Strukturelle Analogien zwischen islam- und judenfeindlichen Diskursen ergeben sich auch durch den argumentativen Rückgriff auf religiöse Schriften. Werden antimuslimische Zuschreibungen heute gerne mit Koranversen untermauert, so finden sich in antisemitischen Pamphleten des 19. Jahrhunderts ähnliche Argumentationsmuster, die auf den Talmud verweisen.
Auch die Schlussfolgerungen der Talmud- und Koranhetze lassen sich vergleichen: Juden wie Muslimen wurde bzw. wird unterstellt, sie seien nur ihren Glaubensgenossen gegenüber loyal und zu ihrer religiösen Pflicht gehöre es, ihre nichtjüdische bzw. nichtmuslimische Umwelt zu täuschen.
Ein aktuelles Beispiel für diese Verleumdungspraxis findet sich in der Diskussion um die Einführung von islamischem Religionsunterricht in Hessen. Der stellvertretende Vorsitzende der dortigen CDU-Landtagsfraktion und schulpolitische Sprecher, Hans-Jürgen Irmer, lehnt muslimische Verbände als Partner für einen solchen Unterricht ab. Ihnen sei, so Irmer, nicht zu trauen, denn zum „Wesen“ des Islams gehöre die bewusste Täuschung Andersgläubiger.
Antisemitische und islamfeindliche Argumentationsfiguren unterscheiden sich jedoch auch in zentralen Punkten: Während sich der Antisemitismus im 19. Jahrhundert als eine Art antimoderne Klage herausgebildet hat, in der Jüdinnen und Juden gleichermaßen als Vertreter des Kommunismus wie des Kapitalismus, des Feminismus und des Liberalismus erscheinen, wird die Ablehnung von Musliminnen und Muslimen heutzutage häufig mit einer expliziten Verteidigung der Moderne begründet.
Hierfür kennzeichnend ist die Instrumentalisierung von Menschenrechten, insbesondere Frauenrechten. Ein weiterer Unterschied ist die Blickrichtung, die den Diskursen inhärent ist: Während, wie die Psychologin Birgit Rommelspacher hervorhebt, der Antisemitismus „eher von ‚Über-Ich Projektionen‘ genährt wird und den Anderen ein Zuviel an Intelligenz, Reichtum und Macht zuschreibt“, dominiert im antimuslimischen Rassismus in der Regel der Blick nach unten.
Das Feindbild des Islams als das eines starken militärischen Gegners wurde seit der Zeit des Kolonialismus durch die Vorstellung eines unterlegenen „Orients“ abgelöst, den „der Westen“ zivilisieren müsse.
Solche Wahrnehmungsmuster lassen sich natürlich nicht verabsolutieren. Historisch wurden Juden nicht nur als machtvoll, sondern auch als minderwertig stigmatisiert, z. B. in den Debatten über die sogenannten Ostjuden. Desgleichen lassen sich in heutigen islamfeindlichen Diskursen auch Verschwörungstheorien ausmachen, die Muslime als übermächtig imaginieren und so an antisemitische Topoi erinnern. Unterwanderungsfantasien von einer drohenden Islamisierung Europas, von der z. B. der norwegische Attentäter Anders Behring Breivik, eine islamfeindliche Internet-Szene sowie rechtspopulistische Gruppierungen in Europa und den USA besessen sind, aktualisieren dabei mittelalterliche und frühneuzeitliche apokalyptische Angstbilder, die sich u. a. im historischen Diskurs über die Türkenkriege ins europäische kollektive Gedächtnis eingeschrieben haben.
Aus der Tatsache, dass der Antisemitismus in Europa im Völkermord an sechs Millionen Jüdinnen und Juden kulminierte, resultiert eine gewisse gesellschaftliche Sensibilität. Judenfeindliche Äußerungen unterliegen in der öffentlichen Kommunikation daher Sanktionierungen, die dazu beigetragen haben, die Akzeptanz von Antisemitismus abzubauen. Im Hinblick auf die Stigmatisierung von Musliminnen und Muslimen fehlt bislang ein vergleichbares Problembewusstsein.
Dies hat sich zum Beispiel im Umgang mit dem Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann gezeigt, dessen antisemitische Aussagen zu seinem Ausschluss aus der CDU geführt haben, während der ehemalige Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin trotz seiner dezidiert antimuslimischen Thesen in der SPD verbleiben darf.
Es gilt also einerseits, die unterschiedliche Geschichte und Spezifik von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit zu berücksichtigen, und andererseits, aufmerksam für existente Parallelen zu sein. Dies ist auch vor dem Hintergrund neuerer Studien relevant, die belegen, dass Menschen, die antisemitische Einstellungen zeigen, auch verstärkt antimuslimischen Aussagen zustimmen – und umgekehrt. Es wäre jedoch irreführend, der Islamfeindlichkeit als neu diskutiertem Phänomen nur aufgrund solcher Zusammenhänge Bedeutung zuzumessen. Die Ablehnung, Ausgrenzung und Diskriminierung von Musliminnen und Muslimen kann als eine Form des kulturell argumentierenden Rassismus eingeordnet werden und besitzt als solche eine eigenständige Relevanz.