Marco Polo wurde 1254 in Venedig geboren. Zu jener Zeit erlebte die ehrgeizige Lagunenstadt eine außerordentliche Blüte. Der Stadtstaat hatte den vierten Kreuzzug von 1202/04 genutzt, um seine politische und wirtschaftliche Stellung im östlichen Mittelmeer erheblich auszubauen. Gleichzeitig hatte Dschingis Khan Zentralasien mit seinen mongolischen Reiterheeren in Angst und Schrecken versetzt, der Region schließlich aber auch eine gewisse Einheit gebracht und seine Macht bis China ausgedehnt, das eine hochentwickelte Kultur besaß. Dort hatte in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts der Mongolenherrscher Kublai Khan seinen Sitz, ein Enkel des rücksichtslosen Dschingis Khan. Die Kaufleute von Venedig kontrollierten ein ganzes Netz von Mittelmeerhäfen, das weit über Konstantinopel (Istanbul) hinausreichte. Sie hatten jetzt die Chance, ihre Interessensphäre nach Osten auszudehnen, wenn sie die Gefahren Zentralasiens nicht scheuten und die entlegensten Gegenden des mongolischen Weltreichs erforschten. Die beiden venezianischen Kaufleute Nicolao und Maffeo Polo, Marco Polos Vater und Onkel, nutzten diese Chance.
Nicolao und Maffeo Polo hatten Handelsbeziehungen in Konstantinopel und auch Interessen auf der Krim. Im Jahre 1260 schien ihnen die Zeit gekommen, sich weiter entfernte Regionen zu erschließen. Von missionarischem Eifer erfüllt, waren schon früher einige Mönche in den Fernen Osten gereist. Sie hatten zweifellos auch gehofft, das Königreich des Priester Johannes zu finden - eines fiktiven christlichen Herrschers, der gerüchteweise irgendwo jenseits der islamischen Länder lebte. Als die beiden Brüder Konstantinopel verließen, hegten sie keine vergleichbar ehrgeizigen Pläne. Aber sie scheinen die ersten Europäer gewesen zu sein, die den ganzen asiatischen Kontinent durchquerten. Sie waren Pioniere, und ihre Leistung sollte über der Marco Polos nicht vergessen werden.
Nach einträglichen Geschäften in Bolgara (Bulgarien) und einem längeren Aufenthalt in Buchara trafen sie einen Gesandten der eben zum Hof des mongolischen Großkhans und Kaisers von China Kublai Khan zurückkehrte. Der sagte ihnen, der Khan habe noch nie einen Romanen kennengelernt und würde das liebend gern nachholen. Auch seien im Fernen Osten gute Geschäfte zu machen. Und er überredete die beiden, sich selbst davon zu überzeugen. Sie dürften jedoch kaum gehofft haben, in den lukrativen, aber eifersüchtig abgeschirmten und streng kontrollierten Seidenhandel einsteigen zu können.
Bis zum Hof des Kublai Khan in Cambaluc (Beijing) brauchten sie noch ein ganzes Jahr. Dort wurden sie sehr ehrenvoll und mit allem Respekt empfangen. Der Khan erweckte sogar den Anschein, sich für den christlichen Glauben zu interessieren (seine Mutter habe sich bekehren lassen). Er gab den Polos ein Geleitschreiben, das in ein Goldtäfelchen graviert war und alle seine Untertanen verpflichtete, ihnen unterwegs Hilfe und Schutz zu gewähren. Zudem übergab er ihnen Briefe an den Papst, in denen er um die Entsendung von 100 christlichen Theologen und um Öl vom Heiligen Grab in Jerusalem bat.
Als Nicolao und Maffeo nach dreijähriger Reise im April 1269 schließlich in dem nördlich von Jerusalem gelegenen Acre (Akko) anlangten, erfuhren sie, daß der Papst tot war. Da man noch keinen Nachfolger gewählt hatte, konnten sie die Briefe des Khans auch niemandem überbringen und so kehrten sie unverrichteter Dinge nach Venedig zurück.
