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Grizzly 2010: Einmal BiH querbeet und zurück

Dienstag 20.7.10

Schade - Mostar hat es nicht verdient, so schnell wieder verlassen zu werden; aber Versäumtes lässt sich nachholen. Die Herzegowina (so heisst die Region um Mostar) sieht mich sicher noch mal wieder.

Jetzt schraubt sich unser Bus erstmal die Berge bei Blagaj hoch,
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vorbei an der gleichnamigen Burg (schade - aus dem fahrenden Bus hab ich sie nicht schärfer erwischt).
01beiBlagaj.JPG


Unser nächstes Ziel ist ein ca. 50 km östlich Mostar gelegenes Stecci-Feld (Stecci sind die mittelalterlichen Grabsteine). Dazu müssen wir irgendwann die Hauptstraße nach links abbiegen, um in ein Dorf namens Krekovi zu kommen - die Straße ist für so einen Bus eigentlich zu schmal.
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Aber auch in diesem abgelegen Dorf wird gebaut - mit Hilfe einer eigenartigen Gerüstkonstruktion,
die es verdient, festgehalten zu werden.
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Man kommt sogar hinter Krekovi, wo die Welt zu Ende zu sein scheint, noch weiter - am Ende des Wegs hat sogar der Bus genug Platz zum Wenden. Dort liegt eine Unzahl von Steinquadern, eben den Stecci, allerdings sieht man auf den meisten keine Zeichnungen o.ä. mehr, oder allenfalls Spuren davon. Es gibt zwar einen Lageplan, wo man auch solche mit Zeichnungen finden soll, aber dazu müsste man ein riesiges Gelände absuchen. So begnügen wir uns damit, zwischen diesen Trümmern herumzulaufen und zu phantasieren, was und warum ein solcher Massenfriedhof angelegt worden ist, und ob die dort Bestatteten natürliche Tode gestorben sind oder wie so oft in diesem Land Gewaltopfer waren.
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Und obwohl dieser Region meines Wissens nicht vom letzten Krieg betroffen war, steht mitten in der Landschaft ein serbisches Gefallenendenkmal, neben einem nicht mehr ganz frischen Kranz und rot-blau-weissen Bändern auch mit einer dreiviertelvollen Rotweinflasche ausgestattet.
Ein letzter Gruß an den/die Kameraden ?
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Zuletzt bearbeitet:
Und obwohl dieser Region meines Wissens nicht vom letzten Krieg betroffen war, steht mitten in der Landschaft ein serbisches Gefallenendenkmal, neben einem nicht mehr ganz frischen Kranz und rot-blau-weissen Bändern auch mit einer dreiviertelvollen Rotweinflasche ausgestattet.
Ein letzter Gruß an den/die Kameraden ?
23srbDenkmal.JPG

lol?
 
Nun, wenn Kriegsgegner oder einfach irgendwelche Suffköpfe die Flasche hinterlassen hätten, dann wäre die nicht so ordentlich hingestellt worden und vor allem nicht dreiviertel voll gewesen. Deshalb bin ich auf die Idee gekommen, dieser Flasche sozusagen eine höhere Bedeutung zu geben.
Aber vielleicht denke ich auch zu sehr um die Ecke herum, und es gibt eine einfachere Erklärung.
 
Die größte Moschee in Mostar ist die Karadozbegovic-Moschee.
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Sehr schöner Thread.
Ich hab angeheiratete Familie und einen guten Freund in Mostar(Vater Moslem,Mutter Kroatin).Bin deshalb jedes Jahr für 1,2 Tage dort.
Wir sind diesen Sommer auf das Minarett gestiegen,das erste mal das ich da oben war,richtig schön aber nichts für Leute mit Platzangst,sehr eng der Aufstieg und die Stufen sind für Kinderfüsse gemacht,ist auch ziemlich hoch aber es lohnt sich,uns taten den ganzen Tag die Beine weh,da werden Muskeln aktiviert die man gar nicht kennt,wird wohl daran liegen,konnten uns alle nicht erklären warum uns den ganzen Tag die Oberschenkel danach weh taten da wir alle ziemlich fit sind.

Wer in Mostar Essen will sollte zu Hindin Han,das Fleisch schmeckt unbeschreiblich gut und ne Fleischplatte für 2 Person kostet 18mark(9euro) und davon werden 2 Personen richtig satt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Weiterfahrt von den Stecci geht durch die wilden Berge des Sutjeska-Nationalparks.
Bereits von dort kann man sie ahnen,
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Bald sind wir mittendrin ...
32BerginWolken.JPG


40BergbeiSutjeska.JPG


und Armmuskeln wie Koordinationsvermögen von Milan, unserem Fahrer, sind wieder mal gefordert.
YouTube - 04 Bravo Milan !.MPG

Am Ende des Tals ist für alle eine Rast fällig.
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Mit roter Schrift in kyrillischen Buchstaben steht Bife, das würde bei uns Büffet heissen -
wir sind offensichtlich nicht nur in der Srpska, sondern auch in einem serbischen Restaurant.
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Wobei das Bife eher ein Imbiss ist, aber für unsere Bedürfnisse reicht's.

