>Alles ist erlaubt<. Fern der Zentralmacht, fern dem königlichen Gesetz, fallen alle Schranken, das bereits gelockerte soziale Band zerreißt, und es offenbart sich nicht eine primitive Natur, die in jedem von uns schlummernde Bestie, sondern ein modernes und sogar zukunftsvolles Wesen, das keine Moral mehr kennt und tötet, weil und wann immer es ihm Spaß macht.1
Indios zu Millionen abgeschlachtet, die Afrikaner als Sklaven aus ihren Ländern entführt, den Indianern ihren Glauben aufgedrückt, den Indern ihre Kultur eingeprügelt und den Moslem wie einen Neandertaler behandelt. Es war fast immer der Westeuropäer der den anderen Kulturen diktiert hat, wann und wie sie sich zu demokratisieren, wann und wie sich zu welchen Kriegsverbrechen bekennen, wann und wie sich verhalten und wann und wie sie ihre Religion zu liberalisieren haben.
Der Kolonisator, der im anderen Menschen ein Tier sieht, nur um sich selber ein ruhiges Gewissen zu verschaffen, dieser Kolonisator wird objektiv dahin gebracht, sich selbst in ein Tier zu verwandeln. … Man erzählt mir von Fortschritt und geheilten Krankheiten. Ich aber spreche von zertretenen Kulturen, […] von Tausenden hingeopferten Menschen. … Ich spreche von Millionen Menschen, denen man geschickt das Zittern, den Kniefall, die Verzweiflung […] eingeprägt hat.2
Nichts anderes darf man vom Imperialismus erwarten, denn schon die Jahrhunderte davor hat der Imperialismus nichts anderes getan als ganze Kontinente zu versklaven. Ganze Kulturen, Religionen, Stämme, Völker sind zertreten, erwürgt, assimiliert, ermordet, vergewaltigt und versklavt nur um den Hunger des Europäers nach Macht zu stillen. Dabei hat der Westen nicht nur millionen Menschen auf seinem Gewissen, nein er hat auch die Natur nach seinem belieben gerodet, vergiftet und unfruchtbar gemacht, ganz gleich wie hoch der Preis war.
„Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.“3
Die Leitparolen mögen sich in den Jahrhunderten geändert haben aber die Nuance blieb immer gleich: Christianisierung, Zivilisierung, Modernisierung, Demokratisierung.
Dabei ging es dem Westeuropäer immer nur um das eine, alle Völker sollten ihm dienen oder sich völlig assimilieren lassen. Ganze Landstriche wurden brutal kolonisiert und dabei ganze Völker verschleppt, umgesiedelt, ermordet und als Tauschobjekte verkauft.
Dabei hat der Westen sich niemals für seine Taten geschämt, er hat sich nie entschuldigt oder auch nur ansatzweise daran gedacht dies zu tun. Selbst die Menschenrechte die der Westeuropäer aufstellte nannte er vor kurzem noch ‘Christlich geprägt’ und wollte damit allen anderen seine Überlegenheit demonstrieren. Es war nicht der Westen der für die Menschenrechte aufstand und sich dafür stark machte. Nein, es waren genau jene unterdrückten Seelen, die sich mit erhobenem Haupt gegen ihre Kolonialherren erhoben und Gerechtigkeit einforderten für alle Rassen.
Gandhi, Martin Luther King, Malcolm X, Aimé Césaire, Léopold Sédar und viele hundert andere. Nur sehr wenige der weltweit bekannten Menschenrechtlern sind überhaupt Westeuropäer gewesen. Der Westen, der diese Menschen versklavt, ihnen ihre Religion aufgezwungen, sie massakriert, ermordet, bekriegt und ihnen jede Würde genommen hat, hat sich nicht einmal dafür geschämt ihre Rebellion gegen das Unrecht auf dieser Welt, die ja vom Westen ausging, als die seinigen auszugeben.
„Ja, was denn? die Indianer massakriert, die islamische Welt um sich selbst gebracht, die chinesische Welt gut ein Jahrhundert lang geschändet und entstellt, die Welt der Schwarzen disqualifiziert, unzählige Stimmen auf immer ausgelöscht, Heimstätten in alle Winde zerstreut … und Sie glauben, für all das müsse nicht bezahlt werden?“4
Der Westen war und ist von seiner Überlegenheit derart überzeugt, dass er nie auf die Idee kam, dass seine Sicht der Dinge eventuell der absolute Irrweg sein könnte.
