Krajina: Historische Dimensionen des Konflikts
Über den Autor
Hannes Grandits ist Historiker und arbeitet an einer Dissertation über wirtschaftliche, soziale und lebensweltliche Verhältnisse in der ehemaligen Militärgrenze und in Zivilkroatien.
In der Krajina, der ehemaligen Militärgrenze zwischen dem Habsburger- und dem Osmanischen Reich, ließen einst Kroaten und Serben ihr Leben für die Interessen des Kaiserhauses. Nun, im ausgehenden 20. Jahrhundert, sind sie Spielball des Machtstrebens der Eliten in Belgrad und Zagreb.
Der sich seit 1989 immer mehr zuspitzende Konflikt zwischen den Kroaten und Serben in Kroatien nahm nach dem August 1990, als serbische Freischärler im südwestlichen Kroatien sich bewaffnet den Polizei- und Militärorganen der sich von Jugoslawien trennenden kroatischen Republik entgegenstellten, immer dramatischere Ausmaße an. Ihr Aufstand gegen diesen neuentstehenden Staat und seine Führung, der die Serben mißtrauten und die mit ihnen zu keiner Verständigung kommen konnte oder wollte, mündete im folgenden Jahr schließlich in einem regelrechten Eroberungskrieg seitens der mittlerweile aufgestellten serbischen Freiwilligeneinheiten, in dessen Verlauf es zu schrecklichen Grausamkeiten, zu Massakern an der Zivilbevölkerung, "ethnischen Säuberungen" und massiven Plünderungen kam. Der Krieg zwischen den Truppen der serbischen Aufständischen, die massiv von der jugoslawischen Volksarmee (JNA) unterstützt wurden, und den Einheiten der neugegründeten kroatischen Milizen hatte fatale Folgen. Zehntausende Menschen kamen ums Leben und hunderttausende (vornehmlich Kroaten aus dem Gebiet der Krajina, aber zu einem Teil auch Serben aus Kroatien) waren gezwungen, ihre Siedlungen, Dörfer und Städte als Flüchtlinge zu verlassen. Begleitet wurden die Kämpfe von unvorstellbaren Zerstörungen, die ganze Landstriche zu Ruinenlandschaften machten. Der Konflikt der Krajinaserben mit der kroatischen Regierung hatte sich zwar durch den Einsatz von UNO-Soldaten eine Zeit lang beruhigt, und die Lage wurde trotz regelmäßiger Schießereien etwas stabiler, seit der großen kroatischen Offensive in Westslawonien ist aber ein erneutes Eskalieren der Kämpfe jederzeit wieder im Bereich des Möglichen. Da es im Moment kaum Anzeichen für eine tiefgreifende Verständigung zwischen der Zagreber Regierung und der Führung in Knin gibt, scheint eine Lösung der Problematik wieder einmal ziemlich in die Ferne gerückt zu sein.
Das Territorium der von Kroatien abgespaltenen Serben, die sich unter dem Namen "Republik Serbische Krajina" für unabhängig erklärten, deckt sich ziemlich genau mit den älteren Teilen der ehemaligen Militärgrenze der Habsburger gegen das Osmanische Reich (Eine Ausnahme bildet lediglich das von den Serben in Ostslawonien besetzte Gebiet, das 1991 an die serbische Krajina angeschlossen wurde). Diese Übereinstimmung ist kein Zufall. Mit der Wahl des Namens "Krajina", der kroatischen bzw. serbischen Bezeichnung für "Grenze" - genauer gesagt ist es die Kurzversion für "Vojna krajina", dt. "Militärgrenze" - wird hier bewußt wieder an ein historisches Gebilde angeknüpft, das über Jahrhunderte das Leben der Menschen in dieser Region organisiert und bestimmt hatte, und das bis zu seiner Auflösung 1881 keine Einheit mit Kroatien und Slawonien bildete, sondern ein gesondertes Militärterritorium war, - was von serbischer Seite besonders hervorgestrichen wird. Allerdings, und das ist der letzten Argumentation entgegenzuhalten, war die Militärgrenze die ganze Zeit hindurch ebenso wie Kroatien und Slawonien ein Bestandteil des Habsburgerreiches und noch unter stärkerer Kontrolle der Wiener (Militär-)Behörden als "Zivilkroatien und -slawonien".