Das monströse Kriegsdenkmal schenken wir uns diesmal, zumal wir weiter müssen -
in Foca werden wir erwartet.
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54blumenwiese.JPG
 
In Foca lebten vor dem Krieg (das heisst in diesem Thread: Vor dem Bosnien-Krieg 1992 - 1995) etwa gleichviel Serben wie Muslime. 1992 wurde die Stadt von serbischen Nationalisten erobert, die Nicht-Serben wurden ermordet oder vertrieben. Einige der damals dort verübten Verbrechen sind Gegenstand von Gerichtsverhandlungen am Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag.

Nach der Eroberung wurde die Stadt in Srbinje umbenannt, das heisst etwa "Ort der Serben" - seit 2004 heisst sie wieder Foca. Auch sind inzwischen so viele nationalistische Betomköpfe abgewandert, so dass 2005 ein erklärter Nicht-Nationalist, Zdravko Krsmanovic, zum Bürgermeister gewählt wurde. Dessen politischer Traum ist, den Hass aus Bosnien zu vertreiben, wie er einer britischen Zeitung erklärt hat (einen deutschsprachigen Link über diesen interessanten Politiker habe ich leider nicht gefunden).
Mit ihm waren wir eigentlich in Foca verabredet.

Vor dem Rathausbesuch gehen wir über das Ruinenfeld, auf dem bis 1992 die "Bunte Moschee" stand, eine der schönsten Moscheen in Bosnien und Herzegowina. Sie wurde von den serbischen Eroberern nicht nur dem Erdboden gleichgemacht, sondern die Steine wurden auch weggeschafft und zum Teil in die Drina geworfen, um einen Wiederaufbau zu verunmöglichen.
Geplant ist es mittlerweile trotzdem.
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Dann wartet im Rathaus die stellvertretende Bürgermeisterin Olivera Neles auf uns, ihr Chef ist leider kurzfristig verhindert.
Bemerkenswert ist, dass im Gemeindesaal neben dem Wappen der Repubika srpska (Mitte) und der Stadt Foca (rechts) auch das von Bosnien und Herzegowina (links) hängt, das sei in der Rep. Srpska sonst nicht üblich, wurde uns gesagt;

71WappenGemeindesaal.JPG


auch ist, der Absicht der Nationalisten zum Trotz, die die Bunte Mosche aus dem Gedächtnis der Menschen hier streichen wollten, im Gemeindesaal neben anderen alten Bildern auch eines von dieser Moschee zu sehen.
70BilderAltesFoca.JPG


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(P.S. wegen der Spiegelung hab ich das Bild nicht besser hingekriegt)
 
Frau Neles, die Vizebürgermeisterin, begrüßt uns und hält uns einen Vortrag über die Schwierigkeiten des Wiederaufbaus und spart nicht mit Kritik an der Zentralregierung der Republika Srpska in Banja Luka (womit man sich bei diesen korrupten Herrschaften ganz schön in die Nesseln setzen kann). Mich interessiert natürlich besonders das Gesundheitswesen, und da berichtet sie, dass die Versorgungslage mit medizinischem Gerät vollkommen desolat ist, z.B. müssten Patienten für ein MRT (Magnetresonanztomogramm, im Volksmund "Röhre" genannt) 400 km bis Banja Luka fahren ...

Wir diskutieren eine ganze Weile mit ihr, sie ist sehr offen, und es ist nur bedauerlich, dass ihr Chef, Zdravko Krsmanovic, von dem uns Erich so viel erzählt hat, nicht dabei sein konnte. Aber er ist halt ein viel beschäftigter Mann, besonders jetzt, wo am 3. Oktober Wahlen im ganzen Land anstehen und die Chance besteht, die korrupten und inkompetenten Nationalisten abzuwählen.

