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Wie Massenmörder Anders Breivik als Häftling den Strafvollzug in Norwegen auf die Probe stellt
Endlich war es etwas ruhiger geworden um Anders Breivik. Norwegens Massenmörder hat es in den vergangenen Monaten nicht mehr so häufig in die Presse geschafft. Immer wieder hatten die Journalisten über seine zahlreichen Beschwerden geschrieben, die veraltete Playstation in seiner Zelle, den kalten Kaffee, den Mangel an Butter auf seinem Brot. Zuletzt beschwerte er sich über die Isolationshaft, in der er seit mehr als 40 Monaten sitzt. Dort langweilt er sich offenbar. Im Herbst 2013 wollte der 35 Jahre alte Breivik ein Fernstudium in Politikwissenschaften beginnen. Im Herbst 2014 verkündete er, eine Partei zu gründen. Vor allem aber will er Aufmerksamkeit. Die Norweger hingegen möchten ihn einfach nur vergessen.
Massenmörder Anders Behring Breivik im August 2012, als er den Gerichtssaal in Oslo betritt.
Diesen Winter aber kommen die Klagen von der anderen Seite der Hochsicherheitstüren. Gefängnismitarbeiter sprachen anonym mit der Zeitung Verdens Gang über den Häftling. Sie seien „erschöpft“ von der Arbeit mit ihm, hieß es in dem Artikel. Jeden Tag dem Menschen zu begegnen, der 77 Menschen in Oslo und auf der Insel Utøya getötet hat, zehrt offenbar an den Nerven. Besonders schwierig: Breivik bereut nicht. Der Rechtsextremist versucht vielmehr, seine Aufseher von seiner kruden Weltsicht zu überzeugen.
Mit Vergessen ist es also nicht getan. Der Gefangene verschwindet dadurch nicht einfach aus seiner Zelle im Hochsicherheitstrakt von Skien, zwei Stunden südlich von Oslo. 21 Jahre muss er absitzen, Höchststrafe. Anschließend ist Sicherungsverwahrung möglich. Dem Strafvollzug bleibt er also noch eine Weile erhalten.
Zwei Dinge machten den Umgang mit Breivik für die Gefängniswärter besonders schwierig, sagt Terrorismusexperte Franck Orban. Erstens, dass er Norweger sei, norwegisch aussehe und norwegisch spreche. Zweitens, dass er ziemlich freundlich sein könne und sich im nächsten Moment wieder über alles beschwere. „Das erhöht die Gefahr von Manipulation“, sagt Orban, der früher an der Norwegischen Akademie für Strafvollzugsdienst geforscht hat, mit Schwerpunkt Terrorismus und Radikalisierung. Heute lehrt er an der Østfold Universität. Für Breivik gilt eine besondere Hochsicherheitsstufe, die laut Orban in Norwegen derzeit nur für ihn verwendet wird. Jeden Tag beschäftige der Terrorist mindestens 20 der besten Gefängnismitarbeiter, koste sein Aufenthalt den Staat umgerechnet 3500 Euro. Allein der enorme Schriftverkehr des Häftlings ist eine Last, denn jeder Brief muss kontrolliert werden. Breivik schreibt an Journalisten, Behörden, Rechtsextreme. Seinem Vater schrieb er, er wolle ihn nicht sehen, solange dieser nicht seine „faschistische“ Ideologie übernehme. Kurz vor Weihnachten wurde bekannt, dass die Justizbehörde bisher 220 von Breiviks Briefen abgefangen hat. Sie möchte verhindern, dass sich der Gefangene ein terroristisches Netzwerk aufbaut.
