US-Geheimdienst verwanzte EU-Büros
So umfassend späht die NSA in Deutschland
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Zahlen aus dem Dokumenten-Schatz von US-Whistleblower Snowden beziffern erstmals das Ausmaß der Telekommunikationsüberwachung der NSA in Deutschland: bis zu 60 Millionen Anrufe und Online-Verbindungen pro Tag. Einem Ex-US-Geheimdienstler zufolge gibt es zudem "geheime Deals" mit Washington. Bundeskanzlerin Merkel sei informiert. Zudem verwanzte die NSA mehrere EU-Vertretungen und Ministerbüros in Brüssel. EU-Politiker schäumen und sehen das Freihandelsabkommen in Gefahr.
Bis zu
60 Millionen Kommunikationsvorgänge pro Tag, bis zu
500 Millionen pro Monat:
kein anderes europäisches Land wird einer Statistik des US-Geheimdienstes NSA zufolge intensiver ausgespäht als Deutschland. "Strukturelle Kompletterfassung" nennt der "Spiegel" die Aktivitäten der National Security Agency, die auf Internetdatensätze und Telefonverbindungen abzielt. Das Magazin fußt seine Ausführungen auf Dokumente des Whistleblowers Edward Snowden, der sich momentan auf der Flucht befindet.
Welcher Telefonanschluss mit welchem anderen verbunden war gehöre ebenso zur Überwachung wie Mails, SMS und Chat-Inhalte, heißt es darin.
Das Ausmaß hierzulande sei ähnlich wie in China, Irak oder Saudi-Arabien. Ein Grund dafür könnte der Verlauf des globalen Datenstroms sein. So wird in Frankfurt, einem der größten Internet-Knotenpunkte auf dem alten Kontinent, auch Datenverkehr mit Ländern wie Mali oder Syrien sowie Osteuropa abgewickelt.
Zudem gibt es eine Partnerschaft zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland, eine aktive Kooperation, um Daten an Kommunikationsknotenpunkten anzuzapfen. Sie gehöre zu mehreren bilateralen "Arrangements" außerhalb jedweder militärischer oder ziviler Beziehungen in Europa, wird ein Experte zitiert.
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Die US-Wirtschaft ist am Abhörnetzwerk beteiligt.
Deutschland in Kategorie drei
Der US-Geheimdienst unterteilt die Welt offenbar in Partnerklassen. Staaten zweiten Ranges werden dabei nicht von der NSA überwacht. Dazu zählen nur die anderen Mitglieder der Geheimdienstallianz "Five Eyes", der fünf Augen – Großbritannien, Australien, Kanada und Neuseeland. Deutschland gehört mit rund 30 anderen Staaten zur dritten Kategorie. Und dessen Signale werden abgegriffen; jederzeit, wenn nötig. Auch die vertrauliche Kommunikation der gesamten Bundesregierung sei dabei.
Der NSA zur Seite stehen über 80 "große globale Firmen", die dem US-Geheimdienst bei der Verteidigung nationaler sowie beim Abhören ausländischer Netze helfen. Eine informelle Allianz, die Unternehmen zum Teil des weltweiten Spionagenetzwerkes der USA macht. "Jedes Mal, wenn eine solche Kooperation auffliegt, wird sie für kurze Zeit eingestellt, nur um dann wieder von Neuem zu beginnen", so der US-Journalist James Bamford. Den Nutzen stellt er indes infrage. Er sehe keine Anzeichen, dass die erhöhte Überwachung Terroranschläge aufhalte.
Was weiß Merkel?
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Angela Merkel hat sich bislang kaum zu den Vorgängen geäußert.
Der Ex-NSA-Mitarbeiter Wayne Madsen
sagte dem Blog "privacysurgeon.org" indes, neben Deutschland und Großbritannien hätten auch Dänemark, die Niederlande, Frankreich, Spanien und Italien "geheime Deals" mit Washington. Sie sollen sich darin verpflichtet haben, nach Aufforderung Daten aus der Internet- und Mobilfunkkommunikation an die NSA auszuhändigen. Auch die britische Zeitung "The Guardian" hatte dies zunächst gemeldet, inzwischen ist der Text jedoch online nicht mehr zugänglich. "Dieser Artikel wurde wegen einer laufenden Untersuchung offline gestellt", heißt es
an entsprechender Stelle.
