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[h=2]Macht des kosovarischen Gründungsmythos[/h][h=1]Entfremdung vom amerikanischen Freund[/h]
Andreas ErnstIn keinem Land – eingeschlossen die Vereinigten Staaten selber – gibt es pro Kopf mehr amerikanische Sternenbanner als in Kosovo. Die Kosovaren betrachten Amerika als Geburtshelfer ihres Staates und als Schutzmacht. Die Flaggen an Tankstellen, Restaurants und auf T-Shirts signalisieren eine volkstümliche tiefe Verehrung. Doch die unkritische Bewunderung des amerikanischen Freundes wird nun infrage gestellt. Treibende Kraft dieser Emanzipation und gleichzeitig eines radikalen nationalen Selbstbewusstseins ist die Bewegungspartei «Vetevendosje» (Selbstbestimmung). Sie führt erfolgreich einen ideologischen Zweifrontenkampf: gegen die Bevormundung Kosovos durch mächtige Ausländer (inklusive Amerikaner) und gegen die korrupte einheimische «Marionettenregierung».
[h=4]Kurzer Schlagabtausch[/h]Die Angegriffenen ignorierten Vetevendosje lange als marginale Politsekte. Doch ihr Erfolg an den Urnen, ihre Medienpräsenz und die wachsende Popularität lassen nun andere Methoden angezeigt erscheinen: Vielleicht, sagten sich die Amerikaner, sollte man miteinander reden? Jedenfalls wurde Albin Kurti, dem Führer und Vordenker der Bewegung, erstmals seit 1997 wieder ein Visum ausgestellt, und zusammen mit seinem Stellvertreter Shpend Ahmeti reiste er im Mai nach Washington. Auf dem Programm: Begegnungen mit Vertretern des Aussenministeriums, mit der albanischen Diaspora und mit Akademikern.
Ein Resultat dieser Reise ist der nachträgliche Briefwechsel zwischen Edward Joseph, dem ehemaligen amerikanischen Vizechef der OSZE-Mission in Kosovo, und Shpend Ahmeti. Verhandelt werden die eingeschränkte Souveränität Kosovos, die Lage der serbischen Minderheit und die von Vetevendosje erstrebte Vereinigung Kosovos mit Albanien. Interessant ist vor allem der Subtext des kurzen Schlagabtausches. Joseph ist ein Vertreter der «humanitären Intervention». Nach diesem Narrativ griffen die USA ein, um Repression und Verfolgung der Kosovaren durch den serbischen Staat abzustellen. Nach dessen Vertreibung aus Kosovo wurde unter westlicher Anleitung ein multi-ethnischer Staat errichtet, der durch die Eingliederung in euroatlantische Strukturen stabilisiert werden soll. Die Konzessionen an die Serben und die Abstriche bei der staatlichen Souveränität bezeichnet Edward Joseph in seinem Brief als Preis Kosovos für seine Unabhängigkeit. Die Vereinigung mit Albanien dagegen betrachte man in Washington als «wirklich dumme Idee». Wer daran festhalte, riskiere Amerikas Freundschaft und Unterstützung.
[h=4]Historischer Befreiungskampf[/h]Shpend Ahmeti hat ein anderes Geschichtsbild: Für ihn ist die westliche Intervention lediglich ein Kapitel im historischen Befreiungskampf der Albaner. Edward Josephs «Kostenrechnung» empfindet er im Grunde als deplaciert: Er wisse durchaus, schreibt der Kosovare, dass Veränderungen ihren Preis hätten. Das wüssten alle seine Landsleute, die einen hohen Blutzoll für ihre Befreiung bezahlt hätten. Bei aller Wertschätzung des amerikanischen Beitrags aber: nicht dieser sei entscheidend gewesen – sondern der Unabhängigkeitswille des Volkes. Beiden Dialogpartnern ist eine eigentümliche, leicht arrogante Selbstsicherheit eigen. Bei Joseph gründet sie in der Vorstellung, politische «Preise» diktieren und so Verhalten steuern zu können. Bei Ahmeti beruht sie auf der Gewissheit des Nationalisten, dass sich die Geschichte, wie blutig und langwierig auch immer, letztlich im Nationalstaat erfüllt. Das westliche Verbot der Vereinigung mit Albanien nimmt der Kosovare nicht sehr ernst. Er erinnert den amerikanischen Brieffreund daran, dass die Regierung in Washington noch 1998 eine Unabhängigkeit für Kosovo kategorisch ausschloss (die UCK galt damals als Terrororganisation). Seither habe sich vieles verändert und werde sich weiter verändern, nach dem Willen des Volkes.
Was zeigt der Briefwechsel sonst noch? Die Ratschläge des amerikanischen Freundes interessieren den Kosovaren eigentlich kaum noch. Ausländische Kosten-Nutzen-Rechnungen beeindrucken jene wenig, die von einem nationalen Sendungsbewusstsein beseelt sind. Wir schulden euch nichts, heisst die verschlüsselte Botschaft an den Amerikaner. Und: Wir haben zwar wenig Geld, aber viel Zeit.
