Eingeschlafen sind wir als Muslime, aufgewacht sind wir als Bosniaken
Auf die Frage nach den Gründen für den Namenswechsel kann es keine eindeutige Antwort geben. Viel entscheidender jedoch ist die Feststellung, dass mit der Entscheidung zum Namenswechsel noch längst keine Entscheidung über die In-halte der neuen „bosniakischen“ Identität gefallen ist. Ohne den bosnischen Mus-limen das Recht auf die Manifestation ihrer nationalen Identität bestreiten zu wol-len, wäre es verfehlt, das Votum für den bosniakischen Namen während des Boš-njački Sabor als Ausdruck eines genuinen, stabilen nationalen Selbstverständnis-ses zu bewerten. Unabhängig davon, dass Meinungsumfragen oder ein Referendum unter der breiten Bevölkerung unter den gegebenen Umständen nicht möglich waren,473 war dieses Votum eine elitäre Demonstration von Benennungs- und Deutungsmacht über die bosnisch-muslimische nationale Identität.Die Diskussion von 1990 zeigt deutlich, dass selbst die bosnisch-muslimische Elite ihr historisches Selbstverständnis nicht zweifelsfrei und selbstverständlich aus dem Bosniakentum schöpfte.(..)
For the Muslim population of Bosnia-Herzegovina, ‘Muslim identity’ is a complex and changing concept which...they have had to modify constantly in order to adapt to the current situation. This has obliged their ‘theoreticians’ to expunge some established his-torical facts or falsify the past in order to present a ‘new version’ of Muslim identity in a ne varietur continuity, proving ‘conclusively’ and ‘scientifically’…the soundness of that new version.(..)
wie das Oszillieren der bosnisch-muslimischen Elite zwi-schen den beiden nationalen Identitätskonzeptionen muslimanstvo und bošnjaštvo allein in den Jahren 1990–1994 zeigt. Deutlich wurde in diesem kurzen Zeitabschnitt aber auch, dass die Unterschiede zwischen den beiden Nationalprogrammen durchaus fließend sein können: Ein säkular verstandenes muslimanstvo, bei dem die Religion als Privatangelegenheit verstanden wird, und ein bošnjaštvo, das wie in Zulfikarpašićs Referat auf dem Symposium von 1990 geschehen – den Islam stark betont, können enger beieinander liegen, als die jeweiligen Verfechter vielfach glauben machen wollen.(..)
Die Einschätzung Babunas, der Namenswechsel bedeute eine „Versöhnung inner-halb der muslimischen politischen Elite“ erscheint angesichts solcher Kritik allzu optimistisch.495 Die Übernahme des Bosniakenbegriffs zeigt lediglich, dass sich jener Teil der bosnisch-muslimischen Elite durchgesetzt hat, der die Nation zu-mindest formal von der Religion entkoppeln und die Bindung an den bosnischen Staat und seine vorosmanische Geschichte und Kultur hervorheben wollte(..)Zulfikarpašić zufolge ist das „Bosniakentum“ die wahre und einzige nationale Identifikation der bosnischen Muslime,511 dabei aber prinzipiell überkonfessionell definiert, denn Zulfikarpašić spricht von „Bosniaken aller drei Religionen“.512 Das Nationalgefühl der bosnischen Muslime ist „älter, verwurzelter, stärker und auf-richtiger“ als bei ihren „orthodoxen und katholischen Nachbarn“, und „im Wesen von deren nationalen Bestimmungen unterschiedlich“.(..)