Hoffnung im Unglücks-AKW: Neue Stromleitung nach Fukushima fast fertig - SPIEGEL ONLINE - Nachrichten - Wissenschaft
Tokio - Meerwasser, Hubschrauber, Wasserwerfer: Jedes Mittel ist den 50 verbliebenen Technikern im AKW Fukushima recht, um die Brennstäbe zu kühlen. Bislang schlugen alle Versuche fehlt - jetzt gibt es neue Hoffnung: Eine zur Wiederherstellung der Kühlsysteme benötigte Stromleitung ist fast fertig. Die Leitung solle "so schnell wie möglich" in Betrieb genommen werden, sagte ein Sprecher des Kraftwerkbetreibers Tepco. Die Kühlsysteme des Kraftwerks waren ausgefallen, weil das Erdbeben die Stromversorgung unterbrochen hatte.
Tepco-Mitarbeiter versuchen außerdem, eine Straße zum Reaktor 4 zu bauen, damit Feuerwehrfahrzeuge den Meiler erreichen können. Eine Drohne des US-Militärs soll mit hochauflösenden Kameras mehr Klarheit über das Innere der havarierten Atomreaktoren bringen ( die aktuellen Ereignisse finden Sie im Live-Ticker).
Allerdings läuft den Technikern die Zeit davon: Experten warnten am Mittwoch vor einer massiven Verstrahlung, sollte es bis Freitag nicht gelingen, das Wasserniveau im Abklingbecken für gebrauchte Brennstäbe von Reaktor 4 zu heben. Dann könnten sich die Brennstäbe selbst entzünden und die Strahlung würde so hoch, dass jeder weitere Einsatz in der Anlage unmöglich werde, warnte das französische Institut für Atomsicherheit IRSN.
Es zählt also jetzt jede Minute - und nicht nur Japan, sondern die ganze Welt schaut auf die rund 50 Techniker. Im Internet werden sie als Helden gefeiert ( mehr zu den Arbeitern hier).
Ob sie den Super-GAU noch abwenden können, ist extrem ungewiss. "Die Anlage ist Schrott - ob die da noch Leute verheizen oder nicht", sagte der Präsident der deutschen Gesellschaft für Strahlenschutz, Sebastian Pflugbeil, dem Nachrichtensender n-tv. Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, Yukiya Amano, nannte die Lage im AKW "sehr ernst". Er will so schnell wie möglich selbst nach Japan fliegen und eine Sondersitzung des Gouverneursrats einberufen, dem Leitungsgremium der Atombehörde. "Es gibt zu viele Elemente, die wir noch nicht wissen."
Wie groß das Risiko radioaktiver Verstrahlung inzwischen ist, demonstrieren die Reaktionen mehrerer Staaten:
Die US-Regierung rät amerikanischen Staatsbürgern, die Region im Umkreis von 80 Kilometern um das Unglücks-AKW zu verlassen. Das gilt auch für die an dem Erdbeben-Hilfseinsatz beteiligten US-Soldaten. Die japanische Regierung hat zum Schutz vor radioaktiver Strahlung bisher nur Gebiete im Umkreis von 20 Kilometern evakuiert.
Großbritannien fordert seine Bürger sogar auf, die Abreise aus Tokio zu erwägen. Die 240 Kilometer südlich von Fukushima liegende 35-Millionen-Metropole wurde am Mittwoch allerdings von höherer Strahlung verschont ( mehr dazu hier).
Auch das deutsche Außenministerium in Berlin rät den rund tausend verbliebenen Deutschen im Großraum Tokio-Yokohama, sich in anderen Landesteilen in Sicherheit zu bringen oder das Land zu verlassen. Es handele sich um eine "erhebliche Aktualisierung" der Reisehinweise, sagte ein Sprecher. Teile der deutschen Botschaft sind nach seinen Worten von Tokio nach Osaka verlegt worden, um den Bundesbürgern konsularisch zu helfen.
Auch Frankreich fordert seine Bürger in Tokio auf, das Land zu verlassen oder sich nach Südjapan zu begeben. Man habe die Air France gebeten, bei der Evakuierungsaktion zu helfen, hieß es. Zwei Maschinen seien bereits auf dem Weg.
Wie ernst die Lage ist, verdeutlichte auch eine Fernsehansprache von Kaiser Akihito, der sich nur selten in der Öffentlichkeit zeigt. "Ich hoffe aufrichtig, dass die Menschen diese schreckliche Zeit überstehen werden, indem sie sich gegenseitig helfen", sagte der 77-jährige Monarch ( mehr zu den Einsätzen der Retter in den Erdbebengebieten hier).
EU-Energiekommissar Günther Oettinger befürchtet schon in Kürze "weitere katastrophale Entwicklungen". Das Kraftwerk Fukushima sei "außerhalb einer fachmännischen Kontrolle", sagte der deutsche Kommissar in Brüssel - prompt gingen an den deutschen Börsen die Kurse nach unten.
Am Mittwochmorgen war im Reaktor 4 ein weiteres Feuer ausgebrochen, zudem stieg Rauch oder Dampf auf. In den Blöcken 1 und 2 liegen die Brennstäbe teilweise frei, was die Gefahr einer Kernschmelze erhöht. Wie viel Strahlung bereits freigesetzt wurde, ist unklar.
Bei allen Hiobsbotschaften gab es aber auch positive Nachrichten: Die Schutzhülle des Reaktors 3 sei - entgegen erster Annahmen - nicht erheblich beschädigt, teilte die japanische Regierung mit.