Jaja, bei sogenanntem Terrorismus läuten natürlich die Alarmglocken... Dass seit 1990 schon zwischen 100 und 200 Menschen von Rechten ermordet wurden, scheint ja nicht auszureichen, um die Gefahr extrem rechter Gewalt ernstzunehmen... Schließlich sind vom rechten Alltagsterror in der Regel "nur" die Art von Menschen betroffen, für die sich die Politik und die Mehrheit der Bevölkerung einen Dreck interessieren...
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12.11.2011
Ermittlungen zu Zwickauer Zelle
Minister schlagen Alarm wegen Rechtsterrorismus
Verfassungsschützer und Politiker sind entsetzt: Bei den Taten der Terrorzelle von Zwickau handele es sich um eine völlig neue Qualität rechtsextremistischer Gewalt, das Ausmaß sei erschütternd. Neue Ermittlungsdetails untermauern diese Einschätzung.
Hamburg - Jahrelang tappten die Ermittler im Dunkeln, sie hatten Tausende Hinweise und doch keine konkrete Spur - nun scheint die
Mordserie an neun türkischen und griechischen Einwanderern und der Mord
an der Polizistin Michèle Kiesewetter kurz vor der Aufklärung zu stehen.
Normalerweise geht ein solcher - wenn auch später - Erfolg mit Erleichterung einher - doch in diesem Fall steigert die Aufklärung von immer mehr Details die Beunruhigung von Innenpolitikern und Verfassungsschützern. Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) warnt vor einem "Rechtsterrorismus in Deutschland". "Wir müssen die Hintergründe sorgfältig aufklären, aber was wir bisher wissen, ist in seinem Ausmaß erschütternd", sagte Jäger den Zeitungen der WAZ-Mediengruppe vom Samstag. "Aus Rechtsextremisten sind Terroristen geworden."
Laut Jäger untersuchen die Ermittler nun mögliche Verbindungen zu Anschlägen in Nordrhein-Westfalen. Im Fokus stehen dabei vor allem die Anschläge in einer überwiegend von Türken bewohnten Straße in Köln im Jahr 2004 und auf jüdische Aussiedler an einer S-Bahn-Haltestelle in Düsseldorf im Jahr 2000.
Am Freitag war bekannt geworden, dass in den Trümmern des Wohnhaus von Beate Zschäpe die Tatwaffe der sogenannten "
Döner-Morde" gefunden wurde. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) erwartet nun Fortschritte bei den Ermittlungen zu der Mordserie. "Ich bin mir sicher, dass diese Erkenntnisse für unsere bayerischen Ermittlungsverfahren von großer Bedeutung sind und die Ermittlungen dadurch erheblich vorangebracht werden können", sagte Herrmann. Drei der insgesamt neun Morde ereigneten sich in Nürnberg, zwei weitere in München.
Zschäpe soll schon seit 2001 in Zwickau gelebt haben
Zschäpe wohnte gemeinsam mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Zwickau. Die Männer waren in einem Wohnwagen tot aufgefunden worden, Zschäpe stellte sich am Dienstag der Polizei, schweigt aber bisher.
Das Trio war in den neunziger Jahren in der Neonazi-Szene aktiv, sie waren Teil des "Thüringer Heimatschutzes", eines Zusammenschlusses von Kameradschaften. Im Jahr 1998 waren sie untergetaucht, nachdem Polizisten in ihren Wohnräumen und ihrer Garage Sprengstoff und Propagandamaterial gefunden hatten. Seither fehlte laut den Ermittlern jede Spur von den dreien, bis die Leichen gefunden wurden und Zschäpe sich stellte.
Nun scheint es, als habe sie sich schon seit Mai 2001 unter falschem Namen in Zwickau aufgehalten. Nach Informationen des MDR wohnte sie allerdings nicht an der bisher bekannten Adresse. Bisher war davon ausgegangen worden, dass die drei nach ihrem Verschwinden aus Jena im Jahr 1998 im Untergrund oder im Ausland lebten.
Laut einem Bericht des "Focus" hatten sie und ihre Komplizen Unterstützung: Ein 37-Jähriger aus Niedersachsen soll den Verdächtigen vor Jahren seinen Personalausweis überlassen haben. Damit soll das Wohnmobil angemietet worden sein, in dem sich die zwei Männer am 4. November bei Eisenach laut Polizei erschossen hatten. Mit dem Ausweis des Niedersachsen hatten die Männer dem Bericht zufolge auch 2007 ein Wohnmobil gemietet, mit dem sie unterwegs waren, als sie in Heilbronn die 22-jährige Polizistin Michèle Kiesewetter erschossen haben sollen. In den Trümmern des Zwickauer Wohnhauses wurde die Waffe entdeckt, mit der die Polizistin 2007 in Heilbronn getötet worden war.
Der Unterstützer aus Lauenau bei Hannover soll ebenso wie die Verdächtigen in Jena geboren worden sein und zumindest zeitweise Kontakte in die rechtsradikale Szene gehabt haben. Laut "Focus" wurde der Mann bereits wenige Stunden nach dem Fund der beiden Leichen von der Polizei in Gewahrsam genommen und verhört.
Der Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes warnt angesichts der Enthüllungen zu den "Döner-Morden" und zum
Polizistenmord von Heilbronn vor einer völlig neuen Qualität rechtsextremistischer Gewalt. "Wenn sich der Verdacht bestätigt, haben wir es mit dem schlimmsten Fall rechtsextremistischer Gewalt in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten zu tun", sagte Hans-Werner Wargel der "Neuen Osnabrücker Zeitung".
Den Sicherheitsbehörden sei zwar bekannt gewesen, dass Rechtsextremisten gut mit Waffen und Sprengstoffen ausgerüstet seien. Konkrete Hinweise auf gezielte Morde habe es bislang aber nicht gegeben. "Angesichts dieser völlig neuen Qualität ist es durchaus gerechtfertigt, hier von rechtsterroristischen Taten zu sprechen", sagte Wargel.
Uhl hält Verwicklung des Verfassungsschutzes für möglich
Vergleiche mit dem Linksterrorismus der Roten Armee Fraktion
RAF hält der Verfassungsschützer indes für verfehlt. "Wenn es Rechtsextremisten waren, haben sie ihre Motive bewusst verborgen. Ihnen ging es offenkundig nicht um eine Selbstbezichtigung, wie es für die RAF typisch war." Auch gebe es keine Hinweise auf einen ideologischen Überbau.
Der CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl schloss nicht aus, dass den jüngsten Erkenntnissen eine Verfassungsschutz-Affäre folgt. "Ich habe das Gefühl, das wird noch sehr interessant", sagte der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion der "Mitteldeutschen Zeitung". Möglicherweise habe der Geheimdienst mehr über die Hintergründe der Taten gewusst, als bisher bekannt sei.
Vertreter von türkischen Einwanderern und Muslimen äußerten sich entsetzt zu den Ermittlungsergebnissen. "Ich bin erschrocken darüber, dass in Deutschland Menschen wegen ihrer Herkunft getötet werden", sagte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, der "Mitteldeutschen Zeitung". Er fügte hinzu, die Spitzen seiner Gemeinde wollten am Samstag über Protestaktionen beraten.
"Das ist Rechtsterrorismus."
Der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, nannte die Morde an der Polizistin in Heilbronn und an neun ausländischen Ladenbesitzern Terrorismus. "Für mich ist das ein klassischer Fall von homegrown terrorists - und zwar über Jahre hinweg."
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