https://www.welt.de/debatte/komment...sal-der-Halbinsel-ist-den-Deutschen-egal.htmlVor fünf Jahren sah der Westen tatenlos zu, wie die Russische Föderation einen Bestandteil des Territoriums eines souveränen europäischen Staates mit verdeckt operierenden Truppen überfiel und unter Bruch des Völkerrechts annektierte.
Was Ende Februar mit bewaffneten Aktionen russischer Militäreinheiten ohne Hoheitszeichen – die bald die sarkastische Bezeichnung „grüne Männchen“ erhielten – begann und sich mit der handstreichartigen Machtübernahme durch eine prorussische Kleinpartei fortsetzte, kulminierte in der offiziellen Verkündung des Anschlusses der Halbinsel Krim an die Russische Föderation am 18. März 2014.
Als Scheinlegitimation für diese gewaltsame Einverleibung ukrainischen Staatsgebiets diente ein illegales und manipuliertes „Referendum“ am 16. März, in dem sich die Einwohner der Krim nach offiziellen russischen Angaben mit 96,77 Prozent der abgegebenen Stimmen, bei einer Wahlbeteiligung von 83,1 Prozent, für die „Wiedervereinigung mit Russland“ ausgesprochen haben sollen – ein „Wahlergebnis“, wie man es aus sowjetischen Zeiten kennt.
Die Annexion der Krim sollte nicht der letzte Akt der neoimperialistischen russischen Führung unter Wladimir Putin gegen die Ukraine bleiben. Nach demselben Muster dreister Täuschung der Weltöffentlichkeit und des gewaltsamen Schaffens vollendeter Tatsachen besetzte Russland kurz darauf Teile der Ostukraine, die mit der Gründung der „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk vom ukrainischen Staatsgebiet abgespalten wurden.
Nach dem Modell der Krim-Annexion tarnte der Kreml seine Aggression als Aufstand örtlicher „separatistischer“ Kräfte, die sich gegen die Bedrohung durch eine „faschistische Junta“ in Kiew zur Wehr setzten. Gemeint ist die aus der demokratischen Erhebung des Maidan und dem Sturz des prorussischen, kleptokratischen Präsidenten Viktor Janukowitsch hervorgegangene und inzwischen durch freie Wahlen legitimierte ukrainische Regierung.
Sanktionen des Westens, Vereinbarungen im Rahmen des Minsker Prozesses, in dem Russland freilich nicht als Kriegspartei, sondern als vermittelnde Macht auftritt, und nicht zuletzt die erhebliche Stärkung der Kampfkraft der ukrainischen Armee haben ein weiteres Vordringen des Aggressors auf ukrainischem Gebiet einstweilen zwar verhindern können. Doch ungeachtet diverser Waffenstillstände, die bald nach ihrer Verabredung gebrochen wurden, dauern die Kämpfe an der ostukrainischen Frontlinie an und fordern fast täglich Todesopfer.
Zugleich verstärkt Russland von der Krim aus den Druck auf die ukrainischen Gebiete am Asowschen Meer, namentlich auf die Hafenstadt Mariupol. Seit dem Überfall der russischen Marine auf ukrainische Boote in der Meerenge von Kertsch vergangenen November hält Russland ohne rechtliche Grundlage und unter nicht überprüfbaren Haftumständen 24 ukrainische Matrosen gefangen.
Auf diesen Akt der Piraterie und faktischen Geiselnahme hat der Westen einmal mehr nur halbherzig reagiert. Zwar bekräftigte die UN-Vollversammlung im Dezember in einer Resolution ihre Verurteilung der russischen Aggression gegen die Ukraine, der Annexion der Krim und der Militarisierung der an sie angrenzenden Seegebiete. Den bestehenden Sanktionen der USA und der EU wurden jedoch bislang keine weiteren hinzugefügt. In Deutschland lässt die Bereitschaft, sich wegen der Krim mit dem mächtigen Russland anzulegen, unter dem Druck der Kreml-Lobby sogar eher nach. So hält die Bundesregierung unbeirrt an der Realisierung der russisch-deutschen Gaspipeline Nord Stream 2 fest.