Ein ähnliches Argument gilt für seine Isolationshaft: Breivik hat keinerlei Kontakt zu anderen Gefangenen, damit er sie nicht ideologisch kontaminiert. Außerdem muss er selbst offenbar vor Angriffen geschützt werden. Norwegens Gefängnisse mussten dafür extra umbauen, zwei können ihn nun beherbergen: Skien und Ila bei Oslo. Er ist mehrfach zwischen diesen beiden verlegt worden, aus Sicherheitsgründen. Aber auch, um das Personal zu entlasten, bestätigt Karl Hillesland, Gefängnisdirektor in Skien. Weder er noch der Direktor von Ila möchte Fragen zu einzelnen Gefangen beantworten. Seine Mitarbeiter seien „hochqualifiziert und sehr professionell“, so Hillesland. Allerdings müssten sie auch mal „etwas Pause haben“, deswegen werde das Team regelmäßig ausgetauscht.
Knut Are Svenkerud, Sprecher des Verbandes der Gefängnismitarbeiter, erklärt das etwas ausführlicher. Er spricht von Routinen, die gefährlich werden können. Ein Gefangener dieser Sicherheitsstufe soll weder seine Umgebung noch seine Wärter zu gut kennenlernen und womöglich Einfluss auf sie gewinnen. Auch Svenkerud möchte nicht näher auf Breivik eingehen. Die Wärter in Norwegens sichersten Zellentrakten seien es jedoch gewohnt, Schwerverbrecher ins Gefängnis kommen zu sehen, Menschen, „die fürchterliche Dinge getan haben“ und „sehr hart“ seien. Nach ein paar Tagen im Knast ließen sie jedoch alle menschliche Gefühle erkennen, und Reue, für das was sie getan haben. Nicht aber Breivik. „Es ist schwer für die Mitarbeiter, wenn da jemand ist, der nichts von alledem zeigt.“
Die Norweger sperren niemanden länger als 21 Jahre ein, weil sie an Resozialisierung glauben. Gilt das auch für einen uneinsichtigen Massenmörder? Norwegen ist ein kleines Land. Nahezu jeder kennt jemanden, der von Breiviks Anschlägen betroffen war. Viele halten seine Rückkehr in die Gesellschaft für utopisch. Die Sozialanthropologin Erika Fatland gehört dazu. Sie hat ein Buch über Utøya geschrieben. „Ich war ziemlich erschrocken, als eine Diskussion in den Medien begann, ob wir nun anfangen sollten, Breivik als normalen Gefangenen zu behandeln“, sagt sie. Ihr fielen sofort zwei Dinge ein: Breivik, der sich im Gericht dafür entschuldigt, dass er es nicht geschafft hat, noch mehr Menschen zu töten. Und sein Manifest, in dem er beschreibt, wie er seine Zeit im Gefängnis nutzen möchte, um andere zu rekrutierten und eine „Bonus-Attacke“ zu planen. „Haben wir das schon vergessen?“, fragt sie. „Das hat mich einfach geschockt – als unglaublich naiv.“
Die Diskussion um Breiviks Zukunft begann vergangenes Frühjahr. Der Gefangene hatte angekündigt, gegen seine Isolationshaft klagen zu wollen. Die Tageszeitung Aftenposten zitierte damals Breiviks Anwalt Tord Jordet, der von „zusätzlicher Bestrafung“ sprach. Der Artikel zitierte dann noch einige Rechtsexperten, die Breiviks Isolation „fragwürdig“, bis „nicht zu rechtfertigen“ nannten.
Die Behörden betonen derweil, Breivik würde den Regeln entsprechend behandelt. Außer seiner Freiheit hat er seine Grundrechte nicht verloren und testet nun offenbar deren Grenzen aus, etwa mit dem Studiumswunsch oder der Parteigründung. Beides stellte sich als schwierig heraus, sagt Terrorismusexperte Orban. Eine Partei muss angemeldet werden, 5000 wahlberechtigte Norweger müssen sich für die Registrierung aussprechen, und dann ist da noch die Gründungssitzung, die wohl schlecht in Isolationshaft stattfinden kann. Was das Studium angeht, darf Breivik zwar seit Herbst 2013 Kurse im Fernstudium belegen. Studieren alleine und ohne Internetzugang sei aber offenbar nicht das gewesen, was Breivik sich vorgestellt hatte, so Orban.