Trotzdem oder gerade deswegen war die Gesellschaft der Krajina anders. Sie funktionierte jahrhundertelang innerhalb eines von militärischen Erfordernissen gelenkten Systems nach völlig anderen Prinzipien als die Gesellschaft in den angrenzenden kroatischen Feudalgebieten und gab ihren "Grenzern" auch eine ganz besondere Identität. Mit der Auflösung des Militärgrenzsystem begann man schließlich damit diese Unterschiede abzubauen und die militarisierte Gesellschaft der Krajina in einem lange dauernden Prozeß in die sich modernisierende zivile kroatische Gesellschaft zu integrieren. Im jugoslawischen Staat der Zwischenkriegszeit setzte sich diese Entwicklung mehr oder weniger fort, bis es im faschistischen Ustaschastaat zu einem desaströsen Bruch mit dieser Tradition kam. Die Folgen davon bestimmten sehr stark die kommunistischen Jahrzehnte nach 1945 und sind auch noch im heutigen Konflikt sehr stark präsent.
Folgen wir nun etwas detaillierter den hier kurz charakterisierten historischen Entwicklungslinien und -brüchen dieser Gesellschaft in der Krajina, und versuchen wir dadurch den jetzigen Konflikt seinen historischen "Dimensionen" gegenüberzustellen.
Grenzergesellschaft
Von dominanter Bedeutung für die gesamte gesellschaftliche Entwicklung in Kroatien und in der Krajina war die Jahrhunderte dauernde Grenzsituation zum Osmanischen Staat, dessen Expansionsbewegung schließlich mitten in Kroatien zum Stillstand kam. Die Kriege, die bereits um die Mitte des 15. Jahrhunderts das kroatische Gebiet in Mitleidenschaft zu ziehen begannen, waren begleitet von massiven Veränderungen der Gesellschaft. Durch Verschleppung und Flucht wurden riesige Gebiete menschenleer, andere Regionen wiederum wurden von den Flüchtenden dicht besiedelt. In großen Teilen brach die vor den Türkenkriegen bestehende Gesellschafts- und Infrastruktur komplett zusammen, in anderen blieb sie erhalten oder wurde in eine bestimmte Richtung hin umgeformt. In großen Teilen Kroatiens wurde ehemaliges Kulturland wieder zu dichtem Waldgebiet; im nicht von den Türken besetzten Kroatien - das allerdings immer mehr schrumpfte und bald nur mehr als "ostaci ostataka" (dt. "Reste des Rests") bezeichnet wurde - wurden hingegen Wälder gerodet und zu Ackerland gemacht. Diese Türkenkriege beeinflußten über Jahrhunderte hinweg maßgebend die Entwicklung des Landes.
Besonders umfassend waren die Veränderungen in dem Gebiet direkt an der Grenze. Im Verlauf des 16. Jahrhunderts wurde dieses Grenzterritorium, das in weiten Teilen identisch mit der heutigen Krajina war, durch die ständig angreifenden türkischen Armeen und Streifscharen fast völlig entvölkert, die Dörfer und Burgen zerstört. Um diesen verwüsteten Grenzstreifen abzusichern, der das osmanische vom habsburgisch kontrollierten Territorium trennte und der eine ziemlich große Ausdehnung hatte, begann man auf beiden Seiten dieses Grenzgebietes Festungen zu errichten und alles zu unternehmen, um wieder Siedler zu gewinnen, denn ein unbesiedeltes Territorium war nur schwer zu verteidigen. Auf der habsburgischen Seite dieses Grenzgebietes ging man so vor, daß man den neuen Ansiedlerfamilien freien Grundbesitz und auch völlige persönliche Freiheit zusicherte, dafür hatten sie als Gegenleistung kostenlos Militärdienst im Falle türkischer Angriffe zu leisten. Die versprochenen Privilegien lockten vor allem orthodoxe Vlachenfamilien aus dem Osmanischen Reich an, die durch die türkischen Eroberungszüge aus ihren traditionellen Weidegebieten verdrängt worden waren. Im Laufe des 16., 17. und sogar noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts überschritten sie in mehreren Besiedelungswellen, während oder nach größeren kriegerischen Aktivitäten, die Grenze und ließen sich auf der österreichischen Seite des Grenzgebietes nieder. Neben den orthodoxen Vlachen, die damals noch den überwiegenden Teil der Bevölkerung in der sich entwickelnden Militärgrenze stellten, kamen auch die sogenannten Bunjevci, das waren katholische Vlachen, und auch Kroatenfamilien aus dem kroatischen Hinterland sowie aus dem türkisch besetzten Bosnien als Neusiedler in die Krajina.