Während der langen Abwesenheit Nicolaos war seine Frau gestorben und sein Sohn Marco herangewachsen. Nachdem Nicolao und Maffeo in Venedig zwei Jahre lang vergeblich auf die Wahl eines neuen Papstes gewartet hatten, beschlossen sie Ende 1271, zum Hof des Kublai Khan zurückzukehren und den 17jährigen Marco auf ihre Reise mitzunehmen. Sie waren noch nicht weit gekommen, als sie von der endlich erfolgten Wahl Papst Gregors X erfuhren. Der rief sie zurück und gab ihnen zwei Dominikanermönche als Begleiter. Die kleine Gruppe sollte Kublai Khan Briefe und Geschenke des Papstes überbringen. Als sie aber nach Armenien gelangten und dort Krieg herrschte, entschieden die Mönche, das Unternehmen sei zu gefährlich, und ließen die Polos allein weiterreisen.
Die drei zogen von Armenien nach Täbris und nach Hormos (Bandar 'Abbas) am Persischen Golf. Dort spielten sie mit dem Gedanken, nach Indien zu segeln, scheuten dann aber doch davor zurück, sich für eine so lange Reise einem der arabischen Schiffe anzuvertrauen, die ihnen zerbrechlich und gefährlich vorkamen, da sie ja europäische Schiffsbautechniken gewohnt waren. Sie entschieden sich also für den Landweg und durchquerten das Khanat der persischen Mongolen. Den Winter 1271/72 verbrachten sie am Fuß des Pamir. Im Frühjahr überwanden sie in 40 Tagen das Hochgebirge und kamen dann zu der Wüste Takla Makan in Westchina. Nach ihrem Marsch durch die Wüste gelangten sie nach Kaschgar und erreichten dann Khotan und damit das an Bodenschätzen und Weingärten reiche Gebiet des Großkhans. Schließlich zogen sie dann in Ganzhou ein. Sie wurden unzählige Male durch Stürme und Unwetter aufgehalten und benötigten deshalb dreieinhalb Jahre für diese Reise. Das schloß aber, Marco Polos Reisebericht zufolge, auch einen einjährigen Aufenthalt in Ganzhou ein, den sie wahrscheinlich für irgendwelche persönlichen Geschäfte nutzten. Man darf jedenfalls vermuten, daß sie es mit der Überbringung der päpstlichen Briefe - ganz zu schweigen vom Öl aus der Lampe des Heiligen Grabes - nicht allzu eilig hatten.
Von Ganzhou zogen sie nach Cambaluc weiter, waren damit aber noch nicht am Ziel angelangt, denn der Khan war verreist. Sie fanden ihn schließlich in seiner Sommerresidenz in Shangtu, dem berühmten Xanadu. Der junge Marco machte sofort einen hervorragenden Eindruck, und Nicolaos höfliche Bemerkungen sein Sohn stehe dem Khan zu Diensten, scheint denn auch sehr wörtlich genommen worden zu sein.
Wir wissen nicht, welche Bildung und Erziehung Marco Polo in Venedig genossen hat. Am Hofe des Großkhans scheint er sich jedenfalls sehr wißbegierig gezeigt und sich sehr für die Sitten und Gebräuche des Landes interessiert z u haben; er soll vier Sprachen gesprochen haben. Da er mit seinen Fähigkeiten dem Khan sehr nützlich sein konnte, wurde er bald zu dessen persönlichen Gesandten und leistete ihm als geachteter und hochrangiger Beamter 17 Jahre lang treue Dienste. Er war anscheinend ein offizieller Beobachter und Berichterstatter des Khans und reiste mit dessen speziellen Instruktionen durch das Mongolenreich, um sich über alle ungewöhnlichen Zustände, Ereignisse und Lebensgewohnheiten der Menschen zu informieren. Sein berühmtes Buch Il Milione (Die Beschreibung oder Die Wunder der Welt) ist eher ein umfassender Reiseführer als die detailierte Beschreibung einer bestimmten Reise. Deshalb lassen sich die tatsächlichen Reiserouten Marco Polos auch kaum mit Sicherheit feststellen. Es ist aber klar, daß er weite Gebiete Asiens aus eigener Anschauung kannte. Seine Beschreibungen reichen von Armenien bis Korea, von der Mongolei und Sibirien bis nach Südindien. Er berichtet auch über Japan und Teile der afrikanischen Tropen, dürfte aber dort kaum gewesen sein.