Macht des kosovarischen Gründungsmythos: Entfremdung vom amerikanischen Freund - Übersicht Nachrichten - NZZ.ch
Andreas ErnstIn keinem Land – eingeschlossen die Vereinigten Staaten selber – gibt es pro Kopf mehr amerikanische Sternenbanner als in Kosovo. Die Kosovaren betrachten Amerika als Geburtshelfer ihres Staates und als Schutzmacht. Die Flaggen an Tankstellen, Restaurants und auf T-Shirts signalisieren eine volkstümliche tiefe Verehrung. Doch die unkritische Bewunderung des amerikanischen Freundes wird nun infrage gestellt. Treibende Kraft dieser Emanzipation und gleichzeitig eines radikalen nationalen Selbstbewusstseins ist die Bewegungspartei «Vetevendosje» (Selbstbestimmung). Sie führt erfolgreich einen ideologischen Zweifrontenkampf: gegen die Bevormundung Kosovos durch mächtige Ausländer (inklusive Amerikaner) und gegen die korrupte einheimische «Marionettenregierung».
[h=4]Kurzer Schlagabtausch[/h]Die Angegriffenen ignorierten Vetevendosje lange als marginale Politsekte. Doch ihr Erfolg an den Urnen, ihre Medienpräsenz und die wachsende Popularität lassen nun andere Methoden angezeigt erscheinen: Vielleicht, sagten sich die Amerikaner, sollte man miteinander reden? Jedenfalls wurde Albin Kurti, dem Führer und Vordenker der Bewegung, erstmals seit 1997 wieder ein Visum ausgestellt, und zusammen mit seinem Stellvertreter Shpend Ahmeti reiste er im Mai nach Washington. Auf dem Programm: Begegnungen mit Vertretern des Aussenministeriums, mit der albanischen Diaspora und mit Akademikern.
Ein Resultat dieser Reise ist der nachträgliche Briefwechsel zwischen Edward Joseph, dem ehemaligen amerikanischen Vizechef der OSZE-Mission in Kosovo, und Shpend Ahmeti. Verhandelt werden die eingeschränkte Souveränität Kosovos, die Lage der serbischen Minderheit und die von Vetevendosje erstrebte Vereinigung Kosovos mit Albanien. Interessant ist vor allem der Subtext des kurzen Schlagabtausches. Joseph ist ein Vertreter der «humanitären Intervention». Nach diesem Narrativ griffen die USA ein, um Repression und Verfolgung der Kosovaren durch den serbischen Staat abzustellen. Nach dessen Vertreibung aus Kosovo wurde unter westlicher Anleitung ein multi-ethnischer Staat errichtet, der durch die Eingliederung in euroatlantische Strukturen stabilisiert werden soll. Die Konzessionen an die Serben und die Abstriche bei der staatlichen Souveränität bezeichnet Edward Joseph in seinem Brief als Preis Kosovos für seine Unabhängigkeit. Die Vereinigung mit Albanien dagegen betrachte man in Washington als «wirklich dumme Idee». Wer daran festhalte, riskiere Amerikas Freundschaft und Unterstützung.
[h=4]Historischer Befreiungskampf[/h]Shpend Ahmeti hat ein anderes Geschichtsbild: Für ihn ist die westliche Intervention lediglich ein Kapitel im historischen Befreiungskampf der Albaner. Edward Josephs «Kostenrechnung» empfindet er im Grunde als deplaciert: Er wisse durchaus, schreibt der Kosovare, dass Veränderungen ihren Preis hätten. Das wüssten alle seine Landsleute, die einen hohen Blutzoll für ihre Befreiung bezahlt hätten. Bei aller Wertschätzung des amerikanischen Beitrags aber: nicht dieser sei entscheidend gewesen – sondern der Unabhängigkeitswille des Volkes. Beiden Dialogpartnern ist eine eigentümliche, leicht arrogante Selbstsicherheit eigen. Bei Joseph gründet sie in der Vorstellung, politische «Preise» diktieren und so Verhalten steuern zu können. Bei Ahmeti beruht sie auf der Gewissheit des Nationalisten, dass sich die Geschichte, wie blutig und langwierig auch immer, letztlich im Nationalstaat erfüllt. Das westliche Verbot der Vereinigung mit Albanien nimmt der Kosovare nicht sehr ernst. Er erinnert den amerikanischen Brieffreund daran, dass die Regierung in Washington noch 1998 eine Unabhängigkeit für Kosovo kategorisch ausschloss (die UCK galt damals als Terrororganisation). Seither habe sich vieles verändert und werde sich weiter verändern, nach dem Willen des Volkes.
Was zeigt der Briefwechsel sonst noch? Die Ratschläge des amerikanischen Freundes interessieren den Kosovaren eigentlich kaum noch. Ausländische Kosten-Nutzen-Rechnungen beeindrucken jene wenig, die von einem nationalen Sendungsbewusstsein beseelt sind. Wir schulden euch nichts, heisst die verschlüsselte Botschaft an den Amerikaner. Und: Wir haben zwar wenig Geld, aber viel Zeit.
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