Der schwierige Gefangene - Leben - jetzt.de
Endlich war es etwas ruhiger geworden um Anders Breivik. Norwegens Massenmörder hat es in den vergangenen Monaten nicht mehr so häufig in die Presse geschafft. Immer wieder hatten die Journalisten über seine zahlreichen Beschwerden geschrieben, die veraltete Playstation in seiner Zelle, den kalten Kaffee, den Mangel an Butter auf seinem Brot. Zuletzt beschwerte er sich über die Isolationshaft, in der er seit mehr als 40 Monaten sitzt. Dort langweilt er sich offenbar. Im Herbst 2013 wollte der 35 Jahre alte Breivik ein Fernstudium in Politikwissenschaften beginnen. Im Herbst 2014 verkündete er, eine Partei zu gründen. Vor allem aber will er Aufmerksamkeit. Die Norweger hingegen möchten ihn einfach nur vergessen.
Massenmörder Anders Behring Breivik im August 2012, als er den Gerichtssaal in Oslo betritt.
Diesen Winter aber kommen die Klagen von der anderen Seite der Hochsicherheitstüren. Gefängnismitarbeiter sprachen anonym mit der Zeitung Verdens Gang über den Häftling. Sie seien „erschöpft“ von der Arbeit mit ihm, hieß es in dem Artikel. Jeden Tag dem Menschen zu begegnen, der 77 Menschen in Oslo und auf der Insel Utøya getötet hat, zehrt offenbar an den Nerven. Besonders schwierig: Breivik bereut nicht. Der Rechtsextremist versucht vielmehr, seine Aufseher von seiner kruden Weltsicht zu überzeugen.
Mit Vergessen ist es also nicht getan. Der Gefangene verschwindet dadurch nicht einfach aus seiner Zelle im Hochsicherheitstrakt von Skien, zwei Stunden südlich von Oslo. 21 Jahre muss er absitzen, Höchststrafe. Anschließend ist Sicherungsverwahrung möglich. Dem Strafvollzug bleibt er also noch eine Weile erhalten.
Zwei Dinge machten den Umgang mit Breivik für die Gefängniswärter besonders schwierig, sagt Terrorismusexperte Franck Orban. Erstens, dass er Norweger sei, norwegisch aussehe und norwegisch spreche. Zweitens, dass er ziemlich freundlich sein könne und sich im nächsten Moment wieder über alles beschwere. „Das erhöht die Gefahr von Manipulation“, sagt Orban, der früher an der Norwegischen Akademie für Strafvollzugsdienst geforscht hat, mit Schwerpunkt Terrorismus und Radikalisierung. Heute lehrt er an der Østfold Universität. Für Breivik gilt eine besondere Hochsicherheitsstufe, die laut Orban in Norwegen derzeit nur für ihn verwendet wird. Jeden Tag beschäftige der Terrorist mindestens 20 der besten Gefängnismitarbeiter, koste sein Aufenthalt den Staat umgerechnet 3500 Euro. Allein der enorme Schriftverkehr des Häftlings ist eine Last, denn jeder Brief muss kontrolliert werden. Breivik schreibt an Journalisten, Behörden, Rechtsextreme. Seinem Vater schrieb er, er wolle ihn nicht sehen, solange dieser nicht seine „faschistische“ Ideologie übernehme. Kurz vor Weihnachten wurde bekannt, dass die Justizbehörde bisher 220 von Breiviks Briefen abgefangen hat. Sie möchte verhindern, dass sich der Gefangene ein terroristisches Netzwerk aufbaut.
