
Wenn es um Religion in der Schule geht, macht die Hauptstadt immer wieder Furore. Das war so, als die umstrittene Islamische Föderation das Recht erhielt, junge Muslime in Schulräumen zu unterweisen. Und erst recht, als die Initiative "Pro Reli" per Volksentscheid die Gleichsetzung des Religions- mit dem Ethikunterricht durchsetzen wollte. Und trotz bundesweiter Unterstützung scheiterte.
In der kommenden Woche könnte es wieder so sein. Am Dienstag entscheidet das Verwaltungsgericht Berlin, ob ein Berliner Gymnasium einem 16-jährigen muslimischen Schüler einen ungestörten Raum zum Gebet zur Verfügung stellen muss - oder nicht. Im vergangenen Jahr hatten die Richter in einer Eilentscheidung - es war deswegen eilig, weil dem Jungen das Gebet untersagt worden war - bereits befunden: Die Schule muss.
Streit endet mit Verweis
Vorangegangen war ein Streit zwischen dem Jungen und seinen Eltern und der Schulleitung des Diesterweg-Gymnasiums im Berliner Bezirk Wedding. Als der damals 14-jährige Yunus K. sich immer wieder zum Gebet auf dem Schulflur niederließ, untersagte die Direktorin das mit Verweis auf die gebotene Neutralität der Schule.
Der Junge berief sich auf seine islamische Pflicht zum fünfmaligen Gebet am Tag und klagte. Die Richter gaben ihm Recht. Allerdings forderten sie nicht, wie damals in der Presse kolportiert, die Einrichtung eines "islamischen Gebetsraums". Sondern, dass die Schule "zumutbare Bedingungen schaffe, die dem Antragsteller ein ungestörtes Beten in einem für andere nicht ohne Weiteres zugänglichen Bereich" ermöglichen.
In seiner Begründung urteilte das Gericht, die Neutralitätspflicht des Staates ziele nicht auf die Pflicht oder das Recht, religiöse Bekundungen von Schülern generell zu unterbinden. Die grundgesetzlich verbriefte Religionsfreiheit umfasse demgegenüber nicht nur den Glauben, sondern auch seine Bekundung, "insbesondere auch das Beten". Außerdem werde durch die Einrichtung eigener Räume die Gefahr gebannt, dass das Gebet "demonstrativen beziehungsweise werbenden" Charakter bekommt.
Die Schulseite war empört: Es gelte "sicherzustellen", dass Schule "ein Ort von Erziehung und Bildung in einem weltanschaulich und religiös neutralen Rahmen" bleibe, erklärte Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD). Auch die Opposition empörte sich (siehe Interview).
"Die Turnhalle räumen?"
Der Vorsitzende der GEW-internen Berliner Schulleitervereinigung warnte: "Was sollen wir tun, wenn an einer Schule in Neukölln 400 Muslime in der Pause beten wollen? Die Turnhalle räumen?" Eineinhalb Jahre später - solange hat es bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens gedauert - wollen weder Schule noch Senator erneut Stellung beziehen.
In einem "schwebenden Verfahren" wolle man sich nicht äußern, teilt ein Sprecher Zöllners schriftlich mit. Im Sekretariat der Schulleitung heißt es ebenso. Nur soviel teilt man mit: Ja, "behelfsmäßig" habe man dem Jungen nach dem damaligen Urteil einen Gebetsraum eingerichtet. Davon, dass weitere Schulen dem Beispiel gefolgt sind oder weitere Eltern einen Betraum gefordert hätten, ist bisher nichts bekannt. Ebensowenig, ob es nicht Schulen gibt, in denen in ähnlichen Fällen unter der Hand Lösungen gefunden wurden.
In der Realität schieben die allermeisten muslimischen Schüler ihre Gebete während der Schulzeit vermutlich auf den Nachmittag und holen sie zuhause nach. Wer verhindert sei, erklärt die Berliner Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus, für den sei dies erstens durchaus zulässig. Zweitens handle es sich bei den täglich wechselnden Gebetszeiten nicht um präzise Angaben wie 11.15 oder 13.20 Uhr - sondern um Zeiträume von mehreren Stunden.