Dieses militärische Gebiet an der Grenze zum Osmanischen Reich begann sich ab der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts in ein Territorium zu verwandeln, in dem sich eine eigene soziale Ordnung entwickelte. Voraussetzung für die Etablierung dieser neuen Ordnung war, daß der kroatische Adel, der in diesem Gebiet früher Grundherrschaften und Untertanen besessen hatte, von den Militärbehörden und dem Kaiser ausgeschaltet wurde. Das Grenzgebiet wurde dem Zugriff der kroatischen Verwaltung entzogen Es bestand aus mehreren "Generalaten" und wurde vom Hofkriegsrat in Graz und später von jenem in Wien verwaltet. Damit waren die Grundlagen für diese von Kroatien separierte Grenzergesellschaft gelegt, und sie sollte mehrere Jahrhunderte Bestand haben.
Da der besoldete Truppenstand - Offiziere und das hauptberufliche Militärpersonal - ziemlich kostspielig und zahlenmäßig geringgehalten wurde, kam den unbesoldeten Grenzern aus den Dörfern der "Hauptmannschaften" (mehrere Dörfer wurden zur militärischen Einheit einer Hauptmannschaft zusammengefaßt) innerhalb der militärischen Organisation der Grenze große Bedeutung zu. Die Aufgaben und die schweren Belastungen des unbesoldeten Militärdienstes beschreiben die Grenzer der Hauptmannschaft Kostajnica in einem Brief an den Wiener Hofkriegsrat aus dem Jahre 1728 selbst so:
"..., daß wir vor Ihro Kays. und Königl. Cathol. Mayestät als unseren allergnädigsten Landes Herrn und höchstes praeprimis im Feld unsere Leiber und Bluth in aller höchst beständigster Treue auf unsere aigene Kosten, ohne Brod und Bezahlung aufopferen, ferner mit unseren aigenen Pferden, Gewehr, Montur ohne einzigen Sold ohne Ruhm zu melden, nicht wenige Städte und Marckflecke unter Ihro Kays. Mayestät Protection gebracht und eingehändiget haben, So einer gefangen oder plesirt, sich selbst rantioniren und heilen lassen mus. Die Vestungsbrücken nebst wachten jederzeit auf aigenen Kosten im Stand halten. So ein Feindsgefahr auskombt, wir allezeit die ersten und nächsten seyn, und wir vor allen anderen das mehrerste auszustehen und zu erdulden haben (...) Was anbelangt, die Musterung und das Exercitium Militare und zur Erhaltung deren guten Pferden, seyn wir allergnädigst gehorsambst, was aber angelangt, das gleiche Gewehr zu schafen, ist uns fast unmöglich, sondern wie wir bis Dato allezeit gute und sichere Gewehr zur Manutenirung jeweder seines Leben zu führen pflegten und zwar einer zu Fuss sein Paar Pistohlen an der Gürttel nebst seiner Flinten und den Sabel an der Seithen, der aber zu Pferdt sein Paar Pistholen und sein Carabiner sambt dem Sabel zur Seithen. (...) gehorsambst wiederholen dass wir alle und jede kayserliche Wachten in Schartacken [Anm. : Das sind einstöckige befestigte Wachthäuser aus Holz.] und anderen Örthen unserer Treue und Pflicht nach gegen dem aller durchleuchtigsten Haus Österreich ehrbietig abzustatten uns verobligiren."[SIZE=-1]1[/SIZE]
Der Militärdienst war eng gebunden an den Grundbesitz, und daher hatte jeder Haushalt Militärdienst zu leisten. Der Militärdienst war allerdings nur der ein Aspekt des Lebens der Familien an der Grenze. Der andere und noch bestimmendere war die Landwirtschaft:
"Der Grenzer, dessen Bestimmung es ist, Soldat zu seyn, dient von seinem Grund und Boden. Schon aus dieser Natur der Grenzverfassung folgt also, daß die Kultur des Bodens, Ackerbau und Viehzucht, die vorzüglichsten und die einzig zweckmäßigen Nahrungswege der Grenzer seyn müssen."[SIZE=-1]2[/SIZE]
Die Höfe der Grenzerfamilien waren fast ausschließlich auf Selbstversorgung ausgerichtet. Die Art der landwirtschaftlichen Produktion war, verglichen mit anderen Gebieten der Monarchie, alles andere als intensiv, und in vielen Teilen der Grenze herrschte immer wieder bittere Armut. Es hätte zu dieser Zeit in der Militärgrenze auch keinen Markt und keine Abnehmer für eine etwaige Überschußproduktion gegeben
Vom Grenzbauern zum Berufsoldaten
