Die Wirtschaft wird nicht kollabieren! Einige Bereiche davon werden sich wohl neu aufstellen (müssen) Einige Betriebe, vielleicht auch Branchen werden verschwinden. Egal, um die muss eineim nicht leid sein. Sie haben es einfach versäumt, zukunftsgerichtete Entscheidungen zu treffen und dachen wohl, alles kann weiterlaufen wie bisher.
Seit 40 Jahren sagt man uns das Ende von Erdöl voraus. Aus verschiedensten Gründen ist das jetzt der Fall. Welche Industrie hat sich darauf vorbereitet? Nur wenige. Und die sind eben die zukünftigen Gewinner. Seit Beginn der Industrialisierung ist das so.
Und ja, es betrifft nicht nur Unternehmen, sondern auch die Konsumenten. Ehrlich gesagt sehe ich das Problem nicht. Deutschland (oder Österreich) wird nicht untergehent, selbst wenn es von heute auf morgen kein Gas mehr gibt. Die Industrie will Geschäfte machen und sie werden binnen kürzester Zeit Alternativen aus dem Hut zaubern. Kann halt sein, dass dies nicht die deutsche Industrie, sondern die asiatische oder amerikanische Industrie ist. Und wenn wir mal ein paar Monate keine iPhones aufladen können - scheiß drauf. Bis zum Jahr 2008 ging es wunderbar auch ohne Smartphones uns asoziale Medien.
Pffff, alles easy, wer braucht schon Gas…
Beispiel Sanofi. Für den französischen Konzern ist Frankfurt ein wichtiger Produktionsstandort. Im Industriepark Höchst bezieht Sanofi über die Betreibergesellschaft Infraserv einen Energiemix mit einem Erdgasanteil von rund 70 Prozent. „Im Falle eines Embargos wäre kurzfristig eine Konzentration auf die Energieerzeugung zu Dampf möglich, aber nicht, ohne Einschränkungen in Kauf zu nehmen“, erläutert Produktionsgeschäftsführerin Anne Reuschenbach. Mittelfristig ließe sich die Energieversorgung aber nicht aufrechterhalten, ohne die Kohlefeuerung wieder zu reaktivieren, die 2019 aufgegeben wurde. Würde der Gasbezug irgendwann priorisiert, „sollte die Versorgungssicherheit der Patientinnen und Patienten weltweit, die aus Frankfurt heraus mit lebenswichtigen Medikamenten versorgt werden, ein wesentliches Entscheidungskriterium sein“, wünscht sich die Sanofi-Managerin.
Lebenswichtig? Tatsächlich steht für den Pharmakonzern in der Mainmetropole ein Produkt im Vordergrund, das über Leben und Tod entscheiden kann: Insulin. Im Industriepark wird der für Diabetiker unentbehrliche Stoff in großen Fermentern hergestellt, anschließend in Lösung gebracht, steril abgefüllt, in Insulinpens verbaut, verpackt und in alle Welt verschickt. Mit Blick auf den Energiebedarf und die Volumina in Frankfurt seien die Insuline an allererster Stelle zu nennen, betont Sanofi.
Merck und Fresenius in Sorge
Auch den Dax-Konzernen in der Nachbarschaft bereitet die Energielage Sorgen.
Merck versorge Patienten mit wichtigen Medikamenten und beliefere Forscher und Kunden mit lebenswichtigen Lösungen und Produkten, sagt die Vorsitzende der Geschäftsleitung, Belén Garijo. Dabei verwenden die Darmstädter nach ihren Angaben eine erhebliche Menge an Erdgas, vor allem zur Erzeugung von Strom und Prozessdampf. „Im Falle einer kurzfristigen Energie- und/oder Gasknappheit riskieren wir daher die Produktion und Versorgung mit lebenswichtigen Medikamenten und kritischen Produkten für die Entwicklung und Herstellung von Biologika und Covid-Impfstoffen“, fürchtet die Merck-Chefin. In dieser „wichtigen Frage“ stehe man über die zuständigen Industrieverbände mit der Regierung in Berlin in Kontakt.
Der Gesundheitskonzern Fresenius bereitet sich schon auf das Schlimmste vor. „Gleich welche Seite beschließen sollte, den Gashahn zuzudrehen: Wir tun gut daran, uns zügig auf mögliche Engpässe vorzubereiten“, sagt der Vorstandsvorsitzende Stephan Sturm. Er berichtet von Initiativen im Unternehmen, um Einrichtungen zu bevorraten, alternative Energiequellen zu erschließen und Energie effizienter zu nutzen. „Doch trotz aller Bemühungen würde die Energie im Fall der Fälle nicht für alle Verbraucher in der Industrie reichen. Dann müssten besonders sensible Bereiche bevorzugt versorgt werden“, fügt Sturm hinzu.
In der Energiefrage kühlen Kopf bewahren
Die zum Konzern gehörenden Helios-Krankenhäuser gehörten als Teil der kritischen Infrastruktur sicher dazu, findet der Fresenius-Chef. Genauso wie die Werke, in denen dringend benötigte Medikamente und Medizinprodukte hergestellt würden, zum Beispiel für die Dialyse. Auch sie müssten weiter am Laufen gehalten werden. „Denn ein Produktionsstopp würde direkt auf Kosten der medizinischen Versorgung der Menschen gehen – auch vieler Patienten in der Ukraine. Das gilt es unbedingt zu vermeiden.“ Sturm rät, in der Energiefrage eine kühlen Kopf zu behalten und sehr sorgfältig abzuwägen. „Das Thema ist vielschichtig und von großer Tragweite. Deshalb sollten Entscheidungen, trotz der schrecklichen Bilder aus der Ukraine, nicht aus einem emotionalen Impuls heraus getroffen werden.“ Maßstab müsse sein, dass jegliche Sanktionen „dem russischen Regime größeren Schaden zufügen als uns“.
