"Der Kosovo-Konflikt
Serben und Albaner in Kosovo
Historische Spurensuche an einem Kreuzweg des Balkans
Von Christian Kind
Der Konflikt in Kosovo lässt die Ansprüche zweier Völker zusammenprallen, die jahrhundertelang unter wechselnden Herrschaftsverhältnissen zusammengelebt hatten. Dem Wunsch einer alteingesessenen Mehrheitsbevölkerung nach Unabhängigkeit von Serbien, in dessen Grenzen sie zu leben gezwungen sind, steht in der Gegenwart ein serbischer Machtwille gegenüber,
der die Albaner als Fremdkörper empfindet und von ihnen willenlose Unterordnung und Anpassung verlangt oder ihnen die Auswanderung nahelegt.
Für die Regelung des Zusammenlebens zwischen Mehrheitsvolk und Minderheit in einem Staat gibt es genügend Vorbilder in Gestalt von Autonomielösungen mit politischen oder auch nur kulturellen Kompetenzen. Es gibt aber auch Dauerkonflikte wie im Baskenland oder in Nordirland, wo gewalttätige Gruppen den Status quo immer wieder in Frage stellen und Terrorbekämpfung und politische Lösungsversuche die staatliche Autorität ständig in Atem halten. Nirgends aber stehen sich wie in Kosovo die Forderungen nach Unabhängigkeit und nach völliger Unterordnung so krass gegenüber, dass die Idee einer begrenzten Autonomie im Lande selbst kaum Anhänger hat, sondern von aussen den Konfliktparteien als Kompromiss aufgedrängt werden muss.
Die Gründe dafür liegen in der Vergangenheit, und daher muss, wer an den Entstehungsursachen interessiert ist, sich mit der Vorgeschichte des gegenwärtigen Ringens befassen.
Nationalistisch geprägte Geschichte
Der britische Historiker Noel Malcolm, der in der Endphase des Bosnienkriegs mit einer für einen weiten Leserkreis bestimmten «Geschichte Bosniens» hervorgetreten ist, hat jetzt auch eine Geschichte Kosovos* veröffentlicht, die interessierten Zeitgenossen den unerlässlichen Hintergrund zu den dramatischen Tagesnachrichten liefern will. Obwohl eine «Kurze Geschichte Kosovos» geplant war, hat Malcolm seine Studien breit angelegt und eine Vielzahl von Quellen und Darstellungen in den verschiedensten Sprachen wie Albanisch, Türkisch, Griechisch, Bulgarisch, Ungarisch und Serbokroatisch berücksichtigt.
Jede Beschäftigung mit der Geschichte dieses Gebiets verlangt eine Auseinandersetzung mit der serbischen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, die von extrem nationalistischen Anschauungen geprägt ist und Kosovo zum Herzland und zum «Jerusalem» der Serben proklamiert hat. Der Historiker sieht sich hier nicht nur einer bestimmten Interpretation
der Quellen gegenüber, sondern einem noch lebendigen nationalen Mythos von der gottgewollten Sonderrolle der Serben, der die Niederlage auf dem Amselfeld (Kosovo Polje) im Jahre 1389 mit der Befreiung von der Türkenherrschaft im 19. Jahrhundert und der heutigen Konfrontation verknüpft, in der sich dieses Volk einer ganzen Welt von Feinden gegenübersieht. Gestützt auf die Quellen lässt der britische Autor die nachträglichen Rekonstruktionen in der Geschichte der Serben und den Einfluss des Volksepos deutlich werden. Das kurzlebige serbische Grossreich, das an die Tradition von Byzanz anzuknüpfen suchte, erfährt jedoch mit seinen Klostergründungen und kulturellen Errungenschaften eine durchaus angemessene Würdigung. Im Detail seziert er die zahlreichen zeitgenössischen und späteren Versionen über Heldentum und Verrat in der Schlacht auf dem Amselfeld, in der beide Heerführer, der türkische Sultan Murat und der serbische Prinz Lazar umkamen. Historische Gewissheit über den Verlauf der Schlacht, die in mündlicher Überlieferung über die Jahrhunderte der Fremdherrschaft hin das serbische Bewusstsein prägte, vermag er dabei nicht herzustellen.
Trocken hält er fest, dass für den angeblichen «Pakt mit Gott», in dem Lazar den himmlischen Ruhm statt diesseitiger Ehren wählte und der den Ursprung des populären Worts von den Serben als dem «himmlischen» Volk (nebeski narod) bildet, kein brauchbarer Beleg zu finden ist.