Als das Osmanische Reich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts kaum mehr eine echte Gefahr für die Habsburgermonarchie darstellte und das Militärgrenzterritorium im Verlauf der Türkenkriege durch das Vorschieben der Grenze stark angewachsen war, entstand ein eklatantes Mißverhältnis zwischen der vorhandenen Verteidigungskraft und einer allfälligen Bedrohung. Außerdem erbrachte das Territorium dem Staat keine Einnahmen, vielmehr verursachten die Verwaltungs- und Militärorganisation gar nicht so geringe Ausgaben. Nachdem ein Versuch einer teilweisen Reduzierung der Grenze am Widerstand der Grenzer, die ihre Privilegien nicht aufgeben wollten, scheiterte, entschied sich der Wiener Hof zu einer Eingliederung der Militärgrenzorganisation in die stehende Armee des Reiches und zu einer totalen Militarisierung der Grenze. Das einzige Ziel der Reformen war wie es ein Militärhistoriker und Offizier ausdrückte:
"...die weitere militärische einheitliche Entwicklung der Grenz-Länder zu fördern und ein vollkommen abgeschlossenes Soldaten-Land zu schaffen."[SIZE=-1]3[/SIZE]
Dieses Ziel wurde auch erreicht. Die Reformen in den Jahrzehnten um die Mitte des 18. Jahrhunderts führten zu einem enormen Strukturwandel, der alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Einrichtungen in der Militärgrenze betraf. So wurde aus dem bisher seßhaften Grenzer ein Berufssoldat, der - in einer großen Armee dienend - in ganz Europa zum Einsatz kam. Aus dem militärisch verstärkten Grenzgebiet wurde ein Territorium, das zwar weiterhin Sicherungsfunktionen gegenüber dem Osmanischen Reich zu erfüllen hatte, aber nun primär als Versorgungsbasis für einige ständig ausmarschbereite, unifomierte und gut gerüstete Regimenter diente. Angefangen vom Siebenjährigen Krieg bis zu den Kämpfen bei Solferino kämpften und starben unzählige Soldaten aus der Militärgrenze als "Helden des Kaisers".
Damit die längere Abwesenheit oder der Tod eines Mannes nicht den Ruin seiner Landwirtschaft und Familie bedeutete, waren die Militärbehörden daran interessiert, die Grenzerhaushalte möglichst groß zu erhalten und das bestehende System der patriarchalen Hausgemeinschaften (Zadruga) durch gesetzliche Maßnahmen noch weiter zu stärken. Sie scheuten dabei nicht zurück, diesem Ziel durch Eingriffe in das Leben der Grenzerfamilien, zum Beispiel dem Verbot von Haushaltsteilungen, näher zu kommen.
Mit der Aufhebung des Feudalsystems in Kroatien 1848 wurde das System der Militärgrenze zunehmend in Frage gestellt, denn mit der Befreiung von den Feudalpflichten an die Grundherren hatte die bäuerliche Bevölkerung in Kroatien jene Rechte bekommen, die die Grenzer aufgrund ihrer privilegierten Stellung schon seit Jahrhunderten genossen hatten. Von den ehemaligen Privilegien blieb außer Steuervorteilen nur mehr wenig übrig. Statt dessen lasteten jedoch die zahllosen militärischen Verpflichtungen auf den Grenzerfamilien. Dazu kam noch, daß ein "Wehrbauernsystem" im modernen Habsburgerstaat der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend anachronistisch wurde. 1881 lösten die Wiener Behörden lösten die Militärgrenze, nachdem bereits zehn Jahre zuvor die oberslawonischen Grenzgebiete ausgegliedert worden waren, endgültig auf. Die Bevölkerung der kroatisch-slawonischen Militärgrenze, damals ungefähr 700.000 Männer und Frauen, wurde damit ein Teil der Kroatiens, dessen Einwohnerzahl dadurch damals von 1,2 auf 1,9 Millionen anstieg. Von den ehemaligen Bewohnern der Militärgrenze waren zu dieser Zeit 330.000 bzw. 47 Prozent orthodox bzw. Serben. Mehr als 50 Prozent der Bevölkerung stellten die Serben in drei der sechs Volkszählungskreise von 1880 (licko-otocko, bansko, petrovaradinsko okruzje), in drei Kreisen waren die Kroaten in der Mehrzahl (brodsko, gradisko, ogulinsko-slunjsko okruzje).[SIZE=-1]4[/SIZE] Die damals mehrheitlich serbischen Regionen, stehen im aktuellen Konflikt zum Großteil unter der Kontrolle der "Republik Serbische Krajina", und auch einige Teile der anderen drei Volkszählungskreise werden von der Serbischen Krajina kontrolliert.