Es waren nicht die Afrikaner, Muslime oder Indios die ganze Gesellschaften kolonisiert und brutal ermordet haben. Immer aber waren es die Kinder aus der afrikanischen Savanne, aus der muslimischen Wüste und der indianischen Prärie, die sich vor den Bomben und Kugeln des Kolonisators, sich zitternd an die tote Mutter klammerten. Allein in Algerien wurden mehr als 1,5 Millionen unschuldige brutal von Französischen Soldaten abgeschlachtet. Während des Algerienkriegs nutzten die Franzosen die algerische Sahara für unterirdische Atombombenversuche. Bis heute leidet die Zivilgesellschaft unter den Folgen dieser Atomtests. Tocqueville stellte 17 Jahre nach der Eroberung Algeriens durch Frankreich fest: „Die Lichter sind erloschen. Wir haben die muslimische Gesellschaft ärmer, unwissender und unmenschlicher gemacht.“
„Wir überreichen den Muslimen das schönste Geschenk, das wir ihnen machen können. Wir sagen ihnen: Du wirst sein wie wir.“5
Überhaupt als erster Genozid in die Weltgeschichte eingegangen sind die Aufstände der Herero und Nama unter der deutschen Kolonialbesatzung. Von dem einst so stolzem Volk mit weit über 100.000 Bürgern, überlebten diese Kolonisierung nur noch ca. 15.000 Menschen; über die Verluste anderer afrikanischer Völkerschaften liegen überhaupt keine ‘zuverlässigen’ Zahlen vor. Bis heute hat die Bundesregierung nichts weiter dazu gesagt als „Wir bedauern was geschehen ist…“.
In seinem 1835 erschienenen Hauptwerk über die Demokratie in Amerika stellte Tocqueville die für jene Zeit charakteristische Frage:„Hat man beim Anblick der Vorgänge in der Welt nicht den Eindruck,dass der Europäer für andere Rassen das ist, was der Mensch für die Tiere bedeutet? Er macht sie seinem Dienst untertan, und wenn er sie nicht mehr unterjochen kann, vernichtet er sie.“ Für den liberalen Denker gab es „keinen Grund, die muslimischen Subjekte so zu behandeln, als wären sie uns gleich“.
(Tocqueville 1835, Hauptwerk über die Demokratie)
Oder lassen sie uns vom Holocaust reden. Dass man etwas dagegen unternehmen hätte können, sieht man am Beispiel von Oskar Schindler. 1200 Juden rettete er vor dem sicheren Tod, immer in Gefahr selbst ein Opfer dieser kranken Ideologie zu werden.
„Entscheidend für den Rassebegriff des 20. Jahrhunderts sind die Erfahrungen, welche die europäische Menschheit in Afrika macht und die erst durch den scramble for Africa und die Expansionspolitik in das allgemeine Bewusstsein Europas eindrangen (…) Hier, unter dem Zwang des Zusammenlebens mit schwarzen Stämmen, verlor die Idee der Menschheit und des gemeinsamen Ursprungs des Menschengeschlechts, wie die christlich-jüdische Tradition des Abendlandes sie lehrt, zum ersten Mal ihre zwingende Überzeugungskraft, und der Wunsch nach systematischer Ausrottung ganzer Rassen setzte sich hier zum ersten Mal fest.“6
Es ist die Doppelmoral und die Heuchelei des Westens, das dem unterdrückten Sklaven bitter aufstößt. Die Gründungsväter der Vereinigten Staaten die, die Menschenrechte in ihre Verfassung aufnahmen, waren zeitgleich Sklavenhändler! Neunzig Jahre lang verkannten sie den Afrikanern die Menschenrechte und bis heute hat sich kein Präsident dafür entschuldigt. Ungesühnt bleibt auch der Völkermord an den 2 Millionen Indianern durch die Amerikaner. Es war der Westen der Hiroschima und Nagasaki durch eine Atombombe dem Erdboden gleich machte, in Vietnam 4 Millionen Menschen ermordete, zum Teil durch den Einsatz von chemischen Kampfmitteln wie „Agent Orange“. Das Afrikaner, Muslime, Indianer, Inder oder aber auch andere unterdrückte Länder sich nicht mit diesem idealistischem Propaganda identifizieren können und sich vehement gegen diese Doppelmoral stellen, sollte bei dieser Scheinheiligkeit des Westens niemand verwundern.
