Die Rechtsstaatsmission der EU in Kosovo hört auf – und wird kaum vermisst werden
Nach zehn Jahren geht die Eulex-Mission in Kosovo Mitte Juni zu Ende. Vielleicht wäre der Rechtsstaat ohne ihr Wirken heute noch schwächer. Aber viel erreicht hat sie nicht.
Was die Mächtigen in Kosovo seit Jahren fordern, tritt endlich ein. Die Rechtsstaatsmission der EU (Eulex) wird Mitte Juni bis auf einen kleinen Stab von Beratern aufgelöst. «Wir können das jetzt selber machen», sagte Justizminister Abelard Tahiri in Pristina, «wir brauchen keine Mission mit Exekutivmacht.» Eulex war 2008 nach der Unabhängigkeitserklärung Kosovos als Instrument der gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik der EU gegründet worden. Sie entsprang der Einsicht, dass die Herrschaft des Rechts und ein staatliches Gewaltmonopol unabdingbare Voraussetzungen für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung des Landes seien. Gleichzeitig waren viele EU-Staaten skeptisch, ob sich Kosovo aus eigener Kraft zum Rechtsstaat wandeln könne. Die bis dahin federführende Uno-Mission hatte in den neun Nachkriegsjahren wenig erreicht und einen Berg unabgeschlossener Fälle hinterlassen.
Nicht korrupt, aber ineffizient
Eulex wurde die grösste Auslandsmission der EU. Sie verfügte zeitweise über 2000 ausländische Polizisten, Richter, Zollbeamte und ein Jahresbudget von 200 Millionen Euro. In verschiedenen Schritten war sie in den letzten Jahren auf 800 Mitarbeiter und 60 Millionen Euro reduziert worden. Die kosovarische Bevölkerung hatte die Eulex als Hoffnungsträgerin begrüsst; viele betrachteten sie als «mission civilisatrice», die Rechtsgleichheit und Gewaltenteilung durchsetzen würde. Nachdem Serbien das Autonomiestatut 1989 aufgehoben hatte, gab es in Kosovo keinen Rechtsstaat mehr. Demokratische Zustände hatte man auch davor nicht gekannt. Beflügelt wurde die Hoffnung der Kosovaren durch kühne Ankündigungen der Missionschefs, es werde ohne Ansehen der Person ermittelt und auch auf «grosse Fische» Jagd gemacht.
Doch bald schon machte sich Enttäuschung breit. Die spektakulären Fälle blieben aus. Es häuften sich Beschwerden über die Ineffizienz und Inkompetenz des gutbezahlten, aber ortsfremden Personals. So beklagte sich der Bürgermeister von Pristina, dass die Staatsanwälte der Mission nur wenig Interesse an seinen Unterlagen hätten, die von Korruption bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zeugten. Und bald kam der Vorwurf auf, Eulex selber sei korrupt. 2012 kritisierte der
Europäische Rechnungshof, dem finanziellen Aufwand stünden nur «bescheidene Erfolge» gegenüber. Die schlechte Presse der Eulex war allerdings auch Teil einer Kampagne. Sie kam aus den höchsten politischen Kreisen in Kosovo, die sich vor Strafverfolgung fürchteten, aber auch von der linksnationalistischen Opposition, die in der Mission ein kolonialistisches Instrument der Repression erblickte.
Im Herbst 2014 trat die britische Eulex-Staatsanwältin Maria Bamieh an die Öffentlichkeit und warf einem italienischen Richter und einer tschechischen Kollegin vor, sie hätten sich von der kosovarischen Mafia bestechen lassen. Darauf wurde eine ganze Reihe von Untersuchungen angeordnet. Am breitesten angelegt war das von der EU-Aussenbeauftragten angeforderte Gutachten, das der Jurist Jean-Paul Jacqué verfasste. Die Korruptionsvorwürfe liessen sich nicht belegen. Aber der Franzose kam zum Schluss, das nur eine grundsätzliche strukturelle
Reform aus der Mission ein schlagkräftiges Instrument machen könne. Es sei «sinnlos, zu bleiben und einfach weiterzumachen». Doch genau dies geschah. Man baute lediglich Personal ab und schränkte die eigenen Kompetenzen ein.
Angst vor dem «regime change»
Einer, der sich schnell einen Reim darauf machte, war Andrea Capussela, ein Kenner der internationalen Strukturen in Kosovo. Der Italiener war von 2008 bis 2011 Chef der Wirtschaftsabteilung der internationalen Verwaltung gewesen. 2015 veröffentlichte er ein Buch, in dem er minuziös aufzeigte, dass Staatsanwälte und Richter der Mission systematisch die Verfolgung politisch heikler Fälle mieden, in die hochrangige Politiker verwickelt waren. Dies sei der Preis, so die Schlussfolgerung, der für die politische Stabilität Kosovos bezahlt worden sei. Anders gesagt: Die konsequente Strafverfolgung bis hinauf in hohe Ämter hätte einen «regime change» bedeutet. Dieses Risiko wollten weder die EU noch die Mitgliedstaaten eingehen.
War das Experiment Eulex von Anfang an zum Scheitern verurteilt? Capussela glaubt das nicht. Aber es hätte einer anderen Personalpolitik bedurft. Statt auf die von den Geberländern abbestellten Beamten zu setzen, hätte eine kleine Truppe von Mafiajägern aufgestellt werden müssen, die ohne politische Rücksichten ermittelt hätte. Ob sich die ehemaligen Kriegsherren kampflos aus Amt und Würden hätten entfernen lassen, steht auf einem andern Blatt. Sie hätten zweifellos gegen die «fremden Richter» mobilisiert – und auf eine bewaffnete Auseinandersetzung mit ihnen hätte sich die von der Nato geführte Kfor-Schutztruppe kaum eingelassen.
https://www.nzz.ch/international/di...-auf-und-wird-kaum-vermisst-werden-ld.1388845