Als Gesandter des Khans hat er anscheinend Burma besucht, und er beschreibt auch eine viermonatige Reise zu der Provinz "Bengalen", die angeblich von den Mongolen erobert worden sei. Vermutlich aber handelt es sich dabei nicht um Bengalen, denn ein solcher Sieg ist nirgendwo belegt. In einer seiner bemerkenswertesten Passagen beschreibt er Hangchow (Hangzhou) oder "die Stadt des Himmels", die an der chinesischen Ostküste liegt. Der Anblick der reichen Hafenstadt mit ihren Kanälen und prächtigen Häusern war überwältigend und lud zum Vergleich mit Venedig ein. Für Marco Polo war Hangchow "bei weitem die glanzvollste Stadt der Welt". Er berichtet, "daß der Stadtumfang hundert Meilen mißt", die Stadt "1 600 000 häusliche Herde" zähle und ein gewaltiger Strom alle Abfälle der Stadt fortschwemme und die Luft dort bemerkenswert rein sei. Die Stadtplanung war offensichtlich hoch entwickelt, und Hangchow verfügte über "zwölf wichtige Handelshäuser, wo die wichtigen Geschäfte getätigt werden; die übrigen Betriebe sind nicht zu zählen." Kaufleute aus Indien und anderen Ländern lagerten ihre Waren in riesigen Steinhäusern, die vom Land und vom Wasser aus zugänglich waren. Es gab sogar öffentliche Bäder, kalte, die von den Einheimischen bevorzugt wurden, und auch warme, insbesondere für die Fremden.
Marco Polos Buch ist im allgemeinen voll des Lobes für die großen Leistungen Kublai Khans und im Tonfall eines loyalen Untergebenen geschrieben. Überraschenderweise werden aber bei all diesen detaillierten Beschreibungen der verschiedenen Städte und Länder, die er auf seinen Reisen zu Gesicht bekam, die Große
Chinesische Mauer, der chinesische
Tee oder die in China schon seit langem bekannten Drucktechniken mit keinem Wort erwähnt.
Nachdem die Polos 17 jahre an seinem Hof gelebt hatten, gab der Khan 1292, wenn auch widerstrebend, ihrem Drängen nach und ließ sie ziehen, unter der Auflage allerdings, daß sie eine Tatarenprinzessin zu ihrem Verlobten in Persien geleiteten. Sie erhielten wieder die goldenen Schutzbriefe des Khans, reisten aber diesmal auf dem Seeweg, in einer Flotte von 14 Viermastern. Die ersten Schwierigkeiten ihrer zweijährigen Rückreise nach Hormos präsentierten sich in Sumatra, als sie fünf Monate lang auf günstiges Wetter warten mußten. Um sich vor den begehrlichen Kanibalen dort zu schützen, errichteten sie ein befestigtes Lager mit einem Verteidigungsgraben rund herum und mit hölzernen Wachtürmen. Auch wenn die Reisenden solche Vorsichtsmaßnahmen für geboten hielten, verkehrten sie mit den Eingeborenen anscheinend doch auf freundschaftlichem Fuße.
Von Sumatra segelten sie zu den Inseln der Kikobaren und der Andamanen und dann nach Sri Lanka. Dort, so Marco Polo, gebe es Edelsteine in Hülle und Fülle und besitze der König einen Rubin, der so dick wie ein Männerarm sei. Weiter ging die Fahrt nach Indien, dessen Darstellung aber ziemlich konfus ausfällt. Marco Polo beschreibt lediglich die Küstenregionen, erwähnt den Schrein des heiligen Thomas, der noch heute in Madras an der Ostküste zu sehen ist, und spricht auch von Kap Komorin, der Südspitze des indischen Subkontinents. Er scheint Quilion an der südwestlichen Malabarküste zu kennen, wo es so heiß sei, daß man, schwört er, in jedem x-beliebigen Fluß Eier kochen könne. Er beschreibt auch das im Nordwesten gelegene Gujarat, das wegen seiner Piraten berüchtigt und für seinen Reichtum an Ingwer und Pfeffer berühmt sei. Nirgendwo auf der Welt, erfahren wir, gebe es so schöne Stickereien wie in Gujarat - ein Lob aus berufenem Munde, denn Marco Polo hatte mehr von der Welt gesehen als alle seine Zeitgenossen.