Madsen, der 12 Jahre lang für den Abhördienst NSA gearbeitet hatte, sprach in dem Blog-Beitrag von "undurchsichtigen Vereinbarungen". Der einstige Marineoffizier sagte, er habe diese Angaben nun publik gemacht, da europäische Regierungen in den vergangenen Wochen "nur die halbe Wahrheit" über ihre Kooperation mit den US-Sicherheitsbehörden erzählt hätten, die Jahrzehnte - teilweise bis in die Zeit des Kalten Kriegs - zurückgehe.
Alle sieben genannten Länder hätten Zugang zu einem transatlantischen Glasfaserkabel, das ihnen erlaube, große Datenmengen, darunter Informationen über Telefonate, E-Mails und die Nutzung von Webseiten abzuzapfen, sagte Madsen. Er wirft zudem Bundeskanzlerin Merkel vor, die Öffentlichkeit zu täuschen. "Ich verstehe nicht, wie Angela Merkel keine Miene verziehen kann, während sie von Obama und Großbritannien Versprechen fordert, während Deutschland exakt die gleichen Beziehungen unterhält", so Madsen.
Wanzen für EU-Politik
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Auch ein "Angriffsziel": Hochrangige EU-Politiker.
Doch offenbar werden nicht nur Bürger und die Bundesregierung, sondern auch die politische Ebene der Europäischen Union gezielt ausgespäht. Auch dies gehe aus geheimen Dokumenten hervor, die der Informant Edward Snowden mitgenommen habe, heißt es im "Spiegel". Demnach habe der Geheimdienst die diplomatische Vertretung der EU in Washington sowie bei den Vereinten Nationen in New York mit Wanzen versehen und das interne Computernetzwerk infiltriert. Somit hätten die Amerikaner Besprechungen abhören und Dokumente sowie Mails auf den Computern lesen können.
In dem NSA-Dokument würden die Europäer ausdrücklich als "Angriffsziel" benannt.
Zudem habe die NSA vor etwas mehr als fünf Jahren auch am Sitz der EU in Brüssel einen Lauschangriff gestartet. So seien den dortigen Sicherheitsexperten mehrere fehlgeschlagene Anrufe aufgefallen, die offenbar einer Fernwartungsanlage im Justus-Lipsius-Gebäude - also dem Sitz des Ministerrates - gegolten hatten. Die Spur des Anrufers habe ins Nato-Hauptquartier im Brüsseler Vorort Evere geführt, wo in einem abgeschirmten Bereich Experten der NSA säßen. In dem EU-Ratsgebäude hat jeder EU-Mitgliedstaat Räume mit Telefon- und Internetanschluss, in die sich Minister zurückziehen können.
"Vertrauen ist erschüttert"
Führende EU-Politiker reagierten empört. "Wenn diese Berichte wahr sind, ist das abscheulich", sagte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. "Die USA sollten lieber ihre Geheimdienste überwachen statt ihrer Verbündeten. Wir müssen jetzt von allerhöchster Stelle eine Garantie bekommen, dass das sofort aufhört."
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) forderte genauere Informationen. "Aber wenn das stimmt, dann bedeutet das eine große Belastung für die Beziehungen der EU und der USA", sagte er. Manfred Weber (CSU), stellvertretender Fraktionsvorsitzender der EVP und Sicherheitsexperte im Europaparlament, nannte es inakzeptabel, wenn europäische Diplomaten und Politiker in ihrem Alltag ausspioniert werden. "Das Vertrauen ist erschüttert."
"Das Ausspionieren hat Dimensionen angenommen, die ich von einem demokratischen Staat nicht für möglich gehalten habe", sagte Elmar Brok (CDU), Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments. Europas geplantes Freihandelsabkommen mit den USA hält er für gefährdet. "Wie soll man noch verhandeln, wenn man Angst haben muss, dass die eigene Verhandlungsposition vorab abgehört wird?"
Angesichts der massiven Daten-Ausspähung durch amerikanische und britische Geheimdienste pocht SPD-Chef Sigmar Gabriel auf mehr politische Kontrolle in diesem Bereich. "Die Politik muss Regeln schaffen, um grundlegende Freiheits- und Persönlichkeitsrechte zu sichern", sagte er. "Gegen Staaten, aber auch gegenüber den wirtschaftlichen Datengiganten", ergänzte er mit Blick auf Unternehmen wie Google oder Amazon. Weder Staaten noch Unternehmen hätten das Recht, den gläsernen Menschen zu produzieren.
US-Geheimdienst verwanzte EU-Büros: So umfassend späht die NSA in Deutschland - n-tv.de