Ein ähnliches Argument gilt für seine Isolationshaft: Breivik hat keinerlei Kontakt zu anderen Gefangenen, damit er sie nicht ideologisch kontaminiert. Außerdem muss er selbst offenbar vor Angriffen geschützt werden. Norwegens Gefängnisse mussten dafür extra umbauen, zwei können ihn nun beherbergen: Skien und Ila bei Oslo. Er ist mehrfach zwischen diesen beiden verlegt worden, aus Sicherheitsgründen. Aber auch, um das Personal zu entlasten, bestätigt Karl Hillesland, Gefängnisdirektor in Skien. Weder er noch der Direktor von Ila möchte Fragen zu einzelnen Gefangen beantworten. Seine Mitarbeiter seien „hochqualifiziert und sehr professionell“, so Hillesland. Allerdings müssten sie auch mal „etwas Pause haben“, deswegen werde das Team regelmäßig ausgetauscht.
Knut Are Svenkerud, Sprecher des Verbandes der Gefängnismitarbeiter, erklärt das etwas ausführlicher. Er spricht von Routinen, die gefährlich werden können. Ein Gefangener dieser Sicherheitsstufe soll weder seine Umgebung noch seine Wärter zu gut kennenlernen und womöglich Einfluss auf sie gewinnen. Auch Svenkerud möchte nicht näher auf Breivik eingehen. Die Wärter in Norwegens sichersten Zellentrakten seien es jedoch gewohnt, Schwerverbrecher ins Gefängnis kommen zu sehen, Menschen, „die fürchterliche Dinge getan haben“ und „sehr hart“ seien. Nach ein paar Tagen im Knast ließen sie jedoch alle menschliche Gefühle erkennen, und Reue, für das was sie getan haben. Nicht aber Breivik. „Es ist schwer für die Mitarbeiter, wenn da jemand ist, der nichts von alledem zeigt.“
Die Norweger sperren niemanden länger als 21 Jahre ein, weil sie an Resozialisierung glauben. Gilt das auch für einen uneinsichtigen Massenmörder? Norwegen ist ein kleines Land. Nahezu jeder kennt jemanden, der von Breiviks Anschlägen betroffen war. Viele halten seine Rückkehr in die Gesellschaft für utopisch. Die Sozialanthropologin Erika Fatland gehört dazu. Sie hat ein Buch über Utøya geschrieben. „Ich war ziemlich erschrocken, als eine Diskussion in den Medien begann, ob wir nun anfangen sollten, Breivik als normalen Gefangenen zu behandeln“, sagt sie. Ihr fielen sofort zwei Dinge ein: Breivik, der sich im Gericht dafür entschuldigt, dass er es nicht geschafft hat, noch mehr Menschen zu töten. Und sein Manifest, in dem er beschreibt, wie er seine Zeit im Gefängnis nutzen möchte, um andere zu rekrutierten und eine „Bonus-Attacke“ zu planen. „Haben wir das schon vergessen?“, fragt sie. „Das hat mich einfach geschockt – als unglaublich naiv.“
Die Diskussion um Breiviks Zukunft begann vergangenes Frühjahr. Der Gefangene hatte angekündigt, gegen seine Isolationshaft klagen zu wollen. Die Tageszeitung Aftenposten zitierte damals Breiviks Anwalt Tord Jordet, der von „zusätzlicher Bestrafung“ sprach. Der Artikel zitierte dann noch einige Rechtsexperten, die Breiviks Isolation „fragwürdig“, bis „nicht zu rechtfertigen“ nannten.
Die Behörden betonen derweil, Breivik würde den Regeln entsprechend behandelt. Außer seiner Freiheit hat er seine Grundrechte nicht verloren und testet nun offenbar deren Grenzen aus, etwa mit dem Studiumswunsch oder der Parteigründung. Beides stellte sich als schwierig heraus, sagt Terrorismusexperte Orban. Eine Partei muss angemeldet werden, 5000 wahlberechtigte Norweger müssen sich für die Registrierung aussprechen, und dann ist da noch die Gründungssitzung, die wohl schlecht in Isolationshaft stattfinden kann. Was das Studium angeht, darf Breivik zwar seit Herbst 2013 Kurse im Fernstudium belegen. Studieren alleine und ohne Internetzugang sei aber offenbar nicht das gewesen, was Breivik sich vorgestellt hatte, so Orban.
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