Während der ersten Etappen dieser Reise sollen ungefähr 600 Menschen gestorben sein. Aber die drei Polos überstanden alle Entbehrungen und Gefahren und kehrten 1295 über Hormos, Trapezunt (Trabzon) und Konstantinopel nach Venedig zurück. Im Jahr darauf kommandierte Marco Polo in der venezianischen Flotte, die gegen Genua kämpfte, sein eigenes Schiff.
Im September 1296 wurden die Venezianer geschlagen, und Marco Polo wurde für etwa drei Jahre Kriegsgefangener Genuas. In einem Leidensgefährten, dem Pisaner Rustichello, fand er einen Berufsschriftsteller, mit dessen Hilfe er einen Bericht seiner Erlebnisse und Beobachtungen aus 26 Auslandsjahren erstellte. Marco Polos Reisebericht wurde in Italien unter dem Namen
Il Milione bekannt - ein Titel, der eher an eine Sammlung phantastischer Geschichten als an Tatsachenbeschreibungen denken läßt.
Man findet durchaus Anzeichen romantischer Ausschmückung, und seine Geschichten über Zauberer, die in der Umgebung des Khan-Palastes das Wetter nach Wunsch verändern konnten, sind wohl kaum glaubwürdig. Aber entscheidend ist, daß Marco Polo Dinge beschrieb, die noch nie ein Europäer gesehen hatte, etwa einen so unwahrscheinlichen Stoff wie Kohle - wundersame "schwarze Steine", die ewiges Feuer erzeugten. Besondere Aufmerksamkeit widmet er Themen wie Religion, Handel und Wandel, Naturkunde. Auch an Architektur, Schiffskonstruktion und Schiffbau ist er sehr interessiert, kaum dagegen an Musik, Kunst und Literatur.
Die Skepsis seiner damaligen Leser ließe sich damit erklären, daß die Europäer einfach nicht an die Existenz einer so fortgeschrittenen Kultur glauben wollten, wie sie Marco Polo studiert hatte. Venedig war am Ende des 13. Jahrhunderts eine stolze Stadt von hohem kulturellen Niveau, die denen, die es sich leisten konnten, ein luxuriöses und bequemes Leben bot. Vielleicht ärgerte man sich einfach über die Nachrichten aus einem entlegenen Land, das über ein fortschrittliches Kommunikations-, Feuerschutz- und Verkehrssystem und eine komfortable Warmwasserversorgung verfügte und wo sogar die Armen noch einen menschenwürdigen Lebensstandart hatten. Die Sprache des - verschollenen - Originalmanuskripts könnte Französisch, Provencialisch oder eine Mischung aus Französisch und Italienisch gewesen sein. Im Laufe der Jahrhunderte sind viele Versionen und Übersetzungen des Milione erschienen, auch prächtig illustrierte Ausgaben und einige, die aus den Polos gar christliche Missionare machten.
Marco Polo wurde 1299 wieder freigelassen. Irgendwann heiratete er und wurde Vater dreier Töchter. Er starb 1324 in Venedig. Sein Buch, das sich vermutlich vorrangig auf seine Erinnerungen und nicht auf schriftliche Notizen stützte, sollte viele künftige Generationen von Entdeckern und Reisenden beeinflussen. Es war die erste umfassende Darstellung Asiens, die die Europäer zu lesen bekamen, deren Vorstellungen von östlicher Geographie bis dahin vorwiegend auf den Geschichten über Alexander des Großen beruhten. Als Columbus 1492 nach Amerika segelte, hatte er auch Marco Polos Milione in seinem Gepäck.
Marco Polo