Das Aus für die "Helden des Kaisers"
Der Integrationsprozeß der Grenzergesellschaft in die zivile Gesellschaft Kroatiens war für die ehemaligen Grenzerfamilien nicht leicht und mit riesigen Problemen verbunden. Eine kroatische Zeitung beschrieb die Veränderungen in den 1880er Jahren folgendermaßen:
"Früher erhielt der Grenzer für den Militärdienst Holz, Salz, freie Weiden, freie Eichelmast und in Hungerjahren Nahrung. Er arbeitete zwar auch für den Erhalt der Brücken und Straßen, zahlte aber nur eine minimale Steuer von 3 1/2 Kreuzer für den Lehrer und die ärztliche Versorgung. Heute ist das alles anders. Er zahlt Steuern, die Abgabe für das Brennen von Raki, die Kirchengebühren, die Ertragsprozente, die Stempelgebühren und wie sich das sonst noch alles nennt. Heute zahlt er die Gemeindeabgabe von 40 bis 50, hier und dort sogar 60 Kreuzer auf den Steuerforint, 10 Prozent auf die Steuer für die Schulen, 20 Prozent für das Krankenhaus, zahlt für das Brenn- und Bauholz, für die Weide und die Eichelmast und zahlt für viel weniger Salz die gleichen Preise."[SIZE=-1]5[/SIZE]
Dazu kam, daß die Behörden das öffentliche Tragen von Waffen, das für den Stolz der Grenzer eine enorm große Bedeutung hatte, hoch besteuerte, was einer allgemeinen Entwaffnung gleichkam. Diese Maßnahme richtete sich gegen die Identität der Männer der ehemaligen Militärgrenze, die sich sehr oft als privilegierte Helden des Kaisers darstellten.
Die Unzufriedenheit der Grenzerfamilien über diese Veränderungen in ihrer Lebenswelt führte sehr bald zu Aufständen, die sich vor allem gegen die ungarischen Behörden und ihre Politik richteten, die man für die Verschlechterung der Lebensverhältnisse nach der Vereinigung mit Zivilkroatien verantwortlich machte. (Bis 1881 gehörte die Militärgrenze noch zum österreichischen Reichsteil. Mit ihrer Auflösung kam sie unter die ungarische Verantwortlichkeit, in der ja auch Zivilkroatien lag.) Nach den massiven Aufständen im Jahre 1883, bei denen es auch zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und Aufständischen kam, die auch Tote forderten, kam es auch noch in den 1890er Jahren zu Unruhen in der Krajina. Zu Aufruhrbewegungen kam es sowohl in serbischen als auch in kroatischen Dörfern. Allerdings ging die massivste Gewalt von den serbischen Dörfern aus, die auch die meisten Opfer zu beklagen hatten. So starben bei einem zweitägigen Aufstand in der Region um Petrinja 23 ehemalige Grenzer, und es gab viele Verletzte. Die Motive der Grenzer waren sozialer und wirtschaftlicher Natur und hatten keine antikroatischnationale Ausrichtung. Die jahrhundertelange Gemeinsamkeit der serbischen und kroatischen Bevölkerung der Vojna Krajina als "Grenzer des Kaisers" und die gleiche soziale Lage, in der sich die serbischen und kroatischen Familien damals befanden, führten im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts eher zu Solidarität als zu Gegensätzlichkeit. Vor diesem Hintergrund war es möglich, daß noch 1897 bei einem Aufstand in den Gebieten der serbischen Orte Sjenicak, Dubrava und Ponikava die aufständischen serbischen Bauern Parolen riefen wie: "Es lebe Kroatien, die Madjaronen sollen verrecken!"[SIZE=-1]6[/SIZE] All dies geschah während einer schon seit Jahren andauernden ökonomischen Krisensituation in vielen ländlichen Regionen Kroatiens und der Krajina. Diese Krise hatte auch eine hohe Emigrationsbewegung aus Kroatien zu Folge. So haben allein in den zehn Jahren zwischen 1900 und 1910 mehr als 6 Prozent der orthodoxen und etwa 6 Prozent der katholischen Bevölkerung das Land verlassen. Sie wanderten zumeist nach Amerika aus. Einer der zentralen Gründe für die elende Situation in vielen Teilen der Krajina war der Zerfall der patriarchalen Hausgemeinschaften (Zadruga), der mit der Auflösung der Militärgrenze einsetzte. Es kam dadurch allmählich zu einer völligen Veränderung der sozialen und familialen Strukturen in den Dörfern und als Folge davon auch zu einer Zersplitterung des bäuerlichen Besitzes. Eine der Ursachen für den Zerfall der Zadrugen war die Rechtsumstellung nach der Eingliederung des ehemaligen Grenzterritoriums in das Verwaltungs- und Rechtssystem Zivilkroatiens.
