Kopfpauschale durch die Hintertür
Schwarz-Gelb wollen Umbau der Krankenversicherung
Vieles soll anders werden in der Krankenversicherung, teurer für den einzelnen vermutlich auch: Union und FDP haben einen Radikal-Umbau der Versicherung angekündigt. Kritiker sagen: Jetzt kommt die Kopfpauschale durch die Hintertür.
Fast schien die 2005 von der CDU gewünschte "solidarische Gesundheitsprämie" schon in Vergessenheit. Nun kommt sie in Form eines "einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeitrags" wieder. Ab 2011 soll das bisherige System der gesetzlichen Krankenversicherung radikal umgebaut werden. Was das genau bedeutet, ließen die Unterhändler der künftigen schwarz-gelben Koalition am Freitag noch im Ungefähren. Das soll eine "Regierungskommission" in den nächsten Monaten ausarbeiten. Die beiden Niedersachsen Philipp Rösler (FDP) und Ursula von der Leyen (CDU) betonten zunächst nur die großen Linien: "gerechter und transparenter" solle das System werden.
Und was kostet das den Versicherten?
Offen blieb die Milliarden-Euro-Frage: Wie viel kostet das Ganze den normalen Versicherten? Rösler behauptete zwar tapfer, die Gesundheitsversorgung werde "definitiv nicht teurer". Aber ganz so kann er das wohl nicht gemeint haben, denn das Gesundheitssystem wird jedes Jahr teurer und zwar mit einer Rate, die deutlich über der normalen Inflation liegt. Allein im kommenden Jahr sollen die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung von 166,8 auf 174,2 Milliarden Euro steigen - um 7,4 Milliarden Euro. Der rasante Anstieg, begründet in der alternden Bevölkerung und neuen teuren Therapien, ist ja überhaupt erst der Anlass für die von Schwarz-Gelb geplante Radikalkur.
Stand der Verhandlungen:
Diese verfolgt nach Angaben von Union und FDP vor allem ein zentrales Ziel: Die Gesundheitskosten sollen von den Arbeitskosten losgekoppelt werden. Der jährlich wiederkehrende Ausgabenschub bei den Krankenkassen soll nicht dazu führen, dass die Lohnnebenkosten steigen und womöglich deswegen Arbeitsplätze wegfallen. Deshalb soll der Arbeitgeberanteil am Krankenkassenbeitrag bei heute sieben Prozent des Bruttolohns eingefroren werden.
Kassen legen Beitrag selbst fest
Im Umkehrschluss heißt das, dass nur noch der Arbeitnehmerbeitrag wachsen kann. Ihn festzusetzen, soll künftig im Ermessen der Kassen stehen. Mehrkosten für die Versicherten sind absehbar. Gleichzeitig soll der Arbeitnehmerbeitrag von einem Prozentsatz auf eine Pauschale umgestellt werden. Bisher zahlt ein Geringverdiener mit 1.000 Euro im Monat darauf 7,9 Prozent Arbeitnehmeranteil, also 79 Euro. Bei einem Einkommen von 3.500 Euro sind es 276,50 Euro. Eine Pauschale wäre dagegen für alle Einkommensklassen gleich.
Wo sie künftig liegen müsste, ist völlig offen. Aber ein Rechenmodell macht die Wirkung deutlich: Läge die Pauschale zum Beispiel bei 150 Euro, würde die Belastung für den Geringverdiener fast doppelt so hoch, der Gutverdiener könnte dagegen 126,50 Euro sparen. Da das natürlich irgendwie nicht geht, muss es einen "Sozialausgleich" geben. Das heißt, der Geringverdiener muss - auf welchem Wege auch immer - einen Zuschuss bekommen.
Wie viel Steuergeld für Sozialausgleich?
Nach den schwarz-gelben Reformplänen soll das über das Steuersystem geschehen. Das sei auf die Dauer fairer und gerechter als das jetzige Ausgleichssystem, sagte von der Leyen. "Denn das Steuersystem erfasst dann alle, auch alle Einkommensarten", sekundierte ihr FDP-Kollege Rösler, dem am Freitag beste Aussichten attestiert wurden, der kommende Ressortchef für Gesundheit zu werden. Schon bisher zahlen Gutverdiener einen Teil der Gesundheitskosten für Arme mit, aber nur jene, die in der gesetzlichen Krankenversicherung sind und auch nur bis zu einer bestimmten Höchstgrenze, der Beitragsbemessungsgrenze von derzeit knapp 3.700 Euro. Künftig würden alle Steuerzahler herangezogen, also zum Beispiel auch Privatversicherte und Unternehmen. Außerdem würden alle Einkommensarten berücksichtigt, also auch Kapitaleinkünfte oder versteuerte Mieteinnahmen.
All diese Argumente waren bereits 2005 und 2006 hin und her gewälzt worden. Damals wollte die SPD den Steuerzuschuss an die Krankenversicherung zwischenzeitlich auf bis zu 40 Milliarden Euro hochschrauben. Da dies massive Steuererhöhungen nötig gemacht hätte, starb der Plan einen schnellen Tod. Angesichts der Finanzkrise und der Bemühungen, den Kassenbeitrag einigermaßen stabil zu halten, wuchs der Steueranteil inzwischen still und leise aber doch kräftig an.
Derzeit geplant sind 11,8 Milliarden Euro für 2010. Wegen der Krise will die künftige Koalition noch einmal vier Milliarden zumindest als Darlehen drauflegen. Kurzum: Es findet auch heute schon in Ansätzen ein Einkommensausgleich über das Steuersystem statt, ganz ohne die Umstellung auf Pauschalen. Ob dieser Sozialausgleich im neuen System so ausgeweitet würde, dass auch Steuern erhöht müssten - diesen Gedanken wagen Union und FDP wohl kaum zu denken, in jedem Fall nicht laut.
Von Verena Schmitt-Roschmann, ap
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