Mythos Bilderverbot
25.01.2015
Muslime, holt die Buntstifte raus!
Von Christoph Sydow
Getty Images/ Heritage Images
Darf man Mohammed zeigen? Nein, das ist nicht erlaubt, sagen die meisten Muslime. Doch der Islam kennt kein Bilderverbot. Jahrhundertelang haben Künstler den Propheten gezeichnet.
Der Koran ist streng, wie alle religiösen Schriften verbietet er viel: Selbstmord, außerehelichen Geschlechtsverkehr, Prostitution, Zinsen, den Verzehr von Schweinefleisch. Was die Heilige Schrift des Islams hingegen nicht enthält, ist ein Bilderverbot. Zwar behaupten viele Muslime nach dem Streit um die Mohammed-Karikaturen und dem Anschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo", Abbildungen des Propheten seien generell verboten - doch das stimmt so nicht.
Bilder hat es im Islam immer gegeben, und muslimische Künstler haben über Jahrhunderte auch Mohammed gezeichnet. Besonders in Manuskripten aus Persien und Zentralasien finden sich zahlreiche Abbildungen des Propheten. (In unserer Bildergalerie sehen Sie eine Auswahl.)
In den ersten Jahrhunderten nach Mohammeds Tod spielte das Thema unter islamischen Theologen nur eine Nebenrolle. "Es gibt keine Traktate über Bilder", stellt Silvia Naef, Professorin für arabische Kulturgeschichte, fest. Auch in den Hadithen, den gesammelten Überlieferungen über Leben und Wirken des Propheten, spielt ein Bilderverbot nur eine untergeordnete Rolle.
In Moscheen hängen keine Bilder
"Die Engel betreten kein Haus, in dem sich ein Hund oder eine bildliche Darstellung befindet", sagte Mohammed laut der Überlieferung. Bilder gelten damit ebenso wie Hunde als unrein. An einem Ort, an dem Abbildungen zu sehen sind, dürfen Muslime demnach nicht beten. Deshalb hängen bis heute nur in sehr wenigen Moscheen Bilder. Ganz anders als im Christentum, wo Bilder in Kirchen einen festen, sakralen Platz haben.
Aber auch aus diesem Zitat lässt sich kein generelles Bilderverbot ableiten. Dafür verweisen Abbildungsgegner gern auf einen anderen überlieferten Ausspruch des Propheten: "Von demjenigen, der ein Bild macht, wird am Tag der Auferstehung verlangt werden, dass er ihm Leben einhaucht. Das wird er aber nicht tun können", soll Mohammed gesagt haben. Maler oder Bildhauer müssen also damit rechnen, im Jenseits bestraft zu werden. Die Hadithe sind jedoch keine verlässlichen Quellen. Sie wurden erst zwei- bis dreihundert Jahre nach dem Tod des Propheten redigiert und kanonisiert.
Selbst radikale Islamisten, die sich auf den Propheten berufen, scheinen dem überlieferten Ausspruch Mohammeds wenig Glauben zu schenken. Die saudische Königsfamilie, die heute über die heiligen Stätten in Mekka und Medina herrscht, lässt sich auf Fotos, Gemälden, Geldscheinen abbilden. Der Zustrom fanatischer Dschihadisten aus aller Welt zur Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) wäre ohne deren Propaganda undenkbar. Der IS, der ein Kalifat nach dem Vorbild der islamischen Urgemeinde Mohammeds errichten will, verbreitet stündlich Bilder und Videos. Eine Strafe im Jenseits scheinen die Islamisten dafür nicht zu fürchten.
Seit Anbeginn des Islams herrschte lediglich darüber Einigkeit, dass Gott nicht dargestellt werden dürfe. Prophet Mohammed gilt Muslimen zwar als unfehlbares Vorbild - aber er war eben ein Mensch, mit prophetischen, aber nicht göttlichen Fähigkeiten. Deshalb hielten es manche Muslime für zulässig, den Gesandten Gottes zu zeichnen. Das älteste erhaltene Bild Mohammeds stammt aus einem Manuskript, das im Jahre 1250 im anatolischen Konya angefertigt wurde. Wie aus schriftlichen Überlieferungen hervorgeht, gab es Abbildungen des Propheten auch in früheren Jahrhunderten, diese wurden jedoch zerstört oder sind verschollen.
Mohammed als Mongole
Je nach Herkunft und Epoche der Maler unterschied sich die Art und Weise, auf die sie Mohammed darstellten. So zeichneten Künstler im Reich der aus Zentralasien stammenden Ilchane den Propheten mit mongolischen Gesichtszügen. Im wahren Leben dürfte der Araber Mohammed ganz anders ausgesehen haben.
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Mohammed hoch zu Ross: Eine Abbildung aus dem 14. Jahrhundert
Etwa ab 1400 begannen Künstler, den Propheten ohne Gesichtszüge zu zeichnen. Manche ließen das Gesicht frei, andere setzten an die Stelle den Schriftzug "Oh Mohammed". Andere zeigten einen Feuerball an Stelle seines Kopfes. Sie nahmen damit Bezug auf mehrere Koranverse, in denen davon die Rede ist, dass Gott die Menschheit mit Mohammeds Hilfe aus der Dunkelheit geführt habe. Wieder andere verbargen sein Gesicht hinter einem weißen Schleier, der die Reinheit des Propheten betonen sollte.
Heute sind religiöse Mohammed-Abbildungen nur noch bei schiitischen Muslimen verbreitet. In den mehrheitlich von Sunniten bewohnten Gebieten der islamischen Welt hat sich dagegen das Dogma durchgesetzt, dass der Prophet nicht gezeigt werden dürfe.
Das ist jedoch in erster Linie eine Reaktion auf die Bilderflut, die mit der Verbreitung moderner Techniken und Massenmedien eingesetzt hat. Erst damit verbreitete sich bei islamischen Gelehrten die Meinung, dass Mohammed nicht gezeigt werden dürfe. Mittlerweile herrscht bei sunnitischen Theologen Konsens: Der Prophet ist zu heilig, um ihn abzubilden wie irgendeinen Schauspieler, Sportler oder Politiker.