K
Kejo
Guest
Jetzt wo im Nordirak ein faktisch unabhängiger Kurdenstaat entstanden ist merkt die türkische Regierung offenbar, dass das sogenannte Kurdenproblem nicht allein mit Repression und Negierung der kurdischen Identität und Sprache zu lösen ist. Wünschenswert, dass die Türken sich dazu durchringen der Pkk den Nährboden zu entziehen, indem sie ihren Minderheiten wirklich "reelle" Autonomierechte gewähren. Wenn ich mir hier einige Beiträge von Türken so durchlese, glaube ich aber kaum daran. Ansonsten wird die Perspektive wohl die eines mittelfristigen Zusammengehens der Kurden in der Osttürkei mit den Kurden des Nordirak sein.
Heraclius
Ach, Du irrst, wenn Du glaubst, dass alle Kurden respektive Zazas so uneingeschränkt türkeifeindlich sind. Ich erinnere gerne daran, dass auch ich in rassistischen Kategorien gedacht kein Türke bin. Trotzdem bin ich es, sind es sogar Hunderttausende, weil wir türkisch erzogen worden sind - auch und gerade hier in Deutschland. Fakt ist, in der Türkei leben ca. 15 Mio. Kurden. Ein weiteres Faktum ist, würden diese 15 Millionen auf Teufel komm raus sich von der Resttürkei abspalten wollen, wäre dies schon längst geschehen. Kein Staat kann Jahrzehnte Millionen Bürger in einem bestimmten Teil des Landes unterdrücken, ohne mit schwerwiegenderen Konsequenzen rechnen zu müssen.
Eins muss man sich klarmachen:
Die PKK war in der ersten Hälfte der Geschichte der Türkei gar nicht da, erst ab den 80er Jahren taucht dieses Phänomen auf. Wenn von 15 Millionen 5.000 in den Bergen kämpfen, von diesen 5.000 aber die überwältigende Mehrheit nicht einmal Türkei-Kurden sind, dann zeigt mir das, dass die Probleme in der Türkei noch groß sind, aber niemals einen Punkt erreicht haben, der die territoriale Integrität dieses Landes ernsthaft in Frage stellt. Viele dieser Kurdistan-Kurden in Deutschland und Europa sind gerade Flüchtlinge aus dem Nahen Osten, die ja aufgrund ihrer Aktivitäten aus ihren Heimatländern geflohen sind. Das verzerrt das Bild und die Wahrnehmung in Europa etwas.
Der Islam spielt hier eine sehr wichtige Rolle. Viele Kurden gehen auf Distanz zu der PKK, weil sie offen islamfeindlich ist. Es gibt Videos im Internet aus ihren Camps, wo sie sich über praktizierende Muslime und Muezzine lustig machen, erniedrigen und sie nachäffen. Das kommt bei den frommen Kurden alles andere als gut an. Oder die angeblich pro-kurdischen Imame, die predigen, zu Hause drei Kinder haben, aber am nächsten Tag in Bodrum am Pool mit ihrer Affäre gefilmt werden.
All das wird in der Türkei lang und breit diskutiert, taucht aber in den europäischen Medien kaum auf. Die Türkei hat weniger Angst vor einem Kurdenstaat im Süden, den sie mittlerweile de facto anerkannt hat. Die Kurden aus dem Norden des Iraks sind auf die Türkei als Tor zum Westen und zu seinen Absatzmärkten angewiesen. Ihr Öl wird über die Türkei verkauft, nicht über das Bürgerkriegsland Syrien oder dem Israelfeind Iran. Auch nicht über den Restirak, der im Falle einer Abspaltung womöglich sogar militärisch gegen den Norden vorgehen könnte. Ihr Wasser kommt aus der Türkei, die modernsten Schulen und Unis im Norden des Iraks wurden von Türken gegründet, ohne die Türkei könnte die Freude um die Unabhängigkeit zu einem Pyrrhussieg verkommen.
Türkische Unternehmen bauen Flughäfen, Straßen und Gebäudekomplexe, kurz gesagt das Land dort auf. Umgekehrt ist der Irak nach Deutschland zum größten Absatzmarkt für türkische Produkte geworden und wird nach Prognosen sogar bald wichtiger als Deutschland werden. Die gegenseitige Abhängigkeit steigt.
Ich habe keine Angst vor einem Kurdistan, im Gegenteil. Die Lage sieht so aus, dass die Türkei am Ende sogar einen engen Verbündeten an ihrer Südostgrenze gewinnen könnte. Legt die PKK, die auch im Norden des Iraks durch die kurdische Regierung langsam unter Druck gerät, erst einmal ihre Waffen nieder, wird sich die Türkei immens entfalten. Noch stärker als bisher, das sagen auch westliche Analysten voraus. Dann wird ihr Einfluss vom Balkan bis zur arabischen Halbinsel und vom Maghreb bis nach Pakistan reichen, also in der islamischen Welt.
Ich bin kein Pessimist. Jede Veränderung bringt auch Chancen mit sich und diese wird die Türkei ergreifen. Und mit solchen Schritten, wie ein Kurdologiestudium an türkischen Unis, Kurdischunterricht in den Schulen, kurdische Radio- und Fernsehsender, geht sie in die richtige Richtung. Bald will die staatliche Anadolu Nachrichtenagentur sogar auf Kurdisch News ausgeben. Zu viel hat sich die Türkei aufgebaut in den letzten 10 Jahren, um es durch Ignoranz vor den eigenen Problemen wieder zu verlieren.
Sie wird schon den richtigen Weg finden. Komme, was wolle.