Das liegt auch daran, dass es Moskau gelungen ist, sein Propagandanarrativ in weiten Teilen der westlichen Öffentlichkeit zu verankern. So hält sich in vielen Köpfen die Vorstellung, die Krim habe „schon immer zu Russland gehört“ und sie sei nur durch ein „Geschenk“ des damaligen Sowjetführers Chruschtschow 1954 gleichsam willkürlich in ukrainischen Besitz geraten – womit suggeriert wird, Moskau habe mit seinem Gewaltakt nur eine Art historische Verirrung bereinigt.
In Wahrheit hatte sich die Bevölkerung der Krim wie die der gesamten Ukraine in einer regulären Volksabstimmung 1991 mehrheitlich für die ukrainische Unabhängigkeit entschieden – und damit für die Zugehörigkeit der Halbinsel zur Ukraine. Und 1994 verpflichtete sich Russland im Budapester Memorandum zur Achtung und Bewahrung der territorialen Integrität der Ukraine. Auch dürften die Pläne für die Eroberung der Krim bereits vor dem Umsturz in Kiew ausgearbeitet worden sein. Die Vorstellung, diese sei eine spontane, überstürzte „Reaktion“ auf die Ereignisse in der Ukraine gewesen, gehört somit wohl ebenfalls ins Reich der Mythen.
Während jedoch der Krieg in der Ostukraine zumindest noch gelegentlich die Aufmerksamkeit westlicher Medien auf sich zieht, spielt das Schicksal der annektierten Krim im Bewusstsein der hiesigen Öffentlichkeit kaum noch eine Rolle. Dabei ist die Durchsetzung der russischen Herrschaft über die Halbinsel mit massiven Menschenrechtsverletzungen wie der willkürlichen Inhaftierung, Verschleppung und Folterung unliebsamer Journalisten, Aktivisten und einfacher Bürger verbunden.
Laut den UN hielten diese im Jahr 2018 unvermindert an, haben sich in manchen Bereichen sogar deutlich verschärft. Dabei genügt es, sich der von den Behörden verfügten zwangsweisen Annahme der russischen Staatsbürgerschaft zu widersetzen, um ins Fadenkreuz der Sicherheitsapparate zu geraten.
[h=3]Krimtataren besonders betroffen[/h] Von den Repressionsmaßnahmen sind besonders die Krimtataren betroffen, die etwa zwölf Prozent der Gesamtbevölkerung der Krim ausmachen. Diese muslimische Volksgruppe, die auf der Halbinsel jahrhundertelang ansässig war, bevor das Russische Reich diese Ende des 18. Jahrhunderts annektierte, wurde im Zweiten Weltkrieg von der stalinistischen Führung kollektiv der Kollaboration mit der nationalsozialistischen Besatzungsmacht bezichtigt und unter grauenvollen Bedingungen in Gänze nach Zentralasien deportiert.
Erst im Zuge der Liberalisierung des Systems unter Gorbatschow durften die Krimtataren seit 1989 in ihre angestammte Heimat zurückkehren. Weil sich ihre Vertretung, der Medschlis, zur Ukraine bekannte und zum Boykott des „Referendums“ aufrief, wurden sie zur bevorzugten Zielscheibe russischer Unterdrückungsmaßnahmen.
Doch die Einverleibung der Krim bedeutet für den Westen nicht nur eine rechtliche und moralische Herausforderung. Kaum beachtet wird in der deutschen Debatte, dass sie auch eine massive militärische Bedrohung darstellt. Seit er sich der Halbinsel bemächtigt hat, verlegt der Kreml systematisch Waffen, darunter nuklearfähige Luftfahrzeuge und Flugkörper, sowie Munition und Militärpersonal dorthin. Das macht die Krim nicht nur zum Aufmarschgebiet für eine mögliche Großoffensive gegen die Ukraine, sondern verschiebt das Kräfteverhältnis in der gesamten Schwarzmeer-Region dramatisch.
Indem Russland mit der Annexion der Krim innereuropäische Grenzen gewaltsam veränderte, hat es das Fundament der europäischen Friedensordnung insgesamt erschüttert. Aus Gründen der Selbsterhaltung darf das demokratische Europa diesen kriminellen Willkürakt niemals anerkennen. Dem Kreml muss unzweifelhaft deutlich gemacht werden, dass es keine Rückkehr zu „normalen“ Beziehungen geben kann, solange dieses Unrecht nicht revidiert ist
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