Momente der Besinnung
Riem Spielhaus macht aber auch darauf aufmerksam, dass der Rückzug zum Gebet (fünfmal am Tag) mit religiösem Fundamentalismus nichts zu tun habe. "Beten heißt auch, inne zu halten, Pause zu machen", erklärt sie, "für religiöse Menschen sind diese regelmäßigen Momente der Besinnung ganz wichtig." Dem Staat, hatte das Verwaltungsgericht in seiner Eilentscheidung beschieden, sei es ohnehin verwehrt, Muslime darauf zu verweisen, was ihr Glaube zulasse und was nicht.
Der Zentralrat der Muslime will die Frage, ob Schulkinder ihre Gebete pünktlich verrichten oder aufschieben sollten, nicht kommentieren. "Das ist eine individuelle und intime Entscheidung", erklärt der Generalsekretär Aiman Mazyek. Grundsätzlich begrüßt Mazyek das Zustandekommen eines Urteils. "Dass Muslime Gerichte anrufen, um solche Fragen zu erörtern, ist kein Unding, sondern ein positives Signal. Genau dort gehören sie in einem Rechtsstaat hin." Die Einrichtung regelrechter islamischer Gebetsräume sei allerdings theologisch sicher nicht zwingend geboten.
Aber was sonst? Islamwissenschaftlerin Spielhaus plädiert für die Schaffung "multifunktionaler, flexibler Ruheräume für alle Religionen". "So wird es auch an einigen Universitäten gehandhabt." Islamische Beträume an Schulen hielte sie für ein fatales Signal. Man dürfe "nichts schaffen, was von jungen Muslimen für ihre Identitätspolitik und auch zu Werbezwecken genutzt werden kann", sagt Spielhaus, "wir leben in einem pluralistischen Land. Da braucht es pluralistische Lösungen."
Betraum: Ort der Stille | Frankfurter Rundschau - Wissen & Bildung
Wenn es um Religion in der Schule geht, macht die Hauptstadt immer wieder Furore. Das war so, als die umstrittene Islamische Föderation das Recht erhielt, junge Muslime in Schulräumen zu unterweisen. Und erst recht, als die Initiative "Pro Reli" per Volksentscheid die Gleichsetzung des Religions- mit dem Ethikunterricht durchsetzen wollte. Und trotz bundesweiter Unterstützung scheiterte.
In der kommenden Woche könnte es wieder so sein. Am Dienstag entscheidet das Verwaltungsgericht Berlin, ob ein Berliner Gymnasium einem 16-jährigen muslimischen Schüler einen ungestörten Raum zum Gebet zur Verfügung stellen muss - oder nicht. Im vergangenen Jahr hatten die Richter in einer Eilentscheidung - es war deswegen eilig, weil dem Jungen das Gebet untersagt worden war - bereits befunden: Die Schule muss.
Streit endet mit Verweis
Vorangegangen war ein Streit zwischen dem Jungen und seinen Eltern und der Schulleitung des Diesterweg-Gymnasiums im Berliner Bezirk Wedding. Als der damals 14-jährige Yunus K. sich immer wieder zum Gebet auf dem Schulflur niederließ, untersagte die Direktorin das mit Verweis auf die gebotene Neutralität der Schule.
Der Junge berief sich auf seine islamische Pflicht zum fünfmaligen Gebet am Tag und klagte. Die Richter gaben ihm Recht. Allerdings forderten sie nicht, wie damals in der Presse kolportiert, die Einrichtung eines "islamischen Gebetsraums". Sondern, dass die Schule "zumutbare Bedingungen schaffe, die dem Antragsteller ein ungestörtes Beten in einem für andere nicht ohne Weiteres zugänglichen Bereich" ermöglichen.
