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Turkesteron
Heiligenverehrung in der Türkei Nikolaus trifft Muezzin
Der Nikolaustag am 6. Dezember erinnert an den früheren Bischof von Myra. Dessen ehemaliger Bischofssitz steht heute in der türkischen Stadt Demre – inzwischen Museum und beliebtes Pilgerziel vor allem für russisch-orthodoxe Christen.
Von Susanne Güsten
Innenansicht der Nikolauskirche von Demre
Vor 930 Jahren Gebeine des heiligen Nikolaus treffen in Bari ein
Der Gebetsruf des Muezzins weht von einer nahen Moschee in die Nikolauskirche von Demre. Glocken läuten hier schon lange nicht mehr. Fast hundert Jahre ist es her, dass die einheimischen Christen diese Gegend verlassen mussten, als die Türkei und Griechenland 1923 ihre Minderheiten austauschten. Lykien hieß dieser Landstrich in der Antike, die Stadt hieß damals Myra und war Bischofssitz. Hier war Nikolaus einst Bischof, um die Zeit des ersten Ökumenischen Konzils, im vierten Jahrhundert nach Christus.
Noch heute hat Myra nominell einen Metropoliten, einen orthodoxen Erzbischof also, doch der sitzt heutzutage in Istanbul am Patriarchat von Konstantinopel und kommt nur einmal im Jahr am 6. Dezember, um einen Gottesdienst in der Nikolauskirche zu zelebrieren – wenn es die türkischen Behörden erlauben, was nicht immer der Fall ist. Die uralte Kirche wird vom türkischen Staat heute als Museum geführt. Für umgerechnet fünf Euro können Besucher sie besichtigen.
Ab acht Uhr morgens kommen die Besucher – im Sommer bis zu 3.000 pro Tag, im Winter ist es ruhiger. Im Vorhof sitzen Museumswärter unter Orangenbäumen in der warmen Wintersonne und trinken Tee. Von hier aus blickt man hinab auf die Kirche: Sie liegt zwei, drei Meter tiefer als die moderne Ortschaft Demre, die im Laufe der Jahrhunderte um sie herum empor gewachsen ist. Ein provisorisches Plastikdach schützt den byzantinischen Bau vor Regen: Seit Jahrzehnten sind Archäologen damit beschäftigt, die Kirche zu restaurieren.
Am Grab von Sankt Nikolaus
Im Inneren der Kirche schieben sich Besuchergruppen durch die Bogengänge und bewundern die prächtigen Fresken und Mosaiken. Die meisten Besucher kommen aus Russland – etwa Natalya, eine Mittvierzigerin aus Moskau, die beide Hände auf ihr Herz presst, um ihr Glück zu fassen:
„Ich habe mein ganzes Leben davon geträumt, einmal hierher kommen zu können. Dies ist ein toller Augenblick für mich. Meine Seele ist jetzt erfüllt, ich bin nun wunschlos glücklich.“
Ihr Vater heiße Nikolai, erzählt Natalya, nach dem Heiligen Nikolaus. Der ist im orthodoxen Christentum ein besonders bedeutender Heiliger, weit mehr noch als im Westen.
Der Nikolaus-Sarkophag in Demre. Besucher haben kleine Papierzettelchen mit Wünschen hinter die Absperrung geworfen (imago stock&people/ Steffen Schellhorn)
Im Seitenschiff gibt es einen Stau, die Besucher drängen sich vor einer Nische im Mauerwerk. Ein Marmorsarkophag steht dort, der an der Seite aufgebrochen ist. Was es damit auf sich hat, weiß jeder der Pilger hier. Eine bosnische Reiseleiterin erzählt es trotzdem noch einmal:
„Das ist das Grab von Sankt Nikolaus, hier wurde er im vierten Jahrhundert begraben. Doch im elften Jahrhundert holten italienische Kaufleute seine Gebeine heraus und brachten sie nach Bari in Italien. Seither sind sie dort, in Italien.“
Besucher sind vor allem orthodoxe Christen
Auch nach Italien ist die russische Besucherin Natalya deshalb schon gepilgert, erzählt sie, um die Nikolaus-Reliquien in der Basilika von Bari zu besuchen. Wie viele orthodoxe Christen will sie aber auch am ursprünglichen Grab des Heiligen beten.
Der Sarkophag des Heiligen ist mit einer dicken Glasscheibe geschützt, damit er nicht im Gedränge beschädigt wird. Hinter der Scheibe liegen auf dem Sarg verteilt allerlei Papierzettel, die mit kyrillischer Schrift vollgekritzelt und klein zusammengefaltet sind. Eigentlich sei das ja verboten, sagt die bosnische Reiseleiterin etwas verächtlich:
„Das sind Wünsche, die darauf geschrieben sind. Die Russen machen das: Sie schreiben ihre Wünsche auf einen Zettel und werfen ihn hinein.“
Am Ausgang erinnert eine Tafel daran, dass es der russische Zar Nikolaus I. war, der im Jahr 1862 die letzte große Restauration der Kirche finanzierte. Ursprünglich soll die Nikolauskirche im vierten Jahrhundert über dem Grab des Heiligen errichtet worden sein; wegen Erdbeben und Kriegen musste sie im Lauf der Jahrhunderte aber mehrmals wiederaufgebaut werden, darunter einmal vom byzantinischen Kaiser Justinian im sechsten Jahrhundert.