Auch für Corona-Impfstoff-Hersteller könnte ein Gas-Engpass erhebliche Probleme mit sich bringen. „Im Rahmen unserer Business Continuity Strategie haben wir umfangreiche Maßnahmen ergriffen, um unsere Produktion gegen das Risiko einer Energieunterversorgung abzusichern“, heißt es von Seiten Biontechs. Die Covid-19-Impfstoffproduktion könne man bei einem Ausfall von Erdgas kurzfristig durch andere Energiequellen sicherstellen. Dafür seien in den vergangenen Tagen und Wochen zusätzliche Maßnahmen ergriffen worden. Allerdings ist Biontech nach eigenem Bekunden auf Rohstoffe oder Vorprodukte von Zulieferern angewiesen. Welche Auswirkungen eine Unterversorgung entlang dieser Lieferkette hätte, könne man nicht pauschal beantworten, heißt es in Mainz.
Kurzfristig ja, langfristig nein
Für einen der Zulieferer zumindest, Rentschler Pharma in Laupheim, wäre das alles andere als ein Anlass zur Freude. „Wir können zwar einen Teil der Energieversorgung von Gas auf Heizöl umstellen, um so einen Teil der Produktion (je nach Witterung) einige Tage bis wenige Wochen aufrechtzuerhalten und zum Beispiel sich in Produktion befindliche Produkte fertigzustellen“, heißt es. „Grundsätzlich sind wir jedoch auf Erdgas angewiesen.“ Das firmeneigene Redundanzkonzept sehe die Überbrückung kurzfristiger Ausfälle wegen technischer Störungen vor, aber nicht den langfristigen Ausfall im Falle eines Embargos. „Letztlich bedeutet das im schlimmsten Fall in der Tat, dass wir als Auftragsproduzent für Biopharmazeutika für unsere internationalen Kunden nicht weiter produzieren können.“ Zu den Produkten gehören laut Rentschler lebenswichtige biotechnologische Medikamente als auch Covid-19-Impfstoff.
Der Pharmahersteller Boehringer Ingelheim unterstützt nach eigenem Bekunden Initiativen, um die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas so weitgehend und so schnell wie möglich zu verringern. „Wir wissen aber auch, dass eine solche Transformation nicht über Nacht erreicht werden kann“, heißt es einschränkend. Derzeit weite man, wo möglich, die Produktion aus, um Lagerbestände zu erhöhen „und damit den kontinuierlichen Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten zu sichern. Allerdings sind diese Kapazitäten begrenzt“.
Restriktionen? Bei uns zuletzt
Wie Boehringer ist auch der seit Herbst im
Dax börsennotierte Pharmazulieferer Sartorius aus Göttingen auf Gas „in relevantem Umfang“ angewiesen. „Durch die von uns aktuell in Umsetzung befindlichen Maßnahmen sollten wir in den nächsten Monaten einen möglichen Ausfall von Erdgaslieferungen in diesem Bereich weitgehend kompensieren können“, hofft Vorstandschef Joachim Kreuzburg. „Allerdings gehen wir mit Blick auf Lieferketten und Vorprodukte davon aus, dass ein relativ kurzfristiger Lieferstopp eben doch zu Einschränkungen unserer Produktion führen würde und unsere Kunden schließlich weniger Biopharmazeutika und Impfstoffe herstellen könnten.“
Im Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) weiß man: Es sind keine Einzelbeispiele. „Unsere Mitgliedsunternehmen befürchten auf Grund der Energieabhängigkeit von Russland verbunden mit Auswirkungen der Covid-19-Pandemie Versorgungsprobleme und massive Kostensteigerungen bei allen Ausgangsmaterialien und vor allem auch bei den Energiekosten“, sagt der Vorstandsvorsitzende Hans-Georg Feldmeier. Dazu kommt den Angaben zufolge ein branchenspezifisches Problem: Die Einführung alternativer energiesparender Produktionsverfahren sei in der der pharmazeutischen Industrie aufgrund gesetzlich vorgegebener und behördlich überwachter Anforderungen an die Herstellung und Lagerung sowie Distribution von Arzneimitteln nicht möglich. Generell gehe man davon aus, dass Pharma als kritische Infrastruktur gesehen werde. „Wir erwarten, dass mögliche Restriktionen in unserer Branche zuletzt oder gar nicht kommen“, fordert Verbandschef Feldmeier.
Die Netzagentur entscheidet im Einzelfall
Wie solche Restriktionen oder Priorisierungen ausfallen, ist freilich derzeit noch völlig unklar. Die Bundesnetzagentur – die im Fall einer „Gasmangellage“ zum sogenannten Bundeslastverteiler wird und in einer Krise hoheitlich die Verteilung und Zuteilung knapper Gasmengen verantwortet - weist vielmehr darauf, dass es sich grundsätzlich um Einzelfallentscheidungen handele. „Daher bereitet die Bundesnetzagentur keine abstrakten Abschalte-Reihenfolgen vor“, betont die Behörde. Das heißt: Eine generelle Bevorzugung der Pharmabranche ist nicht vorgesehen.