Man hätte noch ewig weiter debattieren können, aber Frau Neles hat zu tun, und unser Bus wartet - Milan will schliesslich seinen wohlverdienten Feierabend antreten. Bis Gorazde ist es nicht mehr weit, und die Straße ist auch komfortabler als die bisherige. Immer an der Drina entlang,
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und schon sind wir da und schleppen unsere Koffer in die Hotelzimmer, über die man sich nicht beklagen kann, wenn man davon absieht, dass ein Aufzug für im 2. Stock gelegene Zimmer ganz nett gewesen wäre :rolleyes:
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Aber das sind Luxusprobleme, insbesondere wenn man weiss, was die Menschen in dieser Stadt 1992 - 1995 durchgemacht haben, drei Jahre Belagerung und Beschuss durch serbische Nationalisten, Hunger und desolate medizinische Versorgung, ungefähr 7000 Menschen überlebten das nicht, und die Stadt lag in Trümmern.

Das Überqueren der Drina unter Dauerbeschuss war einigermaßen gefahrlos
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nur auf dieser "Brücke unter der Brücke" möglich ...

Auf uns dagegen macht Gorazde den Eindruck einer quirligen Kleinstadt, in deren Straßen man zwar noch Narben des Krieges
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sehen kann, aber von aussen überraschend vieles wieder aufgebaut ist und das Schlimmste überstanden zu sein scheint.

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83Gorazde.JPG


Wie gesagt, es scheint ...
 
Mittwoch 21.7.10

Während sich am Drina-Ufer langsam der Nebel verzieht,
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besuchen wir in Gorazde die Frauen des SEKA-Projekts.
SEKA ist 1997 entstanden aus der langjährigen Zusammenarbeit von Hamburger Frauen mit anti-nationalistischen Frauengruppen in Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Serbien und Slowenien während der Kriege nach dem Zerfall Jugoslawiens. Der Name ‘SEKA’ ist abgeleitet vom serbokroatischen Wort ‘seka’ (= geliebte Schwester) und steht für die Frauensolidarität, aus der das Projekt entstanden ist.

Wie in allen Kriegen waren auch im Krieg in Bosnien-Herzegowina und Kroatien und dann wieder in Kosova Frauen und Kinder die Hauptopfer.

Besonders Frauen und Mädchen erlitten Vergewaltigungen und andere schwere Verletzungen ihrer physischen und psychischen Integrität. Viele Kinder wurden im Krieg geboren. Ihre ersten Lebensjahre waren bestimmt von Gewalt, Bedrohung und Todesangst ...

Auch 15 Jahre nach dem Friedensabkommen von Dayton sind die Auswirkungen der Kriegstraumata auf die Gesundheit und das Alltagsleben der Bevölkerung in den ehemaligen Kriegsgebieten noch immer massiv zu spüren.

Neben einer ökonomischen Perspektive und rechtsstaatlichen Verhältnissen fehlt den Menschen - insbesondere in den ländlichen, vom Krieg und Menschenrechtsverletzungen besonders betroffenen Gebieten - psychotherapeutische und psycho-edukative Hilfe, um ihre schrecklichen Erfahrungen zu überwinden und neuen Lebensmut zu gewinnen.
Mehr zu SEKA hier

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In einem Einfamilienhaus arbeiten neben "studierten" Therapeutinnen auch solche, die selbst traumatisiert sind und nach ihrer Therapie eine Therapieausbildung absolviert haben. Wobei die Traumata nicht nur durch Überfälle, Vergewaltigungen und dreijährigen Dauerbeschuss verursacht sind, sondern auch durch den "normalen" Kriegsalltag.
Die Mitarbeiterinnen des Hauses empfangen uns herzlich und berichten über ihre Arbeit. Neben der Betreuung der betroffenen Frauen und Kinder, von denen viele arbeitslos sind und unter desolaten Verhältnissen leben, gibt es seit 2006 auch ein Projekt, das den ebenfalls betroffenen Männern in Gorazde Hilfe anbietet.
In Zusammenarbeit mit dem Veteranenklub "Svjetlost Drine" (Gorazde) haben wir innerhalb eines Pilotprojekts in Gorazde begonnen, auch männliche Kollegen und Ehrenamtliche für die psychologische und psychosoziale Arbeit mit kriegstraumatisierten Veteranen fortzubilden.

Neben der therapeutischen Hilfe werden mit den betroffenen Familien auch jedes Jahr sogenannte "Glückstage" an der Adria organisiert, damit diese wenigstens ein paar Tage aus ihren oft desolaten Wohnverhältnissen herauskommen; für viele war das die erste Urlaubsreise ihres Lebens.
Dafür wird am Ende des Treffens auch in der Gruppe gesmmelt.

Mich hat besonders die Herzlichkeit und die Power der zum Teil selbst traumatisierten SEKA-Mitarbeiterinnen beeindruckt. Nachdenklich besteigen wir wieder unseren Bus und fahren der nächsten Gefühlsachterbahn entgegen, umrahmt von einer traumhaft schönen Berg- und Flusslandschaft.

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