Universität Kairo : Hetzjagd auf junge Studentin, weil sie blond war - Nachrichten Panorama - DIE WELTEine Studentin ist auf dem Uni-Campus in Kairo verfolgt worden, weil sie eine enge Jeans trug und blonde Haare hatte. Sie floh vor den sexuellen Übergriffen aufs Klo. Der Fall sorgt für Debatten.Von Birgit Svensson, Kairo
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Lange wasserstoffblonde Haare, ein eng anliegendes pinkfarbenes T-Shirt und schwarze Röhrenjeans: Die Studentin der Kairo Universität wird zur Augenweide, als sie auf dem Campus entlangläuft. Was für westliche Länder normal ist, wird im konservativ-islamischen Ägyptenzum Aufreger. Innerhalb von Sekunden schwirren männliche Studenten wie Fliegen um die Blondine herum, grölen, brüllen, bedrängen sie. Wolfsgeheul wird laut. Einige sollen sogar versucht haben ihr die Kleider vom Leib zu reißen.
Sichtlich erschrocken über die unerwartete Wirkung ihrer Erscheinung, flüchtet sich die Frau in eine Toilette und verlässt diese erst wieder, nachdem man ihr sicheres Geleit versichert. Die mit Handykameras gefilmte Szene findet schnell Verbreitung im Netz. Seitdem wird der Fall äußerst kontrovers in den ägyptischen Medien diskutiert.
"Schlampe" nennen sie die einen, "Hure" die anderen. Die Frau sei schuld, wenn sie sich aufreizend kleide und damit die Männer ausflippen lässt, ist der Tenor in einigen Talkshows zum Thema. Auch der Dekan der juristischen Fakultät der Universität, von der die männlichen Grabscher stammen, sagt in einem Interview mit dem Privatsender ONTV, dass die Kleidung der Studentin "ein wenig unkonventionell" gewesen sei und Anlass für diese Belästigungen gegeben hätte.
Gleichzeitig verurteilt der Professor jedoch die Tat seiner Studenten: "Der Fehler der Studentin rechtfertigt in keiner Weise die Reaktion der männlichen Kommilitonen."
Seit der Revolution fallen Hemmungen
Vertreter von Frauenorganisationen und Gleichberechtigungsforen halten dagegen. Es sei überhaupt nicht zu rechtfertigen, was da auf dem Campus der Uni geschah. Das T-Shirt der Studentin sei sogar langärmlig gewesen. Sie habe mitnichten gegen den Kleiderkodex verstoßen. In den sozialen Medien entbrennt ein Sturm der Entrüstung gegen den Dekan der Fakultät. Er sei falsch verstanden worden, entschuldigt sich dieser schließlich.
Die Mehrheit der Frauen auf dem Uni-Campus tragen lange Röcke und Kopftuch. Doch sieht man in jüngster Zeit auch mehr und mehr Studentinnen in eng anliegenden Jeans und Tops, die ebenfalls ein Tuch tragen, das sie kunstvoll um den Kopf schlingen. Ein Kompromiss zwischen Tradition und Moderne hält Einzug in die ägyptische Gesellschaft. Bis heute sei der Name der Blondine, die bedrängt wurde, nicht bekannt und sie verstecke sich vor der Öffentlichkeit, berichtet eine Studienkollegin.
Dass es überhaupt zu dieser aufgeheizten Debatte kommt, sei ein Zeichen der Emanzipation in Ägypten. Philip Hanna ist Beauftragter der Technischen Universität München in Kairo und rekrutiert ägyptische Studenten für ein Studium in Deutschland. Der demografischen Entwicklung vorausschauend, wollen mehrere deutsche Universitäten jetzt vermehrt ausländische Studenten anwerben.
"Ägypten hat mit seinen zehn deutschen Schulen hierfür ein großes Potential", sagt der 31-jährige Deutschägypter, der in Bremen geboren wurde und dort Wirtschaftsarabistik studiert hat. Bei seinen regelmäßigen Treffen mit Studenten und Studentinnen der staatlichen und auch privaten Universitäten in Ägypten stellt Hanna fest, dass derzeit "Null-Toleranz" herrsche, was sexuelle Belästigung von Frauen anbelangt. "Die Sensibilität hierfür ist viel stärker geworden."
Allerdings habe vor dem Ausbruch der Revolution kaum einer gewagt, mehr als "einen dummen Spruch gegenüber einer Frau loszuwerden", berichtet der Mittler zwischen Orient und Okzident. Seitdem seien die Autoritäten in Frage gestellt – "in allen Lebensbereichen".
83 Prozent der Frauen wurden bereits belästigt
Nehad Abul-Qomsan kennt das schon seit Langem. Die Vorsitzende des Zentrums für die Rechte der Frauen und eine der bekanntesten Frauenrechtlerinnen Ägyptens hat mit ihrer Organisation bereits 2008 eine allererste Studie zum Thema sexuelle Belästigung im Nilland veröffentlicht. Darin gaben 83 Prozenten der Befragten an, mindestens einmal im Leben sexuell belästigt worden zu sein. Bei den Ausländerinnen war der Anteil noch höher: 98 Prozent. Über zwei Drittel aller Frauen behaupteten, täglich sexuelle Gewalt zu erleben.
Das habe sich seit der Revolution noch verstärkt, sagt die Anwältin und Mutter dreier Kinder. "Besonders als die Islamisten an der Macht waren." Am zweiten Jahrestag der Revolution, am 25. Januar 2013, habe es die meisten Übergriffe auf demonstrierende Frauen auf dem Tahrir gegeben. Abul-Qomsan und ihr Team haben alle dokumentiert. Doch die Frauen hätten gelernt sich zu wehren. "Sie lassen sich nichts mehr gefallen."
http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=mzLh9g6QV_k