Keine haltbaren Besitzansprüche
Dem westeuropäischen Historiker bleibt nicht erspart, eine Art Schiedsrichter zwischen den Bemühungen serbischer und albanischer Geschichtsschreiber zu spielen, die aus den Quellen Mehrheiten für das eine oder andere Volk zu bestimmten Zeiten nachzuweisen suchen. Der hervorstechende Befund aus dem Studium von Namenlisten ist der eines engen Zusammenlebens und gegenseitiger Beeinflussung über lange Zeiträume zwischen den teils muslimischen, teils katholischen Hirten-Clans im nordalbanischen Hochland und der gemischten, mehrheitlich orthodoxen Agrarbevölkerung Kosovos. Malcolm relativiert die Bedeutung der serbischen Auswanderung und Wiederansiedlung im ungarischen Teil der Habsburger Monarchie und hält die sogenannte Grosse Serbische Migration unter Führung des Patriarchen (1690) auf eine angebliche Einladung des Kaisers hin für eine romantisierende Fiktion.
Vor allem aber befindet er, dass sich aus den vorhandenen geschichtlichen Daten so oder so keine haltbaren Begründungen für heutige Besitzansprüche ableiten lassen.
Wiege des albanischen Nationalstaats
Die Geschichte Kosovos lässt sich nicht separat von den Anfängen des albanischen Nationalstaats abhandeln.
Die lokalen Stammesführer in Nordalbanien und in Kosovo gehörten bis weit ins 19. Jahrhundert hinein zu den Stützen des von Bulgaren, Serben und Griechen bedrängten Osmanischen Reichs, dem sie kampftüchtige Bergbewohner als Soldaten lieferten. Sie waren in den eigenen Verhältnissen von der Zentralmacht meist unbehelligt geblieben und fanden daher auch wenig Gefallen an den sich folgenden Modernisierungsbestrebungen der Sultane und später der jungtürkischen Reformer. Im Gebiet Kosovos entstand mit der Liga von Prizren eine Bewegung, die ihre Loyalität zum Osmanischen Reich betonte, sich aber gegen neuzeitliche Forderungen aus Istanbul im Steuer- und Rekrutierungswesen wandte. Malcolm ist der Meinung, dass die Geschichte des Balkans anders hätte verlaufen können, wenn den Autonomieforderungen der Albaner mehr Raum gegeben worden wäre. So aber kam es, dass eine breite albanische Rebellion im Jahre 1912 Serbien, Montenegro, Bulgarien und Griechenland den Anlass gab, der geschwächten türkischen Herrschaft auf dem Balkan ein Ende zu bereiten. Der albanische Anspruch auf einen eigenen Staat aller Albaner geriet dabei unter die Räder.
Kosovo und die albanischen Siedlungsgebiete im heutigen Mazedonien wurden von Serbien beansprucht, und hätten die europäischen Mächte nicht eingegriffen, hätten die Serben sich auch einen Zugang zur Adria durch Nordalbanien angeeignet.
Gewaltsame Serbisierung
Die serbischen Eroberer trafen in Kosovo auf eine mehrheitlich muslimisch-albanische Bevölkerung und eine orthodox-serbische Minderheit, die sich in ihrer archaischen Lebensweise stark von den Bewohnern Zentralserbiens unterschied.
Angefeuert durch eine nationalistische Welle, begingen die serbischen Soldaten und insbesondere die irregulären Tschetnik-Formationen zahlreiche Massaker an Muslimen und gefangenen Türken, über die unter anderen der russische Kriegskorrespondent Lew Bronschtein, später Trotzki genannt, berichtete.
Um die Zusammensetzung der Bevölkerung zu verändern, hatten die Serben schon im 1878 erworbenen Morava-Tal die muslimische Bevölkerung mit systematischen Gewalttaten zur Auswanderung gedrängt. Doch verhinderte der Erste Weltkrieg mit der 1915 erfolgten Besetzung durch Österreich-Ungarn die Fortsetzung dieser kolonialistischen Politik. Im neuen jugoslawischen Königreich wurde systematische Siedlungspolitik mit Abschiebung von «Türken» und Unterstützung serbischer Kolonisten betrieben, die aber wegen des weit höheren Zuwachses der Albaner die ethnische Zusammensetzung nicht wesentlich zu verändern vermochte. Gegen Kolonisierung und kulturelle Unterdrückung durch Verweigerung albanischsprachiger Schulen erhob sich in den ersten Jahren nach dem Weltkrieg die «Kacak»-Widerstandsbewegung, die anfänglich von Albanien her unterstützt wurde, sich aber später mit dem Politiker und künftigen König Zogu überwarf, der mit Jugoslawien paktierte.
Die Beschreibung der Militäraktionen gegen die Aufständischen in Kosovo in Form der systematischen Beschiessung von Dörfern und der Vertreibung ihrer Bewohner erinnert an die Zeitungsmeldungen der jüngsten Vergangenheit.
