Konflikte mit jungen Islamisten an 15 Schulen
Wie gefährlich ist die Ideologie, mit der die Gruppe der Salafisten bei Schülern wirbt? Lehrer stehen vor einer neuen Aufgabe Von Christian Unger
Der junge Mann nennt sich im Internet Hamid Al Afghani und hat auf seinem Facebook-Profil ein Video veröffentlicht. Al Afghani sitzt mit einem Kumpel im Flugzeug. Sie kämen gerade aus dem Bürgerkriegsland Syrien – und hätten Spenden an Zivilisten verteilt. Im Namen Allahs, sagt Al Afghani in die Kamera. Zum Abschluss des Videos posen sie lässig vor dem Flieger.
Noch etwas steht auf Al Afghanis Facebook-Seite: Er besuchte vor einigen Jahren die Gesamtschule Mümmelmannsberg. Die Sicherheitsbehörden kennen Al Afghani unter seinem richtigen Namen: Hamid K., 1984 aus Afghanistan hierhergekommen, mittlerweile 30 Jahre alt. Er soll mit der vor elf Jahren in
Deutschland verbotenen Islamistenvereinigung Hizb ut-Tahrir (Partei der Befreiung) sympathisieren. Geheimdienstler gehen davon aus, dass K. mehrere Tausend Euro nach Syrien brachte – das Geld war möglicherweise für die al-Qaida-nahe Terrorgruppe Nusra-Front bestimmt, zitiert der "Spiegel" ein Geheimpapier des Verfassungsschutzes.
Es ist die
Biografie eines muslimischen Einwandererkindes, die im Extremen endete. Ein Einzelfall.
Einzelfälle an mehreren Hamburger Schulen sind nun an die Öffentlichkeit gelangt. Mädchen wurden unter Druck gesetzt, wenn sie kein Kopftuch trugen. Mobbing und Gewaltandrohungen von jungen radikalen Muslimen hat es gegeben, offenbar auch gegen Lehrer. Es geht vor allem um die Gefahr eines antifreiheitlichen Kulturwandels in einigen Stadtteilen – und weniger um den Dschihad. Der Schulbehörde sind zehn bis 15 Schulen in der Stadt bekannt, an denen es Konflikte mit radikalisierten Jugendlichen gegeben hat. Nach Informationen der "Welt" nicht nur in Mümmelmannsberg – auch in Hamm, Jenfeld oder Pinneberg.
Doch wie gefährlich ist diese Entwicklung, wenn sich jugendliche Identitätssuche mit Fanatismus und Abenteuerlust mischt? Und wer steckt hinter dem Werben für die "wahre Religion" an Schulen? Zwei Gruppen bestimmen die Debatte: die Salafisten und die Hizb ut-Tahrir. "Salaf" bedeutet "Vorfahre". Salafisten orientieren sich am aus ihrer Sicht "wahrhaften" Islam – an all dem, was "Allahs Willen" sein soll, vermittelt durch den Propheten und die Suren im Koran. Vor Jahrhunderten war der Salafismus eine Reformbewegung. Gegen den Kolonialismus forderten Salafisten ein Zurück zum Ur-Islam. Deshalb tragen Salafisten heute auch das Gewand und die Gebetsmütze, um dem Idealbild des Propheten optisch nachzueifern. Die Hizb ut-Tahrir steht in der Tradition der Muslimbrüder. Ihre Anhänger sind trotz Verbots heute noch in Deutschland aktiv. Sie sind meist straffer und hierarchischer organisiert als die oftmals loseren Netzwerke der Salafisten.
In ihrem religiösen Fundamentalismus sind sich beide Gruppen einig. Sie ignorieren moderne Auslegungen des Korans. An vielen Moscheen haben Salafisten Hausverbot. Gerade aufgeklärte und säkulare türkische Einwanderer und deren Familien geraten mit den Vorstellungen der Salafisten aneinander. Auch viele Eltern, gerade die religiös gefestigten, zeigten sich erschrocken über die Radikalisierung ihrer Kinder, heißt es.
Wer ein gutes Leben im Sinne der Salafisten führt, komme ins Paradies. Anderen drohe die Hölle. Westliche Lebensstile lehnen sie ab, zumindest in ihrer Ideologie. Doch viele in Deutschland groß gewordene junge Muslime schwanken im Alltag zwischen Moschee, Schule und Disco, manche wenige auch zwischen Radikalität und Coolness. Auch Salafisten kommen oft nicht an iPhone und Cola-Dose vorbei – auch wenn sie dann in Freundeskreisen den "Heiligen Krieg" gegen den Westen preisen. Pop-Dschihadisten nennt eine Islamismus-Expertin diese Jugendlichen.
Und doch: Der Hamburger Verfassungsschutz beobachtet derzeit 240 Salafisten. Immer wieder sind Fälle wie Hamid K. bekannt – junge Islamisten, die in den "Heiligen Krieg" gen Nahost aufbrechen. Erst im Dezember wurde bekannt, dass ein 25-Jähriger aus Pinneberg in Syrien starb. Islamisten organisieren Koran-Stände in der Innenstadt oder Spenden-Galas für Syrien wie im Januar in Wilhelmsburg. Mit dem Koran verteilen sie auch ihre Ideologie.
Radikale Prediger wie der deutsche Konvertit Pierre Vogel liefern per Internet-Video die Propaganda, die dann meist ältere Schüler an jüngere auf dem Schulhof nacherzählen. Sie propagieren die Vorzüge der Scharia und des Gottesstaates, sie werben für ihre verfassungsfeindlichen Gruppierungen. Dabei sind es keine Bewegungen, die sich in den Schulen bilden und diese "unterwandern". Es sind Netzwerke von Islamisten in Stadtteilen, die ihre Ideologie auch an Schulen tragen.
"Wir haben das Problem zu lange nicht ernst genommen", sagt Birgit Sokolowski der "Welt". Sie leitet in Mümmelmannsberg die Elternschule. Mittlerweile mache die Schule viel. Es gab Tagungen, auch das Lehrerinstitut und die Polizei helfen gegen eine Radikalisierung vorzugehen. Die Aktiven im Stadtteil müssten aufklären über die Werte der Demokratie, sagt Sokolowski. "Und wir müssen den Jugendlichen Gegenentwürfe an Lebensvorstellungen vorstellen. Dafür brauchen wir soziale Einrichtungen. Und wir brauchen Freizeitangebote. Denn radikale Ideen verbreiten sich manchmal auch aus Langeweile einer perspektivlosen Jugend."
Und die Lehrer an Hamburgs Schulen stehen vor einer neuen Herausforderung: Es gibt in den Kollegien eine hohe Sensibilität für Neonazismus im Klassenzimmer. Pädagogen erkennen Haltung und Symbolik rechtsextremer Jugendlicher schneller. Und als Lehrer kennen sie die deutsche Vergangenheit – sie haben Handwerk und Wissen, um auf extreme Gedanken von rechts zu reagieren. Doch das Wissen über den Islam, salafistische Gruppen und ihre Gedankenwelt ist geringer, da das Phänomen erst allmählich öffentlich wird. Oft fehlt Lehrern das Handwerk, um auf islamistische Jugendliche zu reagieren. Manchmal, so berichten Experten, würde auch aus falsch verstandener Toleranz im Sinne der Religionsfreiheit zu liberal auf einen "Steinzeit-Islam" reagiert.
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