Der Beginn der Konflikte
In den letzten Jahren der Monarchie gestalteten sich die Verhältnisse zwischen den Serben und Kroaten in der Krajina, auch aufgrund der gemeinsamen Opposition der wichtigsten kroatischen und serbischen Parteien in Kroatien gegen die ungarische Politik, recht günstig. Diese Koalition hielt fast bis zum Ende des 1. Weltkriegs. Nach dem Ende des 1. Weltkriegs, in dem kroatische und serbische Soldaten aus Kroatien gemeinsam in der K.u.K.-Armee unter anderem auch gegen Serbien gekämpft hatten (So waren 1914/15 von den 70.000 mobilisierten Soldaten aus den kroatischen Ländern ca. 15.000 kroatische Serben), änderten sich die Rahmenbedingungen für die Beziehungen von Serben und Kroaten in der Krajina bzw. in Kroatien grundlegend.
Seit der Gründung der südslawischen SHS-Monarchie im Jahre 1918 wurde das politische Leben nunmehr von nationalen Gegensätzen, insbesondere zwischen Serben und Kroaten, beherrscht. Die Parteienlandschaft des SHS-Königreiches gab seit den ersten allgemeinen Wahlen von 1920 ein genaues Spiegelbild der nationalen Verteilung wieder. Der Grund dafür lag in unterschiedlichen Auffassungen darüber, welche Form der neue Staat der "Serben, Kroaten und Slowenen" haben sollte. Während Serbien, das zu den Siegermächten des Weltkriegs gehörte und über eine eigene Armee und eine Staatstradition verfügte, den neuen Staat entweder auf der Basis des Jugoslawismus ("Eine kroatische Frage existiert nicht: wir alle sind Jugoslawen") unter Belgrader Führung oder durch eine Erweiterung des (groß-)serbischen Staatsverständnisses entwickeln wollte, schwankte die kroatische Öffentlichkeit, von Beginn an durch die Kroatische Bauernpartei Stepan Radics repräsentiert ("Das kroatische Volk wird unterdrückt wie nie zuvor"), zwischen einem Föderalismus, der die Gleichberechtigung aller südslawischen Nationen und deren Zusammenarbeit vorsah, und einem separatistischen Staatsmodell, das bis zur völligen Trennung der einzelnen Nationen bzw. historischen Landesteile reichte. Diese grundlegenden Auffassungsunterschiede führte zu einer nationalen Polarisierung und zu enormen innenpolitischen Spannungen zwischen der regierenden serbischen und der oppositionellen, ziemlich unterdrückten kroatischen Linie im ersten Jahrzehnt des SHS-Staates.
Die sich immer wieder zuspitzenden Auseinandersetzungen zwischen den politischen Kräften in Belgrad und Zagreb hatten natürlich auch Auswirkungen auf die nationale Orientierung der Bevölkerung der Krajina. So wandte sich ein Großteil der kroatischen Bevölkerung der Krajina politisch der Kroatischen Bauernpartei zu, während die Mehrheit der serbischen Bewohner der Krajina und Kroatiens von der Selbständigen Demokratischen Partei vertreten wurde, die einen jugoslawisch-integralistischen und zentralistischen Kurs verfolgte. Daneben gab es auf beiden Seiten radikale Gruppierungen, deren Rückhalt in der Bevölkerung allerdings bescheiden blieb. Im ersten Jahrzehnt des SHS-Staates waren die Beziehungen der beiden stärksten politischen Kräfte der Kroaten und Serben in Kroatien äußerst konfliktreich. Dieser Periode der großen Spannungen zwischen den politischen Kräften wurde ab 1927 abgelöst von einer Zeit einer eingeschränkten Zusammenarbeit, in der die Kroatische Bauernpartei und die serbische Selbstständige Demokratische Partei, trotz der weiterhin bestehenden großen politischen Auffassungsunterschiede, versuchten miteinander Kompromißlösungen zu finden. Diese Zusammenarbeit wurde auch noch nach 1929, als König Alexander die Verfassung aufhob und Jugoslawien seiner Diktatur unterwarf, bis zum Untergang des jugoslawischen Staates im Jahre 1941 fortgesetzt.
In der Zwischenkriegszeit kam es zu einer klaren nationalen Positionierung der Bevölkerung der Krajina, die auch in von nationalen Prinzipien getragenen Kulturvereinen, Banken oder Wirschaftskooperationen ihre Entsprechung fand. Das ging allerdings nicht so weit, daß die Serben der Krajina oder Kroatiens eine Loslösung von Kroatien anstrebten oder eine Autonomie irgendeiner Art forderten. Dazu war das Gemeinsamkeitsgefühl in der Krajina aufgrund der jahrhundertelangen gemeinsamen gesellschaftlichen und militärischen Entwicklung und Erfahrung im Bewußtsein der Leute noch zu tief verankert. Dieser solidarische Kitt, der die Leute in der Krajina durch die gemeinsame Vergangenheit verband, sollte erst in den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg brüchig werden.
