Liebes Tagebuch,
da komme ich nach Hause und muss schon fast in Tränen ausbrechen. Nachdem die Familienfreundin ankündigte, mir etwas zum bestandenen Master zu bringen, war ich - auch wenn ich so tat, als sei das nicht nötig - doch ein wenig voller Erwartung. Und was sehe ich: Tatsächlich ist da eine große Tüte im Wohnzimmer! Ich schaue rein und sehe allerlei Süßigkeiten, muss jedoch feststellen.., meine Familie hat sich daran vergriffen. Eigentlich ja nicht dramatisch, sie haben auch nur zwei-drei Riegel gegessen. Natürlich hätte ich all diese Süßigkeiten mit ihnen geteilt. Aber dass sie einfach schon etwas daraus raus genommen haben, hat mir irgendwie wehgetan. Vielleicht auch, weil ich nie wirklich Genugtuung über meine bestandene Masterarbeit und meinen Abschluss erfahren habe. Ich habe keine riesigen Feierlichkeiten erwartet, aber... ich fühle mich irgendwie unerfüllt. Außer zwei "Bravo" und ein paar lauwarme Umarmungen gab es da irgendwie nichts... Nun, was habe ich erwartet? Ich weiß es nicht. Aber diese Süßigkeiten waren für MEINEN Erfolg. Sie waren für mich bestimmt. Es wäre... "mein" Moment. Meine Mutter hatte drei Monate gewartet, bis sie sich traut, die Caprice zu essen, die mein Vater aus Griechenland mitbrachte, aus Angst, dass meine Schwester sie haben wollen könnte. Da fühlt es sich blöd an, wenn meine Süßigkeiten aufgemacht werden, als hätte man nicht einfach zwei Stunden warten können, bis ich wieder zurück komme.
Nun, am Dienstag kann ich mein Zeugnis abholen... dann kann man endlich wieder bei der Diaspora prahlen, was ein toller, braver Einserjunge ich doch bin. Für mich hingegen ist das die Berechtigung, die nächsten dreißig Jahre mit weiterer mental aufreibender Arbeit zu versüßen.