Gesegnete Ikonen für Zuhause
Nach der Besichtigung schwärmen die Besuchergruppen in Demre aus, um Andenken zu kaufen. Die Reiseleiter gehen Tee trinken, denn sie werden hier nicht gebraucht – das türkische Städtchen ist ganz auf russische Besucher eingestellt. Die Läden an dem Platz vor der Kirche werben mit kyrillischen Schildern, die Verkäuferinnen sprechen fließend Russisch. Nikolaus-Ikonen sind der Verkaufsschlager: Von bunten Holztäfelchen bis zu Kunstwerken aus Silber werden hunderte Ikonen feilgeboten; die teuersten Stücke gibt es nur auf Anfrage zu sehen. Die russischen Besucher würden daran nicht sparen, sagt die Verkäuferin Yulia, die selbst aus Russland stammt:
Die Souvenirshops in Demre haben sich auf russische Touristen eingestellt (imago stock&people/ Steffen Schellhorn)
„Sie kommen ja hierher, um zu beten und etwas zu erbitten. Wenn sie zum Beispiel ein Kind bekommen wollen, dann kommen sie hierher und beten darum. Aber auch Geschäftsleute kommen hierher und beten für ihre Geschäfte.“
Für heute erwarten die Andenkenläden aber keine großen Geschäfte mehr, denn die Ikonen werden überwiegend vor der Kirchenbesichtigung gekauft, erzählt eine andere Händlerin:
„Die Besucher nehmen ihre Ikonen mit in die Kirche hinein, stellen sie am Grab auf und beten davor, damit sie den Segen des Nikolaus bekommen. Dann nehmen sie die gesegnete Ikone mit nach Hause, nach Russland.“
Die Busfahrer werfen die Motoren an, die Reiseleiter treiben ihre Schäfchen zusammen. Überglücklich klettert Natalya in den Bus, der ihre Reisegruppe noch zu den Sinterterrassen von Pamukkale bringen soll, bevor sie nach Moskau zurück fliegen:
„Ich hätte mir das ja nie leisten können, aber dann habe ich dieses Angebot gesehen: Sondertour, Moskau-Antalya-Demre zum Heiligen Nikolaus und obendrein noch Pamukkale, alles zusammen für 400 Dollar! Ich habe die Anzeige gesehen, und da war mir klar: Gott hat mir das geschickt, um meinen Lebenstraum zu erfüllen.“
https://www.deutschlandfunk.de/heil...ft-muezzin.886.de.html?dram:article_id=434998
Der Nikolaustag am 6. Dezember erinnert an den früheren Bischof von Myra. Dessen ehemaliger Bischofssitz steht heute in der türkischen Stadt Demre – inzwischen Museum und beliebtes Pilgerziel vor allem für russisch-orthodoxe Christen.
Von Susanne Güsten
Innenansicht der Nikolauskirche von Demre
Vor 930 Jahren Gebeine des heiligen Nikolaus treffen in Bari ein
Der Gebetsruf des Muezzins weht von einer nahen Moschee in die Nikolauskirche von Demre. Glocken läuten hier schon lange nicht mehr. Fast hundert Jahre ist es her, dass die einheimischen Christen diese Gegend verlassen mussten, als die Türkei und Griechenland 1923 ihre Minderheiten austauschten. Lykien hieß dieser Landstrich in der Antike, die Stadt hieß damals Myra und war Bischofssitz. Hier war Nikolaus einst Bischof, um die Zeit des ersten Ökumenischen Konzils, im vierten Jahrhundert nach Christus.
Noch heute hat Myra nominell einen Metropoliten, einen orthodoxen Erzbischof also, doch der sitzt heutzutage in Istanbul am Patriarchat von Konstantinopel und kommt nur einmal im Jahr am 6. Dezember, um einen Gottesdienst in der Nikolauskirche zu zelebrieren – wenn es die türkischen Behörden erlauben, was nicht immer der Fall ist. Die uralte Kirche wird vom türkischen Staat heute als Museum geführt. Für umgerechnet fünf Euro können Besucher sie besichtigen.
Ab acht Uhr morgens kommen die Besucher – im Sommer bis zu 3.000 pro Tag, im Winter ist es ruhiger. Im Vorhof sitzen Museumswärter unter Orangenbäumen in der warmen Wintersonne und trinken Tee. Von hier aus blickt man hinab auf die Kirche: Sie liegt zwei, drei Meter tiefer als die moderne Ortschaft Demre, die im Laufe der Jahrhunderte um sie herum empor gewachsen ist. Ein provisorisches Plastikdach schützt den byzantinischen Bau vor Regen: Seit Jahrzehnten sind Archäologen damit beschäftigt, die Kirche zu restaurieren.