Im sozialen und ökonomischen Bereich brachte die Zwischenkriegszeit den Bewohnern der Krajina einen nur sehr bescheidenen Modernisierungsschub. Zwar gab es rudimentäre Ansätze zur Technisierung der Landwirtschaft, und in den wenigen, kleinen Städten setzten auch erste Industrialisierungstendenzen ein, doch blieb die Krajina ein wirtschaftlich armes, "rückständiges" Gebiet innerhalb Kroatiens. Die ökonomischen Dispositionsmöglichkeiten für die meisten Leute blieben eingeschränkt, und die Arbeit in der Landwirtschaft bildete auch weiterhin die zentrale Wirtschafts- und Erwerbsform. Daneben erlangte aber die Arbeitsmigration und Auswanderung junger Männer nach Mittel- und Westeuropa oder nach Amerika aufgrund wirtschaftlicher Krisensituationen eine zunehmende Bedeutung. Stefo B. aus einem Dorf in der Krajina (Region Banija) beschreibt seine Erfahrungen in dieser Zeit folgendermaßen:
"Im Jahre 1929 ging ich nach Luxemburg. Dort sind bereits mehr als 100 Leute aus meinem Dorf zur Arbeit gewesen. Ich arbeitete dort in einer Fabrik bis 1931, ging dann zurück weil die Arbeitslosigkeit in Luxemburg aufgrund einer Wirtschaftskrise so groß war. Nach meiner Rückkehr arbeitete ich mit meiner Familie auf unserer Landwirtschaft. 1941 ging ich nach Österreich und arbeitete in einem Industriebetrieb in der Nähe von Graz, wo auch ein Cousin von mir beschäftigt war. Nach einigen Monaten kehrte ich aber wegen des Krieges und der Bombenangriffe, die damals begannen, wieder heim."[SIZE=-1]7[/SIZE]
Ustascha und Volksbefreiungskampf
Nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens im April 1941 und der Etablierung des "Unabhängigen Staates Kroatien" von Hitlers Gnaden begann das dunkelste Kapitel der Geschichte der Krajina. In Berlin hatte man im Rahmen einer "Neuordnung" Europas ein selbstständiges Kroatien innerhalb der "Volkstumsgrenzen" beschlossen und den Führer der Kroatischen Bauernpartei, Macek, als neuen Staatschef auserkoren. Doch als dieser sich der Zusammenarbeit verweigerte, griff die deutsche Führung mangels einer Alternative auf die kleine, aber bedingungslos kollaborationsbereite Ustascha-Gruppe zurück. Gleich nach der Gründung des "Unabhängigen Staates Kroatien" verwirklichten die neuen Machthaber ihr Programm eines serbenfreien Kroatiens, und es kam zur massiven Verfolgung der serbischen Bevölkerung in Kroatien und Bosnien, das von Hitler mit dem "unabhängigen" Kroatien vereint wurde. Bereits nach einigen Monaten berichteten SS-Verwaltungsstellen im ehemaligen Jugoslawien über schreckliche Übergriffe an den Serben in Kroatien, so schreibt SS-Gruppenführer Turner vom deutschen Verwaltungsstab in Serbien:
"Diese Menschen, die in ungezählten Fällen selbst Zeugen der bestialischen Hinmordung ihrer Angehörigen waren, hatten nichts mehr zu verlieren, konnten, da die Abschiebung auch ohne jede Anmeldung erfolgte, nicht aufgefangen und untergebracht werden und gesellten sich darum zu den Kommunisten in die Wälder und Gebirge. (...) Diese Ermordungen sind hier allgemein bekannt und werden mit Rücksicht darauf, daß das kroatische Gebiet unter dem Schutz des Deutschen Reiches seine Selbständigkeit erlangte, sowie mit Rücksicht darauf, daß die in Kroatien liegende Truppe diese Greueltaten nicht verhinderte, letztlich den Deutschen zur Last gelegt."[SIZE=-1]8[/SIZE]
Hunderttausende Serben, viele von ihnen aus der Krajina kommend, wurden schließlich Opfer der Exzesse der Ustasche. Ein großer Teil von ihnen kam im Massenvernichtungslager Jasenovac auf bestialische Weise ums Leben, andere wurden an Ort und Stelle liquidiert oder wurden aus ihrer Heimat vertrieben.
