Osteuropa
Serbiens Börse wird salonfähig
25. November 2005 Durch die EU-Annäherung und eine seit Jahren währende Hausse sind die meisten Ostbörsen längst salonfähig. Einen Status als Exot haben aber praktisch noch alle Börsen aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens inne. Das gilt auch für den serbischen Aktienmarkt, der unter Privatanlegern praktisch keine Beachtung findet.
Die Zurückhaltung dürfte nicht zuletzt auf Ereignisse wie den Kosovokrieg im Jahr 1999 zurückzuführen sein. Zumindest gilt die Region deswegen heute noch oft als Pulverfaß. Trotz der Risiken haben einige institutionelle Anleger ihre Scheu abgelegt und die Börse in Belgrad entdeckt. Und wer frühzeitig einstieg, der wurde für seinen Pioniergeist bereits belohnt: Seit Mai 2004 kletterte der BELEXfm-Index um rund 60 Prozent.
Hoffen auf große Börsengänge
Angelockt wurden die Vorreiter durch viele unter ihrem Buchwert gehandelte Aktien. Die ehemals drastische Unterbewertung wurde inzwischen zwar merklich abgebaut. Wie die zahlreichen aus dem Ausland stammenden Übernahmeangebote für serbische Firmen aber zeigen, finden sich offenbar auch jetzt noch interessante Zielobjekte. Besonders im Fokus steht dabei der Bankensektor. Nachdem die österreichische Erste Bank die Übernahme der Novosadska Banka gerade endgültig unter Dach und Fach gebracht hat, steht der Verkauf der Institute Niska Banka, Vojvodjanska und Pannonska Banka kurz vor dem Abschluß.
Der vom Privatisierungsprozeß ausgehende Schwung dürfte anhalten, hat sich die Regierung für 2006 doch den Verkauf von 600 Staatsbetrieben vorgenommen. Die Börsianer achten dabei vor allem auf den Versicherungssektor. Außerdem hoffen sie, daß die Schwergewichte Telekom Srbija und der Versorger EPS an die Börse gebracht werden.
„Sollen weitere Großanleger angelockt werden, ist ein Listing der Großunternehmen absolut Pflicht, da sich nur so die Liquidität erhöhen läßt”, erläutert Sandra Jankovic vom führenden serbischen Broker Senzal. Mit den gestiegenen Kursen haben sich zwar die Börsenumsätze merklich belebt. Aber absolut betrachtet sind sie mit den im Oktober täglich gehandelten Aktien im Wert von 1,16 Millionen Euro noch immer ebenso niedrig wie der Börsenwert von gut fünf Milliarden Euro, auf den die derzeit 836 börsennotierten Unternehmen kommen.
Zündstoff Separatismus
Trotz des Liquiditätsnachteils glauben etliche Marktkenner auch ohne Großemissionen, daß der BELEXfm-Index demnächst wieder anspringen und seine Auszeit beenden wird, die er nach den starken Gewinnen des ersten Quartals in den vergangenen Monaten eingelegt hat. Zuversicht in dieser Hinsicht verbreitet beispielsweise Investmentbankerin Eva-Maria Lobnik von Hypo-Securities: „An ein erneutes Hochschnellen des Marktes glaube ich zwar nicht. Aber seit kurzer Zeit kommt unverkennbar frisches Geld an den Markt. Und da Serbien floriert, sind Investments langfristig sicherlich eine gute Idee.”
So ansteckend wie der Optimismus auch ist, den die meisten in Serbien aktiven Investoren auch wegen der Aussicht auf eine Annäherung an die EU und dem 2008 angestrebten WHO-Beitritt verbreiten, warten auf die serbische Börse beim erhofften Weg nach oben aber auch noch zahlreiche Hürden. Viel Zündstoff beinhalten laut politischen Beobachtern die im nächsten Jahr anstehenden Entscheide, ob sich Montenegro und das Kosovo von Serbien abspalten werden.
Als Kursbremse könnte sich laut Analyst Dejan Divjak von der slowenischen Abanka auch eine Änderung im Steuersystem Sloweniens erweisen. „Kursgewinne werden bei uns ab 2006 beim Verkauf unabhängig von der Haltedauer der Aktien gleich behandelt. Das könnte zu einer Abgabewelle führen, weil etliche Anleger geneigt sein könnten, endlich einmal Gewinne mitzunehmen.” Und da die Slowenen an den Balkan-Börsen bei vielen Beobachtern als Kursmacher gelten, ist dieser Hinweis durchaus ernst zu nehmen. Allerdings hält dieser temporäre Faktor auch Divjak nicht davon ab, langfristig orientierten Anlegern wegen des großen Aufholpotentials der Wirtschaft nachdrücklich zum Kauf serbischer Aktien zu raten.
Text: F.A.Z., 25.11.2005, Nr. 275 / Seite 23
Bildmaterial: EPS
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