Autonomie und neue Repression
Im Zweiten Weltkrieg befand sich der grösste Teil von Kosovo mit Albanien zusammen unter italienischer Besetzung. Bei Kriegsende wurden die Grenzen von 1918 wiederhergestellt, doch blieb zunächst offen, ob Albanien mit Jugoslawien in einer grösseren Balkan-Föderation vereinigt werden sollte. Malcolm vermag hier etwas Licht auf die Föderationspläne Titos zu werfen, denen der albanische Kommunistenführer anscheinend zustimmte. Meinungsverschiedenheiten über die Umsetzung führten dann unter anderen Ursachen zum Bruch mit Stalin, der die fast völlige Unterbrechung aller Verbindungen zu Albanien bis zur Wende von 1989 zur Folge hatte
. Kosovo erlebte eine harsche Repression im Zeichen des Klassenkampfs und der Unterdrückung aller nationalen Regungen. Erst nach dem Sturz des serbischen Sicherheitschefs Rankovic im Jahre 1966 erhielt die schon zuvor auf dem Papier bestehende Autonomie von Kosovo-Metohija, wie die Provinz damals hiess, schrittweise mehr Gehalt, und 1974 wurde dem nominell zu Serbien gehörenden Gebiet in Titos Bundesstaat faktisch der Status einer Republik eingeräumt.
In Pristina regierten fortan die kosovo-albanischen Kommunisten, zum Leidwesen serbisch- nationalistischer Kreise, die ihre Beschwerden aber nicht laut äussern durften. Nach dem Tod Titos entstand aus studentischen Protesten gegen schlechte Lebensbedingungen eine Agitation zugunsten einer eigenen Republik Kosovo. Sie wurde von den autonomen Behörden unterdrückt, bald aber äusserte sich Unzufriedenheit in Serbien über den angeblich benachteiligten Status der eigenen Republik. Auf ihren Wogen schwang sich Slobodan Milosevic 1989 zum serbischen Parteiführer auf, warf den Tito-Kommunismus über Bord und steuerte fortan einen serbisch- nationalistischen Kurs. Durch Verfassungsänderungen von oben wurde die Autonomie Kosovos jedes realen Gehalts entkleidet und zu einer blossen Formalität gemacht. Damit begann erneut eine Politik der Serbisierung, wie sie in der Zwischenkriegszeit von nationalistischen Ideologen postuliert worden war.
Die Albaner reagierten darauf zunächst mit gewaltlosem Widerstand und setzten dem serbischen Machtanspruch eigene illegale Strukturen im Schul- und Gesundheitswesen entgegen. Enttäuschung über das Ausbleiben westlicher Unterstützung führte schliesslich zur bewaffneten Rebellion.
Kolonialistische Inbesitznahme
A
m Schluss kommt Malcolm zu dem schonungslosen Fazit, dass der serbische Staat die Eroberung Kosovos im Balkankrieg als einen Akt der Befreiung proklamierte, dass es sich in Wirklichkeit aber um eine kolonialistische Inbesitznahme gegen den Willen der eindeutigen Bevölkerungsmehrheit gehandelt habe. Nur wenn das serbische Volk zur Anerkennung dieser fundamentalen Tatsache gebracht werden könne, sei eine Lösung des Konflikts denkbar. Dass Malcolm die Berechtigung des geschichtlich motivierten Anspruchs Serbiens auf Kosovo rundweg bestreitet, ist in Belgrad naturgemäss mit grossem Unmut registriert worden. Zum Sprachrohr dieses Unmuts hat sich der jugoslawisch-amerikanische Soziologe Aleksa Djilas gemacht, der 1993 nach längerer Lehrtätigkeit in den Vereinigten Staaten nach Belgrad zurückgekehrt ist. Zuhanden eines westlichen Publikums warf er Malcolm in der Zeitschrift «Foreign Affairs»
antiserbische Voreingenommenheit vor und beschuldigte ihn, die serbischen Quellen vernachlässigt zu haben, blieb jedoch konkrete Belege schuldig.
Wenn es auch in der Gewichtung einzelner Argumente unterschiedliche Auffassungen geben mag,
ist die Diagnose Malcolms doch zweifellos richtig, dass es zu einer dauerhaften Lösung des Konflikts in erster Linie eines verbreiteten Gesinnungswandels unter den Serben bedarf, die mit einer demokratischen Emanzipation der serbischen Politik aus dem Griff der Macht des Präsidenten Slobodan Milosevic einhergehen müsste. Erst dann dürfte wohl auch jene politisch neutrale Geschichte Kosovos geschrieben werden, die auf anwaltschaftlichen Eifer völlig verzichten kann.
* Noel Malcolm: Kosovo. A Short History. New York University Press, New York 1998, 492 Seiten."
mir ist bewusst das für die einen welche kaum 5 sätze in die tasten hauen wollen/können dieser text zu lang ist....:help:
doch ist es ein geschichtliches buch welches sehr interessant ist...