Diese Geschehnisse veränderten die Gesellschaft in der Krajina von Grund auf. Von der nationalen Gemeinsamkeit der kroatischen und serbischen Grenzer in der ehemaligen Militärgrenze blieb im kollektiven Gedächtnis nichts oder nur sehr wenig übrig. Eine neue Realität war entstanden. Trotzdem muß aber betont werden, daß die Serben Kroatiens selbst in den Jahren der Verfolgung von 1941 bis 1944 ihre Zugehörigkeit zu einem nichtfaschistischen Staat Kroatien nicht ablehnten, sondern für ein Kroatien innerhalb der jugoslawischen Gemeinschaft zu kämpfen bereit waren. So gingen die meisten Serben Kroatiens im Widerstand gegen das faschistische Regime dann auch nicht zu den serbischen Tschetniks, sondern zu den kommunistischen Partisanen über. Die kommunistische Führung appellierte im Verlauf des kommunistischen Volksbefreiungskampfes immer wieder an die Notwendigkeit des gemeinsamen Kampfes von Kroaten und Serben in Kroatien:
"Und gerade jetzt ist es notwendig, daß in diesen schicksalhaften Momenten alle Kräfte des kroatischen und serbischen Volkes für den Kampf gegen die faschistischen Okkupatoren und ihre Handlanger und die möglichst rasche Befreiung unserer gemeinsamen Heimat mobilisiert werden. Gemeinsam muß auch gegen die anderen Feinde des Volkes gekämpft werden, gegen die Bündnispartner und Helfer der faschistischen Okkupatoren, die Tschetniks und die verräterische Führung der HSS (Kroatische Bauernpartei)."[SIZE=-1]9[/SIZE]
Die Kriegsjahre waren auf dem Gebiet der Krajina, wo die Partisanen einen besonders starken Zuspruch hatten und die Kämpfe sehr intensiv geführt wurden, für die Bevölkerung äußerst schwierig und entbehrungsreich. Die militärischen Einheiten, die aus diesem Gebiet kamen konnten - der alten Militärgrenzertradition folgend - im Kampf gegen den Feind besonderen Ruhm erwerben und wurden später für ihre "Heldenhaftigkeit" vom kommunistischem Regime besonders verehrt. In den Beschreibungen über den Volksbefreiungskampf, dessen Feier ein nationaler Kult im Nachkriegsjugoslawien wurde, schrieb man z. B. über die Kämpfer der ehemaligen Militärgrenzregion Banija in dem von KP-Stellen herausgegebenen, lokal sehr populären "Banjski Kalender":
"Die Partisanenverbände der Banija führte besonders ruhmreiche Kämpfe für die Befreiung des Territoriums der Banija ... Obwohl die Banija nur sehr klein ist, bot sie für den Volksbefreiungskampf 5 Brigaden und 2 Partisanenverbände auf, es gab ca. 5.325 getötete Kämpfer und doppelt so viele Verletzte, und dazu kamen mehr als 10.500 Opfer des faschistischen Terrors. In diesen Opfern für die Freiheit entstand die unzerstörbare Einheit der Serben und Kroaten in diesem Teil Kroatiens, die dieses Volk immer beschützen und bewahren wird."[SIZE=-1]10[/SIZE]
Nach den Wirren des Krieges und den turbulenten Monaten nach Kriegsende, die Vertreibungen und Racheaktionen (unter Organisation oder Billigung durch die KP) zur Folge hatten, trieb die KP unter Tito die sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft Jugoslawiens voran. In der Krajina kam es in der Folge des von der KP eingeleiteten Modernisierungsprozesses zu einer Reihe von Entwicklungen, die die traditionelle Gesellschaft radikal verändern sollten: Die Abwanderung in die Zentren und andere Gebiete Jugoslawiens, die Neuansiedlungen, die starke Arbeitsmigration nach West- und Mitteleuropa und eine Änderung der Wirtschaftsgrundlage der Menschen sind nur einige davon.
In der über 40jährigen sozialistischen Zeit wurde in der Krajina von offizieller Seite, die sich auf den "gemeinsamen, heroischen Volksbefreiungskrieg" berief, ein Bild der Gemeinsamkeit von Serben und Kroaten in der Krajina geschaffen. Wie die Ereignisse im Zuge des Zusammenbruchs Jugoslawiens in den letzten Jahren gezeigt haben, blieb die obige, aus dem Jahre 1960 stammende KP-Propagandaparole aus dem "Banjski Kalender" von der "unzerstörbaren Einheit der Serben und Kroaten in diesem Teil Kroatiens" eine - für sehr viele Menschen sehr folgenreiche - Fehleinschätzung.
Quelle:
Jg. 7/2-95 Grandits