GTA 7 Istanbul- Tales from Tayip G.
Gefährliche Nähe
Die Panama Papers zeigen, dass regierungstreue Wirtschaftsbosse aus der Türkei Briefkastenfirmen nutzen. Damit konfrontiert,
bedrohte einer der Unternehmer türkische Journalisten offenbar massiv.
Von Hannes Munzinger und Luisa Seeling
Es war nicht mehr als eine Ankündigung: Die Tageszeitung
Cumhuriyet veröffentlichte am 24. Juni den Hinweis, man werde in Kürze über die "Panama'cı Türkler" schreiben - über die Türken, deren Namen in den Panama Papers auftauchen. Darunter druckte
Cumhuriyet die Fotos von sechs Männern. Alle sind Unternehmer, fünf von ihnen stehen dem türkischen Staatspräsidenten
Recep Tayyip Erdoğan nahe.
Kurz darauf klingelte in der Redaktion von Cumhuriyet das Telefon. Der Mann am anderen Ende der Leitung war offenbar Mehmet Cengiz - einer der sechs abgebildeten Geschäftsmänner. Cengiz' Firma gehört zu einer Gruppe von Unternehmen, die den neuen
Istanbuler Flughafen bauen - ein umstrittenes Prestigeprojekt, das der Präsident persönlich vorantreibt. Cengiz' Name taucht auch im Zusammenhang mit einem Korruptionsskandal auf, der 2013 mehrere Minister zum Rücktritt zwang.
Der Mann am Telefon sprach laut Cumhuriyet eine ziemlich unmissverständliche Warnung aus: "Ihr schämt euch nicht, mein Gesicht auf die Titelseite zu setzen? Ich werde euch bekämpfen (...) Ihr Hurensöhne, macht keinen Killer aus mir". Das kann man als Morddrohung auffassen, vielleicht muss man es sogar. Gerade in der
Türkei, wo kritische Journalisten seit Jahren entlassen, mit Klagen überzogen oder persönlich bedroht werden.
Seit Cumhuriyet 2015 kurz vor der Parlamentswahl über eine Waffenlieferung des türkischen Geheimdiensts nach
Syrien berichtete, ist die Zeitung zum Symbol für den Kampf um die Pressefreiheit geworden. Der türkische Präsident erstattete persönlich Anzeige, kurz darauf kamen Can Dündar, der Chefredakteur, und Erdem Gül, Leiter des Ankara-Büros, in Untersuchungshaft. Am Prozesstag, am 6. Mai dieses Jahres, überlebte Can Dündar nur knapp einen Anschlag. Ein Mann nannte ihn Vaterlandsverräter und schoss auf ihn - verfehlte ihn aber. Kurz darauf verkündete das Gericht in Istanbul das Urteil: Mehrjährige Haftstrafen für Dündar und Gül, wegen des Verrats von Staatsgeheimnissen. Bis zum Berufungsverfahren bleiben sie auf freiem Fuß. Ihre Redaktion arbeitet weiterhin in diesem schwierigen Klima.
Cumhuriyet ist nun das einzige türkische Medium, das Zugang zu den als
Panama Papers bekannt gewordenen Unterlagen des Offshore-Dienstleisters Mossack Fonseca bekommen hat. Zusammen mit dem ICIJ, dem Recherchenetzwerk OCCRP und der
Süddeutschen Zeitung haben Reporter von Cumhuriyet in den vergangenen Wochen in den 2,6 Terabyte Daten nach Spuren in die Türkei gesucht.
In den Panama-Papieren fanden sich bislang 13 aktuelle oder frühere Staats- und Regierungschefs sowie die Verwandten oder Vertrauten von Dutzenden weiteren. Islands Premier musste bereits zurücktreten, in Pakistan und
Argentinien sind die Enthüllungen belastend für den Premier beziehungsweise den Präsidenten.
Derart hoch sind die direkten Treffer im Fall der Türkei nicht angesiedelt, so viel sei an dieser Stelle bereits vorweggenommen. Weder der türkische Präsident noch der Premier Binali Yıldırım fanden sich in den geleakten Unterlagen der
Panama Papers. Jedoch etliche Wirtschaftsbosse mit Nähe zur AKP - jener Partei, die seit 2002 das Sagen hat und der Erdoğan als Parteichef vorstand, bis er 2014 vom Amt des Premiers an die Staatsspitze wechselte. Die Panama Papers belegen, dass regierungstreue Wirtschaftsgrößen ihr Geld gerne in Briefkastenfirmen verstecken. Wer aber so etwas in der Türkei veröffentlicht, lebt gefährlich.
[h=3]Unternehmer wie Cengiz nennt man auch "anatolische Tiger"[/h]
Cengiz gehört einer relativ neuen Schicht von muslimisch-konservativen Unternehmern an, die seit dem Regierungsantritt der AKP 2002 zu viel Geld, Macht und Einfluss gekommen sind. Man nennt sie die "anatolischen Tiger". Heute gehören viele von ihnen zu den wirtschaftlichen Schwergewichten des Landes.
Mitglieder der Cengiz-Familie tauchen regelmäßig auf der Forbes-Liste der reichsten Türken auf. Sie pflegen gute Beziehungen zur regierenden AKP - und zu Erdoğan persönlich. Die Familie stammt aus der Schwarzmeer-Stadt Rize, wie der Präsident. Hier steht die Erdoğan-Universität, an der ein Sohn des Präsidenten, Bilal Erdoğan, und Mehmet Cengiz im Beirat einer Wohltätigkeits-Stiftung sitzen.
Als die AKP vor 14 Jahren an die Regierung kam, war sie auch gewählt worden, weil die Menschen hofften, sie werde das Land von der Vetternwirtschaft befreien. Nicht zufällig lautete das Kürzel der Adalet ve Kalkınma Partisi - Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung - AK, was im Türkischen "weiß" oder "rein" heißt; als Logo wählte die Partei eine Glühbirne.
Die AKP versprach ihren Wählern Transparenz; Politiker sollten verpflichtet werden, ihren Wohlstand offenzulegen.
Von diesen Versprechen ist kaum etwas übrig geblieben. Die AKP steht heute selbst im Zentrum klientelistischer Netzwerke, Politiker und konservative Unternehmer bilden einträgliche Allianzen. Der neue Premier, Binali Yıldırım, gehe als Regierungschef in die Geschichte ein, der Anti-Korruptionsmaßnahmen bei seinem Amtsantritt nicht einmal erwähnte, beklagt der Journalist Şükrü Küçükşahın auf dem Analyseportal
Al-Monitor. Kaum war Yıldırım im Amt, löste er eine Anti-Korruptionskommission auf, die sein Vorgänger geschaffen hatte. Wobei wohl kaum jemand erwartet hatte, dass das Gremium viel bewirken würde.
Panama Papers: Die Unternehmer aus Erdogans Umfeld - Politik - Süddeutsche.de