Die Zeit für Trump-Schmeicheleien ist vorbei
Von der US-Regierung kann Europa nichts mehr erwarten. Es muss rasch von der rhetorischen Solidarität für die Ukraine wegkommen und entschlossen handeln
Wir leben in einer Zeit der Übertreibungen. Viel zu viele Entscheidungen in der internationalen oder nationalen Politik werden als "historisch" oder als "Wendepunkte" bezeichnet. Trotzdem bin ich hinsichtlich der Wertung des kürzlich veröffentlichten 33 Seiten langen Dokuments über die US-amerikanische Sicherheitsstrategie mit der Meinung des Russlandexperten Alexander Gabuev, von "Carnegie Russia Eurasia Center" einverstanden: "Nirgends in der Sicherheitsstrategie wird Russland als Gegner genannt. Das ist eine Revolution."
Auch Thomas L. Friedman, dreifacher Pulitzerpreisträger und Kolumnist der New York Times spricht von einer totalen geopolitischen Kehrtwendung in einer Zeit des immer engeren Zusammenschlusses von Moskau und Peking. Er weist darauf hin, dass die Trumpisten nicht die europäischen Nationen, sondern Wladimir Putin als Verteidiger des weißen christlichen Nationalismus und traditioneller Werte betrachten. Fokussiert auf Rasse und Glaube sehen sie nicht Russland und China, sondern die unkontrollierte Migration in die USA als die größte Gefahr. Zugleich bedeutet nach dieser Lesart der Aufstieg der nationalistischen, rechtspopulistischen Parteien "Grund für großen Optimismus."
Im Einklang mit dieser Ideologie paktiert der irrlichternde Spekulant im Weißen Haus mit dem russischen Diktator, um, wie es heißt, ein "rasches Ende des Ukrainekrieges" zu erreichen. Das es sich bei den diversen Vorschlägen aus Washington im Grunde um einen Verrat der Ukraine handelt, zeigt der enorme Druck auf Präsident Wolodymyr Selenskyj, das seit fast vier Jahren gehaltene Gebiet im Donbass im Austausch für vage Sicherheitsgarantien aufzugeben. Trump gibt sich keine Mühe, seine Verachtung für den ukrainischen Staatspräsidenten zu verbergen. Immer wieder greift er ihn, wie vor einigen Tagen wieder, an: "Im Grunde gefällt das Abkommen allen außer Präsident Selenskyj."
Von der US-Regierung kann Europa nichts mehr erwarten. Es muss rasch von der rhetorischen Solidarität für die Ukraine wegkommen und entschlossen handeln
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