In seiner Begründung urteilte das Gericht, die Neutralitätspflicht des Staates ziele nicht auf die Pflicht oder das Recht, religiöse Bekundungen von Schülern generell zu unterbinden. Die grundgesetzlich verbriefte Religionsfreiheit umfasse demgegenüber nicht nur den Glauben, sondern auch seine Bekundung, "insbesondere auch das Beten". Außerdem werde durch die Einrichtung eigener Räume die Gefahr gebannt, dass das Gebet "demonstrativen beziehungsweise werbenden" Charakter bekommt.
Die Schulseite war empört: Es gelte "sicherzustellen", dass Schule "ein Ort von Erziehung und Bildung in einem weltanschaulich und religiös neutralen Rahmen" bleibe, erklärte Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD). Auch die Opposition empörte sich (siehe Interview).
"Die Turnhalle räumen?"
Der Vorsitzende der GEW-internen Berliner Schulleitervereinigung warnte: "Was sollen wir tun, wenn an einer Schule in Neukölln 400 Muslime in der Pause beten wollen? Die Turnhalle räumen?" Eineinhalb Jahre später - solange hat es bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens gedauert - wollen weder Schule noch Senator erneut Stellung beziehen.
In einem "schwebenden Verfahren" wolle man sich nicht äußern, teilt ein Sprecher Zöllners schriftlich mit. Im Sekretariat der Schulleitung heißt es ebenso. Nur soviel teilt man mit: Ja, "behelfsmäßig" habe man dem Jungen nach dem damaligen Urteil einen Gebetsraum eingerichtet. Davon, dass weitere Schulen dem Beispiel gefolgt sind oder weitere Eltern einen Betraum gefordert hätten, ist bisher nichts bekannt. Ebensowenig, ob es nicht Schulen gibt, in denen in ähnlichen Fällen unter der Hand Lösungen gefunden wurden.
In der Realität schieben die allermeisten muslimischen Schüler ihre Gebete während der Schulzeit vermutlich auf den Nachmittag und holen sie zuhause nach. Wer verhindert sei, erklärt die Berliner Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus, für den sei dies erstens durchaus zulässig. Zweitens handle es sich bei den täglich wechselnden Gebetszeiten nicht um präzise Angaben wie 11.15 oder 13.20 Uhr - sondern um Zeiträume von mehreren Stunden.
Momente der Besinnung
Riem Spielhaus macht aber auch darauf aufmerksam, dass der Rückzug zum Gebet (fünfmal am Tag) mit religiösem Fundamentalismus nichts zu tun habe. "Beten heißt auch, inne zu halten, Pause zu machen", erklärt sie, "für religiöse Menschen sind diese regelmäßigen Momente der Besinnung ganz wichtig." Dem Staat, hatte das Verwaltungsgericht in seiner Eilentscheidung beschieden, sei es ohnehin verwehrt, Muslime darauf zu verweisen, was ihr Glaube zulasse und was nicht.
Der Zentralrat der Muslime will die Frage, ob Schulkinder ihre Gebete pünktlich verrichten oder aufschieben sollten, nicht kommentieren. "Das ist eine individuelle und intime Entscheidung", erklärt der Generalsekretär Aiman Mazyek. Grundsätzlich begrüßt Mazyek das Zustandekommen eines Urteils. "Dass Muslime Gerichte anrufen, um solche Fragen zu erörtern, ist kein Unding, sondern ein positives Signal. Genau dort gehören sie in einem Rechtsstaat hin." Die Einrichtung regelrechter islamischer Gebetsräume sei allerdings theologisch sicher nicht zwingend geboten.
Aber was sonst? Islamwissenschaftlerin Spielhaus plädiert für die Schaffung "multifunktionaler, flexibler Ruheräume für alle Religionen". "So wird es auch an einigen Universitäten gehandhabt." Islamische Beträume an Schulen hielte sie für ein fatales Signal. Man dürfe "nichts schaffen, was von jungen Muslimen für ihre Identitätspolitik und auch zu Werbezwecken genutzt werden kann", sagt Spielhaus, "wir leben in einem pluralistischen Land. Da braucht es pluralistische Lösungen."
Betraum: Ort der Stille | Frankfurter Rundschau - Wissen & Bildung