Heikler Besuch in Istanbul
Gas, PKK, Atomstreit: Warum die Türkei Irans Präsidenten Ahmadinedschad empfängt
Istanbul - Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad trifft an diesem Donnerstag in der Türkei ein. Der Besuch, zu dem ihn der türkische Staatspräsident Abdullah Gül eingeladen hatte, ist umstritten. Ankara verteidigt den Empfang Ahmadinedschads mit ihrem Interesse an der Stabilität in der Region und bietet sich als Unterhändler im Atomstreit an, das iranische Außenministerium nannte die Türkei diese Woche ausdrücklich einen "Vermittler". Kritiker sprechen von einem diplomatischen Coup Ahmadinedschads, für den dieser keine Gegenleistung zu erbringen habe: Es ist die erste Reise des Präsidenten, dessen Land vom Westen verdächtigt wird, Atomwaffen anzustreben, in ein Natoland.
Die Türkei ist ein Nachbarland Irans. Seit Amtsantritt der Regierung von Premier Recep Tayyip Erdogan im Jahre 2002 versucht sich das Land in einer aktiveren Außenpolitik. Es ist erklärtes Ziel Ankaras, freundliche Beziehungen zu allen Nachbarstaaten zu pflegen. Nicht ohne Erfolge: Den heimlichen Vermittler spielte das Land zuletzt zwischen Syrien und Israel. Dabei geht es auch um ganz konkrete Interessen, im Falle von Iran sind das erstens der gemeinsame Kampf gegen kurdische PKK-Rebellen und zweitens: Öl und Gas. Ankara hege mit Sicherheit "keine Sympathie für das Regime in Teheran", schreibt der Istanbuler Politologe Sahin Alpay: "Aber Iran ist der Nachbar der Türkei. Freundliche Beziehungen mit Teheran sind wichtig, nicht nur, um seinen Respekt für die Integrität der Türkei zu erhalten, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen."
Der Handel zwischen beiden Staaten erreichte im ersten Halbjahr 2008 ein Volumen von fünf Milliarden Dollar. Vor allem aber haben die Energieminister beider Staaten vor kurzem eine Absichtserklärung unterzeichnet, wonach Iran in Zukunft der Türkei große Mengen Erdgas liefern soll, türkische Firmen sollen drei Erdgasfelder im Süden des Iran entwickeln. Die Türkei ist völlig auf Import seiner Energie angewiesen. Die USA und Israel, die auf Boykott und Isolation des Iran drängen, protestierten scharf gegen die Vereinbarung.
Ahmadinedschad wird Präsident Gül und Premier Tayyip Erdogan treffen. Israel nannte den Besuch im Vorfeld "unglücklich", die Jerusalem Post schrieb von einem "diplomatischen Triumph für Teheran": Iran suche "fieberhaft diplomatische Beziehungen mit westlichen Alliierten, um den Willen des Westens, gegen seine nukleare Ambitionen vorzugehen, zu schwächen". Vielen türkischen Beobachtern gilt der Besuch zumindest als riskant: Zugeständnisse in der Nuklearfrage seien von Ahmedinedschad zu diesem Zeitpunkt nicht zu erwarten, da der Präsident vor weiteren Schritten erst einmal das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahlen abwarten werde. Andererseits setze die Türkei sich der Gefahr aus, Ahmadinedschad die Bühne für einen seiner antiisraelischen oder antiamerikanischen Ausfälle zu liefern.
Ahmadinedschad wird nur Istanbul besuchen, nicht aber die Hauptstadt Ankara - offenbar, weil er den in Ankara für Staatsbesucher obligatorischen Pilgergang zum Atatürk-Mausoleum vermeiden möchte; Republikgründer Atatürk hatte 1923 den Einfluss der Religion in der Türkei radikal beschnitten. Die Türkei führt den Besuch deshalb offiziell nur unter "Arbeitsbesuch".
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