Am Grab von Sankt Nikolaus
Im Inneren der Kirche schieben sich Besuchergruppen durch die Bogengänge und bewundern die prächtigen Fresken und Mosaiken. Die meisten Besucher kommen aus Russland – etwa Natalya, eine Mittvierzigerin aus Moskau, die beide Hände auf ihr Herz presst, um ihr Glück zu fassen:
„Ich habe mein ganzes Leben davon geträumt, einmal hierher kommen zu können. Dies ist ein toller Augenblick für mich. Meine Seele ist jetzt erfüllt, ich bin nun wunschlos glücklich.“
Ihr Vater heiße Nikolai, erzählt Natalya, nach dem Heiligen Nikolaus. Der ist im orthodoxen Christentum ein besonders bedeutender Heiliger, weit mehr noch als im Westen.
Im Seitenschiff gibt es einen Stau, die Besucher drängen sich vor einer Nische im Mauerwerk. Ein Marmorsarkophag steht dort, der an der Seite aufgebrochen ist. Was es damit auf sich hat, weiß jeder der Pilger hier. Eine bosnische Reiseleiterin erzählt es trotzdem noch einmal:
„Das ist das Grab von Sankt Nikolaus, hier wurde er im vierten Jahrhundert begraben. Doch im elften Jahrhundert holten italienische Kaufleute seine Gebeine heraus und brachten sie nach Bari in Italien. Seither sind sie dort, in Italien.“
Besucher sind vor allem orthodoxe Christen
Auch nach Italien ist die russische Besucherin Natalya deshalb schon gepilgert, erzählt sie, um die Nikolaus-Reliquien in der Basilika von Bari zu besuchen. Wie viele orthodoxe Christen will sie aber auch am ursprünglichen Grab des Heiligen beten.
Der Sarkophag des Heiligen ist mit einer dicken Glasscheibe geschützt, damit er nicht im Gedränge beschädigt wird. Hinter der Scheibe liegen auf dem Sarg verteilt allerlei Papierzettel, die mit kyrillischer Schrift vollgekritzelt und klein zusammengefaltet sind. Eigentlich sei das ja verboten, sagt die bosnische Reiseleiterin etwas verächtlich:
„Das sind Wünsche, die darauf geschrieben sind. Die Russen machen das: Sie schreiben ihre Wünsche auf einen Zettel und werfen ihn hinein.“
Am Ausgang erinnert eine Tafel daran, dass es der russische Zar Nikolaus I. war, der im Jahr 1862 die letzte große Restauration der Kirche finanzierte. Ursprünglich soll die Nikolauskirche im vierten Jahrhundert über dem Grab des Heiligen errichtet worden sein; wegen Erdbeben und Kriegen musste sie im Lauf der Jahrhunderte aber mehrmals wiederaufgebaut werden, darunter einmal vom byzantinischen Kaiser Justinian im sechsten Jahrhundert.
Gesegnete Ikonen für Zuhause
Nach der Besichtigung schwärmen die Besuchergruppen in Demre aus, um Andenken zu kaufen. Die Reiseleiter gehen Tee trinken, denn sie werden hier nicht gebraucht – das türkische Städtchen ist ganz auf russische Besucher eingestellt. Die Läden an dem Platz vor der Kirche werben mit kyrillischen Schildern, die Verkäuferinnen sprechen fließend Russisch. Nikolaus-Ikonen sind der Verkaufsschlager: Von bunten Holztäfelchen bis zu Kunstwerken aus Silber werden hunderte Ikonen feilgeboten; die teuersten Stücke gibt es nur auf Anfrage zu sehen. Die russischen Besucher würden daran nicht sparen, sagt die Verkäuferin Yulia, die selbst aus Russland stammt:
„Sie kommen ja hierher, um zu beten und etwas zu erbitten. Wenn sie zum Beispiel ein Kind bekommen wollen, dann kommen sie hierher und beten darum. Aber auch Geschäftsleute kommen hierher und beten für ihre Geschäfte.“
Für heute erwarten die Andenkenläden aber keine großen Geschäfte mehr, denn die Ikonen werden überwiegend vor der Kirchenbesichtigung gekauft, erzählt eine andere Händlerin:
„Die Besucher nehmen ihre Ikonen mit in die Kirche hinein, stellen sie am Grab auf und beten davor, damit sie den Segen des Nikolaus bekommen. Dann nehmen sie die gesegnete Ikone mit nach Hause, nach Russland.“
Die Busfahrer werfen die Motoren an, die Reiseleiter treiben ihre Schäfchen zusammen. Überglücklich klettert Natalya in den Bus, der ihre Reisegruppe noch zu den Sinterterrassen von Pamukkale bringen soll, bevor sie nach Moskau zurück fliegen:
„Ich hätte mir das ja nie leisten können, aber dann habe ich dieses Angebot gesehen: Sondertour, Moskau-Antalya-Demre zum Heiligen Nikolaus und obendrein noch Pamukkale, alles zusammen für 400 Dollar! Ich habe die Anzeige gesehen, und da war mir klar: Gott hat mir das geschickt, um meinen Lebenstraum zu erfüllen.“
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