„Es ist arrogant und respektlos, unser kulturelles Erbe als zweitrangig zu bewerten.“7
Wer sich Rassismus, Imperialismus und Kolonialismus vorwerfen muss, oder die Folterungen in Guantanamo und Abu Ghraib, den Irak-Krieg, die Herstellung und Verkauf von Waffen weltweit, der kann sich nicht hinstellen und der Welt in Sachen Menschenrechte und Demokratie den Lehrmeister spielen wollen, ohne für seine Taten die Verantwortung zu übernehmen. Ganze Kulturen, Religionen, Völker sind regelrecht angewidert von dieser Doppelmoral und Heuchelei des Westens.
Dabei dominiert der Westen die Welt schon lange nicht mehr.
Nicht ein einziges Mal in den letzten zweihundert Jahren hat ein muslimisches Land den Westen angegriffen. Die europäischen Großmächte und die USA waren immer Angreifer, nie Angegriffene.8
Bill O’Reily, Fernsehidol der amerikanischen Konservativen erklärte wörtlich: „Wir können nicht immer wieder in der muslimischen Welt intervenieren. Was wir tun können, ist, sie in Grund und Boden zu bomben.“ Oder die amerikanische Fernsehkommentatorin Ann Coulter meinte: „Wir sollten in ihre Länder einmarschieren, ihre Führer totschlagen und die Bevölkerung zum Christentum bekehren.“ Oder: „Wir sollten unseren nationalen Arschkriecherwettbewerb beenden, Syrien ins Steinzeitalter zurückbomben und danach den Iran dauerhaft entwaffnen.“ Ich weiss nicht wie sie über solche Äusserungen denken, für mich sind sie tief rassistisch und menschenverachtend. Ich sehe keinen Unterschied zwischen den Äusserungen Bin Laden’s und dieser beiden Individuen, Bill O’Reily und Ann Coulter.
Manche Europäer werfen mir vor, ich würde den Rassismus auf die Westmächte propagandieren; dabei spricht aus jenem Geist die pure Angst, dass er nur ansatzweise das erleben könnte, was seit Jahrhunderten die Juden, Muslime, Afrikaner und Indianer erleben mussten. Krieg kann und darf nicht die Lösung sein! Gerechtigkeit und nichts anderes kann die Menschheit erlösen von diesen überholten und kranken Ideologien des kapitalistischen Imperialismus!
Der Westen mag ganze Völker entmachtet haben aber den Ruf nach Freiheit und Gerechtigkeit werden sie niemals zum Schweigen bringen.
„[…] Schritt für Schritt können wir so in Zukunft – und ja auch schon heute – jene ‘Weltkultur’ entstehen sehen, die ein gemeinsames Werk aller verschiedenen Kulturen sein wird, da alle Kontinente, alle Völkerschaften und alle Nationen an ihr mitwirken. Wenn ich sage ‘alle Nationen’, dann meine ich, dass alle – auch die kleineren und kleinsten Nationen – ohne jede Einmischung der Großmächte selber über ihre Entwicklung entscheiden. Ein solcher eigener Weg setzt jedoch sowohl politische als auch kulturelle ‘Freiheit’ voraus.“ 9
Mustafa Çelebi
1) Tzvetan Todorov, in seiner berühmten Analyse der Eroberung Amerikas im 16. Jahrhundert
2) Aimé Fernand David Césaire
3) Weissagung der Cree
4) Aimé Fernand David Césaire
5) Oberst Charles Lacheroy, einer der wichtigsten Theoretiker des Algerienkrieges.
6) Hannah Arendt über die europäischen Erfahrungen in Afrika um 1900
7) Jecinaldo Satere Mawe, Leiter des Amazonas-Stammes Coiab
8) Jürgen Todenhöfer, Feindbild – Islam
9) Léopold Sédar Senghor in seiner Rede anlässlich der Verleihung des deutschen Buchpreises in Frankfurt, 1968